Betriebsarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie

Foto: Nenad Stojkovic, Tired businesswoman in her home office, CC BY 2.0

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Betriebsrät*innen berichten (Teil II)

Betriebsarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie

Von Avanti² | 21.01.2021

Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag von vielen Beschäftigten im Chemie-, Metall- und Speditionssektor verändert. Im Interview berichten drei von ihnen, dass die Hygiene-Maßnahmen Zeit kosten – die Geschäftsleitung die Arbeitsmenge aber nicht entsprechend verringert.

Im April 2020 sprachen wir das erste Mal mit Kolleg*innen aus Chemie-, Metall- und Speditionsunternehmen über die betrieblichen Auswirkungen der Pandemie. Im November 2020, mitten in der zweiten Pandemie-Welle, fragten wir erneut nach.

Hat in „Eurem“ Unternehmen der Arbeits- und Gesundheitsschutz seit der 1. Pandemiewelle einen anderen Stellenwert bekommen?

Kevin: Verändert hat sich etwas. Aber nicht zum Positiven. Die Geschäftsleitung nimmt die Pandemie schon ernst. Wir werden als Betriebsrat auch einbezogen. Aber wie gesagt, wir wollen einen ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und da reagieren unsere Herren allergisch. Schließlich wollen die alleine entscheiden. Wir stören da nur. Insofern haben sich die Angriffe auf uns verschärft.

Clara: Der Gesundheitsschutz hat eine größere Bedeutung als vor Corona. Wir haben bei uns zum Glück keine Verhältnisse wie in Schlachtfabriken oder im Großversand. Aber wir machen uns da nichts vor. Es geht darum, die Produktion und den Gewinn sicherzustellen. Unabhängig von Corona müsste beim Arbeitsschutz viel mehr getan werden. Auch vom Betriebsrat.

Heiko: Bei uns ist die Entwicklung ähnlich wie bei Kevin. Im Grunde versucht die Standortleitung uns mürbe zu machen. Das heißt, wir werden immer wieder mit neuen und teilweise sinnlosen Dingen beschäftigt. Oder es wird mal wieder unsere Mitbestimmung nicht beachtet. Das kostet Zeit, Kraft und Nerven. Das alles hat mit Corona ja nicht aufgehört.

Betriebs­ver­samm­lung in Coro­na-Zei­ten, Bom­bar­dier Mann­heim, 16. Juli 2020 (Foto: helmut-roos@web.de)

Haben sich die Arbeitsbedingungen im Verlauf der Pandemie verändert?

Clara: Die Mehrheit der Angestellten arbeitet wieder vermehrt im „Home-Office“. Dazu gibt es inzwischen auch eine ganz erträgliche Betriebsvereinbarung. Im Arbeiterbereich ist „Home-Office“ ja nicht möglich. Dort werden die Hygiene-Maßnahmen meistens eingehalten. Aus Angst, nicht weil man sie gut findet. Schließlich bringt dieses Konzept mehr Aufwand und Belastung, z. B. wegen der Handhygiene, dem Abstandsgebot, Lüften, Maskenpflicht. Aber die Arbeitsmenge wurde nicht verringert.

Kevin: Das ist typisch. So etwas kenne ich auch. Die Kolleg*innen sollen auf alles achten. Das kostet Zeit. Sie sollen Masken tragen. Gerade bei körperlicher Arbeit ist das wirklich belastend. Belastend waren solche Arbeiten auch früher. Aber jetzt sollen die ja den ganzen Tag zusätzlich die Masken tragen. Die Taktzeiten und die Arbeitsmenge bleiben aber unverändert. Ein beliebtes „Argument“ der Vorgesetzten ist, dass alle froh sein könnten, Arbeit zu haben. Es gibt einige Kolleg*innen, die es auch so sehen und uns sagen, wir sollen den „Ball flach halten“.

Tom: Bei uns gibt es keine neuen Regelungen. Aber der Druck ist mehr geworden. Wir sind so knapp besetzt, dass jeder Personalausfall sofort spürbar ist. Auch wenn wir keine „offiziellen“ Corona-Fälle hatten, so gab es doch vermehrt Krankheitsfälle im letzten Halbjahr. Da waren sicher auch Kolleginnen und Kollegen dabei, die gerade während der ersten Welle nicht wussten, wohin mit dem Kind.

Das hört sich alles so an, als wenn Hygiene-Maßnahmen ohne Einbeziehung der Belegschaft, ohne Betriebsrat und ohne Gefährdungsbeurteilung angeordnet werden. Stimmt das?

Kevin: Die Belegschaft wurde kaum eingebunden. Der Betriebsrat wird bei der Beratung der Maßnahmen einbezogen, aber eine Gefährdungsanalyse wird nicht durchgeführt. Wir streiten seit Jahren mit dem Unternehmen um die Umsetzung einer ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung. Dieser Konflikt hat sich eher verschärft.

Folgen „moderner“ Konzernpolitik in Mannheim-Käfertal (Foto: Privat)

Clara: Wir werden zwar einbezogen, aber immer wieder versuchen Vorgesetzte, eigenmächtig Entscheidungen zu treffen. Auch der Kontakt von Betriebsrat zur Belegschaft hat in den letzten Monaten gelitten. Zu wenige Betriebsräte lassen sich in den Abteilungen blicken. Wir von der Minderheit haben auch zu spät die Initiative ergriffen. Auch die Möglichkeit von Online-Treffen wurde nicht ausreichend genutzt. Damit fangen wir jetzt erst an. Insofern sind die meisten Maßnahmen tatsächlich von oben nach unten erlassen worden.

Tom: Auch wenn ich mich wiederhole. Wir müssen meistens das annehmen, was uns im Entleihbetrieb vorgesetzt wird. Da haben wir keinerlei Mitbestimmung. Gegenwehr ist unter solchen Bedingungen ganz schwer zu organisieren.

Heiko: Bei den Corona-Maßnahmen versucht das Management den Betriebsrat einzubinden. In Wahrheit sollen wir nur abnicken, was die „Experten“ uns vorsetzen. Wir halten da eigentlich ganz gut dagegen, aber es ist schwierig, das durchzustehen. Und es ist noch schwieriger, die Kolleg*innen zu bewegen. Wir versuchen einzelne Maßnahmen mit den Beschäftigten zu besprechen, aber das gelingt uns nur in Abteilungen, in denen wir eine starke Position haben.

Wurde im Zusammenhang mit der Erstellung des Hygienekonzepts eine Verringerung der Arbeitsmenge und des Arbeitstempos gefordert?

Heiko: Das war bei uns kein Thema.

Clara: Die Arbeitsmenge ist ein regelmäßiges Thema. Aber es gab dazu keine konkrete Forderung.

Kevin: Das war keine offizielle Forderung von uns. Wir fordern die Leute auf, „angepasst“ zu arbeiten und die Vorschriften genau einzuhalten, auch die umständlichen. Das würde die Menge automatisch reduzieren. Aber am Band in der Fertigung ist das nicht möglich. Wer dort arbeitet hat die „A-Karte“. Und wir schaffen es nicht, bei diesem Thema einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Und wie reagieren die Kolleg*innen auf die Hygienemaßnahmen?

Tom: Bei uns werden die Regeln eingehalten. Vor allem aus Angst vor Entlassung. Wir werden als „Dienstleister“ in verschiedenen Industriebetrieben eingesetzt. Da bist du einfach auf die dortige „Sicherheitskultur“ angewiesen. Du weißt letztendlich, dass du „nur“ Beschäftigter zweiter oder dritter Klasse bist. Da heißt es oft „Maul halten“ und „Zähne zusammenbeißen“. Da stellst du die Regeln nicht in Frage. Die Alltagserfahrung ist, wer bestellt und bezahlt, der bestimmt. Du bist schon froh, die Arbeit zu behalten und wenn die „neuen“ Kollegen sich dir gegenüber fair verhalten.

Clara: Bei uns reagieren sie sehr unterschiedlich. Diejenigen, die im „Homeoffice“ sind, haben dabei das geringere Problem. Diejenigen, die kein „Homeoffice“ machen können, also in der Produktion, in der Instandhaltung oder in der Logistik, sind manchmal stinksauer. Sie haben das Gefühl, dass sie benachteiligt werden und ihre Gesundheit nicht wirklich interessiert. Einige kritisieren deswegen nicht die Vorgesetzten, sondern den Betriebsrat.

Kevin: Hinzu kommt, dass viele Kolleg*innen froh sind, dass der Laden läuft und der Arbeitsplatz im Moment noch sicher ist. Dafür sind sie zu vielen Zugeständnissen bereit. Die täglichen Berichte über die Pandemie und die Wirtschaftskrise haben das Gefühl von Ohnmacht und Angst verstärkt.

Wie bewertet Ihr die letzten Monate und was sind Eure unmittelbaren Ziele?

Clara: Die Probleme sind durch Corona nicht weniger, sondern deutlicher geworden. Wirtschaftlich steht das Unternehmen noch gut da. Aber wir sind weiter mit der Umstrukturierung im Konzern konfrontiert. Wir arbeiten weiter daran, bei der nächsten Wahl die Mehrheit zu erhalten. Wir versuchen, unsere Kolleg*innen davon zu überzeugen, dass nicht jammern hilft, sondern Engagement. Im Moment stehen unsere Chancen ganz gut.

Tom: Bei uns ist die wirtschaftliche Entwicklung unsicherer geworden. Logistik ist eben davon betroffen, wie viele Waren durch die Welt bewegt werden. Über Sinn und Unsinn sprechen wir da jetzt nicht. Wenn Produktionen eingeschränkt werden und die Wirtschaftsleistung schrumpft, dann sind wir natürlich direkt betroffen. Aus gewerkschaftlicher Sicht wäre sicherlich auch bei uns mehr drin. Das sieht man an den Kolleg*innen von Amazon. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Kevin: Bei uns ist die Entwicklung eher frustrierend. Ein Teil der Kolleg*innen duckt sich weg und die permanenten Angriffe des Unternehmens setzen uns zu. Wir haben uns halt viel zu sehr vom Unternehmen treiben lassen und unsere eigenen Ziele aus den Augen verloren. Es ist uns nicht ausreichend gelungen, unsere eigenen Ziele zu verfolgen und den Kontakt zu den Beschäftigten zu halten. Gerade weil der Druck des Unternehmens auf uns massiv zunimmt, wäre das extrem wichtig gewesen. Wir versuchen jetzt, unsere Position wieder zu stärken. Mit einer klaren Strategie des Betriebsrates und einer regelmäßigen Ansprache und Information der Belegschaft.

Heiko: In den letzten Monaten hat sich nichts Grundlegendes geändert. Die Probleme, die wir vor Corona hatten, die haben wir immer noch. Der Konzern „optimiert“ weiter. Die Arbeitsbelastung steigt. Die Ungewissheit über die Zukunft wächst. Wir stehen im Betriebsrat und bei den Vertrauensleuten mitten in einem Generationenwechsel. Wir haben es noch nicht geschafft, uns zu verjüngen und zu reaktivieren. Vor allem beim Kontakt mit der Belegschaft ist noch reichlich Luft nach oben. Wenn wir da nicht besser werden, dann könnte das zu einer weiteren Schwächung des Betriebsrates und der gewerkschaftlichen Struktur im Betrieb führen.

* [Das Gespräch fand Ende November 2020 statt. Die Namen wurden zum Schutz der Teilnehmenden geändert. Die Fragen stellte U. D. Teil I ist in Avanti² Nr. 76, Dezember 2020 erschienen.]

Aus Avanti² Rhein-Neckar Januar 2021

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