Coronavirus: Seuchenbekämpfung oder Massenwahn

Das Coronavirus führt zu einer Pandemie. Fotocollage. Foto: Gaetano Virgallito, Mass, CC BY-ND 2.0

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Eine Geschichte der Pandemien

Coronavirus: Seuchenbekämpfung oder Massenwahn

Von Helmut Dahmer | 17.06.2020

„Coro­na“ (ali­as COVID-19) begann sei­nen Zug um die Welt in der zen­tral­chi­ne­si­schen Mil­lio­nen­stadt Wuhan. Ver­mut­lich sprang auf dem dor­ti­gen Markt ein mutier­tes Virus von Tie­ren (womöglich von Fle­der­mäu­sen) auf Men­schen über und ver­brei­te­te sich dann rasch durch Anste­ckung (Tröpf­chen-Infek­ti­on).

Anders als frü­he­re Epi­de­mien, die den euro­päi­schen und den ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent nicht erreich­ten oder nur streif­ten, mach­te sich der Erre­ger der neu­en Seu­che die von Mil­lio­nen fre­quen­tier­ten Rei­se- und Han­dels­stra­ßen der Gegen­wart zunut­ze, sprang bin­nen Tagen und Wochen von Land zu Land und von Kon­ti­nent zu Kon­ti­nent. COVID-19 wur­de zur Pan­de­mie.

Ohne Immu­ni­tät, unvor­be­rei­tet, ohne Vor­beu­ge- oder Heil­mit­tel befin­den wir uns in einer Lage, die der­je­ni­gen gleicht, in der sich die Bevöl­ke­run­gen der alt­ame­ri­ka­ni­schen Kul­tu­ren Mit­tel- und Süd­ame­ri­kas befan­den. Euro­päi­sche Erobe­rer, die selbst „immu­nen“ Konqui­stadoren, infi­zier­ten sie mit ihnen unbe­kann­ten Krank­hei­ten, an denen sie in Mas­sen zugrun­de gin­gen.

Auch die euro­päi­sche Bevöl­ke­rung wur­de Jahr­hun­der­te lang stets wie­der von Seu­chen heim­ge­sucht, denen sie die längs­te Zeit hilf­los gegen­über­stand. Pest und Cho­le­ra haben sich dem Kol­lek­tiv­ge­dächt­nis am tiefs­ten ein­ge­prägt.

Man­che die­ser Epi­de­mien ent­völ­ker­ten gan­ze Land­stri­che, kehr­ten gele­gent­lich wie­der oder ver­schwan­den ganz. Außer Hygie­ne- und Qua­ran­tä­ne-Maß­nah­men wuss­te man ihnen jahr­hun­der­te­lang nichts ent­ge­gen­zu­set­zen.

Unkontrollierbare Feinde des Menschen

Die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen der von ihm vor­ge­fun­de­nen „Umwelt“ und dem eigen­tüm­li­chen Natur­we­sen Mensch (samt sei­nen Vor­läu­fern) währt schon etwa eine Mil­li­on Jah­re. Als „Inva­li­de sei­ner höhe­ren Kräf­te“ (näm­lich der Spra­che und der Tech­nik) und als „nicht fest­ge­stell­tes“, dar­um außer­or­dent­lich anpas­sungs­fä­hi­ges Tier – wie Her­der und Nietz­sche ihn cha­rak­te­ri­sier­ten – hat die­ser trans­kon­ti­nen­ta­le Räu­ber und Wan­de­rer, vor allem seit der „neo­li­thi­schen Revo­lu­ti­on“, dem Über­gang zu Acker­bau und Vieh­zucht, sei­nen Bedürf­nis­sen ent­spre­chend mit­tels Rodung und Was­ser­bau wei­te Ter­ri­to­ri­en umge­stal­tet und unter der Fau­na auf­ge­räumt.

Selbst ein Alles­fres­ser, hat er sich – im Schutz­raum sei­nes kul­tu­rel­len Lebens­raums – dem Schick­sal des Gefres­sen-Wer­dens ent­zo­gen. Man­che Tie­re (wie Mam­muts) hat er aus­ge­rot­tet, ihm gefähr­li­che (wie Bären, Tiger und Wöl­fe…) dezi­miert und die über­le­ben­den in Zoos und Reser­va­te gesperrt.

Doch den Kampf gegen die (wie die ato­ma­re Strah­lung) ohne spe­zi­el­le Gerä­te für ihn nicht wahr­nehm­ba­ren Men­schen­fres­ser, gegen die mikro­sko­pisch klei­nen, stets mutie­ren­den para­si­tä­ren „Vir­io­nen“, die zu ihrer Repro­duk­ti­on auf Wirts­zel­len von Pflan­zen oder Tie­ren ange­wie­sen sind, hat er noch längst nicht gewon­nen.1 Die Ent­de­ckung von und der Kampf gegen Viren ist unge­fähr 150 Jah­re alt (der gegen „Bak­te­ri­en“ währt schon drei­ein­halb Jahr­hun­der­te).

Die Suche nach der Erklärung

Bis in die (euro­päi­sche) Neu­zeit gab es auf die quä­len­de Fra­ge nach Her­kunft und „Sinn“ der gro­ßen Seu­chen nur eine, näm­lich die magi­sche Ant­wort: Die Men­schen haben den Kult der irdi­schen und himm­li­schen Göt­ter, denen sie Leben und Nah­rung ver­dan­ken, ver­nach­läs­sigt, ihre Gebo­te miss­ach­tet – sie sind also schul­dig gewor­den.2 Die­se Schuld muss abge­gol­ten wer­den, und es genügt nicht, dass Göt­ter und Dämo­nen sich selbst mit Hil­fe der Krank­heit beängs­ti­gend gro­ße Men­schen­op­fer holen.

Kund­ge­bung am 1. Mai 2020 auf dem Markt­platz in Mann­heim (Foto: helmut-roos@web.de)

Es bedarf immer neu­er Süh­ne­op­fer und Rei­ni­gungs­ri­tua­le von Sei­ten der schul­dig Gewor­de­nen, die unter dem Druck ihrer Schuld ande­re Schul­di­ge suchen und fin­den. Kan­di­da­ten dafür waren nicht nur Pest­kran­ke oder Aus­sät­zi­ge, ver­meint­li­che Brun­nen­ver­gif­ter und Brand­stif­ter, Hos­ti­en- schän­der, Hexer und Hexen, son­dern auch Un- und Anders­gläu­bi­ge, „Sün­der“ aller Art, „Gezeich­ne­te“, Frem­de und Kriegs­ge­fan­ge­ne … Und so war jede Epi­de­mie, jede Kata­stro­phe, jede Dür­re, Über­schwem­mung und Miss­ern­te beglei­tet und gefolgt von Opfer­or­gi­en.

„Psy­chi­sche Epi­de­mien“, heißt es in einer Geschich­te der Medi­zin, „tra­ten beson­ders nach dem Schwar­zen Tod auf und fan­den ihren Aus­druck in Akten des Mas­sen­wahns, wie der Ver­bren­nung von Tau­sen­den von Juden, den Pro­zes­sio­nen der Fla­gel­lan­ten [Geiß­ler] und den Kin­der­kreuz­zü­gen (1212).“3

Vorteilhafte Ausbreitungsbedingungen

Von der Früh­ge­schich­te bis in die frü­he Neu­zeit waren die Men­schen den Seu­chen­zü­gen hilf­los aus­ge­lie­fert. Sie wuss­ten nicht, wie ihnen geschah.

Erst als auf der Grund­la­ge der ver­all­ge­mei­ner­ten Waren­pro­duk­ti­on Nut­zen­kal­kü­le eine enor­me Stei­ge­rung der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät, also der Natur- und Men­schen­be­herrschung ermög­lich­ten,4 wur­den in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­dert auch Bio­lo­gie und Medi­zin revo­lu­tio­niert.5 Seit­dem sind Epi­de­mien im Prin­zip kon­trol­lier­bar gewor­den, man kann ihnen vor­beu­gen, sie ein­däm­men oder sie gar abschaf­fen.6

Seit 150 Jah­ren sind Infek­ti­ons­krank­hei­ten kein Schick­sal mehr, so wenig, wie es die Krie­ge sind oder die Kata­stro­phen von Tscher­no­byl und Fuku­shi­ma. An die Stel­le vie­ler Natur­ka­ta­stro­phen von der­mal­einst sind man-made-dis­as­ters [mensch­ge­mach­te Kata­stro­phen] getre­ten.

Wenn Epi­de­mien anti­quiert noch immer beschrie­ben und bespro­chen wer­den, als han­de­le es sich um Phä­no­me­ne wie Meteo­ri­ten-Ein­schlä­ge, Tsu­na­mis oder Vul­kan­aus­brü­che, dann wird der unbe­herrsch­ba­ren Natur zuge­schrie­ben, was nur mehr Pro­dukt der unbe­herrsch­ten Welt­ge­sell­schaft ist. Sie wird von Impe­ra­ti­ven der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on getrie­ben und tau­melt plan­los von einer Kata­stro­phe in die nächs­te. Nicht weni­ge der ver­meint­li­chen „Natur“-Katastrophen der Gegen­wart sind in Wahr­heit Sozi­al-Kata­stro­phen, und deren „natu­ra­le“ Camou­fla­ge ver­hin­dert die Suche nach den Fak­to­ren hin­ter den (epi­de­mio­lo­gi­schen) Fak­ten.

Rück­bli­ckend auf die „Ära der Bak­te­rio­lo­gie“ schrieb Erwin Acker­knecht: „Man mach­te die Erfah­rung, dass die Kennt­nis der para­si­tä­ren Krank­heits­ur­sa­chen und ihrer wirk­sa­men Behand­lungs­wei­se nicht zur Aus­rot­tung der Krank­heit füh­ren kann, wenn bestimm­te sozia­le und wirt­schaft­li­che Fak­to­ren für die vol­le Anwen­dung die­ser Kennt­nis ungüns­tig sind. Dies gilt beson­ders für die Cho­le­ra, für die Mala­ria, für die Tuber­ku­lo­se und für die Syphi­lis. Das ärzt­li­che Wis­sen wür­de beim [Ende des 19. Jahr­hun­derts] schon hohen Stand der Mikro­bio­lo­gie wahr­schein­lich aus­rei­chend gewe­sen sein, um die­se Krank­hei­ten all­mäh­lich aus­zu­rot­ten. Doch die schlech­ten hygie­ni­schen und sozia­len Bedin­gun­gen sicher­ten […] ihr Fort­be­stehen und las­sen bis heu­te ihre Aus­brei­tung in der Drit­ten Welt zu.“7

Die längs­te Zeit der Mensch­heits­ge­schich­te boten Höh­len, Häu­ser, Städ­te und Mau­ern rela­ti­ven Schutz gegen Natur­ge­wal­ten und sicht­ba­re Fein­de, nicht aber gegen unsicht­ba­re und dar­um unbe­kann­te. Das änder­te sich erst in der Moder­ne, die es ermög­lich­te, auch zuvor Unsicht­ba­res sicht­bar und mess­bar zu machen und neu­ar­ti­ge Schutz­vor­keh­run­gen und Heil­mit­tel zu kre­ieren. Auf­grund der For­schun­gen von Pas­teur, Koch und ihren Nach­fol­gern ist es mög­lich gewor­den, den mensch­li­chen Lebens­raum mit neu­ar­ti­gen, fei­ne­ren Fil­tern bes­ser gegen Bak­te­ri­en und Viren zu schüt­zen. Doch im Innern die­ses Habi­tats herrscht noch immer die Ungleich­heit und toben Ver­tei­lungs­kämp­fe zwi­schen den Klas­sen. Von deren Aus­gang hängt es nun ab, ob wei­te­re Ver­fah­ren der Seu­chen­be­kämp­fung ent­wi­ckelt und genutzt wer­den kön­nen und ob sie weni­gen, vie­len oder allen zugu­te­kom­men.8 Nicht mehr die Wöl­fe müs­sen wir fürch­ten, son­dern Men­schen, die – unkon­trol­liert – über finan­zi­el­le und mili­tä­ri­sche Macht­mit­tel ver­fü­gen, nicht neue Viren, son­dern die tra­di­tio­nell unglei­che Ver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen Reich­tums, die es bis­her unmög­lich macht, Hun­ger, Krieg und Seu­chen abzu­schaf­fen. Die Ursa­che heißt Klas­sen­ge­sell­schaft!

Reaktionen der Politik

In vie­len Staa­ten der Erde gilt die jeweils ver­folg­te Poli­tik als „alter­na­tiv­los“. Weil es schon lan­ge kei­ne gro­ßen Par­tei­en mehr gibt, die nicht nur bestimm­te Män­gel der bestehen­den Gesell­schaft refor­mie­ren, son­dern ihre Struk­tur grund­le­gend ändern wol­len, und weil Sozi­al­wis­sen­schaft­ler, denen es um sol­che Alter­na­ti­ven geht, mar­gi­na­li­siert wer­den, fun­gie­ren der­zeit ein­zig Viro­lo­gen als (wis­sen­schaft­li­che) Bera­ter jener Regie­run­gen, die das Sys­tem der Ungleich­heit und der Unmün­dig­keit schlecht und recht ver­wal­ten.

Kund­ge­bung am 1. Mai 2020 auf dem Markt­platz in Mann­heim (Foto: helmut-roos@web.de)

Die aus ein paar Par­tei­po­li­ti­kern spon­tan gebil­de­ten „Coro­na-Stä­be“ erwie­sen sich frei­lich in die­sem, von der Seu­che bestimm­ten Früh­jahr 2020 als außer­or­dent­lich fle­xi­bel. Über Nacht schlu­gen sie gro­ße Bre­schen in den Käfig „alter­na­tiv­lo­ser“ Reform- und Gedan­ken­lo­sig­keit und ver­leg­ten sich, nach Jah­ren und Jahr­zehn­ten der „Austeritäts“-Politik, um der Wirt­schaft und der Volks­ge­sund­heit wil­len aufs Schul­den­ma­chen und auf staat­li­che Ein­grif­fe in die „Märk­te“, deren Kom­man­do ihnen doch bis­her stets Gesetz war.

Inwie­weit die jüngs­te Muta­ti­on des Coro­na-Virus durch Rodun­gen, Mas­sen­tier­hal­tung und Kli­ma­wan­del begüns­tigt wur­de, steht dahin. Dass das Virus sich über die heu­ti­gen Rei­se- und Han­dels­rou­ten ver­brei­tet, ist unver­kenn­bar.

Dass Pro­phy­la­xe, Ein­däm­mung, Erfor­schung und Bekämp­fung von den ver­füg­ba­ren Res­sour­cen (Viren-Spe­zia­lis­ten, Seu­chen­ärz­ten, For­schungs­la­bors, Pfle­ge­per­so­nal, Kran­ken­haus­plät­zen, Inten­siv­sta­tio­nen, Des­in­fek­ti­ons­mit­teln, Mas­ken, Beatmungs­ge­rä­ten usw.), über­haupt vom jewei­li­gen Zustand des Gesund­heits­sys­tems abhän­gen, liegt auf der Hand. Und das heißt: Die Bevöl­ke­run­gen der Gläu­bi­ger­staa­ten haben gegen­über denen der Schuld­ner­staa­ten auch und gera­de in Pan­de­mie­zei­ten weit­aus bes­se­re Über­le­bens­chan­cen, so wie im Innern der weni­gen Wohl­stands­in­seln die pri­vi­le­gier­ten Schich­ten auch im Zei­chen von Coro­na bes­ser, siche­rer und län­ger leben.

Plötzliche Aufmerksamkeit für schlecht bezahlte Jobs

Mana­ger, Han­dels­agen­ten, Tech­ni­ker, Ent­wick­lungs­hel­fer, Tou­ris­ten und Mis­sio­na­re tra­gen das Virus in alle Welt. Doch weder in Alba­ni­en, noch in Kam­bo­dscha, weder auf Hai­ti, noch auf der Oster­in­sel wird ein Impf­stoff gegen Coro­na gefun­den wer­den, und falls einer gefun­den wird, wer­den die Pan­de­mie-Opfer in der Drit­ten und Vier­ten Welt zu aller­letzt davon pro­fi­tie­ren.

Kund­ge­bung am 1. Mai 2020 auf dem Markt­platz in Mann­heim (Foto: helmut-roos@web.de)

Die soge­nann­ten hot­spots oder Viren­schleu­dern, von denen die Seu­che aus­strahlt oder in denen sie immer wie­der auf­flammt, sind, abge­se­hen von Lust­bar­kei­ten (Kar­ne­val, Sport­ver­an­stal­tun­gen, Après-Ski …), Got­tes­diens­ten und poli­ti­schen Mee­tings vor allem Kaser­nen, Schlacht- und Kreuz­fahrt­schif­fe, Flücht­lings- und Gefan­ge­nen­la­ger, Slums und die erbärm­li­chen Mas­sen­quar­tie­re für Hun­dert­tau­sen­de von bil­li­gen Wan­der­ar­bei­tern, wie sie in der Land­wirt­schaft, auf Groß­bau­stel­len oder in Fleisch­fa­bri­ken ein­ge­setzt wer­den.

Auf die Exis­tenz die­ser Bil­lig-Lohn-Bri­ga­den wer­den Poli­tik und Öffent­lich­keit jetzt, wo sie zu Seu­chen­op­fern und damit zu Gefähr­dern gewor­den sind, zum ers­ten Mal ernst­haft auf­merk­sam. Kaum eine Gewerk­schaft, kaum ein Phil­an­throp hat sich je für sie inter­es­siert. In den „tota­len Insti­tu­tio­nen“ – in Gefäng­nis­sen, Psych­ia­trien, Alten- und Pfle­ge­hei­men – hält der Tod rei­che Ern­te. Und gilt das schon für die reichs­ten Län­der, wie wird es erst in den Welt-Armuts­zo­nen sein?

Privilegien mit Auto oder Zweitwohnung

Coro­na wirft ein grel­les Licht auf die fei­nen und weni­ger fei­nen Unter­schie­de, die, um des immer­fort beschwo­re­nen, ima­gi­nä­ren Zusam­men­halts „aller“ Men­schen wil­len, natio­nal und inter­na­tio­nal geleug­net, beschö­nigt, rela­ti­viert und igno­riert wer­den.9 Zumin­dest für die, die über­haupt sehen wol­len, wer­den im Zei­chen von Coro­na die Klas­sen­tei­lung und die Spros­sen der Ein­kom­mens­lei­ter, wird die gesam­te Hier­ar­chie der sozia­len Schich­tung sicht­bar.10

Wie in Putsch-, Kriegs- oder Besat­zungs­zei­ten wer­den Aus­gangs­sper­ren (qua­si Haus­ar­res­te) ver­hängt. Mit denen ergeht es uns aber ganz dem berühm­ten State­ment von Ana­to­le Fran­ce ent­spre­chend, wonach das Gesetz es Arm und Reich glei­cher­ma­ßen ver­bie­tet, unter den Brü­cken (nicht nur von Paris) zu schla­fen.11

Stay home galt für nor­ma­le Mie­ter, wobei es Bal­kon- und Gar­ten­nut­zer schon bes­ser getrof­fen hat­ten, erst recht die Haus­be­sit­zer. Nicht betrof­fen war die Klas­se der Auto­be­sit­zer, die sich jeder­zeit frei bewe­gen konn­te, und frei­er noch waren die mobi­li­sier­ten Dat­scha-, Zweit­woh­nungs- und Resi­denz-Eigen­tü­mer, die weder auf öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel, noch auf Hotels ange­wie­sen sind … „Freie Fahrt für freie Bür­ger!“

Widerstand gegen Maßnahmen

Maß­nah­men-Kon­for­mi­tät erzeugt auf die Dau­er Unwil­len. Der aber rich­tet sich kaum gegen die Pri­vi­le­gier­ten, deren Leben sich unter Coro­na-Bedin­gun­gen nicht ändert, nicht gegen die­je­ni­gen, die weder von Kurz­ar­beit und Ver­dienstausfall, noch von Arbeits­lo­sig­keit betrof­fen sind, und eben­so wenig gegen die offi­zi­el­len Maß­nah­men-Ver­ord­ner und Schön­red­ner, die nur im Fern­se­hen auf­tre­ten.

Aggres­si­on trifft zunächst die weni­gen, die die neu­en Regeln all­zu strikt, weni­ger strikt oder gar nicht befol­gen. Abstands­wah­rer atta­ckie­ren Mit­bür­ger, die es mit dem Abstand nicht so genau neh­men, und über­all fin­den sich Ord­ner, die über Rei­hen­fol­ge und Abstän­de von Schlan­gen­ste­hern wachen. Schwit­zen­de Mas­ken­trä­ger beschimp­fen Unmas­kier­te. Sie empö­ren sich über die klei­nen Ungleich­hei­ten, die ihnen die gro­ßen, lebens­ent­schei­den­den ver­de­cken. Statt dass sie etwa Risi­ko­zu­schlä­ge und Lohn­er­hö­hun­gen für das medi­zi­ni­sche Per­so­nal ver­lang­ten, las­sen im Gegen­zug gan­ze Stra­ßen­zü­ge die ima­gi­nä­re Ein­heit der Coro­na-Bedroh­ten hoch­le­ben, mit Musik und Tanz auf Bal­ko­nen, mit Natio­nal­hym­nen und Bei­fall­klat­schen, und wehe dem, der sich von sol­chen Ritua­len dis­pen­siert.

Nach Wochen aber macht sich nun der laten­te Frust Luft, erst in den „sozia­len“ Medi­en, dann auf Stra­ßen und Plät­zen.

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