Da wäre mehr drin gewesen…
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Tarifeinigung Öffentlicher Dienst

Da wäre mehr drin gewesen…

Von dem Sekretariat der ISO | 27.04.2023

Am Abend des 22. April 2023 einigten sich die Tarifparteien im Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen darauf, weitgehend die Empfehlung der beiden Vorsitzenden der Schlichtungskommission vom 15. April anzunehmen.

Diese Empfehlung sieht folgende Regelungen vor:

  • Eine Sonderzahlung, der sogenannte „Inflationsausgleich“ von 3.000 €, steuer- und sozialversicherungsfrei, verteilt auf einen Zeitraum von 14 Monaten für alle Vollzeitbeschäftigten, für Teilzeitbeschäftigte anteilig; Auszahlung von 1.240 € im Juni 2023, danach bis Februar 2024 je 220 € monatlich.
  • Für Auszubildende, Studierende und Praktikant:innen gibt es jeweils die Hälfte, also 620 € im Juni und ab Juli 2023 bis Februar 2024 je 110 €.
  • Ab März 2024 eine Erhöhung aller Tarifgruppen um 200 € plus eine Erhöhung um 5,5 %, wobei es eine Mindesterhöhung von 340 € gibt; je nach Tarifgruppe bedeutet das eine Erhöhung von 340 bis zu 680 €.

Mit diesem Ergebnis haben die Tarifparteien die Empfehlung der beiden Vorsitzenden der Schlichtungskommission weitgehend übernommen. Die beiden Tarifparteien, also die Gewerkschaften ver.di und Deutscher Beamtenbund (DBB) und die „öffentlichen Arbeitgeber“, müssen jetzt zustimmen, damit dieses Ergebnis praktisch wirksam und gültig wird.

Jetzt sind die Kolleg:innen herausgefordert.

Bei ver.di hat die Bundestarifkommission, die aus ca. 150 ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, die Einigung in der Nacht vom 22. auf den 23. April bei 17 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen angenommen. Jetzt sind die in den Bundesbehörden und in den Kommunen beschäftigten Kolleg:innen bis zum 12. Mai in einer Mitgliederbefragung aufgefordert, ihre Haltung zu diesem möglichen Ergebnis zu äußern.

Kein Interesse an einer Ausweitung

Vor allem die Gewerkschaftsführung wollte weder eine Urabstimmung noch einen danach folgenden Streik riskieren. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass die Schlichtungs-Empfehlung in der Hauptsache auf den von ver.di und DBB benannten Vertreter in der Schlichtungskommission zurückging.

Bund und Kommunen hatten Angst vor einer Eskalationsgefahr, da die bisherigen Warnstreiks für deutsche Verhältnisse enorme Ausmaße angenommen hatten und nicht zuletzt eine zunehmend politische Dimension bekam.

Deutschland – Streikland? Eine Zusammenarbeit verschiedener DGB-Gliederungen? Sich verfestigende Bündnisse mit Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung? Das geht zu weit für Regierung und Kapital. Schnell wurde von Arbeitgeberverbänden, bürgerlichen Medien und Politiker:innen nach einer Einschränkung des Streikrechts gerufen. Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass von der DGB-Gewerk­schaft Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) parallel die Tarifrunde bei der Deutschen Bahn AG und anderen Eisenbahnunternehmen geführt wird. Ein gemeinsamer Warnstreik von ver.di und EVG hatte den Verkehr am 27. März praktisch deutschlandweit lahmgelegt.

Nach der Empfehlung, das Schlichtungsergebnis anzunehmen, sind die Beschwerden vor allem aus den Kommunen kaum zu überhören. Es sei der teuerste Abschluss in der Geschichte der Bundesrepublik und würde 17 Milliarden € kosten.

Hingegen zeigte sich der Vorsitzende von ver.di, Frank Werneke, zufrieden mit der Einigung, auch wenn die 24 Monate lange Laufzeit laut Tarifforderung hätte verhindert werden müssen und eine tabellenwirksame Erhöhung erst zum 1. März 2024 erreicht wurde.

Werneke betonte in der am 23. April durchgeführten gewerkschaftlichen Online-Veranstaltung mit über 3000 Teilnehmer:innen, dass Verschlechterungen für die Beschäftigten in den Krankenhäusern und bei den Stadtsparkassen hätten abgewehrt werden können. Allerdings konnte eine Verlängerung der Altersteilzeit-Regelung nicht erreicht werden.

Im Vorfeld der Verhandlungen in der Schlichtungskommission am 22. April hatte es nicht nur viel Kritik an der Schlichtungs-Empfehlung gegeben, sondern es wurde und wird weiterhin häufig auch deren Ablehnung gefordert. Diese Kritik kam von der Basis – nicht nur von linken Gewerkschafter:in­nen. Sie kritisieren sowohl die lange Laufzeit, als auch die lange Zeit (14 Monate), in denen es keine tabellenwirksame Erhöhung der Einkommen gibt.

Nein zu weiterem Reallohnverlust

In der Tat ist in dem Ergebnis kaum die gewerkschaftliche Forderung wiederzuerkennen. Diese hatte 10,5 % mindestens aber 500 € mehr bei einer 12-monatigen Laufzeit betragen.

Es gibt Unterschiede zu dem Abschluss bei der Post: Die Einmalzahlung von 3.000 € kommt es etwas früher, die Erhöhung im zweiten Jahr beträgt bis zu 680 € (bei der Post gibt es 340 € für alle Beschäftigten) und kommt um einen Monat früher. Obwohl im Öffentlichen Dienst die Kommunen andauernd zu wenig Geld haben, ist der mögliche Abschluss etwas besser als die Tarifeinigung bei der hochprofitablen Deutschen Post AG.

Trotzdem gilt: Bei der Post wie im Öffentlichen Dienst ‒ wie auch schon vorher in der Metall- und Elektroindustrie, bei Chemie, Kautschuk und anderen ‒ haben die Kolleg:innen nach diesen Tarifabschlüssen einen wirklichen Reallohnverlust. Einmalzahlungen, prozentuale Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsrate und lange Laufzeiten führen dazu.

Das Ergebnis im Öffentlichen Dienst kann nicht zufriedenstellen. Es bedeutet einen deutlichen Reallohnverlust.

Nach Meinung von Tarifexpert:innen können zwar die erwarteten Preissteigerungen in diesem und im nächsten Jahr ausgeglichen werden, aber nicht die Lohnverluste vom letzten Jahr. Laut Marcel Fratzscher, Präsident des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts, werden „die Löhne im öffentlichen Dienst am Ende der Laufzeit zirka sechs Prozent weniger Kaufkraft haben“.

Nein zur Annahme des Verhandlungsergebnisses

In der Mitgliederbefragung zum Tarifergebnis sollten deshalb die Kolleg:innen, die bis Mitte Mai ihr Votum dazu abgeben können, mit NEIN stimmen.

Gewerkschaften, die bereit und in der Lage sind, sich konsequent mit Kapital und Regierung anzulegen, könnten in der Krise und mit Hilfe der breiten Solidarität in der Gesellschaft Ergebnisse erzielen, die wenigstens die Einkommen der Beschäftigten sichern. Und das könnte erst der Anfang sein, von einer Bewegung die die verschiedenen Teile vereint. Dazu bedarf es allerdings innerhalb der Gewerkschaften eine Debatte über eine Strategie, wie dies zu erreichen ist. Mit einer Politik der Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden wird dies nicht möglich sein.

Am wichtigsten wird sein die Schlichtungsvereinbarung zu kündigen.

Was tun?

Es gibt bereits viele Aktive in ver.di, die jetzt eine kritische Diskussion anschieben. Das ist lohnend und unterstützenswert. Auch wenn es vielleicht am Ende nicht dazu reicht, in der Mitgliederbefragung eine Mehrheit zu erzielen, und auch wenn sie nicht verbindlich ist.

Nötig ist auch bei ver.di ein weiterer Ausbau der innergewerkschaftlichen Beteiligung der Mitglieder, vor allem vor den entscheidenden Beschlüssen. Es bedarf einer ständigen, öffentlichen Rückkoppelung zwischen Verhandelnden und Mitgliedern. Die Krankenhausbewegung in verschiedenen Bundesländern hat in den letzten Jahren ein hervorragendes Beispiel dafür entwickelt, das nun breit diskutiert und ausgeweitet werden sollte.

Am wichtigsten aber wird es sein, nun endlich die Schlichtungsvereinbarung zu kündigen. Wieder einmal hat sich in diesem Jahr gezeigt, dass die Schlichtung zu einem abrupten Ende der Mobilisierungen führt. Letzten Endes wirkt eine Schlichtungskommission wie eine Einigungsstelle im Betrieb. Es muss ein Kompromiss gefunden werden. Darin kommen die gewerkschaftlichen Forderungen häufig nicht mehr vor.

27. April 2023

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