ISO-Minderheit zum Ukraine-Krieg

Putin is not Russia Foto: Rasande Tyskar, Putin is not Russia, CC BY-NC 2.0)

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Ukraine

ISO-Minderheit zum Ukraine-Krieg

Von Minderheit in der ISO, darunter zwei Mitglieder der Koordination | 31.03.2023

Solidarität mit dem ukrainischen Volk!
Russische Truppen raus aus der Ukraine!
Solidarität mit der russischen Opposition und Antikriegsbewegung!

Am 24. Februar 2022 begann das Russland des Putin-Regimes die verbrecherische Invasion in die Ukraine. Doch der auch von westlichen Beobachter:innen erwartete schnelle Sieg der russischen Armeen blieb aus. Die ukrainische Bevölkerung und die ukrainischen Streitkräfte konnten die Invasion stoppen und die Invasoren sogar zurückdrängen und einen Großteil der besetzten Gebiete zurückerobern. Zurzeit findet in der Ostukraine ein Stellungskrieg statt.

In den befreiten Gebieten wurden Leichen auf den Straßen, Massengräber und Folterkeller gefunden. Während der Besatzung wurden Kinder und Jugendliche nach Russland verschleppt, zivilgesellschaft­licher Widerstand von der Besatzungsmacht brutal unterdrückt, Frauen vergewaltigt, und es liefen sogenannte Umerziehungskampagnen zur Russifizierung an. Das alles unter der Bezeichnung „Entnazifizierung“…

Die Invasion löste eine massive Flüchtlingsbewegung aus. Russische Bomben und Raketen zerstörten gezielt große Teile der Infrastruktur. Die verbliebene Bevölkerung ist mit Kälte und permanenten Stromausfällen konfrontiert. Regierung und Behörden der BRD müssen den Flüchtlingen aus der Ukraine ohne Diskriminierung nach ethnischen (z. B. Roma), nationalen (z. B. Studierende aus afrikanischen Ländern) oder sonstigen Kriterien (z. B. Kriegsdienstverweigerung) Asyl gewähren.

In seiner Rede unmittelbar vor Beginn der Invasion hatte Putin der Ukraine das Existenzrecht abgesprochen und die Gründung der ukrainischen Sowjetrepublik Anfang der 1920er Jahre als eine Machenschaft Lenins und der Bolschewiki bezeichnet. Diese Haltung ist Ausdruck der imperialistischen Ideologie des „Russki Mir“, der zufolge die Ukraine ein „künstlicher Staat“ und integraler Bestandteil der Russischen Welt sein soll, und der Großmachtsinteressen des russischen Regimes. Sie versuchen mit Gewalt jegliche Liberalisierungs- und Unabhängigkeitsbestrebungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken und den Autonomen Gebieten der Russischen Föderation zu unterdrücken. Gleichzeitig werden die Freiheitsrechte auch in der Russischen Föderation immer mehr bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt.

Viele russische Oppositionelle, zum Militär einberufene Männer und Frauen sowie Menschen, die befürchten mussten, sie könnten bald ebenfalls zur Armee eingezogen oder zu vielen Jahren Arbeitslager verurteilt werden, haben sich dem durch Flucht entzogen. Wir fordern die BRD auf, diesen Menschen Asyl bzw. humanitäre Visa zu gewähren.

Es ist schwierig zu ermessen, wie groß bzw. wie klein der Teil der Gesellschaft in der Russischen Föderation ist, der denkt „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg“. Nur eine Minderheit wünscht eine Niederlage der Kräfte des Putinismus, nur noch eine kleine Minderheit kann aktiven Widerstand gegen die Staatsmacht und den Krieg des russischen Imperialismus leisten; diese Strömungen und Kerne, die alle Aktivitäten im Untergrund fortführen müssen, darunter nicht zuletzt die militante feministische Antikriegsbewegung, verdienen unsere uneingeschränkte politische und materielle Solidarität.

Ob sie ukrainisch- oder russischsprachig ist oder ethnischen Minderheiten angehört ‒ die ukrainische Bevölkerung wehrt sich mit allen Mitteln, vielfach durch Selbstorganisierung, gegen den Versuch des russischen Regimes, die Ukraine zu unterwerfen. Sie fürchtet zu Recht den Verlust ihrer staatlichen Unabhängigkeit, bürgerlichen Freiheiten und demokratischen Rechte. Im Kampf gegen die Invasion durch den übermächtigen Gegner Russland fordert sie humanitäre und militärische Hilfe vom Ausland. Ohne diese Hilfe kann die Ukraine sich nicht wirksam verteidigen, geschweige denn die Invasoren vollständig aus den besetzten Gebieten zurückdrängen.

Die Ukraine hat jedes Recht, humanitäre und militärische Hilfe zu fordern. Diese Hilfe wird von den USA und anderen Nato-Mitgliedern gewährt; dabei gehen wir davon aus, dass diese für die Gewährung dieser Hilfe ihre eigenen Interessen haben. Die Sorge um die nationale Selbstbestimmung der Ukraine ist wohl eine ihrer geringsten; es geht ihnen eher um eine Schwächung ihres imperialistischen Gegners sowie um Profite aus der Auslandsverschuldung und dem Wiederaufbau der Ukraine als Lieferantin von billiger Arbeitskraft und Rohstoffen. Wenn solche Interessen befriedigt werden, werden sie entsprechenden Druck auf die Ukraine ausüben, auch schlechten Verhandlungsbedingungen bzw. Zugeständnissen an die russische Seite zuzustimmen.

Als revolutionäre Sozialist:innen fordern wir diese Hilfe durch die USA und die Nato-Staaten nicht; das Gleiche gilt für die Sanktionen der USA und der Nato-Staaten, die das Umfeld der russischen Regierenden und die Oligarchen betreffen und die Wirtschaftskraft Russlands schwächen sollen. Den Kampf für die nationale Selbstbestimmung können und dürfen wir nicht an imperialistische Staaten delegieren. Wir werden uns aber auch nicht ‒ z. B. in Form von Kampagnen gegen Waffenlieferungen ‒ gegen solche Hilfe und solche Sanktionen stellen. Wir werden die Hilfe und die Sanktionen kritisch begleiten und die damit verbundenen Bedingungen, Erpressungen und Unzulänglichkeiten anprangern.

Die Entsendung von Nato-Kampftruppen und eine Flugverbotszone über der Ukraine, die von Nato-Kampfflugzeugen durchgesetzt werden müsste, würde den Kriegseintritt der Nato bedeuten und wird von uns strikt abgelehnt. Das würde den Charakter des Krieges ändern.

Die Ukraine wird durch ihre Auslandsschulden erstickt. Westliche Regierungen konzipieren im Verbund mit Konzernen, Banken usw. den Wiederaufbau der Ukraine als Anhängsel der EU.

Daher unterstützen bzw. organisieren wir Kampagnen für eine Streichung der die Ukraine erdrückenden Auslandsschulden und gegen die Konzeption eines Wiederaufbaus der Ukraine als Lieferantin billiger Arbeitskräfte und Rohstoffe seitens der Nato-Regierungen und ihrer Konzerne und stattdessen eines Wiederaufbaus gemäß den Bedürfnissen und Interessen der ukrainischen Bevölkerung.

Es war die Invasion Russlands in der Ukraine, die zur Stärkung des Zusammenhalts der Nato, zu den Beitrittsanträgen Schwedens und Finnlands zur Nato, zur Durchsetzung lange vorbereiteter Aufrüstungspläne ohne bzw. gegen nur geringen Widerstand der Bevölkerung in allen Nato-Staaten geführt hat. In Deutschland hat der Angriff von Russland das 100-Milliarden-„Sondervermögen“ und Zustimmung zu dem Ziel 2 % des BIP für Rüstung und Militär ausgelöst. Die entsprechenden Entscheidungen wurden zu einem Zeitpunkt gefällt, als noch nicht abzusehen war, ob der geplante „Blitzkrieg“ Russlands zum Erfolg führen würde oder nicht. Auch die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes sind damit bereits bedient worden.

Wurde so die Nato gestärkt, so verschlechterten sich die Bedingungen für den Kampf gegen Aufrüstung und Militarismus. Unser Nein zu Aufrüstung und Militarisierung ist schwerer zu vermitteln; das ändert aber nichts daran, dass wir weiterhin die Auflösung der Nato ‒ beginnend mit dem Austritt der BRD ‒ fordern und dass wir die Rüstungs-, Interventions- und Militarisierungspolitik von BRD und Nato ablehnen.

Die Regierung der Ukraine verfolgt trotz Krieg bzw. unter dem Vorwand, dass alle zusammenstehen und deswegen Entbehrungen auf sich nehmen müssen, eine neoliberale Politik der Privatisierung und des Angriffs auf die Rechte der arbeitenden Bevölkerung. Diese Politik wird in der Ukraine von sozialistischen Organisationen und der Gewerkschaftsbewegung bekämpft. Ihre Mitglieder kämpfen in Territorialmiliz, Armee und durch humanitäre Hilfe einerseits gegen die russische Invasion und andererseits gegen die verheerende neoliberale Politik ihrer Regierung, die letztlich die Widerstandsfähigkeit der Ukraine untergräbt.

Wir unterstützen die Organisierung und die Kämpfe der ukrainischen Arbeiterklasse und der emanzipatorischen sozialen Bewegungen durch materielle Hilfe, politische Dialoge, Einladungen und da­durch, dass wir Stellungnahmen der ukrainischen Antikapitalist:innen und sozialen Bewegungen in Zusammenarbeit mit anderen Internationalist:innen übersetzen und ihre Aktivitäten bekanntmachen.

In den „post-sowjetischen“ Staaten sind die Begriffe, Werte und Symbole der kommunistischen Bewegungen und des Marxismus durch die Jahrzehnte der stalinistischen und poststalinistischen Unterdrückung und Bevormundung im Namen der Arbeiterklasse zutiefst unglaubwürdig geworden. Die Erfahrungen mit den privilegierten Politbürokratien, deren Umwandlung in neue herrschende Klassen und der „wilde Kapitalismus“ der so genannten „Oligarchen“ haben vielfach zu Resignation, Apathie und Desinteresse an Politik geführt. Dennoch gibt es in der Ukraine wie in der Russischen Föderation, in anderen Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen sind, oder in den osteuropäischen „Volksdemokratien“ wieder zahlreiche Bewegungen wie feministische, LGBTQIA*-, Ökologie-, Antifa-Initiativen, Aktivist:innen, die für Menschenrechte und gegen Zensur und staatlichen Autoritarismus eintreten, kritische und subversive kulturelle Aktivist:innen, von den Nachfolgern der alten Apparate und den Regierungen unabhängige kämpferische Teile der Gewerkschaftsbewegung etc. Viele von ihnen sehen genau, was der real existierende Kapitalismus bewirkt und bedeutet, und wollen antikapitalistische Antworten für die Gegenwart ausarbeiten und in die Praxis umsetzen, viele sind bemüht, an die besten, vielfach verschütteten Traditionen der revolutionären und Emanzipationsbewegungen des 19. und des 20. Jahrhunderts anknüpfen.

Wenn die kritische Linke in den Ländern des „Westens“ bereit ist, ihnen zuzuhören, sich ernsthaft mit ihren Erfahrungen und den Verhältnissen und der Geschichte ihrer Gesellschaften auseinanderzusetzen, wenn sie imstande ist, Dialoge auf gleicher Augenhöhe zu führen, und wenn sie sich in der Praxis als solidarisch erweist, werden ein gemeinsames Verständnis und gemeinsames Handeln, eine Grenzen überwindende „neue Klassenpolitik“ möglich. Zu solchen Ansätzen und Prozessen wollen wir als revolutionäre Marxist:innen, die in einer entschieden antibürokratischen und internationalistischen Tradition stehen, beitragen.

Solidarität mit dem Widerstandskampf der Ukraine!

Streichung der Auslandsschulden der Ukraine!

Nein zu Wiederaufbauplänen von USA/EU, die die Ukraine endgültig zu einer Neokolonie machen – Selbstbestimmung für die ukrainische Bevölkerung!

Solidarität mit dem Kampf von ukrainischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen Privatisierungen, Sozialabbau und den Abbau sozialer und politischer Rechte!

Schutz für Desertierende und alle, die sich dem Kriegsdienst entziehen!

Solidarität mit unseren Genoss:innen in Russland und in der Ukraine!

Für eine ökosozialistische Alternative in Ost und West, im globalen Norden und im globalen Süden!

8. März 2023

Nachbemerkung

Eine Minderheit in der Koordination ist mit einigen zentralen Aussagen und der Ausrichtung der Erklärung „Waffenstillstand jetzt! Stoppt den Krieg!“, die am 12. März 2023 veröffentlicht worden ist, nicht einverstanden. Zusammen mit mehreren Mitgliedern der Organisation haben wir unsere Auffassung in einem alternativen Text formuliert, den wir zur Debatte stellen möchten.

Wir sehen eine große Übereinstimmung unserer Positionen und Herangehensweise mit denen der ukrainischen Genoss:innen von Sozialnyj Ruch und mit der Russländischen Sozialistischen Bewegung (RSD), die sowohl den Widerstand gegen die russisch-imperialistische Aggression mit organisiert, als auch den Kampf der Linken und Arbeiterorganisationen gegen die neoliberale innenpolitische Ausrichtung der Selenski-Regierung führt, eine Haltung, die auch von einer großen Mehrheit der Leitung und der Organisationen der Vierten Internationale geteilt wird.

Trotz allem, was uns mit der Erklärung der Mehrheit der Koordination eint, können unserer Auffassung nach Losungen wie „Keine Gewalt“ oder „Waffen nieder“ und ähnliche Haltungen, die auf die Einstellung des Widerstands gegen den russischen Imperialismus und de facto eine Hinnahme der Besetzung und Unterwerfung der Ukraine hinauslaufen, nicht unsere Haltung bestimmen. Das sind vielmehr Internationalismus, Antimilitarismus, Solidarität mit emanzipatorischen sozialen Bewegungen, mit unabhängigen und kämpferischen Gewerkschaften und mit politischen Formationen, die für die gleichen Ansätze eintreten, sowohl in der Ukraine als auch in der Russischen Föderation.

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