Die Leitung der Vierten Internationale hat den ersten Entwurf für ein Ökosozialistisches Manifest angenommen, das auf unserem nächsten Weltkongress im Februar 2025 diskutiert werden soll.
Dieses Dokument bringt unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass wir eine ökosozialistische Gesellschaft brauchen, die frei von Klassen- und Geschlechterherrschaft ist und in der es keine rassistische oder koloniale Unterdrückung gibt und die nur mit einer Revolution durchgesetzt werden kann. Mit dem Manifest versuchen wir die besten Wege zur Erreichung dieses Ziels herauszuarbeiten.
Wir sind an Kommentaren, Kritik und Argumenten von einschlägigen Wissenschaftler:innen, marxistischen Denker:innen und bedeutenden sozialen und politischen Bewegungen interessiert. Wir beanspruchen nicht, das Monopol auf die Wahrheit zu besitzen, und wir glauben, dass der Dialog mit anderen radikalen und revolutionären Kräften unerlässlich ist, wenn wir in unserem Kampf vorankommen wollen.
Büro der Vierten Internationale
Quelle: fourth.international
Inhaltsverzeichnis
2. Die Welt, für die wir kämpfen
4. Grundzüge einer ökosozialistischen Alternative zum kapitalistischen Wachstum
4.2. Den Reichtum teilen, um kostenfrei für die Menschen und für unsere Umwelt zu sorgen
4.3. Gegen Privatisierung und Vermarktung: Gemeingüter und öffentliche Dienste ausbauen
4.4. Das Geld dort nehmen, wo es ist: Die Kapitalisten und die Reichen müssen zahlen
4.5. Keine Emanzipation ohne antirassistischen Kampf
4.6. Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit auf der Erde! Niemand ist illegal!
4.7. Unnötige und schädliche Wirtschaftszweige abschaffen
4.9. Umbau der Städte im Interesse der Menschen
4.13. Weniger und besser arbeiten, ein gutes Leben führen
4.14. Das Recht der Frauen über ihren eigenen Körper garantieren
4.15. Wissen ist ein gemeinsames Gut. Reform des Bildungswesens und der Forschung
4.18. Selbstverwaltete ökosozialistische Planung
5. Globales Degrowth im Rahmen der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung
Von dem Internationalen Komitee im Februar 2024 angenommener Entwurf
Mit dem kapitalistischen Wachstum brechen,
für eine ökosozialistische Alternative
Manifest des revolutionären Marxismus im Zeitalter kapitalistischer Zerstörung von Umwelt und Gesellschaft
Einleitung
Einl. 1.1. Dieses Manifest ist ein Dokument der Vierten Internationale, die 1938 von Leo Trotzki und seinen Genoss:innen gegründet wurde, um das Erbe der Oktoberrevolution vor der stalinistischen Katastrophe zu retten. Die Vierte Internationale lehnt sterilen Dogmatismus ab und hat die Herausforderungen der sozialen Bewegungen und der ökologischen Krise in ihr Denken und in ihre Praxis integriert. Ihre Kräfte sind begrenzt, aber sie ist auf allen Kontinenten präsent und hat aktiv zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zum Mai ‘68 in Frankreich, zur Solidarität mit den antikolonialen Kämpfen (Algerien, Vietnam), zum Erstarken der Anti-Globalisierungsbewegung und zur Entwicklung des Ökosozialismus beigetragen.
Die Vierte Internationale versteht sich nicht als alleinige Avantgarde, sondern beteiligt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an breiten antikapitalistischen Formationen. Ihr Ziel ist es, zur Bildung einer neuen Internationale mit Massencharakter beizutragen, von der sie ein Teil wäre.
Einl. 1.2. Unsere Zeit ist von einer doppelten historischen Krise gekennzeichnet: der Krise der sozialistischen Alternative angesichts der vielschichtigen Krise der kapitalistischen „Zivilisation“.
Einl. 1.3 Wenn die Vierte Internationale dieses Manifest im Jahr 2025 veröffentlicht, dann deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass der Prozess der ökosozialistischen Revolution in den einzelnen Regionen zwar mit unterschiedlicher Dringlichkeit, aber global notwendiger denn je ist. Es geht heute nicht nur darum, dem Demokratie- und Sozialabbau, der mit der globalen kapitalistischen Expansion einhergeht, ein Ende zu setzen, sondern auch darum, die Menschheit vor einer ökologischen Katastrophe zu bewahren, die in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel ist. Diese beiden Ziele sind untrennbar miteinander verbunden.
Einl. 1.4. Das sozialistische Projekt, das unseren Vorschlägen zugrunde liegt, bedarf jedoch einer umfassenden Neubegründung ausgehend von einer pluralistischen Bewertung der bisherigen Erfahrungen und der wichtigsten Bewegungen, die gegen alle Formen von Herrschaft und Unterdrückung (Klasse, Geschlecht, unterdrückte nationale Minderheiten usw.) kämpfen. Der Sozialismus, für den wir eintreten, unterscheidet sich radikal von den im letzten Jahrhundert vorherrschenden Modellen und von etatistischen oder diktatorischen Regimes jeder Art: Er ist ein revolutionäres, radikal demokratisches Projekt, das sich auf den Beitrag feministischer, ökologischer, antirassistischer, antikolonialistischer, antimilitaristischer und LGBTQ+-Kämpfe stützt.
Einl. 1.5. Wir verwenden den Begriff Ökosozialismus seit einigen Jahrzehnten, weil wir davon überzeugt sind, dass die globalen Bedrohungen und Herausforderungen durch die ökologische Krise in allen Kämpfen gegen die bestehende globalisierte Ordnung mitgedacht werden müssen. Das erfordert eine Überarbeitung des sozialistischen Projekts. Die Beziehung zu unserem Planeten, die Überwindung des „Risses im Stoffwechsel“ (Marx) zwischen den menschlichen Gesellschaften und ihrem Lebensraum sowie die Berücksichtigung des ökologischen Gleichgewichts des Planeten sind nicht nur bestimmte Kapitel in unserem Programm und in unserer Strategie, sondern ihr roter Faden.
Einl. 1.6. Die Notwendigkeit, die Analysen des revolutionären Marxismus zu aktualisieren, hat das Handeln und Denken der Vierten Internationale stets inspiriert. Wir setzen diese Vorgangsweise in unserer Arbeit an diesem Ökosozialistischen Manifest fort: Wir wollen dazu beitragen, eine revolutionäre Perspektive zu formulieren, die in der Lage ist, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, eine Perspektive, die sich von den sozialen und ökologischen Kämpfen und von den kritischen und zutiefst antikapitalistischen Überlegungen, die sich auf der ganzen Welt entwickeln, leiten lässt.
1. Die objektive Notwendigkeit einer ökosozialistischen, antirassistischen, antimilitaristischen, antikolonialistischen und feministischen Revolution
1.1. Das Kapital triumphiert, aber sein Triumph stürzt es in die von Marx aufgezeigten unüberwindlichen Widersprüche. Angesichts dieser Widersprüche sprach Rosa Luxemburg 1915 ihre Warnung aus: „Sozialismus oder Barbarei“. Diese Warnung ist aktueller denn je, denn die Katastrophe, die sich um uns herum abspielt, ist beispiellos. Zu den Verheerungen durch Krieg, Kolonialismus, Ausbeutung, Rassismus, Autoritarismus und der Unterdrückung aller Art kommt nämlich eine neue Geißel hinzu, die alle anderen in den Schatten stellt: die rasante Zerstörung der natürlichen Umwelt, von der das Überleben der Menschheit abhängt, durch das Kapital.
1.2. Die Wissenschaft hat acht globale Indikatoren für ökologische Nachhaltigkeit ermittelt. Für sieben von ihnen wurde die jeweilige Gefährdungsgrenze definiert. Aufgrund der kapitalistischen Akkumulationslogik wurden mindestens sieben bereits überschritten: Klima, Ökosystemintegrität, Stickstoffkreislauf, Phosphorkreislauf, Grundwasser, Oberflächensüßwasser und natürliche Landökosysteme, von denen sechs (mit Ausnahme des Klimas) sogar über der Höchstgrenze liegen. Hauptleidtragende sind die Armen, insbesondere in den armen Ländern.
1.3. Unter der Peitsche des Wettbewerbs verstärken die Großindustrie und der Finanzsektor ihre despotische Herrschaft über die Menschen und die Erde. Die Zerstörung geht weiter, allen Warnungen der Wissenschaft zum Trotz. Das Streben nach Profit verlangt zwangsläufig nach immer mehr Märkten und immer mehr Waren, also auch nach einer verstärkten Ausbeutung der Arbeitskraft und einer rücksichtslosen Plünderung der natürlichen Ressourcen.
1.4. Das legale Kapital, das so genannte kriminelle Kapital und die bürgerliche Politik sind eng miteinander verwoben. Die Erde wird von den Banken, den multinationalen Konzernen und den Reichen auf Pump gekauft. Die Regierungen beschneiden zunehmend die demokratischen und die Menschenrechte durch brutale Repression und technologische Kontrolle. Ein neuer Faschismus bietet seine Dienste an, um das System durch Lügen, Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit und soziale Demagogie zu retten.
1.5. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass die Grenzen der Nachhaltigkeit auch auf sozialer Ebene überschritten werden.
1.6. Mit ihren Yachten, ihren Jets, ihren Swimmingpools, ihren exklusiven, riesigen Golfplätzen, ihren Geländewagen, ihrem Weltraumtourismus, ihrem Schmuck, ihrer Haute Couture und ihren luxuriösen Häusern in allen Teilen der Welt besitzt das reichste Prozent genau so viel wie 50 % der Weltbevölkerung. Die „Trickle-Down-Theorie“ ist ein Mythos. Der Wohlstand „sickert“ zu den Reichen, nicht umgekehrt. Die Armut nimmt selbst in den „entwickelten“ Ländern zu. Die Arbeitseinkommen werden rücksichtslos gedrückt, soziale Absicherungen – sofern vorhanden – werden abgebaut. Die kapitalistische Weltwirtschaft schwimmt auf einem Ozean aus Schulden, Ausbeutung und Ungleichheit.
1.7. Die ungerechte Verteilung der Ressourcen führt zu Umweltkatastrophen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf verschiedene ethnische Gruppen. In den entwickelten und oft auch in den sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaften sind das in erster Linie arme und rassistisch unterdrückte Menschen, die in der Regel in Gebieten leben, die am stärksten von der Umweltverschmutzung betroffen sind, wo die Müllkonzentration am höchsten ist und wo es an städtebaulicher Planung mangelt, etwa in Hanglagen und auf Hügeln. Der Umweltrassismus ist eine weitere Facette der Ausgrenzung von rassistisch unterdrückten und armen Menschen im Kapitalismus.
1.8. Von Ungleichheit und Diskriminierung sind vor allem Frauen betroffen, die nach wie vor den größten Teil der Haus-, Pflege- und Betreuungsarbeit leisten, sei es kostenlos oder gegen Bezahlung. Sie erhalten nur 35 % des Einkommens der abhängig Beschäftigten. In einigen Regionen der Welt (China, Russland, Zentralasien) geht dieser Anteil zurück, teilweise sogar erheblich. Abgesehen von der Arbeitswelt werden Frauen auf allen Ebenen als Frauen angegriffen – von sexistischer und sexueller Gewalt bis hin zum Recht auf Nahrung, dem Recht auf Bildung, dem Recht auf Respekt und dem Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen.
1.9. Während alte Menschen aus der Arbeiterklasse (und auch aus Teilen der „Mittelschicht“) ausrangiert werden, wird das Leben künftiger Generationen im Voraus beschnitten. Die meisten Eltern aus der Arbeiterklasse glauben nicht mehr daran, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst. Eine wachsende Zahl junger Menschen beobachtet mit Schrecken, Wut und Trauer die organisierte Zerstörung ihrer Welt, die vergewaltigt, ausgebrannt, in Beton ertränkt und vom kalten Wasser egoistischer Berechnung verschlungen wird. So wird ihre Zukunft systematisch zerstört.
1.10. Die Geißeln des Hungers, der Ernährungsunsicherheit und der Unterernährung waren am Ende des 20. Jahrhunderts zurückgegangen; jetzt nehmen sie infolge eines katastrophalen Zusammenwirkens von Neoliberalismus, Militarismus und Klimawandel wieder zu: Fast jeder zehnte Mensch hungert, fast jeder dritte leidet an Ernährungsunsicherheit, mehr als drei Milliarden können sich keine gesunde Ernährung leisten. Einhundertfünfzig Millionen Kinder unter fünf Jahren sind durch Hunger unterentwickelt.
1.11. Die Hoffnung auf eine friedliche Welt in naher Zukunft hat sich verflüchtigt. Mehr als dreißig Länder der Welt sind aktuell oder waren in jüngster Zeit in Kriege von erheblichem Ausmaß verwickelt, darunter der Sudan, der Irak, der Jemen, Palästina, Syrien, die Ukraine, Libyen, die Demokratische Republik Kongo und Myanmar. Die Klimakrise selbst, Wetterphänomene und die daraus resultierenden starken Migrationsströme schüren zahlreiche Konflikte rund um den Globus. Das Leid durch Vertreibung und Tod zahlreicher Menschen ist enorm.
1.12. Während sich die imperialistischen Mächte streiten, werden dringend erforderliche Maßnahmen für den Klimawandel und für eine nachhaltige Zukunft in Frage gestellt. Kriege haben nicht nur verheerende Auswirkungen auf das menschliche Leben, indem sie die Körper von Frauen angreifen, Vergewaltigung als Terrorinstrument einsetzen und das Zusammenleben entmenschlichen, sondern sie schädigen auch den Planeten, auf dem wir leben. Sie zerstören Lebensräume, führen zur Abholzung von Wäldern, vergiften die Böden, das Wasser und die Luft und gehören zu den Hauptquellen von Kohlenstoffemissionen.
1.13. Der 2022 begonnene brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine und die ethnische Säuberung gegen das palästinensische Volk, die im Gaza-Krieg 2023/24 ein neues Ausmaß erreicht hat, sind schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Beide Fälle belegen den barbarischen Charakter des aktuellen Kapitalismus. Der imperialistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Jahr 2022 hat die geopolitischen Spannungen auf globaler Ebene verschärft. Er markiert den Eintritt in eine neue Ära des imperialistischen Wettbewerbs um die globale Vorherrschaft: mit den USA und ihren Verbündeten auf der einen und China und seinen Verbündeten auf der anderen Seite. Land, Energie und Bodenschätze spielen in diesem imperialistischen Wettkampf eine wichtige Rolle.
1.14. Alle könnten ein gutes Leben auf der Erde haben, aber der Kapitalismus ist eine ausbeuterische, machistische, rassistische, kriegerische, autoritäre und letztendlich tödliche Wirtschaftsform. Produktivismus ist Destruktivismus. In zwei Jahrhunderten hat er die Menschheit in eine ökosoziale Sackgasse geführt.
1.15. Der Klimawandel ist der gefährlichste Aspekt der Umweltzerstörung; er ist eine in der Geschichte noch nie dagewesene Gefahr für das menschliche Leben. Die Erde droht zu einem biologischen Ödland zu werden, unbewohnbar für Milliarden armer Menschen, die für diese Katastrophe nicht verantwortlich sind. Um diese Katastrophe aufzuhalten, müssen wir die weltweiten Kohlendioxid- und Methanemissionen vor 2030 halbieren und vor 2050 ganz einstellen. Daher sollten wir vorrangig die fossilen Brennstoffe, die Agrarindustrie, die Fleischindustrie und die Hypermobilität verbannen, d. h. weltweit weniger produzieren.
1.16. Einerseits konfrontiert der Wahnsinn der kapitalistischen Akkumulation die Menschheit mit der dringenden Notwendigkeit eines globalen Rückgangs des Endenergieverbrauchs und damit der materiellen Produktion und des Transports. Auf der anderen Seite leben drei Milliarden Menschen, vor allem im Globalen Süden[1], aufgrund von Kapitalismus und Imperialismus unter entsetzlichen Bedingungen. Soziale Gerechtigkeit erfordert den Ausbau bestimmter Arten der Produktion, um die enormen unbefriedigten Bedürfnisse zu erfüllen: gute Gesundheitssysteme, menschenwürdige Wohnungen, gute Lebensmittel, gute Bildung, öffentlicher Verkehr, sauberes Wasser, soziale Sicherheit für alle…
1.17. Gibt es einen Ausweg aus diesem Widerspruch? Ja, den gibt es. Dank des technologischen Fortschritts in der Medizin, im Bauwesen, in der Energieeffizienz usw. ist es möglich, dass die Menschen gut leben und gleichzeitig viel weniger verbrauchen als früher. Die Klimaauswirkungen einer Produktion, die auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse abzielt – vor allem, wenn sie demokratisch geplant und vom öffentlichen Sektor unter Bedingungen sozialer Gleichheit übernommen wird –, sind viel geringer als die einer Produktion, die auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Reichen durch BIP-Wachstum und blinden Marktwettbewerb um Profit ausgerichtet ist. Das reichste Prozent emittiert fast doppelt so viel CO2 wie die ärmsten 50 %. Die reichsten 10 % sind für mehr als 50 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Die Armen emittieren viel weniger als 2-2,3 t CO2 pro Person und Jahr (das ist die durchschnittliche Menge, die im Jahr 2030 erreicht werden muss, wenn wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % im Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen wollen). Würde man sie mit dem versorgen, was sie brauchen, hätte das nur begrenzte ökologische Auswirkungen. Um die Katastrophe zu verhindern, ist eine Gesellschaft erforderlich, die Wohlstand und Gleichheit wie nie zuvor garantiert. Eine wünschenswerte Perspektive, aber das reichste Prozent müsste seine Emissionen in wenigen Jahren durch dreißig teilen. Doch die Reichen weigern sich, auch nur die geringsten Anstrengungen zu unternehmen! Im Gegenteil: Sie wollen immer mehr Privilegien!
1.18. Die Regierungen haben sich verpflichtet, unter +1,5°C zu bleiben, die Artenvielfalt zu erhalten, eine „nachhaltige Entwicklung“ voranzutreiben und den Grundsatz der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und Kapazitäten“ in der ökologischen Krise zu berücksichtigen, während sie gleichzeitig immer mehr Güter produzieren und immer mehr Energie verbrauchen. Es ist ausgeschlossen, dass dieses Bündel an Versprechen vom Kapital eingelöst werden kann. Die Fakten zeigen Folgendes:
1.18.1. Dreiunddreißig Jahre nach dem Erdgipfel von Rio (1992) wird der globale Energiemix nach wie vor fast ausschließlich von fossilen Brennstoffen dominiert (84 % im Jahr 2020). Die Gesamtproduktion fossiler Brennstoffe ist um 62 % gestiegen, und zwar von 83 Terawattstunden (TWh)[2] im Jahr 1992 auf 136 TWh im Jahr 2021, wobei die erneuerbaren Energien das überwiegend aus fossilen Brennstoffen bestehende Energiesystem bloß ergänzen und dabei den Kapitalisten neue Möglichkeiten und neue Märkte eröffnen.
1.18.2. Angesichts der durch die Pandemie ausgelösten und durch den imperialistischen Krieg Russlands gegen die Ukraine verschärften Energiekrise haben alle kapitalistischen Mächte Kohle, Erdöl, Erdgas (einschließlich Schiefergas) und Kernkraft wiederbelebt.
1.18.3. Der US-Imperialismus, der historisch gesehen die Hauptverantwortung für den Klimawandel trägt, verfügt über enorme Mittel, um die Katastrophe zu bekämpfen, aber seine politischen Vertreter ordnen diesen Kampf in krimineller Weise der Aufrechterhaltung ihrer Welthegemonie unter, wenn sie die Klimakrise nicht sogar grundsätzlich leugnen.
1.18.4. Die Maßnahmen, die die großen Verschmutzer unter dem Etikett „Dekarbonisierung“ ergreifen, gehen nicht nur am Ausmaß der Klimakrise vorbei, sondern beschleunigen auch den Extraktivismus auf Kosten der Weltbevölkerung und der Ökosysteme, vor allem in den abhängigen Ländern, aber auch im Norden und in den Weltmeeren.
1.18.5. Die so genannte „Dekarbonisierung“ verschärft die imperialistische Landnahme und die Ausbeutung der Arbeitskräfte im Süden. Sie kann sich auf die Komplizenschaft der lokalen Bourgeoisien verlassen, wie verschiedene Investitionsprojekte zur Nutzung von Sonnen- und Windenergie zeigen, insbesondere in den „freien Wirtschaftszonen“ der armen Länder, wo „grüner Wasserstoff“ für die Versorgung der Industrie in den entwickelten Ländern erzeugt wird.
1.18.6. „Kohlenstoffmärkte“, „Kohlenstoffkompensation“, „Biodiversitätskompensationen“ und „Marktmechanismen“, die auf dem Verständnis von Natur als Kapital beruhen, belasten in erster Linie die Armen, insbesondere indigene Völker, rassistisch unterdrückte Menschen und die Völker des Südens im Allgemeinen, die allesamt am wenigsten zur Krise beigetragen haben.
1.19. Theoretisch brauchbare, abstrakte Konzepte wie „Kreislaufwirtschaft“, „Resilienz“, „Energiewende“, „Biomimikry“[3] werden in der Praxis zu hohlen Formeln, sobald sie dem kapitalistischen Produktivismus untergeordnet werden. Solange es keinen gesamtgesellschaftlichen Plan für die Umstellung der Produktion gibt, haben technische Verbesserungen (etwa zu einer kostengünstigeren Energieerzeugung) oft einen Rebound-Effekt[4]: Eine Senkung des Energiepreises führt im Allgemeinen zu einem höheren Energie- und Materialverbrauch.
1.20. Angesichts der Klimakrise lässt der kapitalistische Akkumulationsfetischismus letztlich nur zwei Möglichkeiten zu: den Einsatz von Zauberlehrlingstechnologien (Atomkraft, Kohlenstoffabscheidung, Geo-Engineering…) oder die „natürliche Auslese“ mehrerer Milliarden armer Menschen in den armen Ländern.
1.21. Politisch spielen das Unvermögen und die Ungerechtigkeit des „grünen“ Kapitalismus einem fossilen, verschwörerischen, kolonialistischen, rassistischen, aggressiven, machistischen und LGBTQ+-feindlichen Neofaschismus in die Hände, der vor dieser zweiten Möglichkeit nicht zurückschreckt. Ein Teil der Reichen bewegt sich auf ein gigantisches Verbrechen gegen die Menschheit zu und setzt zynisch darauf, dass ihr Reichtum sie verschonen wird, während man die Armen sterben lässt.
1.22. Der neoliberale „grüne“ Kapitalismus und die extreme Rechte, die den Klimawandel leugnet, sind zwar nicht dasselbe (letztere ist weit schlimmer), aber bisher konnten weder der Kapitalismus noch die Rechtsextremen die globale Erwärmung mit ihren verheerenden Folgen aufhalten, und der Kapitalismus begünstigt das Erstarken der extremen Rechten. Obwohl die meisten Opfer in den armen Ländern leben, werden auch die reichen Länder dramatische Verluste erleiden. Der Weltkapitalismus entwickelt sich nicht schrittweise in Richtung Frieden und nachhaltige Entwicklung, sondern rückwärts und mit großen Schritten in Richtung Krieg, Umweltkatastrophe, Völkermord und neofaschistische Barbarei.
1.23. Angesichts dieser Herausforderungen reicht es nicht aus, das neoliberale Regime in Frage zu stellen und die Rolle des Staates aufzuwerten. Nicht einmal ein Abgehen von der Akkumulationsdynamik (ohnehin ein unmögliches Ziel im Kapitalismus!) würde ausreichen. Der globale Endenergieverbrauch muss radikal reduziert werden. Das geht nicht ohne Einschränkungen bei der Produktion und beim Transport – und zwar weltweit.
1.24. Um der ökologisch-klimatischen Notwendigkeit gerecht zu werden, muss sich die Ausrichtung der Wirtschaft von Grund auf ändern: Wissenschaft und technologischer Fortschritt müssen genutzt werden, um die sozialen Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen und das globale Ökosystem zu regenerieren, anstatt das Profitstreben der Kapitalisten zu befriedigen. Das ist die einzig mögliche Lösung, um das berechtigte Bedürfnis nach einem angemessenen Lebensstandard für alle und die Erholung des globalen Ökosystems in Einklang zu bringen. Gerechte Suffizienz und gerechtes Degrowth – ökosozialistisches Degrowth – sind die conditio sine qua non für die Rettung der Menschheit und des Planeten.
1.25. Ein Ausweg aus der produktivistischen Sackgasse ist nur unter folgenden Bedingungen möglich:
1.25.1. Abkehr vom „Technosolutionismus“, d. h. von der Vorstellung, dass die Lösung in neuen Technologien liegt (deren Auswirkungen auf Energie und Ressourcen oft unterschätzt oder nicht berücksichtigt werden). In ökologisch kluger Weise die vorhandenen Mittel nutzen, da sie ausreichen, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen;
1.25.2. den ökologischen Fußabdruck der Reichen drastisch reduzieren, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen;
1.25.3. dem freien Kapitalmarkt (Aktienmärkte, Privatbanken, Pensionsfonds) ein Ende setzen;
1.25.4. die Märkte für Waren und Dienstleistungen regulieren;
1.25.5. auf allen Ebenen der Gesellschaft die Beziehungen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen so direkt wie möglich gestalten sowie die Bestimmung der Bedürfnisse und Ressourcen für die Gebrauchswertproduktion und die ökologischen und sozialen Prioritäten optimieren;
1.25.6. auf demokratische Weise festlegen, welche Bedürfnisse diese Gebrauchswerte befriedigen müssen und wie;
1.25.7. im Mittelpunkt dieses demokratischen Prozesses müssen die Sorge um die Menschen und die Ökosysteme, die Achtung vor allen Lebewesen und das Wissen um die ökologischen Grenzen stehen;
1.25.8. folglich sind nutzlose Produktion und nutzloser Transport zu unterbinden und die gesamte produktive Tätigkeit, der Warenverkehr sowie das Konsumverhalten zu überdenken und neu zu organisieren.
1.26. Diese Bedingungen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Soziale und ökologische Krisen sind untrennbar miteinander verbunden. Wir brauchen dringend ein emanzipatorisches Projekt für die Ausgebeuteten und Unterdrückten. Ein klassenbasiertes Projekt, das über die Grundbedürfnisse hinaus dem Sein und nicht dem Haben verpflichtet ist. Ein Projekt, welches das Verhalten, den Konsum, die Beziehung zur nicht-menschlichen Natur, die Vorstellungen vom Glück und die Vision, die der Mensch von der Welt hat, tiefgreifend verändert. Ein antiproduktivistisches Projekt für ein besseres Leben, das auf alle Lebewesen auf dem einzigen bewohnbaren Planeten des Sonnensystems Rücksicht nimmt.
1.27. Der Kapitalismus hat die Menschheit schon einmal in eine ähnlich bedrohliche Lage gebracht, nämlich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die nationalistische Hysterie hat die Massen ergriffen, und die Sozialdemokratie hat ihr Versprechen, auf den Krieg mit einer Revolution zu antworten, verraten und grünes Licht für das schlimmste Morden in der Geschichte der Menschheit gegeben. Dennoch bezeichnete Lenin die Situation als „objektiv revolutionär“. Nur eine Revolution könne dem Gemetzel Einhalt gebieten, sagte er. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben: Die Revolution in Russland und die Aussicht auf ihre Ausbreitung haben die Bourgeoisien gezwungen, dem Gemetzel ein Ende zu setzen. Der Vergleich ist natürlich nur beschränkt geeignet, denn die Vermittlungsschritte für die Bereitschaft zu revolutionärer Aktion sind heute unendlich komplexer. Aber eine Bewusstseinsbildung ist heute genauso notwendig. Angesichts der ökologischen Krise ist eine antikapitalistische Revolution objektiv gesehen sogar noch dringlicher. Diese grundsätzliche Beurteilung muss Grundlage für die Ausarbeitung eines Programms, einer Strategie und Taktik sein, denn es gibt keine andere Möglichkeit, die Katastrophe zu verhindern.
1.28. Alles hängt vom Ausgang der Kämpfe ab. Ganz gleich wie groß die Katastrophe ist, werden die Kämpfe in jeder Phase den Ausschlag geben. Dabei hängt alles von der Fähigkeit der ökosozialistischen Aktivist:innen ab, sich zu organisieren und sich in der Praxis am Kompass der historischen Notwendigkeit zu orientieren.
2. Die Welt, für die wir kämpfen
2.1. Unser Projekt für eine zukünftige Gesellschaft verbindet die soziale und politische Emanzipation mit dem Gebot, die Zerstörung des Lebens zu verhindern und die bereits entstandenen Schäden so weit wie möglich zu beheben.
2.2. Wir versuchen, uns vorzustellen, wie ein gutes Leben für alle Menschen überall aussehen könnte, wenn wir den Verbrauch von Material und Energie und damit die materielle Produktion reduzieren. Es geht nicht darum, ein vorgefertigtes Modell zu liefern, sondern den Mut zu haben, sich eine andere Welt vorzustellen, für deren Verwirklichung es sich zu kämpfen lohnt, indem man mit Kapitalismus und Produktivismus bricht.
„Ja, wir kämpfen um Brot, aber wir kämpfen auch um Rosen.“
2.3. Ein gutes Leben für alle setzt voraus, dass die menschlichen Grundbedürfnisse – gesunde Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, saubere Luft und sauberes Wasser – erfüllt werden.
2.4. Ein gutes Leben ist aber auch ein frei gewähltes erfüllendes und kreatives Leben mit vielfältigen und gleichberechtigten menschlichen Beziehungen und umgeben von der Schönheit der Welt und den menschlichen Errungenschaften.
2.5. Unser Planet verfügt (noch) über genügend Ackerland, Trinkwasser, Sonne und Wind, Artenvielfalt und Ressourcen aller Art, um die berechtigten menschlichen Bedürfnisse unter Verzicht auf klimaschädliche fossile Brennstoffe und Atomkraft zu befriedigen. Einige dieser Ressourcen sind jedoch begrenzt, während andere, obwohl unerschöpflich, für die Nutzung durch den Menschen knappe oder seltene Rohstoffe benötigen, deren Gewinnung ökologisch schädlich ist. Da ihre Nutzung nicht grenzenlos sein kann, gehen wir in jedem Fall sorgfältig und sparsam mit ihnen um, und zwar auf ökologisch sinnvolle Weise.
2.6. Lebensnotwendige Güter sind von privater Aneignung ausgeschlossen und werden als Gemeingüter betrachtet, weil sie heute und auf lange Sicht der gesamten Menschheit zugutekommen müssen. Um diese Gemeingüter auf Dauer zu sichern, werden für alle gültige Regeln aufgestellt, welche die Nutzung, aber auch die Grenzen der Nutzung sowie die Verpflichtung zur Pflege oder Instandsetzung festlegen.
2.7. Da eine Mangrove nicht auf die gleiche Weise geschützt wird wie eine Eiskappe, ein Feuchtgebiet nicht auf die gleiche Weise wie ein Sandstrand, ein Tropenwald nicht auf die gleiche Weise wie ein Fluss, weil Solarenergie nicht den gleichen Regeln gehorcht und nicht die gleichen materiellen Zwänge auferlegt wie Wind- oder Wasserkraft, können diese Regeln nur das Ergebnis eines demokratischen Prozesses unter Beteiligung der unmittelbar Betroffenen, der Arbeitenden und der lokalen Bevölkerung, sein.
2.8. Unser gemeinsames Gut sind auch alle Dienstleistungen, die es uns ermöglichen, auf gleichberechtigte Weise und daher kostenlos die Bedürfnisse in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kultur, Zugang zu Wasser, Energie, Kommunikation, Verkehr usw. zu befriedigen. Auch sie werden von der gesamten Gesellschaft demokratisch verwaltet und organisiert.
2.9. Dienste für die Menschen und für die Pflege, die sie in verschiedenen Lebensphasen benötigen, beseitigen die Trennung von öffentlich und privat, wobei die Intimsphäre aller respektiert wird. Sie machen Schluss mit der Zuweisung dieser Aufgaben an die Frauen – und zwar durch Vergesellschaftung, d. h. sie werden zur Angelegenheit der gesamten Gesellschaft gemacht. Dienstleistungen für die soziale Reproduktion sind Schlüsselbereiche, vor allem im Kampf gegen die patriarchale Unterdrückung.
2.10. Alle diese dezentralisierten, partizipativen, gemeinschaftsbasierten „öffentlichen Dienstleistungen“ bilden die Grundlage einer nicht-autoritären gesellschaftlichen Organisation.
2.11. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ermöglicht die demokratische ökologische Planung den Menschen, sich die wichtigsten sozialen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Produktion wieder anzueignen, als Staatsbürger:innen und Nutzer:innen darüber zu entscheiden, was und wie produziert werden soll, welche Dienstleistungen erbracht werden müssen, aber auch über die zumutbaren Grenzen für die Nutzung von materiellen Ressourcen wie Wasser, Energie, Verkehr, Boden usw. Die Entscheidungen werden nach kollektiven Beratungen getroffen, gestützt auf der Aneignung von Wissen – aus der Forschung und aus der Erfahrung der Bevölkerung – sowie auf der Selbstorganisation der Unterdrückten (Frauenbewegung, von Rassismus betroffene Bevölkerungsgruppen, Menschen mit Behinderungen usw.). So lassen sich Entwicklungshindernisse überwinden, und der bewusste Kampf gegen Diskriminierung und Unterdrückung kann fortgeführt werden.
2.12. Die globale wirtschaftliche und politische Demokratie ist verbunden mit vielfältigen dezentralisierten Kollektiven / Komitees: So wird es möglich, auf lokaler Ebene, in der Stadt oder in der Nachbarschaft Entscheidungen über die Organisation des öffentlichen Lebens zu treffen, und im Bereich der Produktion können die Produzent:innen Planung und Organisation an ihrem Arbeitsplatz in die Hand nehmen und darüber entscheiden, wie sie produzieren und arbeiten wollen. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen der Demokratie und eine aus ökologischer und sozialer Sicht gerechte und menschlich erfüllende Handhabung ermöglichen Zusammenarbeit statt Wettbewerb auf der Ebene des Arbeitsplatzes, des Unternehmens, der Branche, aber auch des Viertels, der Stadt, der Region, des Landes und sogar des Planeten!
2.13. Alle Entscheidungen über Produktion und Vertrieb, über die Art und Weise, wie wir leben wollen, werden von dem Grundsatz geleitet: so viel wie möglich dezentralisieren und so viel wie nötig koordinieren.
2.14. Das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich gemeinsam am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, erfordert Zeit, Energie und kollektive Intelligenz. Zum Glück nimmt die Arbeit an der Produktion und der sozialen Reproduktion nur wenige Stunden pro Tag in Anspruch.
2.15. Die Produktion ist ausschließlich der Befriedigung demokratisch festgestellter Bedarfe gewidmet. Produktion und Vertrieb sind so organisiert, dass der Ressourcenverbrauch minimiert und Abfälle, Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen vermieden werden; sie zielen durchgängig auf Zweckmäßigkeit und „eingeplante Nachhaltigkeit“ ab (im Gegensatz zur programmierten Obsoleszenz des Kapitalismus, ganz gleich, ob beabsichtigt oder aufgrund der Logik des Wettlaufs um Profit). Eine möglichst bedarfsnahe Produktion ermöglicht eine Verringerung der Transporte und ein besseres Verständnis des Arbeits-, Material- und Energiebedarfs.
2.16. Die Landwirtschaft ist ökologisch, kleinräumig und lokal, um die Ernährungssouveränität und den Schutz der Artenvielfalt zu gewährleisten. Verarbeitende Betriebe und Vertriebskanäle sorgen dafür, dass ein Großteil der Lebensmittel in kleinen Kreisläufen erzeugt wird.
2.17. Der auf erneuerbaren Energien fußende Energiesektor ist so dezentral wie möglich, um Verluste gering zu halten und die Nutzung zu optimieren. Tätigkeiten der sozialen Reproduktion (Gesundheit, Bildung, Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen, Kinderbetreuung usw.) werden gefördert und ausgebaut, wobei darauf geachtet wird, keine Geschlechterstereotypen zu reproduzieren.
2.18. Obwohl die Arbeit weniger Zeit beansprucht, nimmt sie einen wesentlichen Platz ein, weil sie zusammen mit der Natur und die Sorge um ihre Erhaltung all das erzeugt, was für das Leben notwendig ist.
2.19. Die Selbstverwaltung der Produktionseinheiten in Verbindung mit einer demokratischen Planung ermöglicht den Beschäftigten, über die Organisation der Arbeit und die einzelnen Arbeitsschritte zu entscheiden und die Trennung zwischen manueller und geistiger Arbeit in Frage zu stellen. Das gilt auch auf für die Wahl der Technologien, je nachdem, ob sie dem Arbeitskollektiv ermöglichen, den Produktionsprozess zu kontrollieren. Indem man dem konkreten, praktischen und realen Wissen über den Arbeitsprozess sowie dem kollektiven und individuellen Know-how und der Kreativität den Vorrang einräumt, wird es möglich, sowohl langlebige Produkte zu entwerfen und zu fertigen, die zerlegt und repariert, wiederverwendet und gegebenenfalls recycelt werden können, als auch den Material- und Energieverbrauch von der Herstellung bis zur Nutzung zu reduzieren.
2.20. In allen Bereichen gehen die Überzeugung, etwas Nützliches zu tun, und die Zufriedenheit, es gut zu machen, Hand in Hand. Bei unangenehmen Tätigkeiten wie der Müllentsorgung achten alle darauf, die Belastung und die Misslichkeit gering zu halten. Dennoch müssen auch diese Aufgaben erledigt werden – und zwar am besten abwechselnd von allen.
2.21. Ein großer Teil der materiellen Produktion (etwa von Kleidung oder Lebensmitteln) muss aufgrund der deutlich geringeren Menge nicht (oder zumindest nicht gänzlich) industriell hergestellt werden, und handwerkliche Fähigkeiten, die alle erlernen könnten, sollten mehr Wertschätzung erfahren.
2.22. Durch die Befreiung der Arbeit von der Entfremdung kann die Grenze zwischen Kunst und Leben in einer Art „Luxuskommunismus“ aufgehoben werden. Wir können Werkzeuge, Möbel, ein Fahrrad, Kleidung usw. unser ganzes Leben lang behalten oder mit anderen teilen, weil sie auf Langlebigkeit konzipiert und schön sind.
Sein statt Haben
„Nur das, was für alle gut ist, ist deiner würdig. Nur das, was niemanden privilegiert oder erniedrigt, ist es wert, produziert zu werden.“ (André Gorz)
2.23. Freiheit liegt nicht im unbegrenzten Konsum, sondern in der frei gewählten Selbstbeschränkung, die sich als Gegensatz zu der konsumorientierten Entfremdung versteht. Durch kollektive Entscheidungen ist es möglich, künstliche Bedürfnisse in Frage zu stellen und „universalisierbare“ Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen, zu definieren, also solche, die nicht bestimmten Menschen oder bestimmten Teilen der Welt vorbehalten sind.
2.24. Wahrer Reichtum liegt nicht in der unendlichen Vermehrung von Gütern (Haben), sondern in der Vermehrung von freier Zeit (Sein). Mehr Freizeit eröffnet die Möglichkeit, sich im Spiel, im Studium, im gesellschaftlichen Engagement, im künstlerischen Schaffen, in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Umgang mit der nicht-menschlichen Natur zu verwirklichen.
2.25. So schaffen wir Raum für zahlreiche Betätigungsfelder, weil wir genug Zeit haben, darüber nachzudenken, was gut für uns ist, und weil uns der Mensch und die gesamte Natur am Herzen liegen.
2.26. Die Orte, an denen wir leben, gehören uns, jeder Raum, in dem wir uns aufhalten, gehört uns, um zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Befreit von Bodenspekulation und Auto können wir die Nutzung öffentlicher Räume neu denken, die Trennung zwischen Zentrum und Peripherie überwinden, Erholungs-, Begegnungs- und Gemeinschaftsräume vervielfachen, die Städte durch urbane Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten natürlicher gestalten oder Biotope im städtischen Bereich einrichten. Darüber hinaus sollten politische Maßnahmen langfristig darauf abzielen, das Gleichgewicht zwischen Stadt- und Landbevölkerung wiederherzustellen und den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu überwinden, um die Rahmenbedingungen für eine lebenswerte und nachhaltige menschliche Gemeinschaften zu schaffen, in denen wirkliche Demokratie gelebt werden kann.
2.27. Unsere Gefühle und Wünsche sind dann nicht mehr käuflich, und die Bandbreite der Wahlmöglichkeiten wird für alle erheblich erweitert: Jeder und jede kann neue Formen sexueller Beziehungen und des Zusammenlebens sowie der Arbeit und der Kindererziehung in freier und vielfältiger Weise entwickeln, wobei die persönlichen Entscheidungen und das Menschentum jedes Einzelnen respektiert werden, da es nicht nur eine einzige Wahl geben darf und auch nicht eine Wahl, die besser ist als die anderen. Die Familie hört auf, ein Raum für die Reproduktion von Herrschaft und die einzig mögliche Form des Zusammenlebens zu sein. Wir können also die Elternschaft auch als kollektive Aufgabe betrachten, unsere persönlichen Entscheidungen über Mutterschaft und Elternschaft politisch begreifen und uns überlegen, wie wir die Kindheit und die Rolle von älteren oder behinderten Menschen sehen und wie wir die sozialen Beziehungen mit ihnen gestalten wollen. Wir können uns Gedanken darüber machen, wie sich die Logik der Herrschaft, die wir von früheren Gesellschaften übernommen und somit verinnerlicht haben, durchbrechen lässt.
2.28. Wir wollen eine neue Kultur schaffen, die das Gegenteil einer Vergewaltigungskultur ist, eine Kultur, welche die Körper aller cis- und trans-Frauen und ihre Bedürfnisse anerkennt; eine Kultur, die alle Personen als Subjekte begreift und ihnen zugesteht, dass sie in der Lage sind, über ihren Körper, ihr Leben und ihre Sexualität zu entscheiden; eine Kultur, die sichtbar macht, dass es tausend Möglichkeiten gibt, die eigene geschlechtliche Identität und Sexualität auszudrücken und zu leben.
2.29. Sexuelle Handlungen, die aus freiem Willen erfolgen und allen, die daran teilnehmen, Befriedigung verschaffen, muss man nicht rechtfertigen.
2.30. Wir müssen lernen, die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebewesen zu akzeptieren und ein Verständnis von der Beziehung zwischen Mensch und Natur zu entwickeln, das vermutlich in mancher Hinsicht derjenigen der indigenen Völker ähnelt, aber dennoch anders sein wird. Ein Konzept, in dem die ethischen Begriffe von Vorsorge, Respekt und Verantwortung sowie das Staunen über die Schönheit der Welt in ständiger Wechselwirkung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, die laufend vertieft und sich dabei auch ihrer Schwächen bewusst werden.
3. Unsere Übergangsmethode
3.1. Aus unserer Analyse des Kapitalismus und insbesondere der Politik der herrschenden Klasse in Bezug auf die ökologischen Gefahren und den Klimawandel folgt:
3.2. Erstens bedarf es einer umfassenden Alternative und eines gesellschaftlichen Plans auf der Grundlage der Produktion von Gebrauchswerten statt Tauschwerten. Das Drehen an der einen oder anderen Schraube innerhalb des Systems, ohne die Produktionsweise grundsätzlich anzutasten, wird die gegenwärtigen Krisen und die Katastrophen, die uns aufgrund der Beständigkeit des kapitalistischen Systems bevorstehen, nicht abwenden und nicht einmal wesentlich abschwächen können. Diese Einsicht zu vermitteln, ist für eine revolutionäre Politik unerlässlich.
3.3. Die Einsicht in die Notwendigkeit eines globalen revolutionären Wandels stellt uns vor eine Aufgabe, die in der Praxis nicht sofort und nicht ohne Schwierigkeiten zu lösen ist. Deshalb ist es zweitens wichtig, die globale Perspektive mit unmittelbaren Forderungen zu verbinden, für die bereits jetzt mobilisiert werden kann.
3.4. Drittens muss betont werden, dass sich Menschen von Argumenten allein nicht überzeugen lassen. Um sie für eine Abkehr vom kapitalistischen System zu gewinnen und zum Widerstand zu ermuntern, braucht es erfolgreiche Kämpfe, die Mut machen und zeigen, dass Teilsiege möglich sind.
3.5. Und viertens: Erfolgreiche Kämpfe erfordern eine bessere Organisation. Das gilt im Prinzip immer, aber heute – in Zeiten, in denen die Gewerkschaften (in vielen Teilen der Welt) politisch weitgehend verschwunden sind und die Linke zersplittert ist – ist es wichtig, die praktische Zusammenarbeit auf nicht-sektiererische Weise zu fördern, vor allem innerhalb der antikapitalistischen Linken, und gleichzeitig die Selbstorganisation der Werktätigen zu unterstützen.
3.6. Einerseits drängt die Zeit, wenn wir nicht wollen, dass entscheidende Kipppunkte überschritten werden und die globale Erwärmung außer Kontrolle gerät. Andererseits ist eine große Mehrheit der Menschen nicht bereit, den Kampf für ein anderes System, d. h. für den Sturz des Kapitalismus, aufzunehmen. Das liegt zum Teil am mangelnden Wissen über die Gesamtsituation, aber noch mehr an fehlenden Perspektiven, also am Unvermögen, sich Alternativen vorzustellen. Hinzu kommt, dass das aktuelle soziale und politische Kräfteverhältnis zwischen den Klassen die Auseinandersetzung mit den Herrschenden und den Profiteuren der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht gerade erleichtert.
3.7. Andererseits hat ein Programm, das den Kapitalismus reformieren oder nach und nach überwinden will, wenig Aussicht auf Erfolg (vor allem dann, wenn es von oben kommt). Reformen, die die Logik des kapitalistischen Systems akzeptieren, sind ungeeignet, den Herausforderungen der ökologischen Krise zu begegnen. Und schrittweise Veränderungen in Wirtschaft und Staat haben noch nie zu einem Systemwechsel geführt. Die Besitzenden und die Profiteure des Kapitalismus werden nämlich nicht tatenlos zusehen, wie ihr Reichtum beschlagnahmt und ihren Möglichkeiten, sich zu bereichern, sukzessive die Grundlage entzogen wird.
3.8. Die Zeit drängt, deshalb sind dringende Maßnahmen erforderlich. Einige Gegner:innen des Ökosozialismus plädieren für sanfte Reformen, „weil wir nicht auf die Weltrevolution warten können“. Nun, die Anhänger:innen des Ökosozialismus haben nicht vor zu warten! Unsere Strategie ist es, JETZT mit konkreten Übergangsforderungen zu beginnen, um die globale Veränderung einzuleiten. Dabei handelt es sich nicht um getrennte historische Etappen, sondern um dialektische Momente in ein und demselben Prozess. Jeder Teilsieg, jeder Erfolg auf lokaler Ebene ist ein Schritt, der die Selbstorganisation der Bewegung stärkt und den Kampf um neue Siege beflügelt.
3.9. Die bevorstehenden Klassenkämpfe – unter Einbeziehung breiterer Schichten der Arbeiterklasse, der Jugend, der Frauen, der Indigenen usw. – sind die Voraussetzung für den Kampf um Hegemonie. Es muss deutlich werden, dass letztlich kein Weg an einem echten Systemwechsel und an der Machtfrage vorbeiführt. Die herrschende Klasse muss enteignet und politisch entmachtet werden.
Für ein antikapitalistisches Übergangsprogramm
3.10. Die Übergangsmethode wurde bereits von Marx und Engels im letzten Abschnitt des Kommunistischen Manifests (1848) vorgeschlagen. Aber es war die Vierte Internationale, die ihr im Übergangsprogramm von 1938 ihre moderne Bedeutung verliehen hat. Grundannahme ist die Notwendigkeit für Revolutionäre, die Massen im Verlauf der täglichen Kämpfe dabei zu unterstützen, eine Brücke zwischen unmittelbaren Forderungen und dem sozialistischen Programm für die Revolution zu schlagen. Diese Brücke besteht aus einem System an Übergangsforderungen, die sich aus den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ableiten lassen. Ziel ist es, die sozialen Kämpfe bis zur Eroberung der Macht durch das Proletariat voranzutreiben.
3.11. Es versteht sich von selbst, dass Revolutionäre das traditionelle Programm der „Minimal“-Forderungen nicht als irrelevant abtun. Selbstverständlich verteidigen sie die demokratischen Rechte und sozialen Errungenschaften der Arbeiter:innenschaft. Sie schlagen jedoch eine Reihe von Übergangsforderungen vor, die von den Ausgebeuteten und Entrechteten angemessen verstanden werden und sich gleichzeitig gegen die Grundlagen des bürgerlichen Regimes richten.
3.12. Die meisten der im Programm von 1938 genannten Übergangsforderungen sind auch heute noch aktuell: gleitende Lohnskala und gleitende Arbeitszeitskala; Arbeiterkontrolle in den Fabriken, Öffnung der „geheimen“ Konten der Unternehmen; Enteignung der Privatbanken; Enteignung bestimmter Gruppen von Kapitalisten, um nur einige zu nennen. Der Sinn solcher Vorschläge besteht darin, möglichst breite Schichten der Bevölkerung im Kampf um konkrete Forderungen zu vereinen, die im objektiven Widerspruch zu der Logik des kapitalistischen Systems stehen.
3.13. Wir müssen jedoch unser Programm der Übergangsforderungen aktualisieren, um den neuen Bedingungen des 21. Jahrhunderts Rechnung zu tragen, insbesondere der ökologischen Krise und der drohenden Gefahr eines katastrophalen Klimawandels. Heute müssen diese Forderungen eine sozial-ökologische und nach Möglichkeit eine ökosozialistische Substanz aufweisen.
3.14. Das Ziel der ökosozialistischen Übergangsforderungen ist strategisch: Es geht darum, große Teile der städtischen und ländlichen Arbeiter:innen, Frauen, Jugendliche, Opfer von Rassismus oder nationaler Unterdrückung sowie Gewerkschaften, soziale Bewegungen und linke Parteien für einen Kampf zu gewinnen, der das kapitalistische System und die bürgerliche Herrschaft herausfordert. Diese Forderungen verbinden soziale und ökologische Aspekte und müssen von den Ausgebeuteten und Unterdrückten je nach ihrem jeweiligen sozialen und politischen Bewusstseinsstand als notwendig, gerechtfertigt und relevant erachtet werden. In den Auseinandersetzungen werden sich die Menschen der Notwendigkeit bewusst, sich zu organisieren, sich zusammenzuschließen und zu kämpfen; und sie werden allmählich begreifen, wer der Feind ist: nicht nur lokale Machthaber, sondern das System selbst. Die ökosozialen Übergangsforderungen zielen darauf ab, das soziale und politische Bewusstsein der Ausgebeuteten und Unterdrückten, ihr antikapitalistisches Verständnis zu stärken und hoffentlich auch eine ökosozialistische revolutionäre Perspektive in den Kämpfen zu eröffnen.
3.15. Einige dieser Forderungen haben einen universellen Charakter: etwa die unentgeltliche Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Hier handelt es sich sowohl um eine ökologische als auch um eine soziale Forderung, die den Keim für eine ökosozialistische Zukunft enthält: öffentliche Dienstleistungen statt Markt und Gebührenfreiheit statt kapitalistischem Profit. Ihre strategische Bedeutung ist jedoch in den verschiedenen Gesellschaften und Volkswirtschaften nicht die gleiche. Ökosoziale Übergangsforderungen müssen je nach lokaler Ausprägung die Anliegen und Bedürfnisse der Massen in den verschiedenen Regionen des kapitalistischen Weltsystems berücksichtigen.
4. Grundzüge einer ökosozialistischen Alternative zum kapitalistischen Wachstum
Einl. 4.1. Die Befriedigung tatsächlicher sozialer Bedürfnisse unter Beachtung der ökologischen Grenzen ist nur möglich, wenn man mit der produktivistischen und konsumorientierten Logik des Kapitalismus bricht, welche die Ungleichheit vergrößert, Mensch und Natur schadet und die beiden einzigen „Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (Marx). Der Bruch mit dieser Logik bedeutet, vorrangig für die nachfolgend genannten Schwerpunkte zu kämpfen, die ein kohärentes Ganzes bilden, das je nach nationalen und regionalen Besonderheiten ergänzt und angepasst werden muss. Denn auf jedem Kontinent und in jedem Land müssen im Sinne des Übergangsprogramms spezifische Maßnahmen ergriffen werden.
4.1. Katastrophenschutz, öffentliche und an die sozialen Bedürfnisse angepasste Präventionspläne unter Kontrolle der Bevölkerung
Einige Auswirkungen der Klimakatastrophe (wie der Anstieg des Meeresspiegels) sind unumkehrbar oder werden lange anhalten (Hitzewellen, Dürreperioden, außergewöhnliche Niederschläge, heftigere Wirbelstürme usw.). Die kapitalistischen Versicherungsgesellschaften schützen die Bevölkerung nicht oder bestenfalls nur unzureichend. Angesichts dieser Geißeln haben die Wohlhabenden nur das Wort „Anpassung“ auf den Lippen. Die „Anpassung“ an die Erwärmung dient ihnen dazu, 1. von den strukturellen Ursachen abzulenken, für die ihr System verantwortlich ist; 2. ihre schädlichen Praktiken fortzusetzen, die auf maximalen Profit abzielen, ohne sich um langfristige Folgen zu kümmern sowie 3. den Kapitalisten neue Märkte zu erschließen (Infrastruktur, Klimaanlagen, Verkehr, Kohlenstoffkompensation usw.). Die technokratische und autoritäre kapitalistische „Anpassung“ wird vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change / Weltklimarat) als „Fehlanpassung“ bezeichnet. Sie verschärft Ungleichheit, Diskriminierung und Enteignung. Sie erhöht auch die Anfälligkeit für steigende Temperaturen und birgt das Risiko, die Möglichkeit einer echten Anpassung in Zukunft ernsthaft zu gefährden, insbesondere in den armen Ländern. Der kapitalistischen „Fehlanpassung“ setzen wir die sofortige Forderung nach öffentlichen und an die Lebenswelt der einfachen Bevölkerung angepassten Präventionsplänen entgegen. Diese ist schließlich Hauptleidtragende der extremen Wetterphänomene, insbesondere in den abhängigen Ländern. Diese Pläne müssen entsprechend ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenslage im Dialog mit der Wissenschaft entwickelt werden. Sie müssen alle Bereiche umfassen, insbesondere Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wohnungsbau, Wasserwirtschaft, Energie, Industrie, Arbeitsrecht, Gesundheit und Bildung. Sie müssen Gegenstand umfassender demokratischer Entscheidungsfindungsprozesse sein, mit einem Vetorecht für die betroffenen Gemeinden und für die arbeitende Bevölkerung.
4.2. Den Reichtum teilen, um kostenfrei für die Menschen und für unsere Umwelt zu sorgen
4.2.1. Qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, gute Bildung, gute Betreuung für Kleinkinder, ein würdiger Ruhestand und ein Pflegesystem, das den Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung trägt, zugänglicher, dauerhafter und angemessener Wohnraum, effiziente öffentliche Verkehrsmittel, erneuerbare Energien, gesunde Lebensmittel, sauberes Wasser, Internetzugang und eine natürliche Umwelt in gutem Zustand: Das sind die wirklichen Bedürfnisse, die eine Zivilisation, die diesen Namen verdient, für alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihren Überzeugungen, ausreichend erfüllen sollte. Das ist möglich – sogar bei gleichzeitig deutlicher Verringerung der globalen Belastung unserer Umwelt. Warum gibt es das alles nicht? Weil die Wirtschaft auf die Förderung des Konsums angelegt ist – gewissermaßen als industrielles Nebenprodukt des Kapitalismus. Im Interesse des Profits werden Investitionen und Konsum laufend gesteigert, die Kapitalisten eignen sich alle Ressourcen an und verwandeln alles in Waren. Ihre egoistische Logik sät Unglück und Tod.
4.2.2. Eine 180°-Wende ist erforderlich. Die natürlichen Ressourcen und das Wissen sind ein Gemeingut, das umsichtig und kollektiv verwaltet werden muss. Die Befriedigung tatsächlicher Bedürfnisse und die Wiederbelebung der Ökosysteme müssen demokratisch geplant und vom öffentlichen Sektor unter aktiver Kontrolle der breiten Bevölkerung mitgetragen werden, indem die kostenfreie Nutzung so weit wie möglich ausgeweitet wird. Dieses kollektive Projekt muss sich das wissenschaftliche Fachwissen zu Nutze machen. Der erste notwendige Schritt ist die Bekämpfung von Ungleichheit und Unterdrückung. Soziale Gerechtigkeit und ein gutes Leben für alle sind auch ökologische Forderungen!
4.3. Gegen Privatisierung und Vermarktung: Gemeingüter und öffentliche Dienste ausbauen
4.3.1. Hier handelt es sich um eine der Kernfragen eines sozialen und ökologischen Übergangs, und zwar in vielen Bereichen des Lebens. Zum Beispiel:
4.3.2. Wasser: Die derzeitigen Privatisierungen, der verschwenderische Verbrauch und die Verschmutzung von Wasser – Flüssen, Seen und unterirdischen Gewässern – sind eine soziale und ökologische Katastrophe. Wasserknappheit und Überschwemmungen aufgrund des Klimawandels stellen eine enorme Bedrohung für Milliarden von Menschen dar. Wasser ist ein Gemeingut und sollte daher von öffentlichen Einrichtungen unter Kontrolle der Verbraucher:innen verwaltet und verteilt werden. Landschaften und Städte sollten wasserdurchlässig gemacht werden und imstande sein, Wasser zu speichern, um massive Überschwemmungen zu vermeiden.
4.3.3. Wohnen: Das Grundrecht aller Menschen auf angemessenen, dauerhaften und ökologisch nachhaltigen Wohnraum kann im Kapitalismus nicht gewährleistet werden. Das Gesetz des Profits bringt Zwangsräumungen, den Abriss von Gebäuden und die Kriminalisierung derjenigen mit sich, die sich dagegen wehren, aber auch hohe Energiekosten für die Armen und subventionierte erneuerbare Energie für die Reichen. Die öffentliche Kontrolle des Immobilienmarktes, die Senkung und das Einfrieren der Zinsen und Profite der Banken, der radikale Ausbau von gutem, öffentlichem, sozialem und genossenschaftlichem Wohnraum, die Wärmedämmung von Häusern durch die öffentliche Hand und ein umfangreiches Programm zum Bau von energetisch autonomen Gebäuden sind der erste Schritt einer alternativen Politik.
4.3.4. Gesundheit: Die Schlussfolgerungen aus der COVID-19-Pandemie sind glasklar: Privatisierungen und Kürzungen im Pflegebereich gefährden die breite Bevölkerung – insbesondere Kinder, Frauen und ältere Menschen – und stellen eine beträchtliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit im Allgemeinen dar. Dieser Sektor muss massiv refinanziert und vollständig in die Hände der Allgemeinheit gelegt werden. Investitionen müssen vorrangig in die Prävention fließen. Die Pharmaindustrie muss vergesellschaftet werden.
4.3.5. Transport: Der Kapitalismus privilegiert im Personenverkehr das Privatauto, was schwerwiegende gesundheitliche und ökologische Folgen hat. Die Alternative dazu ist ein breit angelegtes und effizientes System der kostenlosen Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie die massive Ausweitung von Fußgänger- und Radfahrerzonen. Derzeit werden Güter über große Entfernungen mit Lastwagen oder Containerschiffen transportiert, was enorme Gasemissionen verursacht; daher sind die Reduktion des verschwenderischen Verbrauchs und die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene dringend erforderlich. Der Flugverkehr sollte erheblich reduziert und für Entfernungen, die auch mit der Bahn zurückgelegt werden können, gänzlich abgeschafft werden.
4.4. Das Geld dort nehmen, wo es ist: Die Kapitalisten und die Reichen müssen zahlen.
Eine globale Übergangsstrategie, die diesen Namen verdient, muss den Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien, den Schutz vor den bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Entschädigung für Verluste und Schäden, die Unterstützung bei der Umstellung (insbesondere garantierte Einkommen für die betroffenen Beschäftigten) und die Wiederherstellung der Ökosysteme zum Ziel haben. Bis zum Jahr 2050 werden dafür mehrere Billionen Dollar benötigt. Wer soll das bezahlen? Diejenigen, die für die Katastrophe verantwortlich sind: multinationale Unternehmen, Banken, Pensionsfonds, imperialistische Staaten und die Reichen des Nordens und des Südens. Die ökosozialistische Alternative erfordert ein umfassendes Programm zur Steuerreform und zum radikalen Abbau von Ungleichheit, um das Geld dort zu holen, wo es ist: durch progressive Besteuerung, Aufhebung des Bankgeheimnisses, ein einsehbares Kataster des Landbesitzes, die Besteuerung von Vermögenswerten, eine außerordentliche Sondersteuer mit hohem Steuersatz auf das Erbe von Landbesitz, die Beseitigung von Steueroasen, Abschaffung der Steuerprivilegien für Unternehmen und Reiche, Öffnung der Geschäftsbücher von Unternehmen, Deckelung hoher Einkommen, Abschaffung von als „illegitim“ anerkannten öffentlichen Schulden (ohne Entschädigung, außer für Kleinanleger:innen), Entschädigung der abhängigen Länder für die Kosten des Verzichts auf die Ausbeutung ihrer fossilen Ressourcen (etwa das Yasuni-Park-Projekt) durch reiche Länder.
4.5. Keine Emanzipation ohne antirassistischen Kampf
Rassistische Unterdrückung ist ein struktureller und strukturierender Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Sie sorgte für die ursprüngliche Kapitalakkumulation durch Kolonisierung und den Handel mit versklavten Schwarzen.
Um eine neue, von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung freie Welt aufzubauen, müssen wir den Kampf gegen Rassismus als zentrales Element der ökosozialistischen Strategie verstehen. Wir müssen anerkennen, dass Rassismus gesellschaftliche Verhältnisse prägt und dazu dient, die Mechanismen der Ausbeutung durch die Bourgeoisie und die Anhäufung von Reichtum zu stärken und komplexer zu gestalten. Daher wird Vielfalt, die von der weißen Norm abweicht, unterdrückt.
Die erzwungene Diaspora von Millionen von Afrikaner:innen, ihre Umwandlung in eine Ware, ihre Kommerzialisierung auf dem amerikanischen Kontinent und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sorgten für die Bereicherung Europas und sichern auch heute noch die Privilegien der Eliten. Es gilt, mit der völkermörderischen Logik gegen nicht-weiße Gruppen zu brechen und den Kampf gegen Gefängnisse und die massenhafte Inhaftierung nicht-weißer Personen aufzunehmen. Hohe Haftstrafen für bestimmte Gruppen sind eine Begleiterscheinung des absurden Kriegs gegen Drogen, mit dem sich im Sinn der neoliberalen Taktik die völkermörderische Politik gegen sozial und rassistisch unterdrückte Bevölkerungsgruppen rechtfertigen lässt.
Der Kampf gegen die Militarisierung der Polizei muss im Mittelpunkt eines antirassistischen Kampfes stehen, aber auch der Zugang zu angemessenen Lebensbedingungen für alle.
Rassismus ist bis heute ein zentraler Mechanismus der Unterdrückung von Teilen der Arbeiterklasse. Er äußert sich in einem ausgeklügelten System von Zugangsmöglichkeiten und Beschränkungen, das sich ausschließlich an weißen Menschen orientiert, die als vermeintlich universelles Subjekt definiert werden. Für alle anderen – die rassistisch abgewerteten Menschen – gelten andere Regeln.
Es ist notwendig, sich gegen jegliche Austeritätspolitik zu stellen, da sie die Arbeiterklasse insgesamt ins Prekariat abdrängt, aber vor allem nicht-weiße Menschen verstärkt trifft. Damit wird auch die Umweltpolitik rassistisch, denn im Zuge der Klimakrise werden die tödlichen Folgen der kapitalistischen Produktion ungleich verteilt.
4.6. Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit auf der Erde! Niemand ist illegal!
Die Umweltkatastrophe ist ein Motor, der die Migration rasant beschleunigt. Zwischen 2008 und 2016 wurden im Jahresdurchschnitt 21,5 Millionen Menschen durch wetterbedingte Ereignisse zwangsumgesiedelt. Die meisten von ihnen sind arme Menschen aus armen Ländern. Es wird erwartet, dass die durch den Klimawandel ausgelöste Migration in den kommenden Jahrzehnten stark zunehmen wird. Bis 2050 könnten weltweit 1,2 Milliarden Menschen vertrieben werden. Anders als Asylsuchende haben „Klimaflüchtlinge“ keinen legalen Status. Sie tragen keine Verantwortung für die ökologische Katastrophe, aber der eigentliche Verursacher – das kapitalistische System – zwingt sie, die Schar der 108,4 Millionen Menschen weiter zu vergrößern, die im Jahr 2020 weltweit aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zwangsumgesiedelt wurden. Die Grundrechte dieser Menschen – das Recht auf Schutz vor Gewalt, auf ausreichend Wasser und Nahrung, auf sichere Unterkunft, auf Familienleben und auf einen angemessenen Arbeitsplatz – sind ständigen Angriffen ausgesetzt. Eine wachsende Zahl (10 Millionen) wird sogar von der UNHCR als staatenlos eingestuft. All das steht im Widerspruch zu elementarster Gerechtigkeit und spielt den Faschisten in die Hände, die Migrant:innen zum Sündenbock machen und ihnen das Menschsein absprechen. Das ist eine immense Bedrohung für die demokratischen und sozialen Rechte aller Menschen. Als Internationalist:innen kämpfen wir gegen das Kapital, nicht für eine restriktive Politik gegen Migrant:innen. Wir sind gegen den Bau von Mauern, die Internierung in speziellen Zentren, den Bau von Lagern, gegen Ausweisungen, Abschiebungen und gegen eine rassistische Rhetorik. Niemand ist illegal auf der Welt, alle müssen das Recht haben, sich frei zu bewegen. Die Grenzen müssen für alle offen sein, die aus ihrem Land fliehen, sei es aus sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen.
4.7. Unnötige und schädliche Wirtschaftszweige abschaffen
Um die Klimakatastrophe und den Rückgang der Artenvielfalt zu verhindern, muss der Endenergieverbrauch auf globaler Ebene umgehend und spürbar reduziert werden. Daran führt kein Weg vorbei. Zu den ersten Schritten gehören die drastische Verringerung der Kaufkraft der Reichen, der Verzicht auf Fast Fashion, auf Werbung und Luxusprodukte bzw. Luxuskonsum (Kreuzfahrten, Yachten, Privatjets oder Privathubschrauber, Weltraumtourismus usw.) sowie die Einschränkung der Massenproduktion von Fleisch und Milchprodukten und die Beendigung der programmierten Obsoleszenz von Produkten, also die Verlängerung ihrer Lebensdauer und eine einfachere Reparatur. Gütertransporte auf dem Luft- und Seeweg sollten durch Produktionsverlagerungen drastisch reduziert und durch den Schienenverkehr ersetzt werden, wo immer das möglich ist. Strukturell gesehen sind Einschränkungen beim Energieverbrauch nur dann realistisch, wenn nutzlose und schädliche wirtschaftliche Tätigkeiten so schnell wie möglich reduziert werden. Dabei sind vor allem folgende Produktionszweige zu berücksichtigen: die Waffenproduktion, fossile Energie und Petrochemie, die extraktive Industrie, nicht-nachhaltige Produktionsweisen, die Holz- und Zellstoffindustrie, der Bau von Personenkraftwagen, Flugzeuge und Schiffbau.
4.8. Ernährungssouveränität! Raus aus der Agrarindustrie, der industriellen Fischerei und der Fleischindustrie
Diese drei Wirtschaftssektoren stellen eine ernsthafte Bedrohung für das Klima, die Gesundheit der Menschen und die Artenvielfalt dar. Ihre Beseitigung erfordert Maßnahmen im Bereich der Produktion, aber auch erhebliche Veränderungen des Konsumverhaltens (in den Industrieländern und bei den Reichen in allen Ländern) sowie eine andere Beziehung zu allen Lebewesen. Es bedarf einer proaktiven Politik, um die Entwaldung aufzuhalten und die Agrarindustrie, die industriellen Baumplantagen und die Großfischerei durch kleinbäuerliche Agrarökologie, Ökoforstwirtschaft bzw. Kleinfischerei zu ersetzen, die weniger Energie verbrauchen, mehr Arbeitskräfte beschäftigen und wesentlich mehr Rücksicht auf die Artenvielfalt nehmen. Kleinbauern/bäuerinnen und Fischer:innen sind von der Allgemeinheit angemessen zu entschädigen, nicht nur für ihren Beitrag zur menschlichen Ernährung, sondern auch aus ökologischen Gründen. Die Rechte der indigenen Völker auf den Wald und andere Ökosysteme müssen geschützt und der weltweite Fleischkonsum muss drastisch reduziert werden. Dafür braucht es gravierende Einschnitte bei der Fleisch- und Milchindustrie und die Förderung einer Ernährungsweise, die vorwiegend auf lokaler Gemüseproduktion beruht. So lässt sich auch die unwürdige Behandlung von Tieren in der Fleischindustrie und in der industriellen Fischerei beenden. Vorrangiges Ziel ist die Ernährungssouveränität im Sinne der Vorschläge von Via Campesina. Das erfordert eine radikale Agrarreform: das Land denjenigen, die es bearbeiten, insbesondere den Frauen; Enteignung der Großgrundbesitzer und der kapitalistischen Agrarindustrie, die Waren für den Weltmarkt produzieren; Verteilung von Land an Kleinbauern/bäuerinnen und Landlose (Familien oder Genossenschaften) zugunsten einer biologischen Landwirtschaft; Verbot alter und neuer Kulturen gentechnisch veränderter Organismen (GVO) im Freiland und giftiger Pestizide (angefangen bei denjenigen, deren Verwendung in den imperialistischen Ländern verboten, deren Export in die abhängigen Länder jedoch zugelassen ist).
4.9. Umbau der Städte im Interesse der Menschen
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in immer größeren Städten. Gleichzeitig entvölkern sich die ländlichen Regionen; sie werden durch die Agrarindustrie und den Bergbau zugrunde gerichtet und sind zunehmend von den elementarsten Dienstleistungen abgeschnitten. Einige der größten Megastädte der Welt (Jakarta, Manila, Mexiko-Stadt, Neu-Delhi, Bombay, São Paulo und andere) befinden sich in den abhängigen Ländern; die Zahl der Obdachlosen und der Slums, in denen Millionen von Menschen (um Karachi, Nairobi, Bagdad…) unter unwürdigen Bedingungen leben und (im informellen Sektor) arbeiten, nimmt weiter zu. Das ist eine der schlimmsten Folgen der kapitalistischen Entwicklung und der imperialistischen Herrschaft. Neben der Gewalt erschweren Hitzewellen das Überleben in den Slums und Armenvierteln, vor allem in feuchten Klimazonen. Die ökosozialistische Alternative steht für ein umfangreiches Programm für sozialen Wohnungsbau, begleitet von einer Stadtplanung im Interesse der Menschen und unter Mitwirkung von Verbänden der Wohnungslosen, um das Leben in den Großstädten neu zu gestalten. Das erfordert einerseits eine Arbeitsgesetzgebung zum Schutz der Beschäftigten und andererseits eine attraktive Agrarreform, um eine Gegenbewegung zur Landflucht in Gang zu setzen.
4.10. Energie und Finanzsektor ohne Entschädigung oder Rückkaufoptionen vergesellschaften, um so schnell wie möglich aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft auszusteigen
Die Energiemultis und die Banken, die sie finanzieren, wollen jede Tonne Kohle, jeden Liter Öl und jeden Kubikmeter Gas bis zum Ende ausbeuten. Zuerst haben sie die Auswirkungen des CO2 auf den Klimawandel verschwiegen und geleugnet. Heute versprechen sie alle möglichen Scheintechnologien (Greenwashing, Tausch von „Verschmutzungsrechten“, „Emissionsausgleich“, „Kohlenstoffabscheidung, -sequestrierung und -verwertung“) und preisen die Kernenergie als „kohlenstoffarm“ an, um die Plünderung der Ressourcen ungehindert fortzusetzen, wobei ihnen die großen Preissteigerungen gigantische Extraprofite sichern. Es besteht kein Zweifel: Diese profitgierigen Konzerne stürzen den Planeten über die Klimatragödie in die nicht mehr beherrschbare erdgeschichtliche Katastrophe. Gleichzeitig stehen sie an der Spitze der kapitalistischen Angriffe auf die Arbeiterklasse. Daher ist ihre Vergesellschaftung durch Enteignung ein Gebot der Stunde, und zwar ohne Entschädigung und ohne Rückkaufoptionen. Um die soziale und ökologische Zerstörung abzuwenden und unsere Zukunft gemeinsam in die Hand zu nehmen, ist nichts dringender als die Schaffung eines dezentralisierten und vernetzten öffentlichen Energie- und Kreditsektors unter demokratischer Kontrolle der Bevölkerung.
4.11. Für die Befreiung und die Selbstbestimmung der Völker; gegen Krieg, Imperialismus und Kolonialismus
Wir vertreten ein internationalistisches Programm auf Grundlage sozialer Gerechtigkeit; wir treten gemeinsam mit fortschrittlichen Kräften für einen ökosozialistischen Wandel und für den Frieden zwischen den Völkern ein. Wir wenden uns gegen jegliche Politik der Unterdrückung. Deshalb sind wir gegen die NATO und andere Militärbündnisse, die die Welt in neue Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten treiben. Wir kämpfen gegen die Erhöhung der Militärbudgets, für ein Ende der Rüstungsproduktion und für die Vernichtung aller Bestände an nuklearen, chemischen, bakteriologischen und Cyberwaffen sowie für die Zerschlagung aller privaten Rüstungskonzerne. Waffen dürfen keine Ware sein; ihr Einsatz darf ausschließlich unter politischer Kontrolle zum Zweck der Verteidigung und des Schutzes vor Aggression erfolgen.
Der einzige Weg zum Frieden führt über den siegreichen Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung und für die Beendigung von Landraub und ethnischer Säuberung. Als Internationalist:innen sind wir solidarisch mit allen Unterdrückten, die für ihre Rechte kämpfen, vor allem in Palästina und in der Ukraine.
4.12. Beschäftigungsgarantie für alle, Gewährleistung der notwendigen Umschulung auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten
Es darf nicht sein, dass Menschen, die in nicht-nachhaltigen und schädlichen Branchen (Förderung fossiler Brennstoffe, Agrarindustrie, Großfischerei, Fleischindustrie) beschäftigt sind, den Preis für das kapitalistische Management zahlen. Es muss eine Garantie für den Umstieg auf grüne Arbeitsplätze geben, damit es während der gesamten Umschulung auf Tätigkeiten im öffentlichen Interesse, zur Deckung der tatsächlichen Bedürfnisse und zur Wiederherstellung der Ökosysteme zu keinen Einkommensverlusten kommt. Eine solche Garantie wird die berechtigten Ängste der betroffenen Beschäftigten zerstreuen und der zynischen Instrumentalisierung dieser Ängste durch die Kapitalisten im Interesse ihrer produktivistischen und konsumfixierten Ambitionen den Wind aus den Segeln nehmen. Eine grüne Arbeitsplatzgarantie wird die Beschäftigten in den aussterbenden Branchen ermutigen, sich fortzubilden und sich aktiv und im Dialog mit der Öffentlichkeit an der Umsetzung eines grünen Programms zu beteiligen, das allen zugutekommt. Dabei werden sie ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrung in eine sinnstiftende, emanzipatorische, wahrhaft menschliche, weil auf das Leben künftiger Generationen gerichtete Arbeit einbringen können.
4.13. Weniger und besser arbeiten, ein gutes Leben führen
Eine radikale Verringerung des Endenergieverbrauchs durch Vermeidung nutzloser und schädlicher Produktion / Konsumption hat logischerweise eine radikale Verkürzung der Zeit für bezahlte gesellschaftliche Arbeit zur Folge. Diese Verringerung muss für alle gelten. Die kapitalistische Verschwendung hat ein Ausmaß erreicht, dass durch ihre Beseitigung eine beträchtliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit (bis um die Hälfte) und eine erhebliche Senkung des Rentenalters ohne Zweifel realistisch sind. Diese Tendenz wird teilweise durch eine ebenfalls notwendige Reduktion der Arbeitsintensität sowie durch die Zunahme der erforderlichen sozialen und ökologischen Reproduktionsarbeit ausgeglichen werden (Kinder- und Altenbetreuung – einschließlich der Vergesellschaftung eines Teils der überwiegend von Frauen unentgeltlich geleisteten Hausarbeit – und Schutz der Ökosysteme). Eine demokratische Planung wird für die schrittweise Realisierung dieser Vorhaben unerlässlich sein. Der ökosozialistische Bruch mit dem kapitalistischen Wachstum geht mit einer doppelten Transformation der Arbeitswelt einher. Quantitativ werden wir weit weniger arbeiten. Qualitativ wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Arbeit zu einer Tätigkeit des guten Lebens wird – eine bewusste Vermittlung zwischen den Menschen (also auch zwischen Männern und Frauen) und zwischen den Menschen und der nicht-menschlichen Natur. Diese tiefgreifende Umgestaltung von Arbeit und Leben wird Änderungen beim Konsum mehr als ausgleichen. Das betrifft in erster Linie die am besten bezahlten Schichten der Arbeiterklasse, vor allem in den entwickelten Ländern.
4.14. Das Recht der Frauen über ihren eigenen Körper garantieren
Die Menschheit wird nicht in der Lage sein, ihre Beziehung zur nicht-menschlichen Natur bewusst zu gestalten, ohne ihre Beziehung zu sich selbst bewusst zu gestalten. Das betrifft die eigene biologische Reproduktion durch den Körper der Frau. Es ist kein Zufall, dass die patriarchalen Angriffe auf die Rechte der Frauen überall zunehmen, denn diese Angriffe sind integraler Bestandteil von politischen Projekten, die darauf abzielen, die Herrschaft der Reichen und der Kapitalisten zu konsolidieren. Sie erfolgen meist im Namen einer reaktionären „Pro-Life“-Ideologie, die im Übrigen auch den menschengemachten Klimawandel leugnet. Neben diesen reaktionären Kräften gibt es aber auch technokratische Strömungen, die die ökologische Krise auf die „Überbevölkerung“ schieben und so versuchen, eine autoritäre Politik der Geburtenkontrolle durchzusetzen. Angesichts dieser doppelten Bedrohung halten wir daran fest, dass keine Moral, kein höherer Grund, auch kein ökologischer, geltend gemacht werden kann, um Frauen ihr elementares Recht abzusprechen, über ihre eigene Fruchtbarkeit zu bestimmen. Die Verweigerung dieses Rechts unterscheidet sich nicht von allen anderen Herrschaftsmechanismen zum Nutzen des Patriarchats in seiner derzeitigen kapitalistischen Gestalt – einschließlich der „menschlichen Herrschaft“ über die nicht-menschliche Natur. Es gibt keine menschliche Emanzipation ohne Frauenemanzipation. Das bedeutet in erster Linie, dass Frauen freien Zugang zu Verhütungsmitteln (einschließlich Aufklärung über ihre Anwendung), Abtreibung und allgemein zu reproduktiver Gesundheitsversorgung haben müssen.
4.15. Wissen ist ein gemeinsames Gut. Reform des Bildungswesens und der Forschung
Wissen ist ein gemeinsames Gut der Menschheit. Die Umsetzung des ökosozialistischen Sofortprogramms erfordert umgehend die Befreiung des Wissens von neokolonialen und Kapitalinteressen – mit Hilfe einer großen Zahl an gut ausgebildeten Lehrer:innen und Forscher:innen aller Disziplinen. Es geht um eine Reform des Bildungswesens, den Ausbau öffentlicher Schulen und Universitäten und das Ende jeglicher Diskriminierung im Bildungswesen, der in einigen Ländern vor allem Mädchen zum Opfer fallen. Indigenes Wissen und Know-how müssen anerkannt und herangezogen werden. In der Forschung sind weitreichende Reformen erforderlich, um ihrer Unterwerfung unter das Kapital ein Ende zu setzen. Der Schwerpunkt muss dabei auf der Wiederherstellung der Ökosysteme und auf der Befriedigung der Bedürfnisse der arbeitenden Klassen liegen – und zwar in Absprache mit den Betroffenen.
4.16. Hände weg von den demokratischen Rechten! Kontrolle durch die Bevölkerung und Selbstorganisation der Kämpfe
Da die herrschende Klasse nicht in der Lage ist, die von ihr verursachte ökologische Katastrophe einzudämmen, verhärtet sie ihr Regime, kriminalisiert den Widerstand und benennt Sündenböcke. Ihre Politik ebnet den Weg für einen nihilistischen, nationalistischen, rassistischen und machistischen Neofaschismus. Während die Bourgeoisie ihre Maske fallen lässt, tritt der Ökosozialismus für eine Erweiterung der Rechte und Freiheiten ein: Vereinigungs- und Demonstrationsrecht, Streikrecht; freie Wahl der parlamentarischen Organe in einem Mehrparteiensystem, Verbot der privaten Finanzierung politischer Parteien, Legalisierung von Basisinitiativen zur Abhaltung von Volksabstimmungen, Abschaffung undemokratischer Institutionen (etwa einer autonomen Zentralbank); Verbot des Privateigentums an den wichtigsten Kommunikationsmitteln; Abschaffung der Zensur; für den Kampf gegen die Korruption, für die Auflösung privater Milizen, die Achtung der Rechte und Territorien der indigenen Gemeinschaften und anderer unterdrückter Völker, usw. Eine ökosozialistische Gesellschaft lässt sich nicht ohne breiteste Demokratie verwirklichen. All das lässt sich am besten vorbereiten über die demokratische Selbstorganisation von Basisbewegungen und die Forderung nach Transparenz und Kontrolle auf allen Ebenen, inkl. Vetorechten der Bevölkerung.
4.17. Für eine Kulturrevolution in Einklang mit der Achtung vor dem Leben und der „Liebe zur Mutter Erde“
Ein radikaler Bruch mit der Ideologie der Herrschaft des Menschen über die Natur ist für die Entwicklung einer ökologischen und (öko)feministischen Kultur der „Fürsorge“ für Mensch und Umwelt unerlässlich. Insbesondere der Schutz der Artenvielfalt kann sich nicht allein auf die Vernunft (das menschliche Interesse im engeren Sinn) verlassen. Hier sind auch Einfühlungsvermögen, Respekt, Umsicht und eine globale Sichtweise, die von den indigenen Völkern mit dem Begriff „Liebe zur Mutter Erde“ zum Ausdruck gebracht wird, vonnöten. Die Aufrechterhaltung oder Wiederaneignung dieser Weltsicht – in den Kämpfen, im künstlerischen Schaffen, über Bildung sowie durch Produktions-/Konsumalternativen – stellt eine enorme ideologische Herausforderung im ökosozialistischen Kampf dar. In der westlichen Moderne hat sich die Vorstellung vom Menschen als göttliches Wesen durchgesetzt, der den Auftrag hat, die Natur zu beherrschen und andere Tiere zum eigenen Vorteil zu nutzen und auf eine Stufe mit Maschinen zu stellen. Diese nicht-materialistische Konzeption, die eng mit kolonialen und patriarchalen Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, wird durch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt. Wir sind Teil der lebendigen Erde, wir sind auch Tiere; und menschliches Leben wäre ohne Pflanzen und ohne die anderen Tiere, ohne das Netzwerk des Lebens auf diesem Planeten nicht denkbar.
4.18. Selbstverwaltete ökosozialistische Planung
Der ökosozialistische Übergang, insbesondere die Umwandlung des Energiesektors (Ausstieg aus der Atomenergie und fossilen Brennstoffen, Energieeinsparung und Ausbau der erneuerbaren Energien) muss geplant werden. Im Gegensatz zu gängigen Behauptungen steht Planung nicht im Widerspruch zu Demokratie und Selbstverwaltung. Das katastrophale Beispiel der Länder des so genannten „real existierenden Sozialismus“ zeigt lediglich, dass Selbstverwaltung unvereinbar ist mit einer autoritären, bürokratischen und von oben verordneten Planung, die alle demokratischen Grundsätze missachtet. Was verstehen wir also unter demokratischer ökosozialistischer Planung? Konkret bedeutet das, dass es Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, die Prioritäten der Produktion und die Höhe der Mittel, die in Bildung, Gesundheit oder Kultur fließen müssen, demokratisch festzulegen. Weit davon entfernt, „despotisch“ zu sein, bedeutet demokratische ökosozialistische Planung in der Praxis Entscheidungsfreiheit auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der lokalen über die nationale bis zur globalen. Das ist unerlässlich, um sich von den entfremdeten und verdinglichten „ökonomischen Gesetzen“ und „eisernen Käfigen“ der kapitalistischen und bürokratischen Strukturen zu befreien. Eine demokratische Planung, verbunden mit einer Verkürzung der Arbeitszeit, wäre ein beträchtlicher Fortschritt der Menschheit in Richtung dessen, was Marx „das Reich der Freiheit“ genannt hat. Mehr Freizeit ist zweifellos eine Voraussetzung für die Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung an demokratischen Diskussionen und an der Selbstverwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Dabei geht es um relevante wirtschaftliche Entscheidungen, also nicht um lokale Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, kleine Läden und Handwerksbetriebe. Ebenso wichtig ist es zu betonen, dass ökosozialistische Planung nicht im Widerspruch zur Selbstverwaltung der Beschäftigten in ihren Produktionseinheiten steht. Selbstverwaltung bedeutet demokratische Kontrolle der Planung auf allen Ebenen – lokal, regional, national, kontinental und global, da ökologische Fragen wie der Klimawandel sich global stellen und nur auf dieser Ebene angegangen werden können. Eine ökosozialistische demokratische Planung steht im Gegensatz zu dem, was oft als „zentrale Planung“ bezeichnet wird, weil Entscheidungen eben nicht von einem „Zentrum“ getroffen werden, sondern demokratisch und gemäß dem Subsidiaritätsprinzip von den jeweils betroffenen Menschen. Die Verantwortung für erforderliche öffentliche Maßnahmen muss der jeweils kleinsten Einheit übertragen werden, die in der Lage ist, das Problem selbst zu lösen.
5. Globales Degrowth im Rahmen der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung
5.1. Es wird keine Lösung auf nationaler Ebene geben, denn eine gerechte ökosozialistische Alternative kann zwar in einem Land beginnen, aber ihre vollständige Umsetzung erfordert die Abschaffung des Kapitalismus auf globaler Ebene. Daher brauchen die Ausgebeuteten und Unterdrückten eine konsequente antikapitalistische, antiimperialistische, antirassistische und internationalistische Strategie, die eine globale Lösung anstrebt. Eine solche Strategie muss die Kämpfe zusammenführen, die sich unter extrem unterschiedlichen Bedingungen entfalten. Die Eckpfeiler eines ökosozialistischen Programms (Bruch mit dem kapitalistischen Wachstum) gelten zwar überall auf der Welt; allerdings sind in jedem Land andere Schwerpunkte zu setzen. Je nach ihrer Rolle in der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung des Kapitalismus unter imperialistischer Herrschaft sind manche Forderungen in einigen Ländern dringlicher als in anderen.
5.2. Nach Jahrhunderten der Sklaverei und der kolonialen Ausplünderung sind die Menschen in den so genannten „Entwicklungsländern“ Opfer einer neuen himmelschreienden Ungerechtigkeit. Obwohl ihr Anteil an den Treibhausgasemissionen minimal ist (in den allerärmsten Ländern sogar nahe Null), werden sie am stärksten von den Katastrophen betroffen, die das imperialistisch-kapitalistische Wachstum in den letzten zweihundert Jahren an Klimaveränderung verursacht hat.
5.3. In Afrika, Lateinamerika, Süd- und Südostasien sowie im Pazifik lebt die große Mehrheit der 3,5 Milliarden Frauen, Männer und Kinder, deren Lebensbedingungen, um nicht zu sagen deren Existenz, bereits heute von den Folgen der globalen Erwärmung dramatisch beeinträchtigt werden. Die Zeit ist knapp und wird immer knapper. Je mehr die Temperaturen steigen, desto weniger können sich die Menschen vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung schützen. Dürren, Überschwemmungen, Taifune, tödliche Hitzewellen und Schäden an den Ökosystemen bedrohen kurz- und mittelfristig das Überleben von Millionen von Menschen, ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Grundrechte.
5.4. Die Menschen in den abhängigen Ländern – immerhin die Mehrheit der Weltbevölkerung – haben ein Grundrecht auf menschenwürdige Lebensbedingungen. Imperialistische Regierungen, internationale Institutionen und die Regierungen der peripheren Länder behaupten, dass kapitalistisches Wachstum die Menschen im Süden in die Lage versetzen wird, den Lebensstandard der entwickelten kapitalistischen Länder „einzuholen“. Alles, was es braucht, ist eine „gute Regierungsführung“, um die Gesellschaft an die Bedürfnisse des globalen Marktes „anzupassen“. Das ist eine Sackgasse, denn die Schere (zwischen den Ländern und zunehmend auch innerhalb eines Landes) geht immer weiter auseinander, während das mit 1,5°C kompatible „Kohlenstoffbudget“ rasch schwindet.
5.5. Das imperialistische Entwicklungsmodell zwingt die abhängigen Länder in eine neokoloniale Position der Unterordnung. Diese Länder werden als Lieferanten von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften, als Produzenten von pflanzlichen und tierischen Gütern für den Export und als Müllabladeplätze – unter anderem als Kohlenstoffsenken, die sich die Kapitalisten für ihren Profit aneignen – missbraucht. Sie sind das erste Opfer der ökologischen Krise. Hinzu kommt neuerdings die skandalöse Politik der Industrieländer, die abhängigen Länder dafür zu bezahlen, die Rolle der Grenzpolizei zu spielen. Dafür sind auch die lokalen korrupten „Eliten“ verantwortlich. Anstatt eine Entwicklung auf Grundlage alternativer sozialer Werte voranzutreiben, stellen sie sich in den Dienst des Imperialismus.
5.6. Das Gerede vom „Aufholen des Nordens durch den Süden“ ist bloß eine Schimäre, ein Ablenkungsmanöver, um die Fortsetzung der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutung und die wachsende Ungleichheit zu verschleiern. Mit der Zunahme von Umweltkatastrophen verliert dieses Gerede objektiv jegliche Glaubwürdigkeit.
5.7. Die multipolare Welt der BRICS ist keine Alternative zum Imperialismus, wie die Politik Russlands und Chinas, der beiden Hauptakteure dieser geostrategischen Allianz, zeigt. Ihre autokratischen Führer sind nicht gegen die imperialistischen und repressiven Praktiken des „klassischen“ westlichen Imperialismus – sie wollen bloß die gleichen Rechte haben. Sie stoßen sich auch nicht an der Diskrepanz zwischen den formalen Rechten und der Realität in den westlichen Gesellschaften, sondern lehnen diese Rechte (von Arbeiter:innen, Frauen, LGBTQ+ usw.) grundsätzlich ab. Putin will mit Gewalt und Zwang wieder ein Kolonialreich errichten. Unter Ausnutzung der riesigen Reserven an fossilen Brennstoffen sucht er Allianzen mit den Ölmonarchien, mit anderen Diktaturen und mächtigen Akteuren der Energiewirtschaft sowie mit dem organisierten Verbrechen, um die fossilen Brennstoffe so lange wie möglich auszubeuten. Die Kommunistische Partei Chinas erklärt den Ländern des Südens, dass sie die Herrschaft abschütteln und sich entwickeln können, wenn sie den Neuen Seidenstraßen beitreten, aber ihr Streben nach globaler kapitalistischer Hegemonie ist eine der Haupttriebkräfte der ökologischen Zerstörung und der Akkumulation durch Enteignung.
5.8. Jetzt ist nicht die Zeit zum „Aufholen“, sondern zum globalen Teilen. Die große Mehrheit der arbeitenden Menschen, der Frauen, der Jugend, der ethnischen Minderheiten – im „Norden“ wie in den abhängigen Ländern – ist Opfer des Klimawandels. Laut wissenschaftlicher Analyse der Klimapolitik wird das reichste Prozent bis 2030 noch mehr CO2 ausstoßen, die armen 50 % werden etwas mehr ausstoßen, aber weit unter dem Niveau der individuellen Emissionen bleiben, das mit 1,5°C vereinbar ist, und der größte Teil der Emissionsreduktion wird auf die mittleren 40 % entfallen (wobei den unteren Einkommensschichten in den reichen Ländern vergleichsweise die größte Last aufgebürdet wird). Das ist der Ausgangspunkt für den internationalen Kampf um Gerechtigkeit und Gleichheit. Das noch vorhandene bescheidene Kohlenstoffbudget muss und kann entsprechend den historischen Verantwortlichkeiten und Kapazitäten aufgeteilt werden – und zwar nicht nur zwischen einzelnen Ländern, sondern zunehmend auch zwischen den Klassen. Bodenschätze und der Reichtum der Artenvielfalt müssen sorgfältig und entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen aller genutzt werden.
5.9. Die Kapitalisten in den imperialistischen Ländern sind mit Abstand die Hauptverantwortlichen für die ökologische Krise und müssen daher für die Folgen aufkommen. Die Kosten müssen jedoch auch von Ländern wie den „Ölmonarchien“, Russland und China bezahlt werden, obwohl ihre historische Verantwortung geringer ist. Die größten Anstrengungen im Sinn eines raschen Rückgangs aller nutzlosen bzw. schädlichen Produktionen müssen die Industrieländer des „Nordens“ – Europa, Nordamerika, Australien, Japan – unternehmen. Sie haben auch die Pflicht, den abhängigen Ländern Zugang zu alternativen Technologien zu verschaffen, sowie für die Finanzierung eines ökologischen Übergangs und eine echte Wiedergutmachung für Verluste und Schäden zu sorgen. Die Abschaffung von Patenten muss den Völkern des Südens den freien Zugang zu Technologien ermöglichen, die den tatsächlichen Bedarf decken können, ohne noch mehr fossile Energie zu verbrauchen.
5.10. Ein Dollar, der für die Befriedigung der Bedürfnisse des reichsten Prozents ausgegeben wird, verursacht dreißigmal mehr CO2-Emissionen als ein Dollar, der in die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse der ärmsten 50 % der Weltbevölkerung investiert wird. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse der einfachen Bevölkerung sowohl in den abhängigen Ländern als auch in den so genannten „entwickelten“ Ländern nur einen bescheidenen CO2-Fußabdruck hinterlassen würde. Die radikale Reduktion des Kohlenstoff-Fußabdrucks des reichsten Prozents – im Norden und im Süden! – und Suffizienz für alle würden genügen, um dieses Ziel zu erreichen.
5.11. Zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse brauchen die Menschen in den abhängigen Ländern ein Entwicklungsmodell, das dem imperialistischen und produktivistischen Modell radikal entgegengesetzt ist. Ein Modell, das nicht die Produktion von Waren für den Weltmarkt, sondern öffentliche Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung, Wohnen, Verkehr, Abwasser, Strom, Trinkwasser) für die Masse der Bevölkerung in den Vordergrund stellt. Ein antikapitalistisches und antiimperialistisches Modell, das die Monopole im Finanzsektor, im Bergbau, in der Energiewirtschaft und der Agrarindustrie enteignet und unter demokratischer Kontrolle vergesellschaftet.
5.12. In den ärmeren Ländern wird die Notwendigkeit, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, für eine gewisse Zeit eine Steigerung der materiellen Produktion und des Energieverbrauchs erfordern. Im Rahmen des alternativen Entwicklungsmodells und einer Neugestaltung der internationalen Handelsbeziehungen wird der Beitrag dieser Länder zum globalen ökosozialistischen Degrowth und zur Achtung des ökologischen Gleichgewichts aus folgenden Maßnahmen bestehen:
• gerechte Reparationen von Seiten der imperialistischen Länder einfordern;
• den aufwändigen Konsum der parasitären Eliten ein für alle Mal beenden;
• umweltzerstörerische Megaprojekte bekämpfen, die den Interessen der neoliberalen kapitalistischen Politik dienen, wie etwa riesige Pipelines, pharaonische Bergbauprojekte, neue Flughäfen, Offshore-Ölquellen, gigantische Wasserkraftwerke und überdimensionierte touristische Infrastrukturen, mit denen sich die Reichen die Natur und das kulturelle Erbe aneignen;
• eine ökologische Agrarreform an die Stelle des industriellen Agrobusiness setzen;
• die Zerstörung von Biomen[5] beenden, etwa solche durch Viehzüchter, Palmölplantagen, das Agrobusiness im Allgemeinen sowie durch Bergbauindustrie, „Waldkompensationen“ (REDD- und REDD+-Projekte[6]) und „Fischereiabkommen“ zugunsten multinationaler Konzerne usw.
Durch ihre Kämpfe können die Massen in den abhängigen Ländern entscheidend dazu beitragen, die Ausgebeuteten der ganzen Welt für diesen Weg zu gewinnen, der als einziger sowohl mit den Menschenrechten als auch mit den Grenzen des Planeten vereinbar ist.
6. Gegen den Strom, die Kämpfe zusammenführen, um mit dem kapitalistischen Produktivismus zu brechen. Die Regierungsgewalt ergreifen, den ökosozialistischen Bruch auf der Grundlage von Eigeninitiative, Selbstorganisation, Kontrolle von unten und breitester Demokratie in Gang setzen
6.1. Die kapitalistische Akkumulation und die imperialistische Ausplünderung der Menschheit haben die Wirtschaft, den Staat, die Politik der Bourgeoisie und die internationalen Beziehungen in eine ökosoziale Sackgasse gestürzt. Auf der ganzen Welt leben die Ausgebeuteten und Unterdrückten in Angst und Sorge.
6.2. Gegen den Strom formiert sich der Widerstand. Selbst unter extrem schwierigen Bedingungen setzen sich Menschen für ihre sozialen, demokratischen und ökologischen Rechte ein sowie für die Rechte von Frauen, LGBTQ+-Personen, von Rassismus und Imperialismus betroffene Menschen, für die indigenen Völker und die Landbevölkerung. Es wurden bereits einige bemerkenswerte Siege errungen: der Sieg der indischen Bauern gegen die Modi-Regierung, der Sieg der „Zadist:innen“[7] in Frankreich gegen den Flughafen von Notre-Dame-des-Landes, der Sieg der argentinischen Frauen im Kampf um das Recht auf Abtreibung, der Sieg der Sioux in den USA gegen die XXL-Pipeline… Aber der Feind ist in der Offensive und viele Kämpfe waren nicht erfolgreich. Unsere Aufgabe als Aktivist:innen der Vierten Internationale besteht darin, die Organisierung zu unterstützen, um die Kämpfe voranzutreiben. Dabei bringen wir unsere ökosozialistische und internationalistische Perspektive ein.
6.3. Der Produktivismus der hegemonialen Kräfte der Linken (der linken Parteien und der Gewerkschaften) ist ein ernst zu nehmendes Hindernis auf dem Weg zu einer ökosozialistischen und der objektiven Lage angemessenen Lösung. Die meisten Partei- und Gewerkschaftsführungen haben jegliche antikapitalistische Perspektive aufgegeben. Die Sozialdemokratie und alle anderen Spielarten des Reformismus sind sozial-liberal geworden. Ihr einziges Interesse besteht darin, den Markt durch ein paar soziale Maßnahmen innerhalb der neoliberalen Grenzen zu korrigieren. Die Spitzen der großen Gewerkschaften hegen mehrheitlich die Illusion, dass die Arbeitsbedingungen, die Löhne und die soziale Absicherung durch kapitalistisches Wachstum auch im Neoliberalismus verbessert werden können. Anstatt ein Bewusstsein für die ökosoziale Sackgasse zu schaffen, führt diese Politik der Klassenkollaboration nur noch weiter in die Sackgasse und verschleiert den Ernst der Lage.
6.4. Zum Glück beginnen einige politische Kräfte und gewerkschaftliche Strömungen – vor allem in Europa, den USA und Lateinamerika – sich von Produktivismus und Neoliberalismus zu lösen. So haben Gewerkschaftsaktivist:innen, die sich der ökologischen Herausforderung bewusst sind, das Konzept des „gerechten Übergangs“ entwickelt. Die Sozialdemokratie und der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) haben sich dieses Konzept angeeignet und missbrauchen es, um nach produktivistischer Logik die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu stärken. Die herrschende Klasse war schon immer Expertin in Sachen Manipulation. So fand auch der „gerechte Übergang“ – wie bereits zuvor das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ – Eingang in die Rhetorik von Regierungen, die die Gerechtigkeit mit Füßen treten und sich um Nachhaltigkeit keinen Deut scheren.
6.5. In den „entwickelten“ kapitalistischen Ländern zählen mittlerweile auch die Grünen zu den traditionellen Kräften. Vier Jahrzehnte nach ihrem Aufkommen hat sich die große Mehrheit der Grünen Parteien den politischen Verwaltern des Kapitalismus angeschlossen. Ihr Pragmatismus beruft sich auf die Eigenverantwortung der Konsument:innen und hat über zahlreiche Umweltverbände Eingang in die Zivilgesellschaft gefunden. Das ermöglicht der Sozialdemokratie und den traditionellen Gewerkschaftsführungen, ihre Klassenzusammenarbeit zu verschleiern und das „kleinere soziale Übel“ mit Ökosteuern und anderen sogenannten „realistischen“ Lösungen einer „weder linken noch rechten“ Ökologie zu verteidigen.
6.6. In anderen Teilen der Welt gewinnen ökosozialistische Konzepte, auch wenn sie noch nicht mehrheitsfähig sind, zunehmend Einfluss auf soziale Bewegungen und die radikale Linke. Einige wichtige lokale Erfahrungen – u. a. in Mindanao, Rojava und Chiapas – weisen Ähnlichkeiten mit der ökosozialistischen Perspektive auf. Dennoch gehen die meisten Menschen immer noch von der irrigen Meinung aus, dass nur kapitalistisches Wachstum eine Verbesserung der sozialen Lage garantieren kann.
6.7. Angesichts des Ausmaßes und der Unübersichtlichkeit der Krise besteht die reale Gefahr, dass in Teilen der Arbeiterklasse die Tendenz zunimmt, ökologische Ziele auf dem Altar wirtschaftlicher Entwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Steigerung der Einkommen zu opfern. Obwohl genau diese Klassen schon heute zu den ersten Opfern zählen, würde diese Tendenz die Katastrophe nur verschärfen und den Legitimationsverlust der Gewerkschaften weiter verstärken. Sie wäre auch der Nährboden für neofaschistische Bestrebungen, ihre rassistischen, kolonialistischen und völkermörderischen Projekte in ein grünes Gewand zu kleiden. Zielscheibe solcher Hasskampagnen sind in erster Linie die Menschen, die aus ihren zerstörten Ländern fliehen müssen.
6.8. Das sozialistische Projekt ist durch die Geschichte des Stalinismus und der Sozialdemokratie zutiefst diskreditiert. Wir müssen eine Alternative aus den Kämpfen heraus neu erfinden, nicht aus den Dogmen.
6.9. Wer steht heute an vorderster Front der relevanten Bewegungen? Es sind die indigenen Völker, Jugendliche, Kleinbauern/bäuerinnen, rassistisch unterdrückte Menschen, die alle einen hohen Preis für die soziale und ökologische Zerstörung zahlen. In diesen vier Gruppen spielen Frauen mit ihren spezifischen, ökofeministischen Forderungen, für die sie autonom kämpfen und sich organisieren, eine entscheidende Rolle.
6.10. Via Campesina, das internationale Bündnis von Kleinbauern/bäuerinnen und Landarbeiter:innen, zeigt, dass es möglich ist, die Verteidigung der Rechte armer Bauern und indigener Völker, den Kampf gegen Extraktivismus und Agrarindustrie, den Kampf für Ernährungssouveränität und die Erhaltung der Ökosysteme mit feministischen Forderungen zu verbinden.
6.11. Die große Mehrheit der Lohnabhängigen beteiligt sich nicht oder nur zögerlich an den antiproduktivistischen Kämpfen. Einige Aktivist:innen folgern daraus, dass der Klassenkampf überholt ist oder von einer „ökologischen Klasse“ geführt werden muss, die allerdings nur in ihrer eigenen Vorstellung existiert. Die Verhinderung der Katastrophe ist jedoch nur durch eine Revolution der Produktionsweise auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu bewerkstelligen. Ohne die aktive und bewusste Beteiligung der Produzent:innen – also der Mehrheit der Bevölkerung – ist das ein Ding der Unmöglichkeit.
6.12. Andere schlagen vor, darauf zu warten, bis die Masse der arbeitenden Bevölkerung, die für ihre unmittelbaren sozioökonomischen Forderungen eintritt, einen Bewusstseinsstand erreicht hat, der es ihr erlaubt, sich auf einer „Klassenlinie“ am ökologischen Kampf zu beteiligen. Doch wie lassen sich ökologische Fragen im Bewusstsein der Werktätigen verankern, wenn sie sich zunehmend in der Defensive befinden und auf die Verteidigung ihrer unmittelbaren sozioökonomischen Rechte beschränken? Ohne große soziale Kämpfe, die den produktivistischen Rahmen sprengen, wird das nicht gehen. Die Überwindung der produktivistischen Logik bedarf öffentlicher Initiativen und einer sorgfältigen Planung des erforderlichen wirtschaftlichen Umbaus mit garantierten Arbeitsplätzen und Einkommen.
6.13. Klassenkampf ist keine leere Abstraktion. Marx definiert ihn als die „wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt“ und benennt seine Akteure und Akteurinnen. Die Kämpfe von Frauen, LGBTQ+-Personen, unterdrückten Völkern, rassistisch diskriminierten Bevölkerungsgruppen, von Migrant:innen, kleinen Landwirten und indigenen Völkern für ihre Rechte entwickeln sich nicht abseits der Kämpfe der Werktätigen gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft durch die Bosse. Sie sind Teil des lebendigen Klassenkampfs.
6.14. Sie sind Teil davon, weil der Kapitalismus die patriarchale Unterdrückung von Frauen braucht, um den Mehrwert zu maximieren und die soziale Reproduktion zu geringeren Kosten sicherzustellen; er braucht die Diskriminierung von LGBTQ+-Personen, um das Patriarchat zu bestätigen; er braucht den strukturellen Rassismus, um die Ausplünderung der Peripherie durch das Zentrum zu rechtfertigen; er braucht die unmenschliche „Asylpolitik“, um die industrielle Reservearmee zu regulieren; er braucht die Unterwerfung der Kleinbauern/bäuerinnen unter das Diktat der Junk Food produzierenden Agrarindustrie, um den Preis der Arbeitskraft zu drücken; und er braucht die Beseitigung noch bestehender wertschätzender Beziehungen innerhalb menschlicher Gemeinschaften und zur Natur, um sie durch die individualistische Ideologie der Herrschaft zu ersetzen, die menschliches Zusammenleben in einen Automaten und alles Lebendige in tote Dinge verwandelt.
6.15. All diese Kämpfe sowie die Arbeitskämpfe gegen die kapitalistische Ausbeutung sind Teil des gemeinsamen Kampfs um menschliche Emanzipation, die nur dann wirklich möglich und der Menschheit würdig ist, wenn wir uns bewusst sind, dass unsere Spezies zur Natur gehört und dass der Mensch aufgrund seiner besonderen Intelligenz die heute unumgängliche und lebenswichtige Verantwortung hat, mit der Natur pfleglich umzugehen. Das sind unserer Meinung nach die strategischen Schlussfolgerungen, die wir aus der Tatsache ableiten, dass die zerstörerische Kraft des Kapitalismus den Planeten in ein neues geologisches Zeitalter geführt hat.
6.16. Diese Analyse liegt unserer Strategie der Konvergenz von sozialen und ökologischen Kämpfen zugrunde.
6.17. Die Konvergenz der Kämpfe darf sich nicht darauf beschränken, unter den sozialen Bewegungen und ihren Organisationen nach dem größten gemeinsamen Nenner der Forderungen Ausschau zu halten. Eine solche Vorgehensweise könnte nämlich leicht zur Vernachlässigung bestimmter Forderungen von bestimmten Gruppen führen – zum Nachteil der Schwächsten. Und das wäre das Gegenteil von Konvergenz.
6.18. Die Konvergenz von sozialen und ökologischen Kämpfen umfasst alle Kämpfe aller sozialen Akteure, von den erfahrensten bis zu den unentschlossenen. In einem dynamischen interaktiven Prozess lässt sich das Bewusstsein über Aktionen und Debatten, die von gegenseitigem Respekt getragen sind, erweitern. Ziel ist nicht eine fix-und-fertige Plattform, sondern die Aktionseinheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten rund um konkrete Forderungen. Dadurch lässt sich eine Dynamik in Gang setzen, die auf die Eroberung der politischen Macht und den Sturz des Kapitalismus in der ganzen Welt abzielt.
6.19. In der Praxis bedeutet die ökosoziale Konvergenz der Kämpfe heute vor allem, dass sich die Akteure, die sich der ökologischen Gefahren am meisten bewusst sind, an die Akteure wenden, die sich der sozialen Bedrohungen am meisten bewusst sind (und umgekehrt), um gemeinsam den falschen kapitalistischen Gegensatz zwischen sozialen und ökologischen Fragen zu überwinden.
6.20. Bei diesem Ansatz spielt das Eintreten für ein ökologisches Gewerkschaftsmodell, das sowohl klassenkämpferisch als auch antiproduktivistisch ist, eine wesentliche Rolle. Es setzt an bei den konkreten Sorgen der Werktätigen um die Sicherheit am Arbeitsplatz und um die Erhaltung ihrer Gesundheit und es weist auf die Schäden an den Ökosystemen und die Gefahren der Produktion hin, die am besten von den Beschäftigten selbst eingeschätzt werden können.
6.21. Als ökosozialistische Aktivist:innen unterstützen wir den Widerstand am Arbeitsplatz durch Streiks und andere Aktionsformen zur Förderung der Organisierung und Selbstverwaltung der Beschäftigten. Wir arbeiten daran, die Mobilisierungen voranzutreiben, indem wir Streiks und Demonstrationen sowie alle Spielarten der Selbstorganisation und der Verteidigung gegen Repressionen mit Informationskampagnen verbinden, um den Lügen der herrschenden Medien und der Regierungen entgegenzuwirken.
6.22. Wir lassen uns auch von Formen des zivilen Ungehorsams inspirieren, von der Blockade von Anlagen bis zum Boykott von Mietzahlungen, die ebenfalls ihre Wirksamkeit bewiesen haben.
6.23. Die Erfahrungen aus den Kämpfen fließen in die strategische Debatte ein.
6.24. Antiproduktivistische Kämpfe sind vielfältig, aber im Allgemeinen ist ihr Ausgangspunkt sehr konkret, oft lokal, etwa im Widerstand gegen eine neue Verkehrsinfrastruktur (Autobahn, Flughafen usw.), kommerzielle oder logistische Infrastruktur, extraktivistische Infrastruktur (Bergwerke, Pipelines, Megastaudämme usw.), die Aneignung von Land oder Wasser, die Zerstörung eines Waldes oder eines Flusses usw. Menschen werden nicht so sehr aufgrund von allgemeinen Überlegungen aktiv, sondern in erster Linie wegen der unmittelbaren Bedrohung des täglichen Lebens, der Lebensgrundlagen und der Gesundheit. Durch die Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungsträgern, kapitalistischen Konzernen und den Institutionen, die in deren Interesse agieren, sowie durch das Schmieden von Allianzen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Geschichten und Anliegen wird der Kampf globaler und politischer.
6.25. Die Verbindung von Kämpfen, die in einem bestimmten Gebiet verankert sind, mit einem präzisen Ziel und einer allgemeinen Stoßrichtung gibt es überall auf der Welt. Sie hat eine neue politische Realität geschaffen: „Blockadia“.
6.26. In Frankreich hat der Zusammenschluss von Bauern, jungen radikalen Aktivist:innen und Anrainern gegen das Flughafenprojekt in Notre-Dame-des-Landes die Unterstützung der Bevölkerung und der Gewerkschaften, einschließlich derjenigen des Konzessionärs, erhalten und zum Sieg geführt.
Inspiriert von dieser erfolgreichen Strategie konnte die Bewegung Soulèvements de la Terre im Kampf gegen Megabassins (riesige Wasserreservoirs für die Bewässerung von Plantagen der Agrarkonzerne) die Frage des Wassers als Gemeingut aufwerfen, das gegen seine Monopolisierung durch die Agrarindustrie geschützt werden muss.
6.27. In den Vereinigten Staaten haben die Sioux gegen die Dakota Access Pipeline (DAPL), die den Missouri und den Mississippi zu verschmutzen droht und das heilige Land der indigenen Sioux durchquert, ein Camp in Standing Rock errichtet, dem sich Tausende von Menschen (Jugendliche, Umweltschützer:innen und andere) angeschlossen haben. Das Camp widerstand heftigen Repressionen und erzwang eine Untersuchung über die Gefahren der DAPL für die Umwelt. Der juristische und politische Kampf geht weiter.
6.28. Die Entstehung eines ökosozialistischen Klassenbewusstseins setzt die Konvergenz der Kämpfe voraus. Dazu können auch (junge) Wissenschaftler:innen beitragen, indem sie ihr (agronomisches, klimatisches, naturwissenschaftliches…) Wissen nutzen und teilen.
6.29. Streikkomitees, kommunale Gesundheitszentren, Betriebsübernahmen, Landbesetzungen, selbstverwaltete Wohnanlagen, Reparaturwerkstätten, Kantinen, Saatgutbibliotheken usw. ermöglichen das Experimentieren mit einer vom Kapitalismus befreiten Organisation der Gesellschaft. Sie ermöglichen den politisch und wirtschaftlich Entmachteten, ihre kollektive Macht und Intelligenz zu erfahren. Mit der Zerstreuung von Illusionen über eine mögliche Umgehung oder Anpassung des Systems treffen sie früher oder später auf den Staat und den kapitalistischen Markt und erfahren, dass es unmöglich ist, auf die politische Macht und den Umsturz des Systems zu verzichten. Durch konkrete Alternativen, die, wenn auch oft nur vorübergehend, eine andere, basisnahe, demokratische und solidarische Legitimität schaffen, werden sich die Unterdrückten ihrer eigenen Stärken bewusst und können auf die Errichtung einer neuen Hegemonie hinarbeiten.
6.30. Insgesamt betrachtet steht der Aufbau von Selbstverwaltungsorganen der Bevölkerung im Mittelpunkt unserer Strategie.
6.31. Die Systemkrise des vom transnationalen Finanzwesen beherrschten „Spätkapitalismus“ ruft sowohl Ekel vor den Verfallserscheinungen der bürgerlichen Ordnung hervor als auch ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der tiefgreifenden quantitativen und qualitativen Verschlechterung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen. In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage der Regierung zunehmend an Bedeutung. Die Übernahme der politischen Macht ist eine Voraussetzung für die Umsetzung eines Programms, das mit der herrschenden Politik bricht. Allerdings haben die letzten Jahre die tödlichen Illusionen diverser politischer Projekte sichtbar gemacht, die die Anliegen der Bevölkerung ausnutzen, Proteste kanalisieren oder sogar im Namen einer Realpolitik abwürgen, wovon anschließend die extreme Rechte profitiert.
6.32. Es gibt keine Abkürzung. Eine ökosozialistische Strategie des Bruchs mit den bestehenden Verhältnissen ist nicht vorstellbar ohne Kampf um eine Regierung auf Grundlage eines Übergangsprogramms und der systematischen Förderung der Selbsttätigkeit, der Übernahme der Kontrolle und der direkten Intervention der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf allen Ebenen. Konsequente Maßnahmen gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung der Ökosysteme können nicht durchgesetzt werden ohne ein Kräfteverhältnis, das sich auf Selbstorganisation stützt. Selbstemanzipation ist daher nicht nur unser Ziel, sondern auch eine Strategie zum Umsturz der bestehenden Ordnung. Es müssen neue Institutionen geschaffen werden, um gemeinsam zu überlegen und demokratisch zu entscheiden, wie sich die Produktion und die gesamte Gesellschaft organisieren lassen. Diese neuen Kräfte müssen dem kapitalistischen Staatsapparat entgegentreten, um ihn zu vernichten. Der Umsturz der Gesellschaftsordnung und die Enteignung der Kapitalisten werden unweigerlich mit einer gewalttätigen, bewaffneten Reaktion der herrschenden Klassen rechnen müssen. Angesichts dieser Gewalt werden die Ausgebeuteten und Unterdrückten keine andere Wahl haben, als sich zu verteidigen. Es wird darum gehen, für die Verteidigung der legitimen Gewalt selbst zu sorgen – und zwar auf demokratische Weise und unter Verzicht auf Männerdominanz und Stellvertreterpolitik.
6.33. Nachdenken und handeln, Kämpfe organisieren und die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, Erfahrungen vergleichen und daraus lernen: Die internationale Umsetzung dieser gewaltigen Aufgabe erfordert einen politischen Rahmen, eine neue Internationale der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Mit diesem Manifest bringt die Vierte Internationale ihre Bereitschaft zum Ausdruck, zur Bewältigung dieser Herausforderung beizutragen.
Übersetzung aus dem Englischen: E.F. und J.S.
[1] In diesem Dokument bezeichnen wir mit dem Begriff „Globaler Süden“ die abhängigen Länder und die Länder der Peripherie in Asien, Afrika und Lateinamerika. Wir verwenden alle diese Ausdrücke, um auf dieselbe Realität zu verweisen. Wir schließen Länder wie China, Russland, die Ölmonarchien usw. nicht in den Globalen Süden ein, die einen besonderen Platz im kapitalistischen Weltherrschaftssystem einnehmen und nicht als „beherrscht“ betrachtet werden können.
[2] Terawattstunde (1 TWh = 1 Milliarde kWh). Diese Energieeinheit wird verwendet, um die Stromproduktion eines Kraftwerks oder die nationale Produktion zu messen. Eine Kilowattstunde entspricht einer konstanten Leistung von einem Kilowatt während einer Stunde und ist gleichbedeutend mit 3,6 Millionen Joule oder 3,6 Megajoule.
[3] Die Nachahmung biologischer Systeme und Prozesse, um Probleme zu lösen.
[4] Der „Rebound-Effekt“ ist auch als „Jevons-Paradoxon“ bekannt.
[5] Ein Biom ist der Oberbegriff für die Gesamtheit aller darin vorkommenden Ökotope (Biotope). (Erl. d. Übers.)
[6] Leistungsbasierte Zahlungen für mess- und überprüfbare Emissionsreduktionen durch Waldschutzmaßnahmen in den so genannten Entwicklungsländern. Hiermit sollen Anreize für die Begrenzung der Waldzerstörung geschaffen werden. (Erl. d. Übers.)
[7] Im Französischen steht ZAD für zone à défendre, also ein zu verteidigendes Territorium. Die sogenannten Zadist:innen verteidigen ein Stück Land (oder gegebenenfalls auch ein Gebäude), besetzen es und leben dort in Zelten oder Hütten usw. In der Regel richtet sich dies gegen Großprojekte, die die Umwelt gefährden. (Erl. d. Übers.)