Krieg des russischen Imperialismus gegen die Ukraine – Ergebnis langer Vorbereitung

Weder us-amerikanischer, noch russischer, noch EU-Imperialismus! Foto: Balkan Photos, EU Russa USA Rubic's Cube, CC0 1.0

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Russland

Krieg des russischen Imperialismus gegen die Ukraine – Ergebnis langer Vorbereitung

Von Christian Zeller, 25. Februar 2022 | 01.03.2022

Der russische Angriff gegen die ukrainische Bevölkerung bestätigt mit aller Wucht, dass wir in eine historische Phase umfassender Brüche und Wendungen getreten sind. Wir sind an einer weiteren Wegmarke einer Zeitenwende angelangt, die sich bereits vor einiger Zeit angekündigt hat. Entgegen einer traditionellen linken Erzählung, die in einem geopolitischen und letztlich reaktionären Lagerdenken, dem „Campismus“, verharrt, ist zu anerkennen, dass nicht die USA und die NATO, sondern Putin und seine Oligarchencliqué den Takt in diesem Konflikt bestimmen. Das wirft einige Fragen auf.

In meinem Artikel „Gegen die Welt der Imperialismen –die Welt des Widerstands von unten aufbauen“, den ich am 23. Februar, also vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine verfasste, argumentiere ich für eine grundsätzliche Orientierung gegen alle Imperialismen. In seiner Rede vom 21. Februar sprach Putin ganz offen der Ukraine die Existenzberechtigung ab und kündigte den Krieg an. Der am 24. Februar gestartete Großangriff offenbart, dass diese umfassende Operation von langer Hand vorbereitet wurde.

Die USA, die NATO und die EU sind weder in der Lage und noch willens, konsistent zu reagieren. Sie akzeptieren, dass Putin die Ukraine ihrem Einflussgebiet wieder entzieht. US-Präsident Biden warnte am 17. Februar vor der russischen Invasion. Diese Rede war nicht plumpe Propaganda, sondern vielmehr das Eingeständnis der eigenen politischen Schwäche und Unfähigkeit, der russischen Aggression entgegenzutreten. Die US-Geheimdienste wussten, was passieren wird. Doch die USA und NATO agieren aus einer Position der politischen Schwäche, obschon sie die weitaus stärkste Militärmacht sind. Die Desaster in u.a. Afghanistan, Irak und Libyen wiegen zu schwer. Auf die Wirtschaftskrise und die politischen Widersprüche reagieren die USA und die europäischen Regierungen in einer Logik, des „jeder ist sich selbst der Nächste“. Das verunmöglicht eine gemeinsame Strategie.

Keine Regierung in Europa bereitete ernsthaft einen Krieg vor. Bereits vor Wochen sprach sich der CDU Vorsitzende Merz gegen harte Sanktionen gegen Russland aus. Schließlich ist das deutsche Kapital längst stark in Russland vertreten und zwar viel massiver als in der Ukraine (siehe Direktinvestitionsstatistik). Das europäische Kapital will nicht auf den russischen Markt verzichten. Die Regierungen blicken gebannt darauf, ob die russischen Gaslieferungen pünktlich eintreffen und hoffen, dass der Gaspreis nicht allzu stark steigt. Österreichische Politiker:innen bekräftigen, dass sie weiterhin in den Aufsichtsräten russischer Konzerne bleiben wollen. Die Schweizer Regierung will, dass ihr Land weiterhin Drehscheibe der russischen Rohstoffexporte bleibt. Das Unternehmen Nord Stream 2 mit dem Anteilseigner Gazprom und den Finanzinvestoren Engie, OMV, Shell, Uniper und Wintershall DEA hat seinen Sitz im Offshore-Finanzplatz Zug. Damit sind alle zufrieden. Die russische Ökonomie ist auf ihre spezifische rohstofflastige Weise mit dem weltweiten Kapital verbunden. Der russische Imperialismus stützt sich diese Rohstoffökonomie und die wiedererstarkte Militärmacht. Er ist längst in der Lage, Kapital zu exportieren. Zugleich ist auch viel europäisches Kapital in Russland angelegt. Dieses fürchtet bei einer Zuspitzung der Lage um seine Vermögensbestände. Wenn die EU-Länder jetzt russische Vermögensbestände einfrieren würden, verlören diese Konzerne ihre Assets in Russland.

Putins Strategie ist primär politisch motiviert. Er pokert hoch und setzt auf Sieg. Er geht das kalkulierte Risiko ein. Sein Feldzug ist Ergebnis einer langen Planung und systematischen Vorbereitung. Es ist absurd zu meinen, eine derartige Operation ließe sich als kurzfristige Reaktion auf Scharmützel im Osten der Ukraine lostreten. Diese langfristige Planung zeigt auch, dass Putins Kriegsoffensive nicht eine Reaktion auf die mangelnde Verhandlungsbereitschaft europäischer Regierungen ist, sondern einer eigenen inneren imperialistischen Logik entspringt, die es allerdings noch besser zu entziffern gilt.

Linke, die bislang nur von westlicher Kriegspropaganda geschwafelt haben, die langfristige Strategie von Putin aber ausblendeten, erleben nun den Bankrott ihres sterilen einseitigen Pseudo-Antiimperialismus. Die NATO wäre derzeit nicht in der Lage Krieg zu führen. Es gab im Unterschied zu den Kriegen gegen Irak, Serbien oder auch Libyen nicht die geringste Vorbereitung der Öffentlichkeit auf irgendwelche offensiven kriegerischen Aktionen. Weder das Kapital noch die Bevölkerung in Europa wollen Krieg. Das Kapital fürchtet eine Entwertung. Das Kapital muss und will zirkulieren, auch in der Pandemie, auch im Krieg. Die Menschen haben ihre Alltagssorgen.

Wenn die NATO den russischen Feldzug wirklich hätte verhindern wollen, hätte sie wirklich offensiv agieren müssen. Doch das konnte sie nicht. Sie ist dazu politisch derzeit nicht in der Lage. Zudem drohte Putin letztlich mit nicht weniger als einem Atomschlag. Nur die Drohung eines zerstörerischen atomaren Gegenschlags hätte ihn abgeschreckt. Zum Glück wollte niemand diesen Schritt gehen. Die 1980er Jahre kommen nicht zurück.

Die nächsten Jahre werden von einer gigantischen Aufrüstungswelle gekennzeichnet sein. Der US-Imperialismus und die europäischen Imperialismen werden versuchen, ihre Interventionsfähigkeit um jeden Preis wiederherzustellen, schließlich baut sich mit China ein neuer, potentiell noch stärkerer Rivale auf. Diese Aufrüstung wird von einem Angriff auf elementare soziale Errungenschaften, einer weiteren Staatsverschuldung und der abermaligen Ausweitung fiktiven Kapitals mit nachfolgenden Crashs verbunden sein. Das hierzu dienliche ideologische Begleitfeuer deutet sich bereits an.

Wirksame Maßnahmen gegen die Erderhitzung stehen unter diesen Verhältnissen nicht auf der Tagesordnung. Jede Form sozialen Kompromisses oder eines Green New Deal ist komplett jenseits der Tagesordnung. Das macht jedes gesellschaftliche Reformprojekt einer linken Partei zur Makulatur.

Unmittelbar gilt es den Widerstand von unten aufzubauen. Die Verbindung mit sozialistischen, feministischen und ökologischen Bewegungen in Russland und der Ukraine ist am allerwichtigsten. Organisieren wir gemeinsame und offene Lernprozesse. Jetzt hilflos diplomatische Operationen von den Regierungen zu fordern, ist nur die sanftere Form reaktionärer Geopolitik und nationalen Burgfriedens. Angesagt ist vielmehr, dass revolutionäre Ökosozialist:innen neue Strategien des Bruchs, der gesellschaftlichen Verankerung und Organisierung entwickeln.

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