Sorgen wir jetzt für den Übergang zum Ökosozialismus!

Typisches Stencil zum Kapitalismus in Weimar 2006. Foto: mabi2000, capitalism, CC BY-NC-ND 2.0

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Erklärung der Vierten Internationale zur Covid-19-Pandemie

Sorgen wir jetzt für den Übergang zum Ökosozialismus!

Von Büro der Vierten Internationale | 24.05.2020

1 ► Wir befinden uns in einer Krise voller Gefahren, einer Krise der kapitalistischen Zivilisation, der schwersten Krise seit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Wir bekämpfen die Coronavirus-Pande­mie, die alle Völker befällt. Gegen sie gibt es (bis jetzt) weder Impfstoffe noch eine erprobte und sichere antivirale Behandlung; wir können heute nur auf physische Distanzierung zurückgreifen, um ihre Auswirkungen zu mildern und die Ansteckungskette des Virus zu unterbrechen. Wenn wir in die Isolation gezwungen werden, sind öffentliche Gesundheitssysteme, Garantien für Einkommen und Rechte sowie Solidarität unser einziger Schutz. Während viele Unternehmer*innen inmitten einer Rezession, die sich zu einer Depression entwickelt, nur ihre Profite sichern wollen, versuchen die Machthabenden der einzelnen Länder, ihre Interessen auf Kosten ihrer Nachbarn zu sichern. Aber mit Ungleichheit, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, mit Kampf aller gegen alle oder Suche nach Sündenböcken gibt es keinen Ausweg aus der langen Pandemie, die wir vor uns haben; wir werden diese Krise nur überwinden, wenn wir die Interessen, die Rechte und die Solidarität der menschlichen Gesellschaft als Ganzes bekräftigen. Dies ist die Zeit des Internationalismus, der sozialen, rassischen, geschlechtlichen und ökologischen Gerechtigkeit, des Einstehens für das gemeinsame Geschick der Menschheit.

2 ► COVID-19 ist eine Pandemie des Neoliberalismus, ein Produkt dieser globalisierten neoliberalen Phase des Kapitalismus. Der Kapitalismus hat, angetrieben von der neoliberalen Globalisierung, seinen Mantel über den gesamten Planeten ausgebreitet. Globale Produktionsketten, die den Konzernen zur Steigerung ihrer Profite zur Verfügung gestellt werden, machen jedes Land für die geringste Krise anfällig, und die Hypermobilität, die sie aufrechterhält, hat jeden gesundheitlichen und ökologischen Sicherheitsmechanismus beseitigt. Eine räuberische Beziehung zur Natur, die auf der Nutzung fossiler Brennstoffe und auf einer großen kapitalistischen Landwirtschaft mit ihren grünen Wüsten beruht, zerstört sowohl das Gleichgewicht der grundlegenden Kreisläufe des Erdsystems (Kohlenstoff, Wasser, Stickstoff) als auch die Beziehung des Menschen zur Biosphäre mit ihrem Gewebe des Lebens, von dem wir nur ein Teil sind. Es handelt sich um ein nicht-nachhaltiges Modell, das auf ein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten abzielt, das alle Grenzen der Erde überschreitet und eine ökologische Entfremdung und eine Konsumnachfrage schafft, die mit der rationalen Nutzung der Commons (Gemeingüter) unvereinbar ist.

3 ► Sind die so genannten „Naturkatastrophen“ die Folge der Klimakrise, so sind SARS-CoV-2 und seine möglichen Mutationen auch die Folge von Angriffen auf die Biosphäre der Erde. Entwaldung, Umweltzerstörung und kommerzielle Jagd auf Wildtiere bzw. Jagd zur „Entspannung“ schaffen ständig Bedingungen für neue Krankheiten, gegen die es bei Menschen keine immunologische Resistenz gibt. Der beschleunigte Anstieg des Fleischkonsums ist untrennbar mit den jüngsten Virusausbrüchen verbunden, da die Fleischindustrie das Einsperren einer riesigen Anzahl genetisch ähnlicher Tiere zur Folge hat. Sie ist auch die Hauptbetreiberin für die Entwaldung und den Verlust der genetischen Variabilität in vielen Teilen der Welt: Die Landwirtschaft nimmt bereits die Hälfte der bewohnbaren Fläche ein, und 77 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Weideland oder Ackerland für die Produktion von Tiernahrung. Eine tiefgreifende Umgestaltung unseres Systems der Nahrungsmittelproduktion und unserer Ernährung ist erforderlich, um diese Industrie der Pandemien zu überwinden!

4 ► Die gesamte Menschheit wird von dem Virus angegriffen. Die ausgebeuteten Klassen und unterdrückte Schichten sind am stärksten betroffen. Das sind Familien, die in prekären Wohnverhältnissen leben, Menschen in Stadtteilen mit schlechten sanitären Verhältnissen, prekäre Arbeiter*innen, diejenigen, die Hungerlöhne haben. Es sind Beschäftigte im Gesundheitswesen (Ärzte/Ärztinnen, Krankenschwestern), Lastwagenfahrer*innen und Transporteure, die weiter für Nachschub zu sorgen haben, es leiden all jene, die die Zahnräder der Welt bewegen müssen, damit jeder Mensch leben kann. Mit anderen Worten, die Pandemie betrifft jede und jeden, aber nicht in der gleichen Weise, je nach gesellschaftlicher Klasse. Aber es gibt auch eine Auswirkung je nach Generation; sie tötet die älteren Menschen aller Klassen. In diesem Bereich der gesamten menschlichen Gesellschaft sind die armen alten Menschen diejenigen, die am meisten sterben. Und die Krise trifft die Frauen hart, die für den größten Teil der sozialen Reproduktionsarbeit verantwortlich sind und die, in ihren Wohnungen eingesperrt, eine noch größere Arbeitslast haben und unter einer weiteren Epidemie leiden, der häuslichen Gewalt.

5 ► Noch gravierender ist die Situation in den Ländern des globalen Südens. Die Länder Lateinamerikas, Afrikas und des Nahen Ostens, Ostasiens und des indischen Subkontinents sind unter unterschiedlichen Bedingungen und Umständen von der Pandemie betroffen. Alles deutet darauf hin, dass die Kombination der Pandemie mit den schlechten sanitären Bedingungen, dem Fehlen einer Gesundheitsgrundversorgung, den extrem verdichteten Städten und Stadtvierteln und den örtlichen Regierungen und herrschenden Klassen, die nicht bereit sind, Maßnahmen der sozialen Sicherheit zu ergreifen, zu einer echten humanitären Katastrophe mit Ausmaßen führen muss, wie sie in dieser Pandemie noch nicht aufgetreten ist. Die Art und Weise, in der sich die Epidemie in einigen Ländern Afrikas wie Algerien, Ägypten und Südafrika, in Peru, Ecuador, Indien und vor allem in den Favelas der brasilianischen Großstädte ausdehnt, zeigt, dass Nicht-Weiße viel größeren Gefahren ausgesetzt sind; sie sind in vielfacher Hinsicht der Logik der kapitalistischen Herrschaft unterworfen, die Milliarden von Menschen in die Armut treibt. Es ist jetzt notwendig, die Energien auf einen Aufruf zur wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Solidarität mit den Ländern des globalen Südens zu konzentrieren, um die Ausbreitung rassistischer Epizentren des Völkermords an indigenen Völkern, Bauern, armen Arbeiter*innen, Schwarzen, Dalits zu verhindern ‒ an all jenen, die unter modernen neokolonialen Formen rassisch abgestempelt und ethnisch ausgeschlossen bleiben.

6 ► Die autoritären Maßnahmen, die insbesondere von rechtsextremen Regierungen an der Peripherie des Kapitalismus und im globalen Süden ergriffen werden, bedürfen noch großer Aufmerksamkeit. Die von den Regierungen Indiens, der Philippinen, Perus und Ecuadors betriebenen Maßnahmen der Repression sind Beispiele dafür, wie die COVID-Pandemie zur Verschärfung autoritärer Maßnahmen und zur weiteren Panzerung politischer Regime genutzt wird. Duterte hat erklärt, dass er diejenigen erschießen werde, die sich nicht an die Quarantäne halten; in Ecuador ist die Polizei in die Wohnungen armer Arbeiter*innen eingedrungen.

7 ► Der Virus macht die Widersprüche und Übel des gesamten kapitalistischen Systems deutlich und zeigt, dass der einzige Weg, sie zu lösen, ein anderes System ist, das eine andere Beziehung zwischen den Menschen herstellt und zwischen Menschen und Natur herstellt. Alles ist in Frage gestellt; das System ist in Frage gestellt…

→ In seiner neoliberalen Phase hat der Kapitalismus die Leistungen aufgegeben, die der Staat zu erbringen hatte, um die produktive Stärke der Arbeiter*innen zu garantieren, die sozialen Rechte, die sie im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts hart erkämpft haben. Der Neoliberalismus privatisierte diese Dienstleistungen, wodurch der Staat immer weniger in der Lage war, die menschlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Es ist unmöglich, auf diese Krise zu reagieren, ohne das gesamte System und sein Verhalten anzugreifen.

→ Die privatisierten Gesundheitssysteme des Neoliberalismus, die im Wesentlichen denen dienen, die sich solche Dienste leisten können, können die menschlichen Lebensbedürfnisse nicht befriedigen. Das Gesundheitswesen muss sozialisiert werden.

→ Der Neoliberalismus hat die Arbeitsbeziehungen desorganisiert und prekärer gemacht. Daher sind heute Mechanismen für die Absicherung des Einkommens der abhängig Beschäftigten, aber auch von Selbständigen, die auf eigene Rechnung arbeiten, zusammen mit Mechanismen zur Umverteilung des Einkommens zentrale Forderungen.

→ Dadurch dass sie den destruktiven Charakter der Globalisierung und die Verwundbarkeit der Gesellschaft als Geisel der Unternehmen und ihrer globalen Produktionsketten deutlich macht, eröffnet die Krise erneut die Möglichkeit, die allgemeine Organisation der gegenwärtigen internationalen Arbeitsteilung, die sozial und ökologisch nicht nachhaltig ist, in Frage zu stellen.

→ Der Neoliberalismus hat das individualistische Verhalten durch den Konsumismus vertieft. Aber die Gesellschaft lernt mit der Krise erneut, dass soziale Solidarität für ihr Überleben notwendig ist.

→ Anti-wissenschaftliche Ideologien, Obskurantismus und religiöser Fundamentalismus sind mit den Ideologen von Ronald Reagan und Bush wieder aufgetaucht, sie sollten die bestehenden Verhältnisse rechtfertigen und festigen, und es geht nun mit Trump, Bolsonaro, Duterte, Modi usf. weiter. Aber ihre verleugnenden Aktionen geraten immer deutlicher mit wissenschaftlichen Annahmen in Konflikt. Die Regierungen sahen sich zu unterschiedlichen Zeiten und Methoden gezwungen, Maßnahmen zur Milderung der Krise, manchmal in Kombination mit autoritäre Vorgehen zu ergreifen. Einige führende Persönlichkeiten, wie die Präsidenten von Brasilien (Bolsonaro), Turkmenistan (Berdimuhamedow) und Weißrussland (Lukaschenka) zeigen sich jedoch störrisch und halten an Obskurantismus und Leugnertum fest.

→ Die Krise stellt alles in Frage. Die (oft unzureichenden) Notfallmaßnahmen, die die Regierungen zur Eindämmung der Pandemie ergreifen, müssen das gegenwärtige Format der kapitalistischen Gesellschaft objektiv in Frage stellen; um Leben zu retten, müssen wir die gesamte kapitalistische Struktur angreifen. Die Menschheit und der Planet werden gerettet werden, wenn dies mit aller Energie angenommen wird.

8 ► Vor dem Auftreten der Pandemie standen Arbeiter*innen und Völker voller Energie gegen dieses System auf. In Chile, im Libanon, in den Vereinigten Staaten, in Indien, Hongkong und an vielen anderen Orten erhoben sich die Massen im Laufe des Jahres 2019. Die Frauen-, Jugend- und Umweltbewegungen haben einen starken militanten Internationalismus wiederbelebt ‒ es ist in der Tat der stärkste Impuls für den Internationalismus seit den 1960er, 1970er Jahren. Sie sehen sich zunehmend autoritären und totalitären Regierungen gegenüber, die das Ergebnis der Krise traditioneller bürgerlicher Regime und der Notwendigkeit sind, einen immer stärker zerstörerischen Kapitalismus zu errichten, der Leben und Natur ausplündert. Solche Regime versuchen, die Massen dazu zu bringen, nicht auf ihre Stärke und Solidarität zu vertrauen, sondern auf die rettenden Messiasse, die eine Anti-Wis­senschaft verkünden. Gerade jetzt wollen sie die Pandemie ausnutzen, um den Totalitarismus zu stärken. Aktionen auf der Straße sind jetzt eingefroren, aber der Kampf findet nicht nur auf der Straße statt. Neue Protestformen und der Einsatz neuer Methoden, um die öffentliche Meinung zu gewinnen, nehmen im Kontext eines Gespürs für Solidarität zu.

9 ► In dieser Situation war eine sehr große Mehrheit von Regierungen gezwungen, extreme Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen für Maßnahmen eintreten, die die Form und die Substanz des Neoliberalismus und des kapitalistischen Systems angreifen:

→ Gesundheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie;

→ garantierte Arbeit trotz physischer Isolation: hundertprozentige Übernahme der Verantwortung der Unternehmen und/oder des Staates für die Löhne und Gehälter der Beschäftigten, die ihre Tätigkeit eingestellt haben, einschließlich der prekär Beschäftigten, Zeitarbeiter*innen, Hausangestellten, Selbständigen und Saisonarbeiter*innen, ohne jegliche Verpflichtung, Urlaubstage zu nehmen oder die nicht gearbeiteten Stunden anschließend nachzuholen;

→ Arbeiter*innen und Arbeiter im informellen Sektor, unbezahlten Arbeitslosen, Studierenden, allen, die es benötigen, muss der Staat ein garantiertes Mindesteinkommen bereitstellen, das für ein menschenwürdiges Leben ausreichen muss;

→ Verbot aller Entlassungen und Wiedereinstellung von Beschäftigten, die seit Beginn der Pandemie entlassen wurden;

→ Ablehnung jeglicher autoritärer und außerordentlicher Maßnahmen zur Aussetzung von sozialen Rechten, einschließlich des Streikrechts;

→ das Recht auf Information und Kommunikation;

→ Bereitstellung angemessener sozialer Dienstleistungen für Behinderte, ältere Menschen und all jene, die durch „Lockdowns“ sozial isoliert sind;

→ Sofortmaßnahmen zum Schutz von Frauen und Kindern, die Opfer von Gewalt geworden sind, insbesondere in Ländern, in denen eine Ausgangssperre beschlossen wurde, mit raschen Entscheidungen über die Entfernung von gewalttätigen Ehepartner*innen oder über die Bereitstellung von neuen Unterkünften für die Opfer;

→ Hilfe für alle gefährdeten Menschen;

→ gleiche Behandlung für die gesamte Bevölkerung;

→ sofortige Umstellung geeigneter Industrien (der Auto-, Flugzeug-, Rüstungsindustrie usw.) auf Produktion, die der Gesellschaft hilft, die Gesundheitskrise zu bewältigen: Beatmungsgeräte, Überwachungsgeräte, Intensivbetten, Schutzausrüstung;

→ kostenlose Verteilung von Arzneimitteln und Vorbeugemitteln, verbindliche Höchstpreise;

→ bessere Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Bereichen;

→ Sozialisierung der Gesundheitsdienste und dort, wo sie vom Neoliberalismus demontiert wurden, deren Wiederaufbau unter der Kontrolle der Öffentlichkeit;

→ Verstaatlichung der Pharmaindustrie;

→ Schutzmaßnahmen für die Ökonomie der Bevölkerung und Wohnungen;

→ sofortige Aussetzung der Zahlung der öffentlichen Schulden mit Audits unter Beteiligung der Bürger*innen, mit der Perspektive Aufkündigung bzw. Streichung des illegitimen Teils;

→ Einfrieren der Bankschulden von Familien, Mikrokrediten und Mieten sowie Gewährleistung von Wasser, Strom, Gas und Internet für alle;

→ Kontrolle des Bankensystems im öffentlichen Interesse durch Enteignung der Banken ohne Entschädigung für die Großaktionär*innen und Vergesellschaftung des Bankensystems unter Kontrolle der Bürger*innen;

→ Besteuerung der großen Vermögen.

10 ► Wir dürfen nicht mit verschränkten Armen darauf warten, dass die Regierungen handeln, wir müssen gemeinsam handeln, um selbstverwaltete Initiativen der Werktätigen zu entwickeln ‒ in den Gebieten im Widerstand, auf dem Land und in den Städten. Es gibt Beispiele für solche Initiativen aus der Bevölkerung oder von organisierten Sektoren wie Bauern/Bäuerinnen, indigene Völker, Arbeitslose, Gemeinschaften am Rande der Großstädte, Netzwerke feministischer Solidarität. Diese Initiativen schaffen sehr interessante Alternativen, z. B. kollektive Herstellung von Stoffmasken, die der Bevölkerung gespendet werden, um die Vorbeugung gegen Ansteckung zu gewährleisten, alternative Produktion und Spende von Nahrungsmitteln, Eintreten für das öffentliche Gesundheitssystem und Forderung nach universellem Zugang zu diesem System, Forderung nach Einhaltung der Arbeitsrechte und Zahlung von Löhnen, Anprangerung der Zunahme der Gewalt gegen Frauen und die zermürbende Betreuungsarbeit, die sie während der häuslichen Isolation leisten. Mehr denn je sollten wir diese Initiativen jetzt verallgemeinern und diese alltäglichen Alternativen der autonomen Selbstorganisation als Teil des Ökosozialismus und des „guten Lebens“ verstehen, die wir als konkrete Alternativen zum Kapitalismus vorschlagen, der das Leben und den Planeten zerstört, zu diesem genozidalen und ökozidalen System.

11 ► Auch unter Beachtung der notwendigen physischen Isolation und der Notmaßnahmen, die die Bedingungen schaffen, um sie zu gewährleisten, haben die Arbeiter*innen und die Masse der Bevölkerung durchaus Mittel zum Handeln und zum Kämpfen. In Brasilien sind die „cacerolazos“ [die in ganz Lateinamerika verbreitete Protestform, bei der durch Schlagen auf „cacerolas“, Kochtöpfe, Lärm gemacht wird] und die Petition mit mehr als einer Million Unterschriften für die Amtsenthebung von Präsident Bolsonaro dafür, dass sich das Gefühl der Solidarität in ein Bewusstsein der Solidarität verwandelt, das zum Kampf für die notwendigen Maßnahmen der Bevölkerung führt. Wenn die Nahrungsmittel nicht ausreichen, organisieren wir uns in der Nachbarschaften per Telefon und Internet, mit Anbau von Gemüse in Gemeinschaftsgärten oder bewusstem Konsum von Nahrungsmitteln, die von bäuerlichen Genossenschaften produziert werden. Außerdem können Restaurants für die ärmere Bevölkerung in Zentren für die Verteilung von gekochtem oder rohem Lebensmittel verwandelt werden. Wenn die Politik der garantierten Einkommen nicht ausreicht, ist es möglich, von den Gemeinden Gutscheine zu verlangen. Die Kreativität des Volkes in all ihren Formen sollte ermutigt werden.

12 ► Trotz ihrer Schwere ist die Covid-19-Pandemie keineswegs ein „perfect storm“, sie ist nicht mit einem äußerst seltenen Unwetterphänomen gleichzusetzen. Unser Nahrungssystem und unsere räuberische Beziehung zur Natur können unter Umständen Ausbrüche von Viren hervorrufen, die ansteckender und/oder tödlicher sein könnten als SARS-CoV-2. Darüber hinaus können gewalttätige Ausbrüche zeitgleich mit extremen Ereignissen auftreten, die durch das Klimachaos ausgelöst werden. Das Auftreten von schweren Überschwemmungen oder intensiven Hurrikanen/Taifunen, die die plötzliche Evakuierung von Tausenden oder sogar Millionen von Menschen erzwingen, ist dazu angetan, die zur Bekämpfung einer schweren Pandemie notwendigen Maßnahmen der sozialen Distanz oder der Quarantäne völlig über den Haufen zu werfen. Die Verbindung von Gesundheits- und Klimakrise kann zu beispiellosen humanitären Katastrophen führen. Gleichzeitig weisen Pandemien und Klima- bzw. ökologischer Notstand Ähnlichkeiten auf: Umgehendes Handeln ist entscheidend, das exponentielle Wachstum (sowohl der Ansteckung als auch der Emissionen) muss hart eingedämmt werden, und nur gerechte, ausgewogene, antikapitalistische Lösungen bieten eine Alternative, um die größte Zahl von Menschenleben zu retten.

13 ► Gigantische geopolitische Verschiebungen, die das Gesicht der Welt neu gestalten werden, sind im Gange. Doch nun drängt sich eine Forderung auf: die nach einem Waffenstillstand in den Kriegen auf der ganzen Welt. Es ist an der Zeit, die Solidarität der Völker zu stärken!

14 ► Es ist festgestellt worden, dass sich die Covid-19-Krise positiv auf die Umwelt ausgewirkt hat. Es ist eine Verringerung der Konzentration von kurzfristigen Luftschadstoffen wie Aerosolen und Stickoxiden zu beobachten, insbesondere in den Ballungsgebieten, was zu einer besseren Luftqualität, Sichtbarkeit usw. führt. Bei den langlebigen Schadstoffen wie CO2 kratzt die SARS-CoV-2-Krise jedoch nur an der Oberfläche. Mehr als die Hälfte des internationalen Luftverkehrs befindet sich heute am Boden, und es wird geschätzt, dass der verringerte Energieverbrauch, einschließlich Elektrizität und Transport, die globalen Emissionen um etwa 5 % reduziert, was den größten jährlichen Rückgang der globalen CO2-Emissionen aller Zeiten darstellt. Dies ist jedoch immer noch unter der jährlichen Reduktionsrate, die erforderlich ist, um das Klimasystem auf einer Bahn zu halten, bei der die globale Erwärmung auf 1,5°C über der vorindustriellen globalen mittleren Oberflächentemperatur begrenzt ist (um die Emissionen bis 2030 zu halbieren, wären Senkungen der Emissionen um 6 bis 7 % pro Jahr erforderlich). Aber die Erwartungen der kapitalistischen Konzerne bestehen darin, dass es so bald wie möglich ein Zurück zu Vorher und zu Wirtschaftswachstum gibt … Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern wie Brasilien, wo die Hauptquelle von CO2 die Veränderung der Landnutzung ist, Anzeichen dafür, dass das Aussetzen der Umweltüberwachung während der SARS-CoV-2-Krise zu vermehrter Entwaldung und Emissionen führt. Nur eine konsequente und organisierte Anstrengung zur Verringerung des Energiebedarfs, zum Schutz der Wälder und des Landes der indigenen Völker und zur Senkung der Emissionen kann eine angemessene Antwort auf den Klimanotstand sein. Illusionen über mögliche „positive Umweltauswirkungen“ der Pandemie sind bestenfalls naiv, schlimmstenfalls können sie misanthropischen, eugenischen, ökofaschistischen Diskursen Tür und Tor öffnen. Eine tiefgreifende Reorganisierung der menschlichen Gesellschaft ist notwendig.

15 ► Gab es am Anfang des Neoliberalismus aufstrebende Bewegungen und soziale Sektoren, die sich zusammenfanden, um zu sagen: „Eine andere Welt ist möglich“, so müssen wir uns heute zusammenschließen, um zu sagen: „Eine andere Welt ist notwendig und zwar dringend!“ ‒ durch gemeinsames internationalistisches Handeln, das uns Wege zu einer Welt aufzeigt, in der das Leben mehr wert ist als der Profit, in der die Natur aufhört, eine Ware zu sein.

Die gegenwärtige Krise zeigt deutlich, dass ein bedeutender Teil der kapitalistischen Produktion rein räuberisch, völlig überflüssig und verschwenderisch ist. Die Krise zeigt auch, dass mit deutlich verkürzter Arbeitszeit lebensnotwendige Güter produziert werden können und dass Lohn- und Einkommensgarantien und der universelle Zugang zu Gesundheits- und Bildungssystemen in einer Gesellschaftsordnung des Übergangs durchaus verwirklicht werden können; in einer Ordnung, in der die Energie- und Produktionssysteme vollständig umgebaut werden und riesige Kontingente von Arbeiter*innen in andere Sektoren, die mit einem ökosozialistischen Übergang vereinbar sind, gehen. Es zeigt sich auch, dass eine massive industrielle Konversion je nach politischem Willen in relativ kurzen Fristen realisiert werden kann.

Es gibt keine Zukunft ohne einen Übergang zum Ökosozialismus. Tun wir uns zusammen, um daran zu arbeiten und ihn zu verwirklichen.

16. April 2020

http://www.internationalviewpoint.org/spip.php?article6532

http://www.inprecor.fr/article-Covid-19–Construisons-la-transition-vers-l’%C3%A9coscialisme-maintenant%C2%A0!?id=2345

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