Wie Unternehmen in der Ukraine versuchen, die Kriegssituation für die Schwächung von Arbeitsschutzbestimmungen zu nutzen, erfuhr eine Delegation von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die die Ukraine im Oktober 2023 besucht hat.
Natalja Marynyuk, die Vorsitzende der Gewerkschaft bei ArcelorMittal in Krywyj Rih, einem der größten Stahlwerke, berichtete, dass ein wichtiger Kollektivvertrag gefährdet ist. Er regelt alle wesentlichen Arbeitsbeziehungen. Das örtliche Management will dieses seit 2007 bestehende verbindliche Abkommen in 26 Punkten verändern. Formal ist der Kollektivvertrag am 31. Dezember 2023 ausgelaufen. Bisher war es üblich, dass der Vertrag einfach verlängert wurde. Genau dies hatte die Gewerkschaft auch vorgeschlagen.
Kapital als Nutznießer des Krieges
Jetzt soll aber alles anders sein. Natalja ist der Meinung, dass das Management die Kriegssituation ausnutzt, um beispielsweise Sicherheitsstandards zu senken. Es gab mit allen elf im Werk vertretenen Gewerkschaften ein Treffen. Dort wurde beraten, wie man gemeinsam gegen das Vorhaben des Managements vorgehen kann. Die Allianz der Gewerkschaften bereitet ein Ultimatum vor. Die Handlungsmöglichkeiten sind durch das Kriegsrecht sehr eingeschränkt. Trotzdem will man eine Streikoption nicht ausschließen.
Natalja hofft auf ein Einlenken der Geschäftsleitung. Sie hat dem Vorstandschef von ArcelorMittal geschrieben und um Unterstützung gebeten. Er solle doch bitte nach Krywyj Rih kommen und sich ein Bild von der Arbeitssituation machen. Die Sicherheit für die Beschäftigten sei jetzt schon katastrophal, da könne man die Standards nicht noch weiter absenken. Man habe nicht vergessen, wie alle ausländischen Mitglieder der Geschäftsleitung eine Woche vor Kriegsausbruch die Ukraine verlassen haben. 3.000 Beschäftigte kämpfen an der Front und sorgten für die Sicherheit der Stadt und für die Sicherheit des Werks. Jetzt den Kollektivvertrag zu kündigen, wäre einfach eine Schweinerei.
Unterstützung von Gewerkschaftsarbeit
Die Delegation von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern bereiste die Ukraine in der Zeit vom 9. bis zum 13. Oktober 2023 im Rahmen der Initiative „Gewerkschaftliche Solidarität – Humanitäre Hilfe für ukrainische Gewerkschaften“. Ziel der Reise war es, sich vor Ort einen konkreten Eindruck zu verschaffen. Von besonderem Interesse war die Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen Gewerkschaften und soziale Initiativen in der Ukraine angesichts von Krieg und neoliberalem Umbau des Landes.
In Kiew und in Krywyj Rih konnten viele Gespräche mit Aktiven geführt werden. Dazu gehörten Gespräche mit der Föderation der Ukrainischen Gewerkschaften (FPU) und ein Gespräch mit Ärzten, die sich für eine bessere Krankenversorgung einsetzen und dafür eine unabhängige Gewerkschaft gegründet haben.
Der Initiative #BeLikeNina ist es gelungen, eine landesweite Kampagne zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern auf den Weg zu bringen. Auch mit den Gründerinnen gab es ein Treffen. #BeLikeNina zählt jetzt 80 000 Mitglieder. Ziel ist es, eine Allukrainische Gewerkschaft der im Gesundheitssektor Arbeitenden zu gründen.
Durch die Delegationsreise konnten viele persönliche Kontakte vor Ort geknüpft werden. Sie sollen jetzt für konkrete Solidaritätsarbeit genutzt werden.
Dieser Bericht ist zuerst in Avanti2 vom Dezember 2023 erschienen.
Weitere Informationen:
Näheres über die Arbeit der Initiative „Gewerkschaftliche Solidarität – Humanitäre Hilfe für ukrainische Gewerkschaften“ ist über die Kontaktadresse Christian.Haasen@gmail.com zu erhalten. Siehe auch die Webseite der Initiative https://gewerkschaftliche-ukraine-solidaritaet.de/ (im Aufbau).
Spenden bitte an:
Internationale Solidarität e. V.
Stichwort „Ukraine Solidarität“,
IBAN: DE94 4306 0967 6049 1075 00