Keine Streubomben – auch nicht für die Ukraine
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Jetzt auch geächtete Waffen

Keine Streubomben – auch nicht für die Ukraine

Von Fred Leplat | 23.09.2023

Fred Leplat setzt sich im Namen von Anti*Capitalist Resistance kritisch mit der umstrittenen Lieferung von Streumunition aus den USA an die Ukraine zur Bekämpfung der russischen Invasion auseinander. Dabei wägt er die Notwendigkeit eines bewaffneten Widerstands gegenüber den potenziellen humanitären Risiken dieser international geächteten Waffen ab.

Die Lieferung von Streumunition durch die USA an die Ukraine muss abgelehnt werden. Antikapitalisten und Internationalisten unterstützen vorbehaltlos das ukrainische Volk in seinem bewaffneten Widerstand zur Befreiung seines Landes von der völkermörderischen russischen Invasion. Aber die Unterstützung für die Ukraine ist nicht unbedingt unkritisch. Wir haben den Angriff der Selenski-Regierung auf die Arbeitnehmerrechte im Lande und ihre Unterstützung der neoliberalen Politik kritisiert. Jetzt müssen wir ihren Einsatz von Streumunition kritisieren.

Der Einsatz von Streumunition in Gebieten, in denen sich Zivilist*innen aufhalten, bedeutet einen unkalkulierbaren Angriff und eine Verletzung des Völkerrechts. Streumunition öffnet sich beim Anflug und verteilt Dutzende oder sogar Hunderte kleinerer sog. Bomblets über ein Gebiet von der Größe eines Häuserblocks. Viele dieser Bomblets explodieren beim ersten Aufprall nicht und hinterlassen Blindgänger, die wie Landminen wirken und noch Jahre oder sogar Jahrzehnte danach eine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen. Aus diesem Grund wurde Streumunition von über 100 Ländern, die dem Übereinkommen über Streumunition beigetreten sind, komplett verboten. Russland, die Ukraine und die USA haben das Übereinkommen jedoch nicht unterzeichnet.

Man kann verstehen, dass die Ukraine alle Waffen haben möchte, die für einen schnellen und entscheidenden Sieg gegen die russische Armee notwendig sind. Aber Sozialist*innen setzen sich seit Jahrzehnten für das Verbot von Streumunition sowie von Atom- und Chemiewaffen ein, und wir sollten unsere Position jetzt nicht ändern.

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow erklärt, dass Streumunition in erster Linie dazu dienen soll, die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, dass sie nicht in städtischen Gebieten eingesetzt werden soll und dass nach dem Sieg die ukrainischen Gebiete entmint werden sollen. Er verweist auch darauf, dass Russland in der Ukraine in großem Umfang Streubomben eingesetzt hat, und es daher für die Ukraine akzeptabel ist, sie ebenfalls einzusetzen. Diese Argumentation ist gefährlich, da sie zur Rechtfertigung des Einsatzes anderer Massenvernichtungswaffen wie nuklearer oder chemischer Waffen oder von umweltschädlichen Waffen wie Napalm oder Agent Orange verwendet werden könnte. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass auch die Ukraine Streumunition eingesetzt hat, wenn auch in viel geringerem Umfang. Sie wurde zwar nicht in Städten eingesetzt, hat aber dennoch Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung verursacht.

Human Rights Watch zufolge „ist die Streumunition, die die USA in die Ukraine zu schicken gedenken, mehr als 20 Jahre alt, streut über ein großes Gebiet und hat eine notorisch hohe Ausfallrate, was bedeutet, dass sie noch jahrelang tödlich sein kann.“ Das weitgehende Verbot von Streumunition kommt den USA entgegen, um alte Bestände loszuwerden, die nicht verkauft werden können und deren Entsorgung gefährlich und teuer ist. Für die Ukrainer*innen hinterlässt sie jedoch ein gefährliches Erbe. Noch immer sterben jedes Jahr Hunderte von Menschen auf der ganzen Welt durch nicht explodierte Streumunition.

Unabhängig von den militärischen Argumenten wird die Ablehnung der Bestimmungen des Übereinkommens über Streumunition es der Ukraine erschweren, mit völkerrechtlichen Prinzipien zu argumentieren. Wenn die Ukraine Waffen erhält, für die die meisten UN-Mitgliedsstaaten (einschließlich des Vereinigten Königreichs) ein Verbot anstreben, werden sie sich schwerer tun, die Solidarität und Verurteilung der illegalen russischen Besetzung durch diese Staaten zu gewinnen.

Solange die russische Armee nicht aufhört zu kämpfen und sich nicht zurückzieht, haben die Ukrainer*innen keine andere Wahl, als ihren bewaffneten Widerstand fortzusetzen. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland die Kämpfe in absehbarer Zeit einstellt, wenn man die von Putin erklärten Ziele bedenkt, nämlich die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine und damit die Integration in die russische Einflusszone. Deshalb unterstützen wir ihr Recht, konventionelle Waffen und Minenräumungshilfe zu erhalten. Sie braucht auch nichtmilitärische Hilfe, insbesondere medizinische Hilfe und Unterstützung für die Flüchtlinge.

Viele Länder, die von einem viel größeren Land überfallen wurden, haben dennoch gesiegt, aber nicht nur mit militärischen Mitteln. Wenn die Ukraine die weltweite Solidarität aufrechterhalten will, sollte sie das von über 100 Ländern verhängte Verbot von Streumunition nicht brechen. Die Ukraine muss auch Kriegsgegner*innen in Russland unterstützen und Deserteure aus deren Armee aufnehmen. Der Wiederaufbau nach dem Krieg muss auf eine andere Ukraine mit wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit abzielen, nicht auf eine, in der die Reichtümer des Landes dem westlichen Kapitalismus überlassen werden. Ein solcher Wiederaufbau würde den Ukrainer*innen die Hoffnung geben, dass die Befreiung ihres Landes mehr sein wird als nur ein Sieg über die russische Armee. Und die Ukraine braucht auch eine breite internationalistische Solidaritätsbewegung, die ihren bewaffneten Widerstand unterstützt, aber gleichzeitig den wachsenden Militarismus im Westen bekämpft.

aus Anti*Capitalist Resistance vom 10. Juli 2023
Übersetzung MiWe

Übernommen aus die internationale, 5/2023

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