Es gibt viele Bücher zum Klimawandel. Drei vor Kurzem erschienene Werke stechen dabei besonders heraus. Sie widmen sich Fragen der Klimabewegungen und verbinden sie mit marxistischen und ökosozialistischen Ansätzen.
Der Aktivist Daniel Tanuro analysiert in seinem Buch bestehende Strömungen in der Klimabewegung und geht auf ihre Stärken und Schwächen ein. Geograf Andreas Malm hinterfragt im ersten Buch das Prinzip der Gewaltlosigkeit für die Klimabewegung. In seinem zweiten Buch plädiert er für einen ökologischen Leninismus.
Angesichts des Klimawandels und überhaupt der sich beschleunigenden Zerstörung der Ökosysteme haben die politische Ökologie und soziale Bewegungen, die sich darauf berufen, in den letzten Jahren wichtige Neuerungen erfahren. Lässt man die Strategien beiseite, die weitgehend auf Institutionen und Wahlen setzen, ist kaum ersichtlich, wie der Klimawandel und die Zerstörung der Ökosysteme wirksam bekämpft werden können. Welches Programm, welche Sofortmaßnahmen, welche politischen Veränderungen, wie ist mit dem Staat und anderen bestehenden Institutionen angesichts der anhaltenden Katastrophen umzugehen, welche gesellschaftlichen Perspektiven führen zum Ziel?
Mehrere Bücher, die vor kurzem erschienen sind, widmen sich den strategischen Fragen, vor denen die Umweltbewegungen und insbesondere die Klimabewegungen stehen. Dabei berufen sie sich auf einen ökologisch inspirierten Marxismus oder einen mehr oder minder dezidierten Ökosozialismus.
Daniel Tanuro, Aktivist der radikalen Linken und der Klimabewegung in Belgien, plädiert in seinem Werk Trop tard pour être pessimistes! Écosocialisme ou effondrement (Für Pessimismus bleibt keine Zeit mehr! Ökosozialismus oder Untergang) dafür, dass die weitere geschichtliche Entwicklung offen ist und die Zukunft zum Teil von uns und unseren kollektiven Kämpfen abhängt. Zunächst erläutert er gut nachvollziehbar, wie die Klimakrise entstanden ist und wie der Kapitalismus damit umgeht, um sich in den letzten beiden Kapiteln seines Buches den strategischen Debatten zu widmen, vor denen die gesamte politische Umweltbewegung steht. Tanuro zeigt zunächst auf, dass die Wurzeln der drohenden Klimakatastrophe in der kapitalistischen Produktionsweise und seiner zentralen technischen Achse, der Nutzung fossiler Energiequellen, liegen. Die Orientierung der bürgerlich-liberalen Umweltbewegung, die sich auf technologische Neuerungen und moralische Plädoyers stützt, ist daher ‒ auch nach Meinung vieler Umweltaktivist*innen ‒ eine Sackgasse. Anschließend geht er auf eine Reihe von Lösungsvorschlägen ein, die in den Umweltbewegungen kursieren: „deep ecology“, mystische Ökologie, Technologiekritik etc. Auch den Green New Deal, wie er von Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders vertreten wird, unterzieht er einer Kritik, die mitunter arg summarisch ausfällt, da sie die Fortschritte zu gering bewertet, die solch eine Position in einem Land wie den USA darstellt.
Tanuro befasst sich auch mit einer ideologischen Strömung, dem Katastrophismus, dessen Auftauchen zwar die Ernsthaftigkeit der ökologischen Krise widerspiegelt, zugleich aber eine Sackgasse darstellt. Die Bücher dieser Apokalyptiker verkaufen sich wie warme Semmeln, doch ihre wichtigsten Schriften entbehren theoretischer Grundlagen, was einerseits ihrem Fatalismus geschuldet ist, andererseits ihrer politischen Perspektivlosigkeit, sieht man von dem frommen Wunsch nach gegenseitiger Hilfe ab, was sich in Anbetracht unserer Widersacher recht ärmlich ausnimmt. Da sie nicht in der Lage sind, das Problem zu benennen, können sie auch nicht Teil der Lösung sein. „Für sie ist das Fahrzeug, das an die Wand fährt, ein mechanisches Monstrum ohne Fahrer.“ Es gibt keinen Feind, keinen Gegner, keine sozialen Klassen und daher auch keine Politik, nur… eine Pseudo-„Kollapsosophie“, die eher geeignet ist, „den Kollaps zu erleben statt zu überleben“.
Wie erklären sich nun die Verkaufszahlen der einschlägigen Autor*innen? Das müssten sich die linken Umweltaktivist*innen fragen, die bisher nicht wirklich in der Lage waren, ihre Ideen und Perspektivenvergleichbar massenhaft zu verbreiten.
Führen nur gewaltfreie Aktionen zum Ziel?
Die beiden kurz hintereinander erschienenen Bücher von Andreas Malm Wie man eine Pipeline in die Luft jagt und Klima/x[1] unterscheiden sich wohl stilistisch, nicht aber in ihrer ideologischen Ausrichtung von Daniel Tanuros Buch. In dem ersten hinterfragt der schwedische Geograph und Klimaaktivist die Grenzen der jüngsten Mobilisierungen der Klimabewegung: Wie kommt es, dass trotz zunehmender Ausdehnung der Bewegungen und der – in Anbetracht der schweren Rückschläge – recht überschaubaren Erfolge sie immer noch ehern an dem Prinzip der Gewaltlosigkeit festhalten? Wie ist zu erklären, dass „über die Zyklen [der Klimagerechtigkeitsbewegung] hinweg sich das Bekenntnis zur absoluten Gewaltlosigkeit sogar verhärtet, die Internalisierung seines Ethos universalisiert und die Disziplinierung zum augenfälligen Kriterium entwickelt zu haben (scheint)“?
Diese Frage zieht sich durch das gesamte Buch, und Malm geht auf die Debatten ein, die die Gewaltlosigkeit innerhalb der – zumindest westlichen – Klimabewegungen zu einem zentralen Prinzip erhoben haben. Er bezweifelt zwar nicht, dass diese Gewaltlosigkeit gewisse Vorzüge hat, konfrontiert jedoch die Klimaaktivist*innen mit der Frage, ob dies wirklich die einzige Methode ist. Ist es nicht an der Zeit, auf andere Praktiken zurückzugreifen, wenn keine Erfolge erzielt werden, obwohl die Bewegungen immer größer werden?
Bevor er auf diese Fragen eingeht, macht Malm einen Exkurs zu den ideologischen Einflüssen, die erklären, warum die Gewaltlosigkeit innerhalb der Bewegung dominiert, und verwahrt sich dabei gegen die einseitige, mitunter gar verfälschende Darstellung der Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts durch die Verfechter*innen des Prinzips der Gewaltlosigkeit. Über diese dankenswerten historischen Exkurse hinaus kritisiert Malm die Art und Weise, wie die Gewaltlosigkeit in weiten Teilen der Klimabewegung fetischisiert worden ist und daher jedwede taktischen und strategischen Erwägungen blockiert – eine „Mischung aus Einfalt und Fälschung“.
Eine Auffassung einer „bereinigten“ Geschichte, „ohne realistische Einschätzung dessen, was tatsächlich vorgefallen“, lässt die Kräfteverhältnisse und die obwaltenden Interessen außer Acht und verstellt den Klimaaktivist*innen den Blick darauf, mit welchen Kräften sie sich auseinandersetzen müssen. Malm geht es nicht darum, ein gewisses Maß an politischer Gewalt zu rechtfertigen, sondern er plädiert dafür, über Gewaltanwendung nachzudenken, wenn Bündnisse zwischen verschiedenartigen sozialen Bewegungen geschmiedet werden sollen. Er argumentiert dabei, dass mit dem zunehmenden Fortschreiten der Klimakatastrophe „Aufgeschlossenheit“ gegenüber Gewalt „tendenziell zunimmt“: „Bei sechs Grad plus wäre es wahrscheinlich schon dem ganzen verbliebenen Rest der Menschheit ein Bedürfnis, Pipelines in die Luft zu jagen.“
Für eine revolutionäre Ökologie
In seinem zweiten Buch zieht Malm zunächst eine sehr interessante Parallele zwischen der Entwicklung von Epidemien und dem Klimawandel. Dann greift er die unmittelbaren strategischen Fragen auf und plädiert für einen „ökologischen Leninismus“. Seine Argumentation ist einfach: Angesichts der gegenwärtigen Katastrophe ist nur eine politische Mobilisierung nach Art des Kriegskommunismus in Russland in der Lage, den Trend radikal umzukehren. Dazu braucht es einen ökologischen Staat, der unmittelbar in der Lage ist, die notwendigen strukturellen Veränderungen sehr schnell umzusetzen. Bewusst provokativ greift Malm die Geschichte der russischen Revolution in akrobatischer Manier auf und zieht quasi unmittelbare zeitgeschichtliche Parallelen („wir befinden uns tatsächlich in der Situation von Lenin im Jahre 1917“), auch auf die Gefahr hin, dass er sich selbst zu karikiert und über etliche Probleme solch eines etatistischen Weg hinweggeht.
Damit verweist er jedoch auf ein veritables und unumgängliches Problem: Der Notstand verlangt nach einer öffentlichen Instanz, die stark genug ist, auch mit Zwangsmitteln tiefgreifende und rasche Veränderungen durchzusetzen. Man kommt nicht am Staat vorbei, wenn man eine solche Aufgabe erfüllen will. Sich darauf zu beschränken, erscheint jedoch arg vereinfachend. Aber zumindest hat Malms Buch den Vorteil, dass es die Probleme offen anspricht und die Ökologie wieder in die Debatten des Sozialismus des 20. Jahrhunderts („Der Sozialismus ist eine Samenbank für den chronischen Notstand“) einreiht, die mit strategischen Fragen geradezu gespickt sind.
Daniel Tanuro verhält sich bei diesen strategischen Problemen weniger entschieden als Malm und umreißt die Gesellschaft der Zukunft in groben Zügen: „eine Gesellschaft frei von Geld, Privateigentum an Produktionsmitteln, Staaten und ihren Armeen, Polizeikräften und Grenzen. Eine Gesellschaft, in der die abstrakte Arbeit (…) zugunsten einer konkreten Tätigkeit verschwindet, die Gebrauchswerte schafft, sinnvoll ist und soziale Anerkennung und persönliche Erfüllung herstellt. Eine Gesellschaft, die die Unterscheidung zwischen Hand- und Kopfarbeit aufhebt. Eine Gesellschaft, die in selbstverwalteten Gemeinschaften organisiert ist, die von ehrenamtlichen und abrufbaren Delegierten flexibel und demokratisch untereinander koordiniert werden. Eine Gesellschaft, die Herr ihrer Zeit ist, in der Denken und soziale Beziehungen – Kooperation, Spiel, Liebe und Fürsorge – der wahre menschliche Reichtum sind.“
Diese antiproduktivistische kommunistische Denkungsart, die auch ökofeministische, antikolonialistische und weitere Ansätze umfasst, lässt sich nicht auf eine auf die lokale Ebene herunter gebrochene Sozialökologie reduzieren, mit der das in Mode gekommene kommunalistische Konzept umgeschrieben werden soll. Eine der größten Divergenzen mit denen, die sich auf den Kommunalismus berufen, betrifft die Frage, wie die verschiedenen politischen Ebenen und die Formen politischer Macht untereinander koordiniert werden sollen, und damit zwei Schlüsselthemen: Staat und Planung. Tanuro plädiert dafür, die politische Machteroberung mit einer Planwirtschaft zu kombinieren, die auf verschiedenen Ebenen stattfinden sollte. Diese sollte auf „Bewusstsein, Verantwortungsübernahme, Selbsttätigkeit und dem Recht auf Kontrolle durch alle“ beruhen und „von den sozialen Gruppen, bis hin zur territorialen Ebene, also an den Wohnorten und Arbeitsplätzen, erstellt werden“.
Dies stellt uns vor eine immense Aufgabe, räumt der Autor ein, und bedeutet, dass einige Prioritäten gesetzt werden müssen: Zerschlagung, Vergesellschaftung und Dezentralisierung von Energie-, Agrar- und Finanzmonopolen; Abschaffung unnötiger und schädlicher Produktionszweige; strikte Richtlinien bei den Produktionsprozessen hinsichtlich Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Wiederverwertung etc. Hier werden wertvolle Hinweise und Beispiele aufgeführt, die sowohl den Arbeitsplatz, die Pflege und Fürsorge und die soziale Sicherung betreffen, als auch die Produktionsweise, die Selbstverwaltung etc. Wie auch Malm schweigt sich der Autor jedoch darüber aus, wie dieser von ihm geforderte „Staat in den Händen der Ausgebeuteten und Unterdrückten“ errichtet werden kann, der den Beginn eines Planungsprozesses in Gang setzen könnte und der sich möglichst schnell global durchsetzen sollte. Die Frage der Institutionen, des Staates und seiner möglichen Eroberung und Umgestaltung ist jedoch ebenso Teil des Problems wie Teil der Lösung.
Dennoch sind diese Werke unverzichtbar, und sei es nur, weil sie über die herkömmlichen Debatten der politischen Mainstream-Ökologie hinausgehen und dazu einladen, über eine revolutionäre Ökologie nachzudenken.
Aus dem Französischen übersetzt von MiWe
Besprochen werden diese Bücher:
▪ Andreas Malm, Klima|x, aus dem Englischen übersetzt von David Frühauf, Berlin: Matthes & Seitz, 2020, 263 S., ISBN 978-3-7518-0307-6, 15,00 €.
▪ Daniel Tanuro, Trop tard pour être pessimistes! Écosocialisme ou effondrement, mit einem Vorwort von Michael Löwy, Paris: Éditions Textuel, 2020, 324 S., ISBN 978-2-84597-825-6, 19,90 €.
▪ Andreas Malm, Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen, aus dem Englischen übersetzt von David Frühauf, Berlin: Matthes & Seitz, 2020, 214 S., ISBN 978-3-7518-0305-2, 18,00 €.
Diese Rezension erschien unter der Überschrift „Face aux
changements climatiques, quelques pistes écosocialistes“ als Teil eines
Dossiers über Ökologie und Gewerkschaftsbewegung in der Zeitschrift l’école émancipée, Nr. 86, von
November/Dezember 2020; https://www.ecoleemancipee.org/spip.php?article3128.
Die Zeitschrift wird von der 1910 gegründeten Tendenz „École Émancipée“ herausgegeben;
sie ist Teil der französischen Gewerkschaft „Fédération Syndicale Unitaire“ (FSU),
dem größten Gewerkschaftsverband im Erziehungsbereich.
[1] Die englischsprachige Ausgabe des Buchs, das der deutsche Verlag mit dem Titel Klima|x versehen hat, hat einen viel aussagekräftigeren Haupt- und Untertitel: Corona, Climate, Chronic Emergency. War Communism in the Twenty-first Century, London u. New York: Verso, 2020. Siehe https://www.versobooks.com/books/3704-corona-climate-chronic-emergency.