Aus der „Friedensbewegung“ eine gewerkschaftliche Anti-Kriegsbewegung machen

Jeremy Corbyn auf der Friedenspolitischen Koferenz von Rosa-Luxemburg-Stiftung und IG Metall. Foto: Thies Gleiss

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Antikriegskonferenz der IG Metall und Rosa-Luxemburg-Stiftung

Aus der „Friedensbewegung“ eine gewerkschaftliche Anti-Kriegsbewegung machen

Von Thies Gleiss | 29.06.2023

Am 23. und 24. Juni organisierten die IG Metall Hanau und die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine gemeinsame Konferenz zu den Aufgaben der „Friedensbewegung“ und die Perspektiven des Widerstandes gegen Krieg und Aufrüstung weltweit.

Es waren gut 200 Teilnehmende gekommen, darunter sehr viele Funktionäre von Gewerkschaften und linken Partei(en). Die Vorsitzende der Partei DIE LINKE war anwesend, ebenso der Vorsitzende der DKP und Funktionäre aus dem Mittelbau der SPD. Als Stargast kam der frühere Labour-Vorsitzende und Superstar der britischen Linken, Jeremy Corbyn. Die große Mehrheit des Publikums war im Rentenalter, wenig junge Teilnehmende hatten den Weg in die alte Arbeiter:innenstadt Hanau gefunden. Den ersten Tag eröffneten Ulrike Eifler von der LINKEN und Robert Weissenbrunner von der IG Metall, sowie Referate des langjährigen UN-Korrespondenten der taz und noch längeren Friedensaktivisten Andreas Zumach und des politischen Leiters der RLS-Stiftung, Ingar Solti. Sie hielten sehr informative und inhaltlich überzeugende Vorträge zur Genese des Krieges in und um die Ukraine und zu seiner Einbettung um die aktuellen Kämpfe um eine neue kapitalistische Weltordnung.

Dieser Krieg ist Ergebnis der realen Entwicklung des Kapitalismus – wie alles war diese Entwicklung nicht alternativlos, ist aber schlüssig aus den veränderten Realitäten des Weltkapitalismus zu erklären. Ein erfolgreicher Kampf gegen den Krieg muss deshalb auch und vor allem antikapitalistisch sein.

In einem ersten Diskussionsblock mit dem Publikum wurden verschiedene gemeinsame Initiativen der „Friedensbewegung“ mit den Gewerkschaften vorgestellt. Jeder dieser Ansätze verdient Anerkennung und Erfolg, es sind allerdings immer Projekte allgemeiner Aufklärung und Proteste auf der Ebene der Politik, mit Forderungen an den Staat und Aufrufen zu friedensstiftender Moral. Was fehlt – gerade im Hinblick auf die Gewerkschaft als Mitveranstalter – ist eine Aktionsperspektive in die Betriebe, die Entwicklung tariflicher, auf jeden Fall erkämpfbarer Forderungen an die und aus der Arbeiter:innenklasse, um die notfalls auch gestreikt werden kann.

Darauf habe ich in meinem Diskussionsbeitrag verwiesen. Es ist möglich, praktischen Widerstand in Rüstungsbetrieben, bei der Auslieferung von Waffen zu organisieren, ebenso Initiativen zu ergreifen zur Betreuung von Deserteuren, beim Ausbau von Veto-Rechten für Betriebsräte in Fragen des konkreten Inhalts der Produktion und ähnliche reale Veränderungen des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses. International sollten sich die Linken und Gewerkschafter:innen nicht auf moralische Proteste und Appelle nach „Frieden“ beschränken, sondern versuchen, eine neue gemeinsame Oppositonsfront gegen Aufrüstung und Krieg weltweit zu organisieren, in der Tradition der Konferenzen von Kiental und Zimmerwald während des Ersten Weltkrieges. In einem anschließenden launigen Vortrag vom Großmeister des Arbeitsrechts, Wolfgang Däubler, mit einer folgenden Diskussionsrunde von Gewerkschaftsfunktionär:innen wurde deutlich, wie schwer es werden wird, „die Gewerkschaften“ zu einer konsequenten, antikapitalistischen Friedens-, besser Antikriegspolitik zu bringen. Die Kundgebungen vom Jahrestag des Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine und vom Ersten Mai diesen Jahres zeigten, wie schwer sich der DGB tut, sich gleichzeitig gegen den Krieg und gegen die Aufrüstungspläne einer SPD-geführten Regierung zu wenden. Das wird aber nötig sein, wenn das Thema „Opposition zur aktuellen Kriegs-Politik der Regierung“ nicht der AfD überlassen werden soll. Auch nur mit dem Kampf um gute Gewerkschaftstagsbeschlüsse wird dies nicht gehen. Es muss zu einer anti-Kriegs-Tarifpolitik, wie ich oben beschrieben habe kommen.

Der erste Konferenztag endete mit einem schönen Konzert von Kai Degenhardt und seinen anti-militaristischen Liedern.

Der zweite Konferenztag

Fast überall in Europa das Gleiche: Der Krieg in der und um die Ukraine, seine Auswirkungen auf das tägliche Leben von Millionen und die Aufrüstungsorgien der NATO-Staaten führt zu großen Streitereien in der Linken und zu Höhenflügen bei Umfragen und echten Wahlen für die Rechten.

Das wurde auch bei den Debatten und Inputs am zweiten Tag der Konferenz von Rosa Luxemburg Stiftung und IG Metall Hanau deutlich.

Es gab einführende Vorträge von der Parteivorsitzenden der LINKEN, Janine Wissler, von Özlem Alev Demirel, Abgeordnete für die LINKE im Europaparlament; von Valentina Orazzini, Sekretärin der italienischen Metallgewerkschaft FIOM; und Jeremy Corbyn von der britischen Labour Party. Klare strategische Antworten, wie die Linke das ihr historisch eigentlich auf den Leib geschriebene Thema „Kampf dem Krieg“ aufgreifen und eine antimilitaristische Mobilisierung auslösen kann, fehlten aber in allen Vorträgen.

Dabei könnte ein strategischer Ansatz doch so leicht sein, der vier Forderungen ins Zentrum rückt:

  • Sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen
  • Rückzug der russischen Truppen
  • Stopp von Waffenlieferungen und Aufrüstungsprogrammen
  • Solidarität und sicheres Asyl für alle Kriegsgegner:innen und Desertierenden aus Russland und der Ukraine

Doch die große Vielfalt der Linken Ansätze, ausgerechnet am kapitalistischen Kriegsunwesen und der Militärpolitik mitgestalten zu wollen, ist immer wieder in der Geschichte, so auch heute, der Anfang vom Ende linker Parteien. Im Krieg stirbt als erstes die Wahrheit und als Zweites zerlegen sich die linken Parteien. Das ist auch heute die bittere Wahrheit.

Aber bei über 30 Grad im Veranstaltungszelt waren immerhin die flugs herbeigeschafften Fächer aus dem Lager für Wahlkampf-Giveaways der LINKEN einheitsstiftend. Lakonischer Britenhumor vom Referenten Jeremy Corbyn: DIE LINKE cools down the conflicts …

Die zweite Hälfte des Tages wurde durch Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen gefüllt (Inflation und Energiepolitik; Klima-Krise-Krieg und Verteilungsfragen; Die Medien in Kriegszeiten; Droht ein Atomkrieg?)

Ich nahm an der AG zum Klima teil. Hier versammelten sich überwiegend die wenigen jungen Teilnehmenden und diskutierten nach Inputs von Vertretern von „Gewerkschaftsgrün“ (der kleinen Gewerkschafts-AG der GRÜNEN Jugend) und Fridays for Future, sowie einem Ver.di-Kollegen zu den jüngsten Tarifabschlüssen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat prinzipiell die gleichen Probleme wie die Antikriegsbewegung: Sie muss mit konkreten, erkämpf- und erstreikbaren Forderungen in die tägliche Gewerkschafts- und Betriebsarbeit integriert werden, damit das öffentliche Aufsehen, das durch die diversen Klimaaktionen ausgelöst wurde, zu nachhaltigen Veränderungen im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis führt.

Die Konferenz von Hanau war insgesamt ein wichtiger Auftakt für die Antikriegsbewegung. Sie muss ein gewerkschaftliches und betriebliches Standbein bekommen, um wirksam zu bleiben. Ebenso müssen die Gewerkschaften die aktuelle Bedrohung durch Krieg und Aufrüstung nicht nur in Sonntagsreden und Gewerkschaftstagen kritisieren, sondern in die tägliche Oppositionsarbeit gegen die Macht des Kapitals aufnehmen.

Eine solche Konferenz darf keine Eintagsfliege sein. Neue und vertiefende Treffen und Strategiekonferenzen müssen in kürzerer Zeit folgen. Die Herausforderung, vor der die Linken, die Gewerkschaften und die Antikriegsbewegung stehen, ist aktuell und drängend. Unbegrenzt viel Zeit haben wir nicht.

Thies Gleiss, Köln 26. Juni 2023

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