Wie der Ausstieg aus der Autogesellschaft gelingen kann
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Konversion der Autoindustrie

Wie der Ausstieg aus der Autogesellschaft gelingen kann

Von Paul Michel | 06.05.2020

Der Klimawandel ist in vollem Gange — mit massiven Folgen: Klimazonen verschieben sich, Gletscher schmelzen und heftige Unwetter nehmen zu. Regionen auf der ganzen Welt sind davon bedroht. Besonders der Verkehr ist an der Produktion von CO2 beteiligt. Ein Fünftel des in Deutschland ausgestoßenen CO2 geht auf das Konto des Verkehrs. 96 Prozent stammen direkt aus den Auspuffen von Pkw und Lkw. Anders als in anderen Bereichen sind die CO2-Emissionen des Verkehrs seit 1990 nicht gesunken.

Autokonzerne und Arbeitsplatzabbau: Schon vor Corona geplant, jetzt forciert

Die Autokonzerne zeichnen in der Öffentlichkeit ein beängstigendes Bild für den Fall, dass ihre Wünsche nicht erfüllt werden. Der offenbar von Verkehrsminister Scheuer initiierte Lobbyverband „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ (NPM) wartet mit Horrorzahlen auf. 400.000 Arbeitsplätze würden durch den Umstieg auf Elektro-Autos entfallen. Dabei sind es die Autokonzerne selbst, die für die Zerstörung der Arbeitsplätze sorgen. Bereits vor der Corona-Krise war unübersehbar, dass die Autoindustrie in einer tiefen Strukturkrise steckt und Arbeitsplatzabbau im großen Stil plant. In der Presse wurde zwar zumeist nur der Abbau von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit der Umstellung vom Verbrennungsmotor auf den Elektroantrieb thematisiert. Gleichzeitig war auch im Verbrennerbereich die Tendenz unverkennbar, dass die Konzerne im großen Stil Arbeitsplätze hin zu „billigeren“ Standorten verlagern. Roman Zitzelberger, IG Metall Chef von Baden-Württemberg äußerte: „Wir stellen fest, dass ein erheblicher Teil der Zulieferer plant, neue Komponenten für Elektromobilität tendenziell eher in Low-Cost-Countries zu verlagern oder, um den neuen Sprech zu bemühen: in Best-Cost-Countries.“

Elektroautos – keine Alternative

Das von der Autoindustrie und den politischen Eliten hochgehypte Elektroauto bringt keine Lösung. Für die Autoindustrie hat das Elektroauto den Charme, dass man auf die Produktion von ebenso hohen Stückzahlen wie heutzutage hofft. Gerade diese Massenproduktion schafft jedoch bei der Gewinnung von Leichtmetallen wie Aluminium aus Bauxit erhebliche ökologische Probleme. Die Klimabilanz der Herstellung und Entsorgung von Batterien ist eine weitere Hypothek. Werden Benziner und Diesel durch E-Autos ersetzt, ändert sich am horrenden Flächenverbrauch ebenso wenig wie an den verstopften Straßen und Autobahnen. Es bliebe bei Millionen privaten PKW‘s und SUV‘s, die Straßen und Städte verstopfen.

Es ist klar, dass bei einer Verkehrswende hin zu einem öffentlichen, eher schienengebundenen Verkehr weniger Pkw und Lkw benötigt werden. Pkw werden wohl noch in Gestalt von E-Taxis gebraucht, um für die Menschen auf dem flachen Land Mobilität zu ermöglichen, als Dienstfahrzeuge für Servicetechniker*innen oder mobile Dienste usw. Lkw braucht man wohl noch für die Überbrückung der „letzten Meile“, nachdem Mittel- oder Langstreckentransport auf der Schiene oder auf dem Wasser erfolgt ist.

Ladesäulen – kein Bestandteil einer ökologischen Verkehrswende

Sicher ist jedoch: Es wird in Zukunft allenfalls ein Fünftel der aktuell die Straßen verstopfenden Pkw benötigt. In einer ökologischen Verkehrswende wird das Elektroauto nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn Firmen für ihren Servicebereich oder z.B. die Rettungsdienste statt der Verbrenner Elektroautos einsetzen, können die erforderlichen Ladesäulen auf dem Betriebsgelände installiert werden. Es spricht auch nichts dagegen, wenn Supermärkte auf ihrem Gelände Ladesäulen installieren. Und es ist nur vernünftig, wenn die Mineralölkonzerne die Auflage bekommen, Zapfsäulen für Strom bereitzustellen – und natürlich auch selbst dafür die Kosten tragen. Es besteht also kein Grund, der Propaganda der Autoindustrie zum Thema Ladeinfrastruktur auf den Leim zu gehen und dafür drei Milliarden Euro öffentliche Gelder zu versenken.

Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus

Als Sozialist*innen ist es uns wichtig, dass die Arbeiter*innen nicht die Leidtragenden einer deutlichen Reduzierung der Automobilproduktion werden. In der Auto- und Zulieferindustrie gibt es zur Zeit ca. 800.000 Beschäftigte (mit sinkender Tendenz). Wenn im Rahmen einer Umstellung hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft Autofabriken geschlossen werden, gilt es sicherzustellen, dass die dort beschäftigten Menschen nicht auf die Straße gesetzt werden. Sie müssen eine qualifizierende Umschulung (keine „Schnellbleiche“) für andere, in der Gesellschaft benötigte Tätigkeiten bekommen – unter Beibehaltung ihres bisherigen Gehalts.

In der Schweiz wurden 2018 pro Kopf rund 365 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, in Deutschland waren es im selben Jahr 77 Euro.

Ein Teil der Arbeitsplätze kann dadurch gesichert werden, dass die Arbeitszeit deutlich verkürzt und die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird. Der frühere VW Betriebsrat Stephan Krull hat – vor der Corona Krise – skizziert wie die Arbeitsplatzbilanz für die nächsten 10 Jahre aussehen könnte. Er geht davon aus, dass durch die Umstellung auf E-Mobilität ca. 100.000 Arbeitsplätze und durch die Reduzierung von Kapazitäten/Überkapazitäten ca. 150.000 Arbeitsplätze wegfallen – Was erheblich realistischer ist als die vom NPM lancierten Horrorzahlen. Dem stellt er entgegen, dass durch die Konversion der Autoindustrie auch sehr viele neue Arbeitsplätze entstehen können.

Die heutigen Automobilwerke könnten außer Straßenbahnen, Bussen, Kleinbussen und Sammeltaxis beispielsweise Fahrräder oder auch Blockheizkraftwerke bauen. Zudem ist es ja so, dass bei der Produktion von Bussen, aber besonders im Schienenfahrzeugbau der Automatisierungsgrad in den Fabriken erheblich niedriger ist als in den Autofabriken. Krull nennt im Einzelnen:

  • Schienenproduktion plus 10.000 Beschäftigte in den Stahlwerken (Salzgitter, Eisenhüttenstadt, Bremen, Osnabrück, Duisburg, Dillingen, Unterwellenborn)
  • Schienenfahrzeugbau, Waggon- und Triebwagenproduktion plus 100.000 Beschäftigte (Görlitz, Bautzen, Henningsdorf, Salzgitter, Kassel, Mannheim, Siegen, Stendal
  • Nahverkehrsbetriebe und Bahnbetriebe plus 30.000 Beschäftigte (Fahrer*innen, Instandhalter*innen, Stellwerker*innen)

Es braucht eine bessere Taktung, besseren Service, mehr und besser gewartete Züge, eine Signaltechnik, die funktioniert, intakte Gleisanlagen und eine deutliche Senkung der Ticketpreise. Natürlich müssen die fast 6.500 Kilometer Bahnstrecken, die nach der Privatisierung der Bundesbahn seit 1994 stillgelegt wurden, wieder reaktiviert werden. Das Bahnnetz in den neoliberal heruntergewirtschafteten Land BRD muss zumindest auf Schweizer Niveau angehoben werden. In der Schweiz wurden 2018 pro Kopf rund 365 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, in Deutschland waren es im selben Jahr 77 Euro. Um beim Zugverkehr „Schweizer Niveau“ zu erreichen, sind also erhebliche Investitionen in die Verbesserung der Schienenfahrzeuge und der Infrastruktur von Nöten. Dass dabei zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, versteht sich.

Es gibt in unserer Gesellschaft auch außerhalb des Verkehrssektors Bereiche, in denen aufgrund der systematischen Vernachlässigung der Infrastruktur in den letzten Jahrzehnten erheblicher Nachholbedarf besteht. Zu nennen wäre etwa der Bau bzw. die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern. Das Kanalisationsnetz und das Wassernetz werden seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren. In Bildung und Erziehung, in der Pflege von Alten und Kranken besteht riesiger Bedarf. Hier gibt es viel zu wenig Personal. Für Gesundheit, Kranken- und Altenpflege Stephan Krull einen Mehrbedarf von 150.000 Beschäftigten, bei der Bildung von 20.000 Beschäftigten, bei Landespflege/Umweltschutz von 20.000 Beschäftigten.

Gewerkschaftliche Versäumnisse

So wichtig die Anregungen von Stephan Krull auch sind; Sie sind das Ergebnis von Beobachtungen, nicht von wissenschaftlichen Untersuchungen. Tatsächlich scheint es momentan keine Untersuchungen, die der Frage nachgehen, was es bedeuten würde, wenn die Transportkapazität, die bisher von Pkws erbracht wird, künftig durch Bahn, Straßenbahnen oder Busse abgedeckt werden soll. Weder Institutionen wie das Wuppertal-Institut, Greenpeace oder der BUND noch gewerkschaftsnahe Institute wie Hans-Böckler Stiftung haben offenbar sich mit diesem Thema befasst.

Die IG Metall ist in ihrem Diskussionsstand leider weit hinter das zurück gefallen, was in den frühen 1980er Jahren Standard war.

Es spricht Bände, wenn es selbst aus dem Bereich der Bahnindustrie keine einzige Studie gibt, die untersucht, welcher Zugewinn von Beschäftigung sich in konkreten Werken etwa von Bombardier oder Siemens Mobility ergeben würden, wenn etwa doppelt so viele Züge produziert werden müssten. An sich gehört es zum kleinen Einmaleins des Betriebsrats, dass bei drohendem Personalabbau gewerkschaftsnahe Institute wie das IMU in Baden-Württemberg beauftragt werden, alternative Beschäftigungspläne zu erstellen. Und leider war in den letzten Jahren bei Bombardier und bei Siemens Mobility Personalabbau ein Dauerthema. Mir ist nicht bekannt, dass die IG Metall oder die Betriebsräte Expertisen erstellen ließen, in denen dargelegt wird, wie durch eine Verkehrswende von der Straße zur Schiene bei Bombardier oder Siemens Arbeitsplätze gesichert werden können.

Die IG Metall ist in ihrem Diskussionsstand leider weit hinter das zurück gefallen, was in den frühen 1980er Jahren Standard war. Wir reiben uns erstaunt die Augen, wenn wir lesen, was Tom Adler, früher Mitglied der linken „Plakat“-Gruppe am Standort Mettingen, über die Konversionsdiskussionen in den 1980er Jahren berichtet: „Der wohl weitreichendste Versuch bei uns im Daimler-Werk Untertürkheim war die Intervention der Plakat-Gruppe, als ein neuer Investitionszyklus in eine Transfermaschinenstraße anstand. Die Werkleitung sah ein Modell vor, das auf die Steigerung von Stückzahlen angelegt und nur zu einem Zweck nutzbar ist. Wir haben eine Debatte angezettelt, was mit so einer Maschinerie eigentlich noch anderes produziert werden könnte als Achsen, Kurbelgehäuse und Zylinderköpfe für Pkw. Und wir entwickelten ein Gegenmodell: flexible Universalmaschinen in Fertigungs- und Montageinseln. Das hätte eine Konversion weg von der Autoproduktion als Option offengehalten. Unser Konzept haben wir monatelang im Betrieb diskutiert und Zehntausende von Flugblättern verteilt. Die Firma musste sich auf Betriebsversammlungen damit auseinandersetzen und mit eigenen Infoblättern dagegenhalten… Jürgen Stamm, damals IGM-Hauptamtlicher der IG Metall Stuttgart, diskutierte 1985 mit den dissidenten Daimler-Betriebsräten der Plakat-Gruppe auf dem Podium im „Alptraum-Auto“ -Zelt der Stuttgarter Öko-Bewegung über deren Vorschläge zum Umbau des Produktionsapparats. Die IG Metall Esslingen organisierte Wochenendschulungen für IGM-Vertrauensleute aus dem Daimler-Betrieb Mettingen. Dort diskutierten Ingenieure und Arbeiter aus Gießerei, Werkzeugbau und Achsenproduktion – ausgehend von der dringenden Verkehrswende weg vom Pkw – die Frage, was für nützliche, sozial und ökologisch vertretbare Produkte mit dem existierenden Produktionsapparat im Neckartal produziert werden könnten, und gleichzeitig über existenzsichernde Konzepte wie Arbeitsverkürzung im Umbauprozess.“

System Change wird kein Spaziergang

Klar ist, dass die deutschen Autokonzerne sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ökologisch-soziale Umstrukturierungsmaßnahmen wehren würden. Wer ernsthaft eine Konversion in Betracht zieht, kommt nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen, sprich die Autokonzerne zu entprivatisieren und unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Die Art und Weise, wie die Bombardier, Stadler und Siemens sich als unfähig erwiesen haben, die vergleichsweise geringfügigen Neubestellungen der Deutschen Bahn und der privaten Bahngesellschaften für ICEs und Nahverkehrszüge zu bewältigen, gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass diese Konzerne fähig oder vielleicht willens wären, die bei einer Verkehrswende anfallenden zweifellos große Mehrproduktion von Zügen, Straßenbahnen und Bussen zu bewältigen. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Auch diese Unternehmen sind zu enteignen und unter öffentliche Kontrolle zu stellen.

Die Konversion der Autoindustrie in eine integrierte Mobilitätsbranche, in der die Produktion von Autos nur noch eine untergeordnete Rolle spielen sollte, wird in der BRD nicht auf der Ebene des Einzelbetriebs zu machen sein. Die gesamte Branche Autoindustrie muss in öffentliches Eigentum überführt werden, um die vielfältigen erforderlichen Maßnahmen miteinander zu koordinieren: Paralleler Ausbau der Bus- und Bahnnetze bei gleichzeitigem Abbau der Kapazitäten in der Autoindustrie. Dazu braucht es eine enge Verzahnung der bisher getrennt, oft gegeneinander arbeitenden Branchen Autoindustrie und Bahnindustrie. US-amerikanische Linke sprachen schon im Gefolge der großen Krise 2008/2009 davon, dass es sinnvoll sei, die Unternehmen aus beiden Branchen in neu zu bildende Mobilitätsunternehmen zu integrieren. Dan La Botz schrieb in „Monthly Review Online“: „Der Kongress sollte die nationalisierte Autoindustrie in ein integriertes Unternehmen «US Auto, Mass Transport and Energy Industry» umwandeln mit dem Ziel, unsere Infrastruktur wiederaufzubauen und endlich zu versuchen, unsere Umweltkrise anzugehen.“ Vorstellbar wäre eine öffentliche Verkehrsbehörde, eine Art „Bundesnetzagentur Mobilität“ mit den Säulen für Individualverkehr, öffentlichen Verkehr, Flugverkehr sowie Fußgänger- und Radverkehr übernehmen. Diese „Bundesnetzagentur Mobilität“ könnte die Umqualifizierung von bisherigen Beschäftigten der Autoindustrie für die künftigen Aufgaben übernehmen.

Es ist nicht vorstellbar, dass eine Verkehrswende im Rahmen eines Kapitalismus, der nicht zuletzt auch ein fossiler Kapitalismus ist, machbar wäre. In unserem Kampf für eine ökologisch nachhaltige Verkehrspolitik wird sich immer wieder die „Systemfrage“ stellen. Wenn wir es nicht tun – unsere Gegner*innen werden das tun.

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