Ökosozialistische Konferenz 2024 in Hamburg
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Vielfalt, hohes Niveau und politische Probleme

Ökosozialistische Konferenz 2024 in Hamburg

Von Manuel Kellner | 06.06.2024

Laut Auskünften aus dem Kreis der Organisierenden dürften ca. 130 bis 150 Leute teilgenommen haben. Das genau zu sagen ist schwierig, weil die Anmeldungen nicht sehr formell registriert worden sind. Es gab auch keine Teilnahmegebühr, dafür aber Spendensammlungen. Sicherlich gab es viel Fluktuation. Gerade aus Hamburg dürften nicht wenige nur eins der Angebote wahrgenommen haben, Plenarveranstaltungen oder Workshops. An den am besten besuchten Veranstaltungen nahmen in etwa 50 Personen teil, an den Workshops vielleicht 8 bis 40.

Am Vorabend des Auftakts, am Donnerstag, den 30. Mai gab es eine Veranstaltung mit Michael Löwy und Olivier Besancenot zu deren gemeinsamem Buch – eine fiktionale Geschichte von Karl Marx und seiner ältesten Tochter Jenny, 1871 undercover in Paris im Gespräch mit Kommunarden, organisiert von der Rosa Luxemburg Stiftung. Eine sehr anregende Darstellung, gefolgt von einer lebhaften Diskussion. Am Ende wies die Moderatorin auf die folgende Ökosozialistische Konferenz der ISO hin, auf der die beiden Referenten eine prominente Rolle spielen sollten.

Die Auftaktveranstaltung am Freitagmorgen war gelungen. Frauke Banse, brachte unser politisches Herangehen gut auf den Punkt: Politik nicht für die Menschen, sondern mit ihnen, um aus gemeinsamen Kampferfahrungen voneinander zu lernen. Thomas Konicz sprach an ihrer Seite über die „Wertkritik“ im Gefolge von Robert Kurz, teils kontrovers, aber doch im Rahmen eines gemeinsamen Verständnisses der Auflehnung gegen die kapitalistische Klassengesellschaft.

Doch wurde hier schon die politische Verwerfung deutlich, die auf der Konferenz lastete, die in Kooperation mit Studierenden-Vertretungen an der Uni Hamburg durchgeführt wurde. Eine Kommilitonin des Fachschaftsrats sprach ihr Bedauern darüber aus, dass die Studierendenvertretung mit Mehrheit durchgesetzt hatte, dass der Workshop zu Palästina nicht im Rahmen der ÖSK stattfinden durfte. Dem Vernehmen nach wurde ihr deshalb später der Kopf gewaschen.

Tatsächlich wurde der Workshop zu Palästina ausgelagert. Der war gleichwohl gut besucht und verteidigte sehr überzeugend das Anliegen der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung und des Eintretens für ein freies Palästina mit allen Rechten für alle Bevölkerungsgruppen. Einer der beiden Referenten, der syrische Genosse Mohammed Abu Hajar, Doktorand an der Universität Kassel, sprach gleichwohl in einem sehr gut besuchten Workshop auf der ÖSK zum Thema (Neo)kolonialismus und Imperialismus an zwei Tagen.

Glanz und Elend bestimmter Kooperationen wurden deutlich: Niemand wird die guten Beiträge der Studierenden auf unserer ÖSK missen wollen. Gleichwohl hinterlässt es bei uns einen bitteren Nachgeschmack, dass wir in Sachen Palästina hier einen Maulkorb verpasst gekriegt haben.

Die Vielfalt derer, die auf dieser ÖSK zu Wort gekommen sind, war ein Plus. Hierfür ein Beispiel. Einer der Workshops, an denen ich teilnehmen konnte, hatte das Thema „Die Tierindustrie als Faktor der Klimakatastrophe“ mit Lili Werdin von Animal Rebellion und Sebastian Schubert vom Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie. Deren Referate überraschten mich, weil sie unter anderem auch die Arbeitsbedingungen und die Lage der Beschäftigten in der Tierindustrie thematisierten. Und so entspann sich zwischen uns ein fruchtbarer Dialog, zum Beispiel über die Entfremdungen (verpackte Tierteile statt der Erfahrung der Schlachtung), die den Fleischkonsum so sehr begünstigen.

Die Abendveranstaltung „System change – aber wie?“ mit der Referentin Birgit Mahnkopf und dem Referenten Michael Löwy riss leider niemand vom Hocker. Teils waren die Impulse zu akademisch, teils zu sehr auf das ökologische Desaster konzentriert, ohne Wege zum Kampf aufzuzeigen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der organisierende Kern sich darüber Gedanken gemacht hätte, wie sich die ISO selbst hier hätte einbringen können.

Bei der Abschlussveranstaltung zum Thema „Wie sieht Zukunftsfähigkeit aus? Das Ökosozialistische Manifest der 4. Internationale“ hatte wiederum der Referent Michael Löwy eine etwas undankbare Aufgabe. Der hier als Broschüre vorliegende Text, bei weitem nicht die erste Fassung eines Entwurfs für den nächsten Weltkongress der IV. Internationale 2025, hat immerhin 52 Seiten. Löwy konnte wenig mehr – eher weniger – sagen, als in seinem Vorwort zu diesem Text, an dem er maßgeblich mitarbeitet.

Trotzdem gab es viele Fragen und kritische Anmerkungen. Natürlich sind unsere Mitglieder aufgerufen, sich zu äußern und ggf. Änderungsvorschläge auszuarbeiten. Darüber hinaus – und das wurde betont – aber auch alle anderen Linken. Tatsächlich sollten sich alle diejenigen, die sich nicht zu schade sind, mit Revolutionären aus allen Weltregionen zusammen Positionen zu bilden, in dieser Diskussion zu Wort melden.

Anmerkung der Redaktion: Eine Auswertung der Konferenz durch die Gremien der ISO gibt es noch nicht, sie muss noch zusammengetragen werden. Dieser Bericht ist ein individueller Beitrag. Der Verfasser war Teilnehmer an der Konferenz.

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