Eine vertane Chance
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Tarifrunde 2023 bei der Eisenbahn

Eine vertane Chance

Von Helmut Born | 04.08.2023

Am Freitag, den 28. Juli, hat der Bundesvorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) nach einer über 8-stündigen Diskussion der Empfehlung der Schlichtungskommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Innenministers Thomas de Maizière und der Ökonomin Heide Pfarr mit einer Zweidrittel-Mehrheit zugestimmt. Der EVG-Verhandlungsführer hatte schon am 26. Juli „in der Schlichtungsschlussempfehlung klare Stärken“ gesehen.

Diese Empfehlung sieht folgende Regelung vor:

► Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 25 Monate: von März 2023 bis März 2025.

► Im Oktober 2023 gibt es einen Inflationsausgleichprämie in Höhe von 2850 €.

► Ab Dezember 2023 gibt es eine pauschale Erhöhung von 200 €.

► Ab August 2024 gibt es eine weitere pauschale Erhöhung von 210 €.

► Zum Ende des Tarifvertrages gibt es weitere Erhöhungen für bestimmte Tarifgruppen zwischen 100 € und 450 €.

► Auszubildende bekommen jeweils 50 % der Inflationsausgleichsprämie wie der pauschalen Erhöhungen (also 1425 € bzw. 100 € bzw. 105 €)

► Außerdem soll es regional zu vereinbarende Erhöhungen für die Servicebereiche (die bisher besonders schlecht bezahlt werden) geben.

Über die Annahme des Ergebnisses wird im August in einer Urabstimmung unter den Mitgliedern der Gewerkschaft abgestimmt. Der EVG-Bundesvorstand empfiehlt den Mitgliedern, das Ergebnis anzunehmen. Auch die EVG-Jugend empfiehlt jetzt das Ergebnis anzuerkennen, da es im Bundesvorstand eine sehr ausführliche Debatte gegeben habe und da das Abstimmungsergebnis anerkannt werden solle.

Sicherlich ist dieses Ergebnis bei der EVG noch einmal etwas besser als das im Öffentlichen Dienst oder bei der Post, ganz zu schweigen von den Abschlüssen in der Chemie- oder Metallindustrie. Aber das Ergebnis sollte an den ursprünglichen Forderungen gemessen werden, und vor allem daran, ob es geeignet ist, die massiven Lohnverluste aus 2022 auszugleichen und ob die nach wie vor hohe Inflationsrate 2023 mehr als einen Ausgleich zulässt.

Die ursprüngliche Forderung war: 12 % Lohnerhöhung ‒ mindestens 650 € ‒ Laufzeit 12 Monate. Gemessen an diesen Forderungen ist das Ergebnis enttäuschend, da die gesamte Erhöhung in Höhe von 410 € über einen Zeitraum von 17 Monaten gestreckt wird und die Laufzeit 25 statt 12 Monate beträgt. Die Inflationsausgleichsprämie, die gar nicht gefordert, sondern eher abgelehnt worden war, soll jetzt für einen Zeitraum von 23 Monaten (Januar 2022 bis November 2023) reichen, was gerade einmal 125 € im Monat entspricht. Hinzu kommt, das die Erhöhung um 200 € im Dezember nur für die unteren Lohngruppen einen Ausgleich für die nach wie vor hohe Inflationsrate bringt. Inwieweit die weiteren 210 € ab August 2024 einen echten Lohnzuwachs bringen, bleibt abzuwarten.

Die Forderung nach einer 12-monatigen Laufzeit wurde in keiner Tarifrunde durchgesetzt, aber bei der Bahn ist die Laufzeit mit 25 Monaten noch einmal einen Monat länger als bei den meisten anderen Abschlüssen. So wie es aussieht, ist die Forderung nach einer 12-monatigen Laufzeit offensichtlich im Tabukatalog der Unternehmerverbände gelandet, den sich wohl auch die Regierungen zu eigen gemacht haben. Nur ein gemeinsamer Kampf der Gewerkschaften wird dieses Dogma brechen können.

Auch weil der EVG-Vorstand sich nicht getraut hat, in eine harte Auseinandersetzung mit dem Vorstand der Deutsche Bahn AG zu gehen, empfehlen wir, dieses Ergebnis abzulehnen. Die Empfehlung, in die Schlichtung zu gehen, kam von dem EVG-Vorstand, um damit einen unbefristeten Streik zu vermeiden. Unter den gegebenen Umständen, wegen Ferienzeit und der vorhandenen großen Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Bahn, wäre es in der Tat schwierig gewesen wäre, die Öffentlichkeit für die Ziele der Gewerkschaft zu gewinnen. Schwierig, aber nicht unmöglich: Da die Forderungen nach echten Lohnerhöhungen eine große öffentliche Unterstützung haben, hätte die öffentliche Meinung durchaus für einen Streik gewonnen werden können. Diese Chance wurde leichtfertig vertan.

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