“Starkes Signal für Gute Arbeit”?
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Bundeskongress von ver.di 2023

“Starkes Signal für Gute Arbeit”?

27.10.2023

Vom 17. bis 22. September 2023 hat in Berlin der 6. ordentliche ver.di-Bundeskongress mit ca. 1000 Teilnehmenden stattgefunden. Avanti² hat mit Petra, einer der Delegierten, über ihre Eindrücke gesprochen.

Der Umgang der Gewerkschaft mit dem Krieg in der Ukraine hatte schon im Vorfeld zu großen Diskussionen geführt. Wie hat sich der Bundeskongress dazu positioniert? Welche Anträge wurden beschlossen?

Schon Wochen vor dem Kongress kursierte eine Petition, mit der die Delegierten aufgefordert wurden, gegen den Leitantrag „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch“ zu stimmen, der vom Gewerkschaftsrat eingebracht worden war. Viele Aussagen des Textes sind unstrittig, aber es finden sich einige problematische Passagen darin und er hat Leerstellen. So werden die Reaktion der Europäischen Union sowie der Bundesregierung auf den russischen Angriff auf die Ukraine als grundsätzlich richtig bezeichnet, also auch Waffenlieferungen und Sanktionen. Die Forderung an die Regierung, sich für einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen einzusetzen, fehlt dagegen. Dies wird von nicht wenigen als Verstoß gegen die ver.di-Grundsatzerklärung von 2010 gesehen, die auf eine friedliche Regelung von Konflikten abstellt. Außerdem erweckt die Formulierung im Antrag den Eindruck, dass ver.di mit der Ampel-Regierung den Schulterschluss sucht. Dieser Eindruck wird noch verstärkt dadurch, dass in dem Antrag keine Verbindung hergestellt wird zwischen dem milliardenschweren und auf Dauer angelegten Hochrüstungsprogramm der Bundesregierung einerseits und Kürzungen bei Sozialausgaben und der Daseinsvorsorge andererseits. Obwohl klar ist, dass das Geld, das für Waffen fließt, für wichtige gesellschaftliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Auch nicht für die Eindämmung der Klimakatastrophe.

Um eine breite Zustimmung zum Leitantrag zu ermöglichen, wurden diverse Änderungsanträge zu den strittigen Passagen eingereicht.

Es war absehbar, dass es unter den Delegierten einen großen Diskussionsbedarf zu diesem Antrag geben würde. Hierfür hatte die Kongressleitung auch Raum gegeben. Die konstruktive und inhaltsreiche Diskussion endete jedoch abrupt mit der Annahme eines Antrags auf auf Ende der Debatte und Abstimmung aller Änderungsanträge en bloc entsprechend der Empfehlung der Antragskommission. Und diese hatte wesentliche Änderungsanträge auf Ablehnung gestellt.

Am Ende stimmten 275 Delegierte gegen den leicht geänderten Leitantrag – ein Drittel der 856 Delegierten, die sich an der Abstimmung beteiligten. Man kann also nicht sagen, dass sich ver.di als Ganzes hinter die kriegstreiberische, unsoziale Politik der Bundesregierung gestellt hat. Außerdem hat der Bundeskongress klar zum Ausdruck gebracht, dass ver.di Teil der Friedensbewegung bleiben will.

BR-Mobbing als Mittel von Geschäftsleitungen, um kritische Betriebsrät:innen z.B. mit „Verdachtskündigungen“ zu bekämpfen, kommt immer häufiger zur Anwendung und findet auch in den Branchen statt, in denen ver.di zuständig ist. Inwiefern hat dieses Thema auf dem Kongress eine Rolle gespielt? Gab es diesbezüglich Anträge und was ist mit diesen passiert?

Ein Antrag aus Niedersachsen/Bremen wurde angenommen als Arbeitsmaterial zur Weiterleitung an den Bundesvorstand: Der Bundesvorstand wird aufgefordert, eine ver.di-interne Koordinierungsstelle einzurichten. Eine zentrale Anlaufstelle für alle Fälle von Union Busting, die Gegenstrategien entwickelt, juristische Einschätzungen bündelt, Gewerkschaftssekretär*innen berät und für diese sowie für Union-Busting-Betroffene Handlungshilfen erarbeitet. Betroffene sollen psychosoziale Unterstützung erhalten und sich vernetzen können. Weitere Aufgaben der Koordinierungsstelle „Union Busting“ sollen die Unterstützung und Koordinierung von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen gegen konkrete Fälle des Union Bustings sein. Auch der Aufbau von Bündnissen soll helfen, den nötigen öffentlichen Gegendruck zu erzeugen.

Ein Antrag der Landesbezirkskonferenz Rheinland-Pfalz-Saarland wurde angenommen als Arbeitsmaterial zum Leitantrag „Mit vereinter Kraft für Gute Arbeit“, der wie dieser unter anderem die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sowie die Behandlung von Straftaten gegen die Betriebsverfassungsorgane als Offizialdelikte in ein modernisiertes Betriebsverfassungsgesetz aufnehmen will.

Bei den Diskussionen auf dem Kongress hat das Thema allerdings keine Rolle gespielt. Wie andere unstrittige Anträge wurden auch diese en bloc abgestimmt.

Welche Diskussionen und Entscheidungen auf dem Kongress findest du erwähnenswert?

Es gab großen Diskussionsbedarf bei der Aussprache zum Geschäftsbericht des scheidenden Bundesvorstands. An die fünfzig Kolleg*innen meldeten sich zu Wort. Es gab diverse Beiträge, die sich gegen die Praxis der Sozialpartnerschaft richteten und stattdessen eine antikapitalistische Haltung und ein entsprechendes Vorgehen von ihrer Gewerkschaft einforderten. Auch die Nähe zur SPD-Politik stieß auf Kritik. Es gab diverse Appelle für eine bessere Zusammenarbeit innerhalb von ver.di, sowohl in Bezug auf die unterschiedlichen Bereiche und Gremien, als auch in Bezug auf die Friedensfrage.

Bemerkenswert finde ich auch, dass es nun eine neue Personengruppe Queer bei ver.di gibt. Die Antragskommission hatte ursprünglich empfohlen, den entsprechenden Satzungsantrag der Bundesfrauenkonferenz abzulehnen. Der Antrag war jedoch nicht nur gut vorbereitet, sondern wurde von den Frauen und von der Jugend sichtbar unterstützt, was viele Delegierte und am Ende auch die Antragskommission überzeugte.

Hat der Gewerkschaftskongress zu einer politischen Neuausrichtung hin zu einer kämpferischen Gegenmachtstrategie geführt?

Ich habe nicht den Eindruck, dass der Kongress zu einer politischen Neuausrichtung geführt hat.

Aber es ist deutlich geworden, dass es viele kritische Stimmen und vielfältige Aktivitäten an der Basis gibt, von denen einige auf dem Kongress durch Aktionen sichtbar wurden. So kamen Vertreter*innen von Fridays for Future zu Besuch und stellten gemeinsam mit Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr die Petition #wirfahrenzusammen vor.

Erwartungsgemäß wurde Orhan Akman nicht in den Bundesvorstand gewählt. Aber er hat 201 von 905 abgegebenen Stimmen bekommen. Und 66 Delegierte haben sich enthalten. Das heißt sicherlich nicht, dass alle Delegierten, die für Orhan Akman gestimmt haben, mit allen seinen Handlungen und Vorschlägen einverstanden sind. Aber ich sehe es als ein Signal, als Forderung nach einer politischen und organisatorischen Neuausrichtung von ver.di zu einer Gewerkschaft, die sich Krisen und Klimakatastrophe stellt, den Klassenkampf von oben mit Klassenkampf von unten beantwortet und sozialpolitischen Kahlschlag und Kriegstreiberei entschieden entgegen tritt.

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