9-Euro-Ticket? Ja bitte!
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Eine gute Übergangslösung zum Nulltarif

9-Euro-Ticket? Ja bitte!

08.07.2022

Aufgrund massiver Proteste aus der Bevölkerung gegen die rasanten Verteuerungen am Energiemarkt, sah sich die deutsche Bundesregierung gezwungen darauf zu reagieren. Unter anderem führte sie zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zum 1. Juni 2022 das 9-Euro-Ticket für drei Monate im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ein, in der Hoffnung, dass sie damit die Proteste eindämmen könne.

Aber nicht nur finanzielle Entlastung der Bevölkerung wurde als Begründung angeführt, sondern auch der Klimaschutz, denn je mehr Menschen Busse und Bahnen nutzen würden, umso eher ließe sich Energie einsparen, die an anderer Stelle dringender benötigt werde.

Diese Maßnahme hat von Beginn an jede Menge Befürworter und Gegner dieses Beschlusses auf den Plan gerufen und heiße Diskussionen ausgelöst.

Eine heiße Diskussion

Zum einen sind da die Leute, die darauf verweisen, dass die Deutsche Bahn für den Steuerzahler ein Milliardengrab sei[1] und in der Konsequenz die Steuergelder verschwendet würden. Und die beiden FDP-Politiker Lindner und Wissing sowie Bundeskanzler Scholz erzählen jedem der es wissen will, dass für eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets angesichts der Schuldenbremse sowieso kein Geld vorhanden sei.

Die Milliarden-Folgekosten z.B. der Ahrtal-Überschwemmung lassen grüßen und fordern ein Umlenken der vorhandenen Gelder bzw. Subventionen heraus.

Wie verlogen diese Argumentation ist, zeigt sich z.B. an den 100 Milliarden Euro, die wie aus dem Nichts entstanden, aufgrund einer verkündeten „Zeitenwende“, und der Bundeswehr zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Und die unzähligen Subventionen z.B. für den Autoverkehr (Dienstwagenprivileg oder Pendlerpauschale) oder für die Flugindustrie usw. belegen, dass Maßnahmen zum Klimaschutz, angesichts der immer gravierenderen Folgen der Klimaerwärmung, meist nur auf dem Papier stehen – wenn überhaupt. Wie lächerlich und selbstentlarvend diese Argumentation ist, lässt sich am Beispiel des Verkehrsministers besonders gut aufzeigen, der das Tempo 130 auf Autobahnen u. a. damit ablehnte, dass nicht genügend Verkehrsschilder dafür zur Verfügung stünden.

Bei all dem Gerede darüber, dass das 9-Euro-Ticket nicht länger zu finanzieren sei, sollte nicht vergessen werden, dass jede jetzige Maßnahme zur Reduzierung der CO2-Bilanz und jeder jetzt zusätzlich investierte Euro in den Klimaschutz sich in Zukunft mehrfach rentieren wird. Die Milliarden-Folgekosten z.B. der Ahrtal-Überschwemmung lassen grüßen und fordern ein Umlenken der vorhandenen Gelder bzw. Subventionen geradezu heraus.

9-Euro Ticket forever – oder 365-Euro Ticket?

Auf der anderen Seite gibt es unzählige Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren und entweder direkt für die Verlängerung des 9-Euro-Tickets oder in etwas abgewandelter Form für das 365-Euro-Ticket oder gleich für den Nulltarif im ÖPNV eintreten. Diese Forderungen sind nicht neu. Durch die Einführung des 9-Euro-Tickets hat diese Bewegung jedoch neuen Auftrieb erhalten, was sich unter anderem an den diversen Petitionen zur Vergünstigung des ÖPNV im Internet ablesen lässt.

In den Begründungen dieser Petitionen, die teilweise auch auf Vorbilder aus dem Ausland verweisen (z.B. Luxemburg kostenlos seit 2020 oder Wien 365-Euro-Ticket), werden sowohl klimapolitische als auch sozialpolitische Aspekte für eine zeitgemäße Mobilität angeführt. Z.B. argumentiert die Petition „9-Euro-Ticket forever“ damit, dass das Ticket „zu einer vermehrten Nutzung der Öffis führen“ würde, was z.B. weniger Staus verursache. Eine aktuelle Analyse des Verkehrsdatenspezialisten TomTom über die Monaten Mai/Juni 2022 scheint diese Behauptung mit realen Daten zu belegen.[2] Die prophezeite verbesserte Klimabilanz hat sich, wenn auch nur in geringem Umfang, damit bestätigt.

Dass ein günstigerer ÖPNV, nicht nur bei massiver Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten, besser für das Portmonee ist, ist selbstverständlich. Damit kann vielen Menschen eine bessere Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht werden. Daten aus der Marktforschung belegen, dass das 9-Euro-Ticket nicht in erster Linie für Ausflugs- oder Urlaubsfahrten, sondern im Alltag genutzt wird (53 %)[3] und ihn damit offensichtlich erleichtern. Auch dies eine Vorhersage der Petitionen.

Von verschiedenen Seiten, auch von Bahnbefürwortern, wird behauptet, dass das 9-Euro-Ticket kontraproduktiv sei. Warum? Weil zum einen die Verkehrsbetriebe weder beim Personal noch beim Material auf die erhöhte Frequentierung vorbereitet seien. Erst wenn der ÖPNV zusätzliche und komfortablere Kapazitäten anbieten kann, könnte auf der Preisschiene etwas in Bewegung geraten. Zum anderen würde diese Vergünstigung „Millionen von Menschen zu Fahrten [anregen], die sie gar nicht geplant“ hätten und „hunderttausende Bahnfahrer dazu [bringen], vor den unzumutbaren Zuständen ins eigene Auto zu flüchten“. Zudem würde „stundenlanges Sitzen oder gar Stehen in überfüllten Zügen“ eine Antiwerbung für den ÖPNV sein und bei den meisten Nutzern dieses Angebotes würde es sich nicht „um notorische Autofahrer oder Berufspendler handeln […], sondern um Ausflugsgruppen.“[4]

Sicherlich waren die Verkehrsbetriebe auf den Nacht-und-Nebel-Beschluss der Bundesregierung zur Einführung des 9-Euro-Tickets nicht ausreichend vorbereitet und die Beschäftigten erreichen durch die  jetzt angestiegene Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sehr oft ihre Belastungsgrenzen. Allerdings mangelte es auch schon vor den derzeitigen Vergünstigungen an Personal. Vielfach wurden und werden deshalb Fahrpläne ausgedünnt oder ein Teil der Belegschaft musste Sonderschichten fahren.

Nutzer:innen erleben den kaputtgesparten ÖPNV hautnah – brauchen ihn trotzdem

Zudem ist doch bekannt, dass der ÖPNV jahrzehntelang kaputtgespart wurde. Wie lange hätte man auf ausreichendes sowie zeitgemäßes rollendes Material und auf ein entsprechend gut ausgebautes Schienennetz warten sollen? So wie es derzeit aussieht, würden Jahre ins Land gehen und es wäre kaum etwas passiert.

Und was ist denn schlecht daran, wenn Menschen zu Fahrten angeregt werden, die sie bisher gar nicht planten, nur weil sie sich vorher den ÖPNV nicht so ohne weiteres leisten konnten? Mit diesem Zugewinn an Mobilität erlangen diese Menschen ein Stück zusätzliche Freiheit, die ihnen bisher verwehrt wurde.

Zudem kommt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen in seiner Mitteilung vom 30. Juni 2022 in einer ersten Auswertung zu einem ganz anderen Ergebnis. Nicht nur, dass die von den Verkehrsunternehmen kalkulierte Verkaufszahl von 30 Millionen Tickets erreicht wurde  – sie sogar leicht überschritt. Auch „die Zufriedenheitswerte bei der Nutzung des Tickets bleiben auf konstant hohem Niveau.“[5] „89 % dieser Fahrgäste gaben an, dass sie mit ihrer letzten Fahrt in Bussen und Bahnen vollkommen, sehr zufrieden oder zufrieden waren. […] Hauptgründe für den Kauf des Tickets sind der Preis (71 %), der Verzicht auf Autofahrten (40 %), die flexible Nutzung am Wohnort (39 %) sowie die deutschlandweite Gültigkeit (34 %)“.[6] 

Sicherlich ist es durch die stärkere Nutzung auch für viele Menschen in Bussen und Bahnen unbequem und eng gewesen. Eine ganze Reihe von Reisenden konnte die Züge nicht nutzen, weil z.B. kein Platz mehr für die Fahrräder zur Verfügung stand und aufgrund des höheren Fahrgastaufkommens von 10-15 % mussten zusätzliche Verspätungen in Kauf genommen werden. Dies spricht jedoch nicht grundsätzlich gegen dieses Ticket, sondern belegt auf beeindruckende Weise wie notwendig ein viel kostengünstigerer ÖPNV sein muss. Diese erwähnten Erschwernisse sind übrigens nicht neu. Auch vor Einführung des 9-Euro-Tickets erlagen Reisende diesen Hindernissen und es wird hieran noch einmal deutlich, dass es dringend notwendig ist den ÖPNV materiell und personell zu stärken.

Vorteil 9-Euro-Ticket: im ganzen Land gültig

Ein ganz neuer Aspekt ist im Rahmen dieser Vergünstigung hinzugekommen, den viele Verkehrsinitiativen und Petitionen gar nicht bisher berücksichtigt hatten: das 9-Euro-Ticket ist im ganzen Land gültig! Das heißt: Das häufig mühselige Herausfinden für welche Tarifzonen eine Fahrkarte Gültigkeit hat, und wann zu- bzw. nachgezahlt werden muss, entfällt. Und in anderen Städten gilt der Fahrschein ebenfalls. Dies ist nicht nur eine Erleichterung für die Fahrgäste, sondern auch für das Fahrpersonal, dass sich ausschließlich auf die Beförderung, konzentrieren kann und deshalb in der Regel schneller erfolgt.

Da das 9-Euro-Ticket nur bis Ende August Gültigkeit hat, gibt es schon jetzt Diskussionen darüber was danach passieren wird bzw. soll. Die Verkehrsbetriebe kündigen schon jetzt, aufgrund der Preissteigerungen z.B. für Energie, höhere Preise nach dem Auslaufen dieses Tickets an[7].  Von der Bundesregierung darf derzeit nicht viel erwartet werden, denn für sie  ist die Zeit der Almosen vorbei. Die Linke und der Sozialverband Deutschland plädieren für ein 365 € Jahresticket. Das wäre dann zwar kein 9-Euro-Ticket mehr, würde aber immerhin wesentlich besser sein als vor Einführung des 9-Euro-Tickets. Deshalb sollte diese Forderung als Übergangslösung zu einem Nulltarif unsere Unterstützung finden.


[1] z.B.: https://www.focus.de/politik/deutschland/bund-pumpt-wegen-9-euro-ticket-unsummen-in-die-bahn-dabei-ist-die-schon-ein-milliarden-grab_id_107933390.html

[2] S. z.B.: https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-verkehrsdaten-weniger-stau-mit-dem-9-euro-ticket/28468286.html

[3] https://www.vdv.de/presse.aspx?id=b6f582ea-e5ef-4eab-aa31-ecfd6f9ba6db&mode=detail

[4] https://www.jungewelt.de/artikel/428088.entlastungspaket-neun-euro-ticket-ist-kontraproduktiv.html#:~:text=Das%20Probeabo%20endet%20automatisch%2C%20muss,ins%20eigene%20Auto%20zu%20fl%C3%BCchten.

[5] S. Fußnote 3

[6] https://www.vdv.de/presse.aspx?id=d1cbb804-1a3e-4dd2-8253-bccbee79d4f4&mode=detail

[7] https://www.jungewelt.de/artikel/427472.entlastungspaket-teures-strohfeuer.html

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