Waffenstillstand jetzt! Stoppt den Krieg!
Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich am 24.Februar 2023 gejährt. Auch nach einem Jahr Krieg gibt es keine Aussicht auf Frieden. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. 8 Millionen sind ins Ausland geflüchtet, über 5 Millionen sind Stand Januar 2023 Binnenflüchtlinge. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert, Städte und Landstriche unbewohnbar gemacht. Und immer noch wird die Barbarei fortgesetzt – inzwischen wird der Stellungskrieg im Donbass mit den großen Schlachten im Ersten Weltkrieg verglichen –, ohne dass eine Seite ihrem erklärten Ziel näherkäme.
Im Gegenteil, sowohl Russland wie auch die Ukraine und die NATO kündigen eine weitere Eskalation an: Russland hat auf Kriegswirtschaft umgeschaltet, mobilisiert weitere Soldaten, bildet sie aus, schickt sie in den Tod. Die NATO hat grünes Licht für die Lieferung von Kampfpanzern mit großer Reichweite gegeben und diskutiert die Lieferung von Kampfflugzeugen, die in der Lage sind, Stellungen tief auf russischem Gebiet anzugreifen, den Krieg also territorial auszuweiten.
Die NATO befindet sich im Krieg – die deutsche Außenministerin hat sich nicht versprochen, als sie sagte, Deutschland ist im Krieg mit Russland.
1. Sowohl die russische wie auch die ukrainische Führung (und viele NATO-Staaten) setzen auf Sieg. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist aber nicht erkennbar, dass eine der beiden Seiten den Krieg gewinnen kann. Sehr wohl aber ist eine Eskalation absehbar.
Selbst die Lieferung der weitreichendsten konventionellen technologischen Waffen, die die NATO zur Verfügung hat, entscheidet den Krieg noch nicht zugunsten der Ukraine. Denn die grundsätzliche Asymmetrie, die das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine kennzeichnet, wird dadurch nicht aus der Welt geschafft: Es hat mit einer dreieinhalb mal so großen Bevölkerung, einem riesigen Territorium und einer zehnmal größeren Rüstungsindustrie (gemessen an den Ausgaben) ein viel größeres Potential, das auch durch „Wunderwaffen“ nicht ohne weiteres kompensiert werden kann – solange der Krieg mit konventionellen Waffen ausgetragen wird und solange es darum geht, die Bestände der NATO nur zu plündern und nicht in den NATO-Staaten die Kriegsproduktion für die Ukraine anzukurbeln und selber Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, sprich: solange die Schwelle zum offenen Krieg der NATO gegen Russland nicht überschritten wird.
2. Auf sich allein gestellt, müsste die Ukraine kapitulieren: Sie hat keine nennenswerte eigene Rüstungsindustrie mehr; fast alle Waffen, die sie verwendet, bekommt sie von der NATO; fast die gesamte Munition, die diese Waffen verschießt, bekommt sie von der NATO; fast alle medizinische Ausrüstung, um die Soldaten zu versorgen, bekommt sie von der NATO. Die Zielkoordinaten bekommt sie von den Geheimdiensten der NATO; die ukrainischen Offiziere und Panzerfahrer werden ausgebildet von der NATO; das Geld, mit dem die ukrainischen Soldaten besoldet werden, kommt von der NATO…
Die russischen Verluste sind enorm. Nachschubschwierigkeiten und eine mangelhafte Koordination haben ihre Wurzel im parasitären Charakter des Regimes: Die Moral der Truppen ist unterirdisch, an die Front geschickt werden vornehmlich Soldaten aus den asiatischen Landesteilen und den armen Bevölkerungskreisen – sie sind für die russische Führung nur Kanonenfutter. Der regulären Armee fehlt es an Führungspersonal vor allem in den mittleren und unteren Ebenen, so dass sie auf Söldnertruppen angewiesen ist. Jeder Geländegewinn ist enorm verlustreich. Von der Möglichkeit einer Einnahme von Kiew ist die russische Führung weit entfernt. Doch selbst, wenn es Putin gelänge, sich die Ukraine militärisch zu unterwerfen – er könnte sie nie kontrollieren, weil er mit einer landesweiten nationalen Widerstandsbewegung konfrontiert wäre, die zudem noch vom Ausland unterstützt würde und das Land unregierbar machen würde.
Für die Ukraine gilt: Selbst wenn es ihr gelingen würde, die russischen Truppen aus dem Donbass zu vertreiben und den Zustand von vor dem 24.2.2022 herzustellen, hätte sie damit keinen Frieden, denn die russischen Ansprüche wären damit nicht begraben und die Ostflanke der Ukraine bliebe Schauplatz eines Dauerkriegs.
Der Generalstabschef der US-Army, Mark Milley, hält „die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges … [für] nicht sehr hoch“ und prognostiziert eine Dauer des Krieges „über Jahre“. Diese Aussicht ist umso realistischer, als vor allem zwei Länder in der NATO kein Interesse daran haben, ihn zu verkürzen: Die USA wollen, dass Russland an diesem Krieg verblutet und seine Stellung als militärische Großmacht verliert; Großbritannien nimmt die Gelegenheit wahr, um alte Rechnungen mit der frühen Sowjetunion und sogar dem Zarenreich zu begleichen – das British Empire hat ein langes Gedächtnis. Die osteuropäischen Staaten haben gleichfalls noch eine jahrzehntealte Rechnung mit Russland offen und scharen sich hinter die angelsächsischen Mächte.
3. Im Krieg hört die Politik nicht auf, sondern wird mit militärischen Mitteln fortgesetzt. Jede Ausweitung des Krieges muss deshalb die Frage beantworten, ob man damit dem Kriegsziel näherkommt oder nur das Ausmaß der Zerstörung ausweitet. Je länger dieser Krieg dauert, desto größer wird die Gefahr, dass er zu einem nuklearen Krieg eskaliert, zumal sich auf ukrainischem Territorium viele große Atomkraftwerke befinden.
Deshalb sagen wir:
Russische Truppen raus aus der Ukraine! Schutz für Deserteure!
Stoppt den Krieg und die Kriegstreiber – überall! Schluss mit dem Morden und Verwüsten!
Waffenstillstand und Friedensverhandlungen jetzt!
Für diesen Krieg gibt es keine militärische Lösung!
4. Die arbeitende Klasse ist die Hauptverliererin in diesem Krieg – in Russland, in der Ukraine und in anderen Ländern.
4.1. Die große Opferbereitschaft, mit der die ukrainische Arbeiterklasse sich den russischen Angriffen entgegenstellt, wird ihr von ihrem eigenen Regime nicht honoriert, sie wird sogar verhöhnt: Mitten im Krieg wird die Politik der Privatisierung von Grund und Boden fortgesetzt, werden schützende Arbeitsrechtsregelungen geschleift. Die „Geberkonferenzen“ für die Ukraine sind in Wahrheit Räubertreffen, die die Ressourcen der Ukraine noch weiter unter sich aufteilen, noch bevor die Waffen schweigen. War die Ukraine vor dem Euromaidan eine russische Halbkolonie, wird sie jetzt noch weiter zu einer westlichen Halbkolonie ausgebaut.
Die Nachkriegsperspektiven – sofern man von einem Nachkrieg wird sprechen können – sind fürchterlich: ein Fünftel der Bevölkerung außer Landes; weite Landstriche unbewohnbar und wirtschaftlich nicht nutzbar, ein Drittel des Landes ist vermint; in jeder Hinsicht eine völlig finanzielle Abhängigkeit von westlichen Geldgebern, eine enorme langfristige Verschuldung; ein Großteil der Schwerindustrie zerstört. Damit bleibt die Ukraine weiterhin Spielball imperialistischer Interessen, eine nationale Selbstbestimmung ist in weiter Ferne, es kann sie auf der Basis der Oligarchenherrschaft auch gar nicht geben. Der direkte und umfassende Einfluss des westlichen Imperialismus schafft diese Herrschaft nicht ab, nimmt höchstens Verschiebungen, einen Elitentausch vor.
Der Krieg hat Selenski gegenüber den Oligarchen eine bonapartistische Position verschafft, die ihm erlaubt, ihre Vermögenswerte einzufrieren und sie zur Kriegsproduktion zu zwingen. Dass diese Klasse dauerhaft entmachtet wird, ist jedoch nicht absehbar, vielmehr ist die engste Entourage von Selenski selbst tief in Korruption verstrickt.
Sicher würde die ukrainische Arbeiterklasse nach einem Ende des Krieges ihren Anteil am Lohn reklamieren, doch würde sich das ebenso sicher an den Forderungen der nationalen und internationalen Investoren brechen.
4.2. Die russische Arbeiterklasse bezahlt den Krieg nicht nur mit Gesundheit und Leben, mit Lohneinbußen und erhöhter Arbeitslosigkeit, sondern auch mit einem weiteren Abbau ihrer Rechte. Die Führer der Söldnertruppen, die für Putin zumindest zeitweise die Kastanien aus dem Feuer holen und die eng mit der extremen Rechten verbunden sind, werden nach dem Krieg stärkeren politischen Einfluss haben wollen. Rechts von Putin ist noch Platz; eine militärische Niederlage Russlands und selbst ein Sturz Putins versprechen innenpolitisch keine Wende zu mehr Demokratie. Eine solche kann nur von unten, von der Antikriegsbewegung kommen.
4.3. In Deutschland hat der Krieg zu einer Rückkehr des Militarismus geführt: Krieg ist wieder ein als legitim anerkanntes Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Militärische Stärke rangiert wieder an oberster Stelle. Ansätze zu einer kollektiven Sicherheit, die nach dem Fall der Mauer verfolgt wurden, sind begraben; Rüstungskontrolle und das Verbot von Rüstungsexporten weichen den Erfordernissen der neuen Kriegslogik; die Bevölkerung wird auf eine aggressivere Rolle Deutschlands und der EU eingestimmt.
Der neuen Kriegslust liegt letzten Endes ein Kampf um Einflusssphären, um technologische Überlegenheit und Weltherrschaft zugrunde. Multilaterale internationale Institutionen militärischer wie wirtschaftlicher Art weichen der neuen Blockkonfrontation. Die letzten Ressourcen dieser Welt werden dafür geplündert, die Arbeiterklasse in den europäischen Ländern wie auch die Länder des globalen Südens ihrem Imperativ unterworfen, die Klimaziele dafür geopfert. Wir lehnen eine Sichtweise, die den Kampf um Einflusszonen für legitim hält, grundsätzlich ab.
An diesem Krieg gewinnen die großen Konzerne und ihre Eigentümer. Die Energie- und Rüstungskonzerne z.B. machen obszöne Profite: die fünf größten Ölkonzerne zusammen im vergangenen Jahr 180 Mrd. Dollar und bislang auch die russische Gas- und Ölindustrie; Rheinmetall erwirtschaftete einen Gewinnzuwachs von 20 Prozent und steigt jetzt in die DAX-Liga auf. Die in Aussicht gestellten Leopard-Panzer scheffeln Krauss-Maffei Wegmann, aber auch Rheinmetall und vielen Zulieferern Geld in die Schatztruhen.
Die Bevölkerung bezahlt das mit der höchsten Teuerungsrate in der Geschichte der Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr sind die Reallöhne um über vier Prozent gesunken, die Tarifrunden haben das nicht aufgeholt. Die Quote der sehr armen Menschen ist seit 2010 um 40 Prozent gestiegen, die öffentliche Daseinsvorsorge wird weiter kaputtgespart, die Klimaziele durch den Bau von Flüssiggas-Terminals und die Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken gerissen.
Alle Faktoren der multiplen Krise, die wir erleben, werden durch den Krieg extrem verschärft.
5. Wenn es uns nicht gelingt, durch eine internationale Antikriegsbewegung diese Entwicklung zu stoppen, besteht die Gefahr, dass wir auf einen dritten Weltkrieg zusteuern.
In dieser Situation haben wir vier Aufgaben:
5.1. Unsere Aufgabe ist internationale Klassensolidarität:
Erstens die Solidarität mit der ukrainischen Arbeiterklasse, ihren Gewerkschaften und der sozialistischen Linken, die sich mit jedem Recht gegen die russische Aggression wehren. Wir unterstützen sie auch in ihrem Abwehrkampf gegen den Abbau ihrer Arbeits- und sozialen Rechte sowie gegen den Ausverkauf ihres Landes. Dazu haben wir einen Aufruf zur Solidarität mit den ukrainischen Gewerkschaften gestartet, der mit Spenden für humanitäre Zwecke verbunden ist und den politischen Austausch befördern soll.
Zweitens mit der russischen Antikriegsbewegung, sie spielt für eine Beendigung des Krieges unter fortschrittlichen Vorzeichen eine strategische Rolle.
5.2. Unsere zweite, deswegen aber nicht nachgeordnete Aufgabe besteht im Widerstand gegen den neuen – ideologischen, wirtschaftlichen und militärischen – Kriegskurs der Herrschenden hierzulande. Dem setzen wir entgegen:
Keine weiteren Waffenlieferungen!
Milliarden für den Ausbau der Daseinsvorsorge und für die Einhaltung der Klimaziele, nicht für die Bundeswehr!
5.3. Drittens verurteilen wir den Wirtschaftskrieg gegen Russland, der die Stellung der Oligarchen nicht im mindesten erschüttert. Er beschleunigt auch den enormen Angriff auf den Lebensstandard der Bevölkerung hierzulande. Die Forderung nach Wiederinbetriebnahme von Nordstream 2 lehnen wir ab. Russisches Gas muss durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien sowie durch Energieeinsparungen in den Bereichen der Infrastruktur und der Produktion ersetzt werden, nicht durch Flüssiggas aus den USA oder Katar!
Eine rohstoffsparende, solidarische ökologische Kreislaufwirtschaft ist eine zentrale Voraussetzung für die Reduzierung geopolitischer Energieabhängigkeiten – ein Beitrag zum Frieden.
5.4. Viertens dürfen wir nicht zulassen, dass die politische Rechte in der Öffentlichkeit als die eigentliche Kriegsgegnerin wahrgenommen wird. Hier gilt es, deren Demagogie und Menschenfeindlichkeit zu entlarven und ihnen die öffentlichen Plattformen streitig zu machen.
Die Gefahr eines weiteren Abdriftens der Gesellschaft nach rechts ist real und erfordert die offensive Auseinandersetzung nicht nur mit rechten Positionen, sondern auch mit dem verschärften Klassenkampf von oben. Der Aufbau einer starken Antikriegsbewegung ist das Gebot der Stunde.
26.02.2023