Soziale Proteste nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen

Transparent zu den sozialen Protesten in Montreuil (Seine-Saint-Denis). Der Text bedeutet "Geld für das Krankenhaus, nicht für das Kapital". Foto: Montreuil rebelle

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Französisches Gesundheitssystem

Soziale Proteste nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen

Von Bernhard Schmid | 08.06.2020

Am 10. Mai 2020 wur­den in Frank­reich die – im Ver­gleich zu Deutsch­land rela­tiv stren­gen – Aus­gangs­be­schrän­kun­gen auf­ge­ho­ben. Das fran­zö­si­sche Gesund­heits­we­sen ist aktu­ell ein Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt der Sozi­alpro­tes­te.

In Frank­reich wur­den im Zeit­raum von 1998 bis zum vori­gen Jahr über 100.000 von zuvor 500.000 Kran­ken­haus­bet­ten gestri­chen. Zu Beginn der Coro­na-Kri­se wies das Land nur noch 5.000 Bet­ten in Inten­siv­sta­tio­nen auf. Zum Höhe­punkt des Kri­sen­ver­laufs konn­ten sie vor­über­ge­hend auf mehr als ver­dop­pelt wer­den konn­ten – im Ver­gleich zu damals 28.000 in der Bun­des­re­pu­blik.

Die Pari­ser Ärz­tin Béhi­ja (Nach­na­me ist der Redak­ti­on bekannt) berich­te­te vor weni­gen Tagen, dass nun­mehr zu „Inten­siv­bet­ten“ umge­wan­del­te nor­ma­le Pfle­ge­plät­ze gleich ganz gestri­chen wer­den sol­len.

Béhi­ja ist eine von 175 Unter­zeich­ne­rIn­nen einer aus­schließ­lich von Ärz­tIn­nen getra­ge­nen Straf­an­zei­ge gegen Regie­rungs­mit­glie­der wegen Fremd­ge­fähr­dung bei Aus­bruch der Kri­se.

Im Gegen­teil: Mit­te Mai kün­dig­te Macrons „Gesund­heits­mi­nis­ter“ Véran ein „Auf­wei­chen“ der angeb­lich star­ren 35-Stun­den­wo­che im Gesund­heits­we­sen an.

Am 25. Mai 2020 hat eine Kon­sul­ta­ti­on der Regie­rung mit Ver­tre­te­rIn­nen der Beschäf­tig­ten sowie des Gesund­heits­ap­pa­rats begon­nen. Die­se soll von sie­ben­wö­chi­ger Dau­er sein und von der Unter­neh­mens­be­ra­te­rin Nico­le Notat „koor­di­niert“ wer­den, der frü­he­ren Vor­sit­zen­den des sehr sozi­al­part­ner­schaft­lich geführ­ten Gewerk­schafts­dach­ver­bands CFDT.

Pro­tes­te im Pfle­ge­be­reich …

Macrons Sym­pa­thie­wer­bung bei den Beschäf­tig­ten im Gesund­heits­we­sen, die als „Hel­din­nen und Hel­den der Nati­on“ gefei­ert wur­den, schlu­gen fehl.

Bei medi­al insze­nier­ten Besu­chen des Staats­prä­si­den­ten in Kran­ken­häu­sern sah sich die­ser mit schar­fer Kri­tik von gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­ten Pfle­ge­rIn­nen kon­fron­tiert. Des­halb räumt Macron mitt­ler­wei­le ein, dass man „nicht genug zuguns­ten der Kran­ken­häu­ser ver­än­dert“ habe. Mehr­mals hat er Ver­bes­se­run­gen ver­spro­chen – eine „Auf­wer­tung“ der Gesund­heits­be­ru­fe, ver­bes­ser­te Arbeits­be­din­gun­gen …, aber posi­ti­ve Ände­run­gen sind bis­lang kei­ne erkenn­bar.

Im Gegen­teil: Mit­te Mai kün­dig­te Macrons „Gesund­heits­mi­nis­ter“ Véran ein „Auf­wei­chen“ der angeb­lich star­ren 35-Stun­den­wo­che im Gesund­heits­we­sen an. Dabei lässt die gesetz­lich fest­ge­leg­te Wochen­ar­beits­zeit schon jetzt den Unter­neh­men viel Spiel­raum für Fle­xi­bi­li­tät. Der Durch­schnitt von 35 Stun­den wöchent­lich muss ledig­lich inner­halb von drei Jah­ren erreicht wer­den. Véran kün­digt im Prin­zip also an, dass die Beschäf­tig­ten ihren Ver­dienst am Monats­en­de ja durch Mehr­ar­beit „ver­bes­sern“ könn­ten.

Pro­tes­te vor Kran­ken­häu­sern

Seit der Auf­he­bung der gene­rel­len Aus­gangs­be­schrän­kun­gen gilt nun ein Ver­bot von Ver­samm­lun­gen ab elf Per­so­nen bis in den Juli die­ses Jah­res hin­ein.

Doch am Mon­tag, den 11. Mai, kamen an den Ein­gän­gen von fünf Kran­ken­häu­sern in Tou­lou­se über 1.000 exter­ne Per­so­nen zusam­men, die – die­ses Mal ohne poli­zei­li­che Sank­tio­nen – zusam­men mit dort beschäf­tig­ten Kol­le­gIn­nen pro­tes­tier­ten.

Zu ähn­li­chen Aktio­nen kam es Ende Mai vor den Pari­ser Kran­ken­häu­sern Tenon und Robert Debré. Neben vie­len Kran­ken­haus­be­schäf­tig­ten waren meh­re­re Hun­dert Men­schen gekom­men, einer­seits vie­le akti­ve Lin­ke und radi­ka­le Lin­ke, ande­rer­seits Men­schen aus dem pro­gres­si­ven Teil der „Gelbwesten“-Bewegung.

…for­dern eine Lohn­prä­mie für Risi­ko­ar­beit im „sani­tä­ren Aus­nah­me­zu­stand“ sowie eine Erhö­hung ihrer Löh­ne.

Die Poli­zei schau­te zunächst zu, doch als ein Teil der Men­ge ver­such­te, zu einer Spon­tan­de­mons­tra­ti­on auf­zu­bre­chen, kam es zur Absper­rung. Und am Ende wur­den fünf­zig Straf­zet­tel zu je 135 Euro wegen Miss­ach­tung der gel­ten­den Ein­schrän­kun­gen ver­teilt und drei Fest­nah­men durch­ge­führt.

… und anders­wo

Gegen die Ankün­di­gung des Auto­bau­ers Renault, vier Stand­or­te in Frank­reich zu schlie­ßen, pro­tes­tier­ten Kol­le­gIn­nen mit ers­ten Arbeits­nie­der­le­gun­gen nament­lich in der Bre­ta­gne.

Auch bei dem in der Alten­pfle­ge akti­ven Kon­zern Kori­an kommt es der­zeit zu Arbeits­kämp­fen. Die dort Beschäf­tig­ten – die zum Gesund­heits­sek­tor zäh­len und in der COVID-19-Pan­de­mie erheb­li­chen Anste­ckungs­ri­si­ken aus­ge­setzt waren – for­dern eine Lohn­prä­mie für Risi­ko­ar­beit im „sani­tä­ren Aus­nah­me­zu­stand“ sowie eine Erhö­hung ihrer Löh­ne.

Die aktu­ell ent­schei­den­de Her­aus­for­de­rung ist, ob und wie es gelin­gen kann, die Wie­der­be­le­bung einer umfas­sen­den sozia­len und poli­ti­schen Pro­test­be­we­gung zu för­dern. Am 16. Juni 2020 soll es einen lan­des­wei­ten Akti­ons­tag im Gesund­heits­we­sen geben.

Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe der Avanti² Rhein-Neckar.

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