Bezahlt wird nicht!
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Leitartikel der September-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung (SoZ)

Bezahlt wird nicht!

Von Angela Klein | 29.08.2022

„Heizung, Brot und Frieden“ fordert eine Berliner Initiative gegen die Teuerungswelle in diesem Herbst. Die Losung spielt auf die Parole an, unter der die russische Revolution die Beendigung des Ersten Weltkriegs und den Sturz des Zaren erkämpfte. Eine ähnliche Initiative gegen die Preissteigerungen macht sich in Großbritannien breit und nennt sich „Enough!“ Es reicht. Schon lange. Irgendwann läuft der Krug über. Wenn im Herbst klar wird, was der Gas-Notfallplan für die einzelnen Haushalte real bedeutet, könnte das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Schon der aktuelle Eiertanz um die nach den Sommerferien zu ergreifenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist eine Umdrehung zu viel: Schulen auf oder zu? Flächendeckende Maskenpflicht ab 1. Oktober in öffentlichen Räumen oder nicht? Auch für Grundschüler:innen oder nicht? Einheitlich oder je nach Bundesland verschieden? Auf angepassten Impfstoff warten oder nicht? Sollen Corona-Infizierte überhaupt noch in Quarantäne? Und was sagen die Inzidenzen noch aus, wenn Menschen mit Symptomen sich nicht mehr testen lassen, weil die Bedeutung der Tests relativiert wurde?

Schon die Pandemie hat die soziale Ungleichheit massiv verschärft. Denn das Infektionsrisiko hängt maßgeblich von der Arbeits-, Wohn und Lebenssituation ab: Gegenüber erwerbstätigen Versicherten hatten Bezieher:innen von Arbeitslosengeld I ein um 18 Prozent höheres, Bezieher:innen von Arbeitslosengeld II sogar um 84 Prozent höheres Risiko, mit Covid-19 im Krankenhaus zu landen. Es sind dieselben, die im Herbst vor dem Aus stehen werden. Schon in 2019 hatte fast jeder Dritte am Ende des Monats nichts mehr, was er oder sie auf die Seite legen konnte. Nur in Rumänien passierte das noch mehr Menschen, der EU-Durchschnitt lag damals bei 27 Prozent. Die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben 300 Euro auf dem Konto. Das sind Millionen Menschen… Wovon sollen die im Herbst noch die Strom- und Heizungskosten zahlen?

Die Tafeln haben einen Aufnahmestopp verhängt. Binnen kurzer Zeit habe sich die Zahl derer, die bei ihnen um Essen bitten, um die Hälfte erhöht, berichten manche Ausgabestellen. Bei anderen hat sich die Zahl sogar verdoppelt. Schon jetzt fragen Menschen Campingplatzbesitzer:innen nach einem dauerhaften Stellplatz, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Und da geht es nicht „nur“ um Obdachlose und von Hartz-IV Betroffene, sondern auch um Menschen mit fester Anstellung. Jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor, im Osten doppelt so viel wie im Westen – zusammen mit den offiziell erwerbslos Gemeldeten sind das 12 Millionen Menschen. Da kann Frau Baerbock schon Angst kriegen, wenn die alle auf die Straße gehen.

Das ist der Hintergrund, vor dem uns verkündet wird, dass die Verbraucher:innen die Einnahmeausfälle der Gasunternehmen schultern sollen und wir obendrein noch solidarisch für die Ukraine frieren sollen.

Was heißt denn da Solidarität mit der Ukraine? Wir sollen Waffen liefern. Die müssen ersetzt werden – ein gutes Geschäft für die Rüstungsindustrie. Damit solidarisch sein? Die Gaslieferungen hat Russland auf 30 Prozent heruntergefahren, weil Deutschland unter dem Druck der USA NorthStream 2 nicht ans Netz gelassen hat. Das sollte dazu dienen, dass Russland von einer wichtigen Geldquelle abgeschnitten und damit gezwungen wird, die Invasion in die Ukraine zu beenden. Oder dass Putin so massive innenpolitische Probleme bekommt, dass ein wichtiger Teil der Oligarchie sich von ihm abwendet, weil er keine Geschäfte mehr machen kann.

Nichts davon ist eingetreten. Mit Öl und Kohle verdienen sich die Oligarchen weiterhin eine goldene Nase, und die Einfrierung der Zentralbankgelder hat deren Chefin umgehend mit einer Anhebung des Leitzinssatzes auf 20 Prozent gekontert, womit sie eine Kapitalflucht größeren Stils verhindert hat. Der Rubel steigt wieder, im Gegensatz zum Euro… An der Gasknappheit aber verdienen die Ersatzlieferanten in den USA und Katar. Damit solidarisch sein?

Das einzige greifbare Ergebnis der Sanktionen ist, dass jetzt Anlagen gebaut werden, um Flüssiggas aus den USA und Katar zu beziehen – es wird also nur der Anbieter gewechselt, und die neuen Bezugsquellen sind deutlich klimaschädlicher als die alten. Das freut auch RWE, weil deren Kraftwerke Aussicht auf Verlängerung haben. Für die Atomkraftbetreiber könnte das sogar bedeuten, dass sie das Atomausstiegsgesetz ein zweites Mal kippen können. Solidarisch mit den Energiekonzernen und der Atomlobby?

Das soll jetzt kein Plädoyer dafür sein, NordStream 2 doch noch ans Netz zu holen. Viel zu lange haben die Bundesregierungen darauf verzichtet, Ansätze für einen Ausstieg auch aus dem Gas zu entwickeln. Jetzt wurden sie unangenehm mit der Nase darauf gestoßen. Trotzdem ist die Lage nicht ausweglos: Eine Studie des Zero Emission Think Tanks hat errechnet, wie wir Russland und dem Klimawandel entkommen können: Indem wir einen großen Teil der 9700 bestehenden Biogasanlagen ans Gasnetz anschließen. Bislang produzieren diese Anlagen Strom, der kann durch den raschen Ausbau von Windkraft ersetzt werden. 1700 Windkraftanlagen sind bereits genehmigt, aber noch nicht gebaut – die würden dafür schon reichen, sie könnten jährlich rund 40 Milliarden Kilowattstunden Elektrizität erzeugen. Das sind nur einige ihrer Vorschläge, sie zeigen aber: Wir brauchen das russische Gas nicht und müssen dafür auch nicht die Laufzeiten der Kohle- oder gar Atomkraftwerke verlängern.

Für diese Maßnahmen veranschlagen die Forscher:innen 40 Milliarden Euro. Die 100 Milliarden, die für die Bundeswehr gedacht sind, wären dafür wahrlich besser ausgegeben. Und es wäre voll gerechtfertigt, die Reichen dafür zur Kasse zu bitten, da sie ja auch den größten ökologischen Fußabdruck haben. Sollten unter diesen Umständen trotzdem vorübergehend Einschränkungen notwendig sein, dann gäbe es in der Bevölkerung auch eine Akzeptanz dafür – so wie es anfänglich auch eine Akzeptanz für Einschränkungen wegen der Pandemie gab.

Für ein Programm aber, das so unverhohlen die fossile Lobby und die Reichen begünstigt, gibt es keine Akzeptanz. Da kann man nur sagen: Ya basta! Es reicht! Auf die Straße!

Die Forderungen, die wir im Herbst vortragen, müssen wenige, dafür kurz und knackig sein. Eigentlich reduzieren sie sich auf drei:

* Zugang zu Energie ist ein Menschenrecht. Mindestens für Bezieher:innen von Arbeitslosengeld I oder Hartz IV, aber auch für Mindestlöhner:innen sollte sie kostenlos sein. Nulltarif für Strom und Heizung für die untersten Einkommensklassen.

* Keine Verlängerung der Laufzeiten für AKW und Kohlekraftwerke und kein Bau von LNG-Termi­nals. Lützerath muss bleiben!

* Anpassung der Löhne an die Inflationsrate.

* Vergesellschaftung der Energiekonzerne, damit die gesellschaftlich notwendigen Maßnahmen auch durchgesetzt werden können.

Dafür die Praxis der Montagsdemonstrationen wieder aufzunehmen, ist goldrichtig. Herr Ramelow und sein Verfassungsschutz aus Thüringen wären besser beraten gewesen, sie hätten den larmoyanten Hinweis, die Montagsdemonstrationen gehörten der DDR-Opposition, die dürften Linke nicht für sich besetzen, mal gegen Pegida und deren Ableger gewendet. Die Montagsdemos wurden schon 2003 in ganz Deutschland von Linken und Gewerkschafter:innen gegen die Agenda 2010 aufgegriffen. Ihr Ursprung ist in Ost und West ein fortschrittlicher und es wäre nichts als Kapitulation, würden wir diese Tradition den Rechten überlassen.

Vom Demonstrieren kriegen wir unsere Gasrechnung aber nicht bezahlt. In Großbritannien haben sie darauf die richtige Antwort gefunden: Donʼt pay! Zahlt nicht!Es ist der prägnanteste Aufruf aller Zeiten, er besteht aus einer Forderung und zwei Ankündigungen:

  • „Wir fordern eine Senkung der Energierechnungen auf ein erschwingliches Niveau.
  • Wir werden unsere Lastschriften ab dem 1. Oktober streichen, wenn wir ignoriert werden.
  • Wir werden diese Maßnahme ergreifen, wenn bis dahin 1 Million Unterschriften eingegangen sind.

Dafür enthält der Aufruf eine ausführliche Anleitung, wie die Kampagne aufgebaut werden kann. Stand 19.8. haben 109.019 Menschen unterschrieben, dass sie dem Aufruf Folge leisten werden (https://dontpay.uk/). Das ist etwas anderes als die bei uns üblichen unverbindlichen Bekenntnisse!

Wenn wir es ernst meinen mit dem Widerstand gegen Lohn- und Sozialraub, dann sollten wir eine solche Initiative ab sofort propagieren.

/https://www.sozonline.de/
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