Wenn jemand von einer ansteckenden, potenziell gefährlichen Krankheit betroffen ist, sind die Reaktionen normalerweise Mitgefühl und Überlegungen, wie den von der Krankheit Betroffenen geholfen und wie verhindert werden kann, dass andere infiziert werden. Aber das gilt nicht immer und für alle.
Warum durfte die Infektion sich zunächst viele Tage lang unter den fast 1 000 Mitarbeitern so heftig ausbreiten?
Als die HIV-Infektion bei homosexuellen Männern besonders weit verbreitet war, nutzten manche dies für Hetze gegen Schwule. Und jetzt, wo die Corona unter anderem relativ viele Menschen mit somalischem und libanesischem Hintergrund im Raum Århus sowie einige polnische Schlachthofarbeiter in Ringsted [bei Kopenhagen] infiziert hat, wird dies für Hassangriffe auf diese Gruppen verwendet.
Wenn sich eine gefährliche Infektion bei einer bestimmten Gruppe von Bürgern, an einem Arbeitsplatz oder in einem Wohngebiet, schnell ausbreitet, ist es vorrangig, die Infektion mit aller Kraft zu stoppen.
Und in der konkreten Situation gibt es allen Grund, zu kritisieren und Forderungen zu stellen: Warum wurden nicht zu einem früheren Zeitpunkt der Schlachthof der Danish Crown geschlossen und die Belegschaft mit Lohnfortzahlung nach Hause geschickt? Warum durfte die Infektion sich zunächst viele Tage lang unter den fast 1 000 Mitarbeitern so heftig ausbreiten?
Sowohl viele der Schlachthofbeschäftigte als auch viele der Infizierten in der Region Gjellerup [Nord-Jütland] leben in sehr beengten Verhältnissen, in denen sich die Infektion leicht ausbreitet und in denen es fast unmöglich ist, in „Selbstisolation“ zu gehen. Letzteres u.a., weil die Obergrenze für Sozialhilfeleistungen Familien mit vielen Kindern gezwungen hat, in kleine Wohnungen zu ziehen. Warum gibt es keine Sonderangebote für kostenlosen Aufenthalt zur Selbstisolierung in einigen der vielen leerstehenden Hotels?
Die Informationsarbeit in Bezug auf Bevölkerungsgruppen, die kein Dänisch als Muttersprache haben und möglicherweise auch keine dänischen Medien sehen, wurde peinlich unterpriorisiert. In diesem Bereich hätten schon vor längerer Zeit viel umfassendere und systematischere Anstrengungen unternommen werden müssen.
Atemmasken sind ein wichtiges Mittel, um die Ausbreitung von Infektionen zu stoppen ‒ nicht zuletzt im öffentlichen Verkehr, aber auch anderswo. Die Masken dürfen nicht mehrfach verwendet werden, wenn sie wirken sollen ‒ und kosten jeweils mindestens einige Kronen. Das ist eine Ausgabe, die für die vielen Armen völlig unmöglich zu decken ist. Sie sind daher gezwungen, auf Masken zu verzichten oder sie mehrfach zu benutzen, was sich nachteilig auf die Infektionsbegrenzung auswirkt.
Atemmasken müssen vom öffentlichen Gesundheitswesen gekauft und kostenlos an alle verteilt werden, auch an öffentlichen Orten (Busse, Züge, Bürgerämter, Bibliotheken, Pflegezentren, Schulen, Kindertagesstätten und natürlich in Krankenhäusern sowie bei Ärzt*innen und Zahnärzt*innen).
Pia Kjærsgaard von der DF formuliert noch schärfer: „Man muss die Infektion eingrenzen und die Ghettos schließen. Es hilft nicht, dass die Menschen herumlaufen und die Infektion verbreiten.“ Stacheldraht? Wachtürme…?
Die Forderung nach kostenlosen Atemmasken ist nicht weniger relevant geworden, seit sie Ende dieser Woche in allen öffentlichen Verkehrsmitteln obligatorisch wurden. Das systematische Wiederverwenden von Einwegmasken, auf das viele sonst zurückgreifen würden, wird das genaue Gegenteil des eigentlich angestrebten Ziels bewirken.
Schäumende Fremdenfeindlichkeit
Anstatt die Initiative zu ergreifen, um zu helfen, zu unterstützen und die Infektion zu stoppen, tut sich der Klüngel fremdenfeindlicher Propagandisten von der Venstre über die [rechtspopulistische] Dänische Volkspartei (DF) bis zur [Asyl- und EU-feindlichen] Nye Borgerlige (NB) mit den groteskesten, fremdenfeindlichsten Vorschlägen hervor: Inger Støjberg von der Venstre will – mit lautem Geschrei gegen die somalischen, libanesischen und polnischen Bevölkerungsgruppen – die Polizei losschicken, um zu überprüfen, ob kranke Menschen zu Hause bleiben, und sie „zwangseinweisen“, wenn sie dies nicht tun.
Peter Skaarup von der DF fordert obligatorische Atemmasken nur in den „Ghettos“[1] ‒ und eine massive polizeiliche Überwachung, ob dies in „Ghettos und Moscheen“ eingehalten wird. Und wenn jemand seine „Quarantäne“ nicht einhält („Selbstisolation“ gilt wohl nur für blasse Dänen?), sollen ihm Fußfesseln angelegt werden…
Pia Kjærsgaard von der DF formuliert noch schärfer: „Man muss die Infektion eingrenzen und die Ghettos schließen. Es hilft nicht, dass die Menschen herumlaufen und die Infektion verbreiten.“ Stacheldraht? Wachtürme…?
Pernille Vermund von der NB übertrifft dies noch mit Formulierungen wie „Einwanderer aus dem Nahen Osten sind ein zu großer Teil der Probleme, die das Alltagsleben, die Freiheit und die Sicherheit der Dänen beeinflussen. Und wieder werden es die Dänen sein, die mit einem längeren Warten auf die Wiedereröffnung von Hochschulen, Veranstaltungsorten und Nachtclubs ihrer Freiheit beraubt werden. Warum sollen wir diese Leute unter uns haben? Was ist der Sinn?“ Mit anderen Worten: Es gibt zu viele Menschen mit nahöstlichem Hintergrund, die infiziert sind ‒ schiebt sie alle ab!
Auf der anderen Seite wurden die offensichtlichen sozialen Ursachen kaum berücksichtigt: beengte Wohnbedingungen, schlechte Arbeitsbedingungen, gefährliche Arbeiten, Armut.
Die Linie ist klar: Den ethnischen Minderheiten, die besonders stark von Corona betroffen sind, soll nicht geholfen, sondern sie sollen beschimpft, überwacht, diskriminierenden Sonderregeln unterworfen, kriminalisiert und in Ghettos (im ursprünglichen Sinne des Wortes) eingesperrt ‒ und am besten alle abgeschoben werden…
Eine andere Agenda
Einige gut besuchte Beerdigungen (die teilweise im Freien stattfanden, teilweise nicht einmal unter das Versammlungsverbot fielen) und Zusammenkünfte im Zusammenhang mit der Feier von „Eid“[2] werden als Ankerpunkte für die Schuldzuweisungen verwendet. Sehr bizarr, wenn man es mit der Bewertung der Menschenmassen an den Stränden vergleicht ‒ oder damit, wie die Dän*innen Weihnachten gefeiert hätten, wenn es denn die passende Jahreszeit gewesen wäre…
Verschiedene Behörden und Medien haben ihren Teil dazu beigetragen, alle Scheinwerfer auf ethnische Zugehörigkeit und Religion auszurichten. Auf der anderen Seite wurden die offensichtlichen sozialen Ursachen kaum berücksichtigt: beengte Wohnbedingungen, schlechte Arbeitsbedingungen, gefährliche Arbeiten, Armut. Oder Diskriminierung und politisch beschlossene Fremdenfeindlichkeit, die ethnische Minderheiten besonders anfällig machen ‒ gerade in einer epidemischen Situation.
Es ist wichtig, dass die Linke und die ethnischen Minderheiten selbst sich nicht wegducken und die Klappe halten, wenn rassistische Kräfte zum nächsten Amoklauf starten. Wir antworten mit gleicher Münze: Beschimpfung der Beschimpfer*innen. Und mit den konkreten Forderungen nach konkreter, großzügiger und wirksamer Unterstützung der Infektionskontrolle, insbesondere unter den am stärksten Gefährdeten. Es muss jemand, eine andere Agenda aufstellen, und es ist Aufgabe der Linken, sich dabei an die Spitze zu setzen.
17. August 2020
Übersetzung aus dem Dänischen und Anmerkungen: Björn Mertens
Socialistisk Arbejderpolitik (SAP) ist die dänische Sektion der IV. Internationale.
[1] Rechtspopulisten in Dänemark gefällt es, Wohngebiete mit hohem Migrationsanteil grundsätzlich als „Ghettos“ zu bezeichnen.
[2] Das islamische Fest des Fastenbrechens „Eid al-Fitr“ wurde 2020 vom 24. bis zum 26. Mai gefeiert – nach Wikipedia.