Ein anderes Afrika ist möglich!

Geschlossene Läden und leere Straßen in Madagaskar. Foto: World Bank Photo Collection, Streets and shops closed, CC BY-NC-ND 2.0

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Erklärung der afrikanischen Organisationen für Klimagerechtigkeit zu Covid-19

Ein anderes Afrika ist möglich!

03.08.2020

Soziale Bewegungen aus Afrika und verbündete zivilgesellschaftliche Gruppierungen sind in den letzten Wochen zusammengekommen, um über die sie betreffenden Auswirkungen und Weiterungen der Krisen zu diskutieren, eine Analyse zu erstellen und einen Appell zu einem ersten Forderungskatalog an unsere afrikanischen Regierungen und Institutionen zu verfassen. Die rund 15 Netzwerke (siehe unten) fordern jetzt eine breitere Unterstützung und Billigung dieser Erklärung […] in und außerhalb Afrikas.

Die Covid-19-Pandemie ist vielleicht das größte globale Ereignis der letzten Jahrzehnte. Die Krise verdeutlicht die bestehenden Ungleichheiten im neoliberalen und patriarchalischen globalisierten sozioökonomischen System und verschärft sie noch. In vielen unserer afrikanischen Länder verwandeln sich die Dominoeffekte der Isolationspolitik bereits jetzt in tiefe soziale und wirtschaftliche Krisen, von denen die Schwächsten jetzt und auch künftig am stärksten betroffen sind. Unsere Bevölkerung leidet unter dem eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung, dem Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen, Strom- und Wassermangel, Problemen bei der Begleichung von Rechnungen und sogar drohenden Zwangsräumungen, wenn die Miete nicht mehr bezahlt werden kann. In ganz Afrika könnte eine massive Nahrungsmittelkrise drohen, da die informellen Märkte geschlossen sind und die Subsistenzwirtschaft gefährdet ist.

Der für Afrika prognostizierte Anstieg der globalen Temperaturen ist ein Vorbote des Zusammenbruchs, der Menschheit, Gesellschaft und Umwelt betreffen wird.

In dieser Zeit der Krise grüßen wir, die unterzeichnenden afrikanischen sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihre Verbündeten, die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt, Krankenschwestern, Ärzte und anderes Gesundheitspersonal, auf den Märkten und in den Supermärkten, Straßenfeger, Müllmänner, Haus- und Pflegepersonal, Chauffeure, Lastwagenfahrer, Bauern und Bäuerinnen, Beschäftigte in der Lebensmittel- und Energieversorgung und all diejenigen, die täglich arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren, für die mutige Arbeit und die Opfer, die sie bringen, damit wir zu Hause bleiben können, um das Virus einzudämmen.

Gemeinsam für eine neue Gesellschaft

Leider wird die Klimakrise voranschreiten, während die Welt sich auf die Gesundheitskrise von Covid-19 konzentriert. Beide Krisen sind vom Menschen verursacht und haben ihren Ursprung in der Art und Weise, wie unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme – getrieben vom Profitstreben – die Erde und ihre Bevölkerung behandeln. Unser Kontinent und viele andere Teile der Welt litten bereits erheblich unter der Klimakrise, als die Erde von der Covid-19-Pandemie heimgesucht wurde. Das südliche Afrika leidet noch immer unter den verheerenden Wirbelstürmen Idaï und Kenneth im letzten Jahr und steht vor verheerenden Klimafolgen wie Dürren, Überschwemmungen, Anstieg des Meeresspiegels etc. Der für Afrika prognostizierte Anstieg der globalen Temperaturen ist ein Vorbote des Zusammenbruchs, der Menschheit, Gesellschaft und Umwelt betreffen wird.

Die „Strukturanpassungs“- und Sparmaßnahmen, der Abbau des Staates und der öffentlichen Dienste, die Reduzierung der sozialen Dienste, die Privatisierung der Grundversorgungsleistungen und die Verschuldung haben dazu geführt, dass die afrikanischen Staaten am wenigsten darauf vorbereitet sind, auf solche Krisen zu reagieren.

Die multinationalen Konzerne, die in Kollaboration mit den afrikanischen Regierungen und anderen Eliten ungestraft und über die Menschen und den Planeten hinweg operieren, gehören zu den Hauptschuldigen an der gegenwärtigen Energie-, Klima-, Ernährungs- und Umweltkrise. Ihre Geschäfte haben die Lebensgrundlagen der lokalen Gemeinschaften ruiniert, indem sie sich das Land und die natürlichen Ressourcen unter den Nagel gerissen haben. Dabei haben sie unsere Luft, unser Wasser und unsere Böden verschmutzt sowie unsere Gesundheit und unser Sozialleben beeinträchtigt. Der Großteil ihrer Profite wird zumeist illegal aus dem Land geschafft und landet in den vielen Steueroasen auf der ganzen Welt. Nunmehr, wo der Rohölpreis zum ersten Mal in der Geschichte unter null sinkt, muss die Ära des Extraktivismus, der den Menschen und dem Planeten schadet, beendet werden. Es ist an der Zeit, sich von den fossilen Brennstoffen und der unheilvollen industriellen Landwirtschaft zu verabschieden.

Die gegenwärtige Krise hat wegen des teilweisen oder kompletten Stillstands der Industrieproduktion zu einem vorübergehenden Rückgang der CO2-Emissionen und der Umweltverschmutzung geführt. Aber dies geht zu Lasten der Arbeitsplätze und der Existenzsicherung der Bewohner unseres Kontinents und anderer Menschen, die unter prekären Bedingungen leben. Es handelt sich also mitnichten um einen „gerechten Übergang”, wie wir ihn mit unseren Mitstreiter*innen in der Arbeiterbewegung gefordert haben. Zugleich wird offenbar, dass viele Regierungen die Umweltauflagen und den Umweltschutz abschaffen oder lockern, um auf Teufel komm raus kurzfristige Investitionen anzulocken, was aber nur zu einer weiteren Beeinträchtigung der Umwelt führen und den Krisenzyklus verschärfen kann.

Wie jedoch die Luftverschmutzung in einigen Regionen, in denen vorübergehend Transport und Industrie eingeschränkt wurden, zurückgegangen ist, zeigt aufs Deutlichste, wie unhaltbar unser „normales” Wirtschaftsleben und die „normale” Entwicklung des Systems eigentlich sind. Die Erde wird gedeihen, wenn wir uns für eine andere Entwicklung entscheiden, die jungen Menschen werden zum ersten Mal in ihrem Leben einen klaren blauen Himmel sehen und Millionen von Menschen mit Asthma werden besser Luft bekommen, wie sich momentan zeigt.

Die „Strukturanpassungs“- und Sparmaßnahmen, der Abbau des Staates und der öffentlichen Dienste, die Reduzierung der sozialen Dienste, die Privatisierung der Grundversorgungsleistungen und die Verschuldung haben dazu geführt, dass die afrikanischen Staaten am wenigsten darauf vorbereitet sind, auf solche Krisen zu reagieren. Diese Situation hat ihre Wurzeln in der kolonialen und postkolonialen Geschichte Afrikas und in unseren Beziehungen zu den neoliberalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, die unter der Bedingung von „Strukturanpassungen“ große Kreditsummen zu hohen Zinssätzen vergeben haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dieselben Praktiken in unserem Umgang mit der Neuen Entwicklungsbank oder einer anderen derartigen Institution wiederholen. Sämtliche Konditionen in Verbindung mit Unterstützungsleistungen und/oder Solidaritätsdarlehen müssen im Sinne einer neu zu schaffenden und ehrlichen Demokratie offengelegt werden.

Nichts darf bleiben, wie es ist

Die rasche Reaktion von Regierungen und anderen Akteuren auf die Covid-19-Pandemie offenbart auch das weltweite Unvermögen, auf die Klima- und andere Krisen ernsthaft zu reagieren. Dabei liegt auf der Hand, dass die Bewältigung der Krise unbedingt den politischen Willen erfordert, gewaltige Ressourcen aufzubringen und politisch anders vorzugehen, um gegen die Krise vorzugehen und alle Anstrengungen auf ihre Eindämmung und Beendigung auszurichten.

Wir können nicht zur Normalität zurückkehren. Wir müssen eine andere Welt, ein anderes Afrika schaffen und die jetzige Situation nutzen, um eine Wende für unsere Region und die Welt einzuleiten. Die Covid-19-Pandemie zeigt, dass wir dringend die Lösungsvorschläge umsetzen müssen, die wir als Gruppen für Klimagerechtigkeit in ganz Afrika als vordringlich bezeichnet haben. Das ist unsere Hoffnung. Die Rückkehr zum gegenwärtigen System kann keine Option sein. Wir brauchen Antworten auf der Grundlage neuer Formen des Regionalismus und der Solidarität für den Wiederaufbau und den Übergang, die für alle, insbesondere für die Armen und Schwächsten, fair und gerecht sind. Dazu verpflichten wir uns und rufen die Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Afrika und auf der ganzen Welt auf, sich uns im Kampf für eine neue Welt anzuschließen.

Unsere Forderungen für einen gerechten Neuanfang in Afrika und anderswo

Sicherung der Daseinsvorsorge, der Ernährung, Wasserversorgung und des Gesundheitssystems:

  • Bereitstellung von Schutzausrüstung für alle Beschäftigten des Gesundheitswesens und die Beschäftigten an vorderster Front der elementaren Bereiche, wie z.B. Müllabfuhr, Lebensmittelversorgung, Kleingewerbe und Produktion von Lebensmitteln etc.
  • Die Gesundheitssysteme in ganz Afrika müssen vollständig überprüft und überholt werden, und kostenlose und gut zugängliche Gesundheitsdienste müssen allen Afrikaner*innen als Menschenrecht zur Verfügung gestellt werden. Afrika muss seine eigenen Kapazitäten ausbauen, um seine eigenen Heilmittel zu entwickeln und um auf seinem Territorium Medikamente und medizinische Ausrüstungsgüter für die eigene Bevölkerung herzustellen, und zwar im Rahmen öffentlichen Eigentums und basierend auf dem Prinzip der Souveränität der Völker anstelle der privaten Profitgier, damit wir nicht alles aus dem Ausland importieren müssen.
  • Jeder Impfstoff, der zur Bekämpfung von Covid-19 entwickelt wird, muss patentfrei und für alle Menschen auf der ganzen Welt kostenlos verfügbar sein. Unsere Bewohner*innen dürfen nicht als Versuchskaninchen missbraucht werden, um neue Impfstoffe zu testen, und die Tests müssen transparent genehmigt und weltweit durchgeführt werden.
  • Alle afrikanischen Staaten müssen die Bauern, Kleinbauern und Produzenten von Grundnahrungsmitteln als wirtschaftlichen Schlüsselsektor in dieser Krise behandeln. Alle Nothilfemaßnahmen müssen sich an der Erklärung der Vereinten Nationen für die „Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten“ (UNDROP) orientieren.
  • Die afrikanischen Staaten müssen sich verpflichten, vorrangig den Gemeinden zu Hilfe zu kommen, die unter Wasserknappheit leiden, namentlich durch den Einsatz von Wassertankern, da die ausreichende Versorgung mit Wasser für die Bekämpfung dieses Virus essentiell ist.
  • Ein Moratorium für alle Zwangsräumungen muss verhängt und die öffentlichen Dienste für die Dauer der Pandemie aufrecht erhalten werden, wobei den armen Familien und den Schutzlosesten Vorrang eingeräumt werden muss.
  • In ganz Afrika müssen emissionsarme öffentliche Verkehrsmittel auf lokaler und regionaler Ebene entwickelt werden, damit wir nicht von teuren und umweltschädlichen Flügen und dem Individualverkehr abhängig sind, wie es derzeit der Fall ist.

Reorganisation der Wirtschaft und besonders des Pflegesektors:

  • In Anbetracht der ungerechten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung muss eine Umverteilung und Aufwertung der alltäglichen Pflegearbeit (eine häusliche Tätigkeit, die derzeit überwiegend von Frauen geleistet wird) durchgesetzt werden. Frauen repräsentieren auch die Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen.
  • Unterstützung der lokalen Wirtschaft, insbesondere der lokalen Lebensmittelerzeugung für den lokalen Gebrauch.
  • Einführung eines universellen und/oder Grundeinkommens zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Familien.

Schluss mit der Förderung fossiler Brennstoffe und dem Extraktivismus:

  • Alle laufenden Projekte zur Gewinnung fossiler Brennstoffe und Rohstoffe und der industriellen Landwirtschaft (insbesondere mit Gentechnik) müssen während und nach der Corona-Krise gestoppt werden, und zwar in allen afrikanischen Ländern, unabhängig davon, wo die Unternehmen ihren Sitz haben. Staatliche Subventionen für die fossile Brennstoffindustrie und den militärisch-industriellen Komplex müssen ebenfalls gestoppt werden.
  • Die Projekte zur Rohstoffgewinnung müssen transparent und demokratisch bewertet werden und die Ressourcen den von diesen Projekten betroffenen Menschen und Gemeinschaften, einschließlich der Beschäftigten in diesen Sektoren, zugute kommen.
  • Diese Projekte bedürfen der Zustimmung der Gemeinschaften, die auch das Recht erhalten müssen, schädliche Projekte abzulehnen und diese einer demokratischen Anhörung zu unterziehen. Die Regierungen dürfen weder die Umweltgesetze und -vorschriften, die die Beteiligung der Öffentlichkeit garantieren, noch andere Grundrechte missachten.
  • Vor allem müssen die afrikanischen Staaten die Machthaber, einschließlich der Polizei- und Militärführung, zur Rechenschaft ziehen. Darüber hinaus müssen die zunehmenden Fälle von Missbrauch und ungerechtfertigter Gewalt während und nach der Pandemie unverzüglich unterbunden werden. Es müssen unabhängige Ermittlungsorgane und Schiedsstellen eingerichtet werden, damit die Bürger sich frei äußern können, ohne Menschenrechtsverletzungen befürchten zu müssen. Die Gewalt muss aufhören.

Schluss mit der Sparpolitik und der Schuldenkrise; Anerkennung der Klimaschuld:

  • Die Finanzhilfen zur Bekämpfung von Covid-19 und der wirtschaftlichen Folgen in den afrikanischen Ländern dürfen nur in Form von Beihilfen und nicht als Kredite gewährt werden und nicht mit irgendwelchen Auflagen, etwa als Strukturanpassungsmaßnahmen, verbunden sein, weil dies zwangsläufig wieder nur zu Lasten der Daseinsvorsorge ginge.
  • Die Sparmaßnahmen und die Strukturanpassungen müssen beendet werden. Stattdessen müssen die Grundrechte auf Gesundheitsversorgung, Bildung und Erziehung und eine Grundversorgung für alle Menschen in Afrika und anderswo gewährleistet werden.
  • Alle von den internationalen Finanzinstitutionen auferlegten historischen Schulden müssen mit sofortiger Wirkung erlassen werden. Diese Schulden werden die Regierungen bei der Bekämpfung der Corona-Krise nur weiter lähmen.
  • Die historische Klimaschuld des globalen Nordens gegenüber Afrika und den übrigen Ländern des globalen Südens muss endlich anerkannt werden. Demnach darf die finanzielle Unterstützung für Afrika die Schuldenkrise nicht weiter verschlimmern.
  • Die afrikanischen Staaten müssen energische Maßnahmen ergreifen, um korrupte Beamte und Korruptionsnetze zu beseitigen, die politisches Kapital aus der Unterstützung für besonders gefährdete Familien während dieser Pandemie schlagen, deren Bekämpfung erschweren und die Krise für unmoralische Zwecke zu ihrem eigenen Vorteil ausschlachten.

Ein gerechter Neubeginn:

  • Konjunkturpakete müssen zunächst den ärmsten und schwächsten Menschen zugute kommen, anstatt die Großunternehmen wieder zu alimentieren. Unterstützungsleistungen sollten nur den von Unternehmensschließungen betroffenen Beschäftigten gewährt werden.
  • Der unkontrollierten Macht der Unternehmen müssen ernsthafte Grenzen gesetzt werden, und die ihnen auferlegten Maßnahmen zur Rechenschaftslegung müssen verstärkt werden.
  • Wir wünschen uns einen ganzheitlichen und gerechten Neubeginn. Dafür müssen insbesondere die tieferen Ursachen für die Corona-Krise und die Klimakrise analysiert werden. Dasselbe gilt für die erforderlichen Maßnahmen, um den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern.
  • Es bedarf einer bewussten politischen Anstrengung, um diese Pandemie zu überwinden und soziale und ökonomische Verhältnisse zu schaffen, in denen das Wohl der Menschen und des Planeten im Mittelpunkt steht. Dafür brauchen wir einen gerechten Übergang und einen gerechten Neuanfang.

Liste der Erstunterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge):

1. Centre for Alternative Research and Studies (CARES), Mauritius
2. Centre for Natural Resources Governance (CNRG), Zimbabwe
3. Farmers Movement, Senegal
4. Friends of the Earth Africa
5. Grain Africa
6. GroundWork (Friends of the Earth South Africa)
7. Health of Mother Earth Foundation
8. Justiça Ambiental (Friends of the Earth Mozambique)
9. Khelkom Fishers Association
10. La Via Campesina Africa
11. Lumiere Synergie pour le Developpement (LSD)
12. Peoples Dialogue Southern Africa
13. Rural Womens Assembly
14. Save Lamu movement, Kenya
15. South Durban Community Environmental Alliance (SDCEA)
16. WoMin African Alliance
17. World March of Women

Übersetzung: MiWe

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