Noch kein Abschluss in Sicht

Ver.Di-Streik im Handel Foto: Privat, Privat

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Tarifrunde im Einzel- und Großhandel

Noch kein Abschluss in Sicht

Von Helmut Born | 28.12.2023

Nachdem jetzt die Tarifrunden in den allermeisten Bereichen abgeschlossen sind, kämpfen die Beschäftigten im Einzel- wie im Großhandel weiter für einen Tarifabschluss. Seit April laufen Aktionen, Streiks und Verhandlungen in diesen für die Wirtschaft bedeutenden Bereichen. Wegen ihrer Vielschichtigkeit und Dezentralität ist es schwierig, in diesen Branchen schlagkräftige gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen, das lässt sich an der Anzahl der gewerkschaftlich Organisierten festmachen. Gewerkschaftsmitglieder gibt es meistens nur in größeren Betrieben, in denen es gelungen ist, stabile gewerkschaftsnahe Betriebsräte aufzubauen. In Betrieben ohne Betriebsrat ist dies außerordentlich schwer. Es gibt auch Filialunternehmen wie z.B. die großen Drogeriemarktketten wie dm, Rossmann oder Müller, die zwar Betriebsräte haben, diese haben allerdings (wenn überhaupt) nur eine sehr geringe Bindung an ver.di.

Einzel- und Großhandel – was sind das für Branchen?

Fangen wir mit dem Einzelhandel an. Dazu gehören die Discounter, die Baumärkte, die Drogerie- und Elektromärkte, die Warenhäuser sowohl „Textillastige“ (P&C, Galeria, Breuninger) wie auch SB-Warenhäuser und natürlich die Supermärkte. Weiterhin der ganze stationäre Einzelhandel mit den vielen Fachgeschäften mit privaten Betreibern und der Versandhandel. Amazon z. B. wehrt sich heftig gegen eine tarifliche Bindung, aber vor allem will der Vorstand, dass das Unternehmen nicht zum Einzelhandel gehört. Bäckereien und Metzgereien gehören allerdings nicht dazu, da sie meist an einen Produktionsbetrieb angeschlossen sind.

Zu Groß- und Außenhandel gehört alles, was irgendwie für Einkauf und Weiterverkauf von Fertigprodukten ganz gleich welcher Branche zuständig ist. Dazu gehört der Handel von Medikamenten, genauso wie der von Lebensmitteln, der Handel von Eisen- oder Stahlprodukten genauso wie Elektronik. Dies führt z. B. zu der schwierigen Situation, dass Einkauf und Logistik von Lebensmittelkonzernen zum Großhandel gehören, während die Filialen zum Einzelhandel gehören oder wie die Handelstochter von Thyssen Krupp ebenfalls zum Großhandel und nicht zur Stahlindustrie.

Die Forderungen

Da es in beiden Bereichen keine zentralen Verhandlungen gibt, wird in jedem Tarifbereich extra verhandelt. Es gibt zwar Zusammenschlüsse einzelner Bundesländer, wie z. B. Berlin-Brandenburg, aber generell wird dezentral verhandelt. Dies gilt für beide Branchen. Trotzdem gibt es Absprachen über möglichst gleiche oder zumindest ähnliche Forderungen.

Einig waren sich die Tarifkommissionen von ver.di über die Dauer der Laufzeit der Tarifverträge, die 12 Monate betragen soll. Dies vor dem Hintergrund, dass die letzten Tarifabschlüsse jeweils eine Laufzeit von 24 Monaten hatten, wobei die letzte Erhöhung im Frühjahr 2022 ganze 2 % betrug, was einen erheblichen Lohnverlust bei der hohen Inflationsrate in diesem Jahr bedeutete. Im Einzelhandel laute die Forderung 2,50 € mehr pro Stunde und eine Erhöhung der Azubi-Vergütung zwischen 175 und 250 €.

Im Groß- und Außenhandel wird eine Erhöhung der Einkommen um 13 % gefordert. Zentral ist in beiden Bereichen die Forderung, dass die Tarifverträge allgemeinverbindlich sein sollen, was die Unternehmerverbände aber ablehnen.

Bisherige „Angebote“ – viel zu niedrig

Die Unternehmerverbände haben den Unternehmen im Oktober empfohlen, die Einkommen der Beschäftigten um 5,3 % im Einzelhandel und um 5,1 % im Großhandel zu erhöhen. Dieser Empfehlung sind manche Unternehmen gefolgt. Es gibt aber in beiden Bereichen viele Unternehmen, die entweder gar nicht den beiden Verbänden angehören oder eine „OT-Mitgliedschaft“ (Ohne Tarifbindung) haben. Diese suchen sich aus, was ihnen gerade passt. Im Oktober haben dann die beiden Unternehmerverbände erklärt, sie würden sich nicht mehr an dezentralen Tarifverhandlungen beteiligen, sie verlangten zentrale Verhandlungen, eine alte Forderung von ihnen. Dieser hat die Fachbereichsleitung von ver.di eine eindeutige Absage erteilt und darauf bestanden, dass weiter dezentral verhandelt wird. Dies sahen die Unternehmerverbände in einem Gespräch dann wohl ein und kehrten zu dezentralen Verhandlungen zurück. Wer allerdings gehofft hatte, das sie sich von ihren harten Positionen verabschieden, sah sich getäuscht, auch wenn im Einzelhandel jetzt 6 % für 2023 nach mehreren Nullmonaten und ein Inflationsausgleich von 700 € angeboten wurde, 2024 soll es dann mit 4 % eine deutlich niedrigere Anhebung geben. Im Großhandel wurden weiterhin nur 5,1 % nach drei Nullmonaten und für 2023 ein Inflationsausgleich von 700 € angeboten; 2024 soll es gar nur 2,9 % geben.

Die Aussichten

Dass es im Handel länger andauernde Tarifrunden gibt, ist nichts Neues. Auch wenn es in den letzten Jahren meist Abschlüsse vor den Sommerferien gab, die in der Regel unterhalb der Abschlüsse in anderen Branchen lagen, so konnten diese doch meistens die Einkommen der Beschäftigten sichern. Dies ist mit den Angeboten der Unternehmer in diesem Jahr nicht mehr der Fall. So ist der Fachbereich der Gewerkschaft mit all seinen Kräften gefordert, die Einkommen zu verteidigen.

Dass dies nicht einfach ist, habe ich oben versucht deutlich zu machen. Trotz teilweise sehr guter Mobilisierungen, ist es bis heute nicht gelungen, die Unternehmer zum Einlenken zu bewegen. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass ein Unternehmen wie Galeria in der Tarifrunde wegen seines „Sanierungstarifvertrags“ keine Rolle spielt und dass die Amazon-Beschäftigten darum kämpfen, dass sie überhaupt nach Tarif bezahlt werden. Dies erschwert die Situation für ver.di zusätzlich, auch wenn die Amazon-Beschäftigten durch ihre häufigen Streikaktionen die Mobilisierungen unterstützen.

Ver.di hatte für die letzte Woche vor Weihnachten weitere Streiks angekündigt, um den Druck noch einmal zu erhöhen. Offensichtlich haben sie den Einzelhandelsverband nicht sonderlich beeindruckt. Bei der letzten Verhandlungsrunde am 28. Dezember in Hamburg hat es wiederum keine Einigung gegeben, da die Unternehmensseite kein neues Angebot vorgelegt hatte. Ver.di wird überlegen müssen, wie sie die Unternehmer noch mehr unter Druck setzen können um zu einem akzeptablen Ergebnis zu kommen.

Oft wird behauptet, im Handel sei eine andere Strategie notwendig, damit die Gewerkschaft handlungsfähiger ist und bessere Ergebnisse erzielen kann. Dazu gehört die Meinung, zentrale Verhandlungen wären besser. Dazu möchte ich anmerken, dass es dazu im Fachbereich eine eindeutige Haltung gibt: Das wird nicht gewollt. Mit zentralen Verhandlungen würden die dezentralen Strukturen geschwächt, und manche ehrenamtlichen Kolleg:innen könnten sich nicht mehr im gleichen Umfang engagieren. Dass dies bei der Beschäftigtenstruktur im Handel eine Rolle spielt, dürfte ersichtlich sein. Sogar in der Stahlindustrie, mit erheblich weniger Betrieben, wird regional verhandelt. Lediglich im Öffentlichen Dienst und in manchen Dienstleistungsbereichen wird zentral verhandelt. Da Gewerkschaften im Wesentlichen von dem Engagement ihrer Mitglieder leben, spielt die Struktur schon eine wesentliche Rolle.

Oft wird auch die Frage gestellt, ob ver.di im Handel kämpferischer auftreten müsse. Ich denke, bei all den Schwierigkeiten in beiden Branchen wird deutlich, dass die ver.di-Fachbereichsleitung auf die kämpferische Durchsetzung von Forderungen setzt. Es gibt ganze Regionen, in denen es praktisch keine Mitglieder, geschweige denn kampffähige Belegschaften gibt. Die Bedingungen sind nach wie vor schwierig, auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte bei der Erschließung von Betrieben gegeben hat. Bei all diesen Schwierigkeiten in beiden Branchen bleibt ver.di nichts weiter übrig, als weiter Aufbauarbeit zu leisten und an der Mobilisierungsfähigkeit zu arbeiten.

28.12.2023

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