27. März 23: „Generalstreik“ im Verkehrssektor
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Betrieb & Gewerkschaft

27. März 23: „Generalstreik“ im Verkehrssektor

Von Helmut Born | 30.03.2023

Tarifrunde öffentlicher Dienst (Bund und Kommunen)

Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) steckt in diesem Jahr in mehreren Tarifrunden in ihrem Organisationsbereich. Den Auftakt bildete die Tarifrunde bei der Post/DHL, die am 14. März mit einem mäßigen Abschluss beendet wurde, obwohl der Konzern Deutsche Post so viel Profite wie noch nie gemacht hatte.

Seit Anfang des neuen Jahrhunderts gibt es im öffentlichen Dienst mehrere Tarifverträge. Es gibt sowohl Tarifverträge für einzelne Sparten wie auch einen Tarifvertrag für die Bundesländer. Dies ist Ergebnis der Deregulierungen, aber auch der Sparpolitik der letzten 30 Jahre geschuldet. Die Tarifrunde für Bund und Kommunen, ist diejenige, bei der ver.di am besten in der Lage ist, ihre Forderungen durchzusetzen. In den Kommunen sind die stark organisierten Teile von ver.di, die auch in früheren Tarifrunden den notwendigen Druck organsierten konnten. Dazu gehören die Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr, an den Flughäfen, in der Müllabfuhr, bei den Stadtwerken, aber auch in Krankenhäusern oder in den Kindertagesstätten (Kitas). Ver.di fordert eine Lohnerhöhung von 10,5 % mindestens 500 €. Dass dies nicht einfach werden würde, war wohl allen klar, zumal die beiden großen Industriegewerkschaften IG Metall (IGM) und IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE) im letzten Jahr ohne große Aktivitäten sehr bescheidene Abschlüsse getätigt haben.

Verhandlungen ohne Ergebnisse

In den bisherigen zwei Verhandlungsrunden, Ende Januar und im Februar, gab es von Bund und Kommunen keine ernsthaften Angebote. Daraufhin steigerte ver.di ihre Aktivitäten, so dass es an jedem Tag im März in verschiedenen Regionen einzelne oder mehrere Bereiche zu Warnstreiks herausgeholt wurden. Dadurch kam die Tarifrunde stark in den Medien vertreten und gewann sie eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, obwohl die Straßenbahnen und Busse an bis zu 10 Tagen in den Depots blieben und viele Kitas geschlossen blieben.

Im Februar hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihre Tarifforderung für dieses Jahr aufgestellt: Erhöhung der Löhne um 12 %, mindesten 650 € im Monat. Die erste Verhandlungsrunde wurde nach ein paar Stunden beendet; die EVG Führung erklärte, sie werde Streiks zur Durchsetzung organisieren würde. Dies ist für diese Gewerkschaft sehr ungewöhnlich, gilt sie doch innerhalb des Spektrums der Einzelgewerkschaften im DGB als eher handzahm und nahe dran am Vorstand der Deutsche Bahn AG. Ab Mitte März kursierte die Idee, zu Beginn der dritten Verhandlungsrunde im Öffentlichen Dienst am 27. März einen gemeinsamen Streiktag im Verkehrssektor zu organisieren. Diese Idee wurde zunächst mit viel Skepsis aufgenommen, da es in Deutschland doch sehr ungewöhnlich ist, Kämpfe von mehreren Einzelgewerkschaften gemeinsam zu führen.

Diese Skepsis wich immer mehr der konkreten Vorbereitung, und am 23. März gaben die Vorsitzenden der Gewerkschaften EVG und ver.di auf einer Pressekonferenz ihre Pläne für diesen Tag bekannt. Damit war klar, es wird am Montag, 27. März, in zahlreichen Regionen, mehr oder weniger landesweit einen Streik an den Flughäfen, bei der Bahn, in den Häfen, an den Schleusen der Kanäle und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geben. Danach überschlugen sich die Debatten in der Öffentlichkeit, manche Medien begannen mit einer massiven Hetze gegen diesen Streik. Dies nutzte aber nichts, da die öffentliche Meinung die Streiks weitegehend unterstützte.

Am 27. März ruhte dann tatsächlich weitgehend der öffentliche Verkehr in ganz Deutschland. Flughäfen mussten so gut wie alle Flüge stornieren, bei der Bahn sorgten die Stellwerker dafür, dass gar nichts lief, die Schleusenwärter sorgten für ein Erliegen des Schiffsverkehrs auf den Kanälen, in den Städten rollte keine Straßenbahn und keine U-Bahnen, nur die Busse der privaten Busbetriebe fuhren. Das befürchtete Chaos auf den Autobahnen und in den großen Städten blieb aus, da viele Beschäftigte Urlaub nahmen oder da, wo möglich, im Homeoffice arbeiteten. So wurden an diesem Tag erheblich weniger Staus gemeldet als an normalen Montagen, an denen gearbeitet wird. Die Hetze mancher Zeitungen ‒ allen voran die BILD-Zeitung ‒ lief also total ins Leere, und dieser Streiktag war ein voller Erfolg für ver.di und EVG.

Laut Frank Werneke, dem Vorsitzenden von ver.di, sind der Gewerkschaft während der Warnstreiks bei der Post und im Öffentlichen Dienst 70.000 neue Mitglieder beigetreten. Aktive Gewerkschafter:innen können glaubwürdig argumentieren: Wenn gekämpft wird, wird die Gewerkschaftsbewegung wieder stärker.

29. März 2023

PS: In der Nacht vom 29. auf den 30. März ist die dritte Runde der Verhandlungen zwischen den „Arbeitgebern“ auf der einen Seite und ver.di sowie Deutschem Beamtenbund auf der anderen Seite von den Gewerkschaften für gescheitert erklärt worden. Daraufhin hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigt, die „Arbeitgeber“ würden eine Schlichtung einberufen.

30. März 2023

Anmerkung zu Streiks in Deutschland

In den letzten Jahren hat es eine Entwicklung gegeben, die auf Durchsetzung von Forderungen durch „Warnstreiks“ setzt. Bei ver.di sind dies meist ganztägige Streiks, zu denen unterschiedliche Bereiche aufgerufen werden. Erst wenn es absehbar ist, dass es nicht möglich ist, zu einem Ergebnis zu kommen, wird das Scheitern der Verhandlungen erklärt, und es müssen Urabstimmungen unter den Mitgliedern durchgeführt werden. Es bedarf einer Mehrheit von 75 %, dann kann es unbefristete Streiks geben.

Sowohl bei Warnstreiks als auch bei unbefristeten Streiks zahlen die Gewerkschaften Streikgeld aus, allerdings nicht allen Streikenden, sondern nur ihren Mitgliedern.

Über den Verfasser

Helmut Born ist Mitglied von ver.di und im Ortsvorstand von ver.di Düsseldorf. Er ist auch Mitglied der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO), der Sektion der Vierten Internationale in Deutschland.

(red.) Dieser Artikel ist auf Bitte der Redaktion von International Viewpoint für die Presse der Vierten Internationale verfasst worden.

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