Protest gegen Braunkohle nimmt Fahrt auf

Bei einer Aktion von EndeGelände im Rheinland. Foto: Jens Volle, Ende Gelände, CC BY-NC 2.0

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Nach dem Klimacamp im Rheinland 2017

Protest gegen Braunkohle nimmt Fahrt auf

Von Angela Klein | 06.09.2017

Acht „Finger“ von Ende Gelände sind von Donnerstagabend, 24.8., an in mehreren Wellen losgezogen, ihr gemeinsames Ziel war, auf den unterschiedlichsten Wegen und an den verschiedensten Stellen auf die Hambachbahn zu kommen – eine Kohlebahn, die die geförderte Braunkohle zu den nahe gelegenen Kraftwerken transportiert. Dieses Ziel ist aber erst im Laufe der Aktionen deutlich geworden. Denn dazu musste der Tagebau Garzweiler durchquert oder umfahren werden, die Kräfte der Polizei wurden durch die „Fingertaktik“ auseinander gezogen, einige Aktionen fanden auch in anderen Tagebauen statt. Am Ostrand des Tagebaus, wo sich die Kraftwerke befinden, wurde ein weiterer Stützpunkt errichtet.

Den Auftakt der Aktionstage bildete ein Percussion-Konzert auf einem Kohlebagger im Tagebau Inden am Freitagmorgen, den 25.8. Wenig später wurde die Hambachbahn durch Kletteraktivist*innen von Robin Wood blockiert und am Samstagmorgen mussten die Kohlezüge wieder stehen bleiben, weil ein Betonfass mit festgeketteten Aktivist*innen den Weg versperrte. Den Tag über wurden im Tagebau Garzweiler die Arbeiten durch die Besetzung eines Förderbandes gestört und daraufhin in der Nacht ein Bagger mit einem Banner geschmückt. Währenddessen waren Aktivist*innen im Tagebau Hambach mit Lock-Ons an ein Förderband gekettet.

Der Polizei gelang es immer wieder, die Blockaden aufzulösen. Genauso regelmäßig formierten sie sich aber auch immer wieder neu. Am Samstag, 26.8., strömten 1200 Aktive zu einer Blockade auf der Hambachbahn. Parallel blockierte die Initiative „Kohle erSetzen“ die Werkstore des Kraftwerks Neurath, so dass dieses seine Leistung deutlich drosseln musste.

Der Polizei gelang es immer wieder, die Blockaden aufzulösen. Genauso regelmäßig formierten sie sich aber auch immer wieder neu.

Gleichzeitig bildeten über 3000 Menschen auf der alten A4 eine kilometerlange Menschenkette, die Aktion „Rote Linie gegen Kohle“. Die alte A4 führte einmal quer durch den Hambacher Forst, wurde aber verlegt, weil der Braunkohleabbau sich weiter südlich bis an den Ortsrand von Kerpen-Buir fressen will. Die zehn 0 Prozent Rest vom Hambacher Forst, die es noch gibt, sind deshalb auch noch im Bestand gefährdet.

Die Blockierenden hielten sich streng an einen Aktionskonsens, der formulierte: Keine Gewalt gegen Personen und gegen Sachen. Dieses strikt defensive, aber ungehorsame, Gesetze dort, wo sie als illegitim empfunden werden, übertretende Konzept hat sich als über die Maßen erfolgreich erwiesen. Kombiniert mit einer sehr politischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit haben die Proteste damit „den Ton getroffen“, wie sich eine Kommentatorin ausdrückte.

Insgesamt 6000 Menschen waren, über zwölf Tage verteilt, an den Aktionen beteiligt. Die erste Hälfte der Zeit bestritt die Degrowth-Sommerschule mit viertägigen Kursen, abendlichen Podien und vertiefenden Workshops; daneben fanden noch weitere Arbeitsgruppen des Klimacamps statt.

So könnte mensch rundum zufrieden sein, gäbe es da nicht den Wermutstropfen, dass die Anti-AKW-Bewegung komplett durch Abwesenheit glänzte.

Ein richtiger Ameisenhaufen also, mit Gästen aus aller möglichen Herren Länder. Die Veranstaltungen, gleich ob inhaltlich oder aktionsbezogene, wurden durch die Bank ins Englische übersetzt, manche wurden gleich ganz auf Englisch gehalten, so stark war die internationale Beteiligung. Zum Wochenende reisten aber auch Busse aus München, Berlin, Köln und anderen Teilen der Republik an.

Das Camp war hervorragend organisiert, eine logistische Meisterleistung! So könnte mensch rundum zufrieden sein, gäbe es da nicht den Wermutstropfen, dass die Anti-AKW-Bewegung komplett durch Abwesenheit glänzte.

Der bemerkenswerte Erfolg dieser Aktionstage misst sich an verschiedenen Maßstäben:

  1. an der großen Mobilisierung, die erreicht wurde;
  2. an den Bildern, die sie produzierte, und an der Fähigkeit, tatsächlich Sand ins Getriebe von RWE zu werfen;
  3. am medialen Erfolg: Von Anbeginn an zeigte die Presse, einschließlich der lokalen Massenblätter, Verständnis für das Anliegen des Klimacamps. Das war kein Selbstläufer, sondern hatte mit einer exzellenten Pressearbeit zu tun, die unterfüttert wurde mit einer breit angelegten Informations- und Diskussionsoffensive gegenüber der örtlichen Bevölkerung und den Beschäftigten von RWE. Die Presse war an zwei Tagen eingeladen, das Camp kennen zu lernen und einen Einblick in die geplanten Aktionen zu bekommen, sie konnte auch einen der „Finger“ begleiten.

Einen Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion am Sonntag, den 19.8., zu der das Klimacamp den Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE), Manfred Maresch, Janna Aljets von der BUND-Jugend (zugleich eine der Sprecherinnen des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“), sowie je einen Vertreter der örtlichen Bevölkerung und des Instituts für Arbeit und Technik, Bochum, eingeladen hatte. In der Stadthalle Erkelenz drängten sich am Sonntagnachmittag an die 300 Leute, Junge und Alte, Beschäftigte von RWE und Klimaschützer*innen.

Hier war die Frage gestellt: „Was kommt nach der Braunkohle? Und wie wird der Weg dorthin gerecht?“ Inhaltlich kam man sich nicht näher: Der Gewerkschafter anerkannte zwar die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen zu senken, hielt aber an der Braunkohle als „Übergangstechnologie“ fest: Sein Horizont ist 2050, wenn die letzten Tagebaue schließen werden (die Bundesregierung hat 2045 als Ausstiegsdatum aus der Braunkohle angepeilt). Seine Hauptsorge war, dass Deutschland als Industriestandort erhalten bleiben müsse, einen grundlegenden Wandel in der industriellen Erzeugung von Gütern konnte er sich nicht vorstellen, dafür verbindet er die bisherige Produktionsweise zu sehr mit „unserem schönen Lebensstandard“, den es zu verteidigen gilt.

Mit dieser Haltung war er an dem Tag stark in der Minderheit. Einer hervorragenden Moderation gelang es aber, die offenkundig unvereinbaren Standpunkte nicht in eine Konfrontation zu führen, sondern als „interkulturelle Begegnung“ aufzulösen, die sich der Schwierigkeiten im Miteinander voll bewusst ist, deswegen dieses Miteinander aber nicht aufkündigt. So freuten sich alle Beteiligten, auch der Gewerkschafter, über die konstruktive Atmosphäre, in der die Diskussion über den notwendigen Strukturwandel stattfand, und wünschten sich eine Fortsetzung. Drei Tage später ließ sich Maresch zu einem Workshop über Regionalen Wandel auf dem Klimacamp einladen, wo die Charmeoffensive von beiden Seiten fortgesetzt wurde. Dort bekannte er, der Empfang von Klimaschützern durch die Bergleute würde wohl weniger herzlich ausfallen als umgekehrt.

Einer hervorragenden Moderation gelang es aber, die offenkundig unvereinbaren Standpunkte nicht in eine Konfrontation zu führen.

Von der rabiaten Art, mit der die IG BCE noch im vergangenen Jahr den Klimaschützern die erhobene Faust gezeigt hatte („Schnauze voll!“), war diesmal wenig zu spüren: Die Gewerkschaft der Bergleute führte am 25.8. eine Kundgebung durch, zu der sie auch ihren Vorsitzenden Michael Vassiliadis geladen hatte. „Protestieren dürfen sie, aber moralisieren und so zu tun, als würden sich die Bergleute an der Welt versündigen, das dürfen sie nicht“, rief er den Teilnehmer*innen des Klimacamps zu. Der Dialog ist doch noch eine ziemlich einseitige Angelegenheit…

Vor der Podiumsdiskussion am Sonntag hatte das Klimacamp zu einer Führung über das Camp eingeladen. Etwa 25 Einwohner*innen der umliegenden Ortschaften ließen sich Küche und Zirkuszelte, Ausstellungen, Kinderbetreuung und die Stromversorgung mit Solarzellen zeigen und informierten sich über das Programm mit Bildungs- und Kulturangeboten. Anschließend gab es bei Kaffee und französischen Crêpes die Möglichkeit, auch über die Protestaktionen der kommenden Woche zu sprechen. Eine weitere Führung wurde am darauf folgenden Mittwoch angeboten.

Auch in den letzten Jahren waren die Anwohner*innen aus der Region zu allen Veranstaltungen eingeladen worden, in diesem Jahr fiel das Angebot jedoch auf besonders fruchtbaren Boden. Auch die Tatsache, dass die Rote-Linien-Aktion am Samstag, eine Massenaktion, die stark von örtlichen Initiativen, dem BUND und anderen Nichtregierungsorganisationen getragen wurde, im Zusammenhang mit den Ende-Gelände-Aktionen stattfand, hat die Aufmerksamkeit und Akzeptanz für beide Seiten erhöht. Diese Zusammenarbeit verdankt sich einem jahrelangen, sehr kontinuierlichen und wachsenden Austausch, mit regelmäßig wiederkehrenden Aktionen wie den monatlichen Waldspaziergängen im Hambacher Forst, aber auch verschiedenen Höhepunkten wie der ersten Rote-Linien-Aktion im November 2016 oder der Mobilisierung zur Jahreshauptversammlung von RWE im April.

Etwa 25 Einwohner*innen der umliegenden Ortschaften ließen sich Küche und Zirkuszelte, Ausstellungen, Kinderbetreuung und die Stromversorgung mit Solarzellen zeigen

Schließlich war das Vordringen in andere Milieus und die Verknüpfung der Klimafrage mit anderen gesellschaftlichen Problemen auch Teil der Arbeit auf dem Camp selbst. Hier bot ein Zelt namens „Connecting movements“ die Gelegenheit, über den jeweils eigenen Tellerrand hinauszuschauen und herauszufinden, wo Feminismus, die Sorge um Arbeitsplätze, Bildung und Klima und vieles andere sich treffen können.

Die Klimaschützer*innen haben es geschafft, die Forderung nach einem verbindlichen Plan für den raschen Ausstieg aus der Kohle zu einem Wahlkampfthema zu machen. Auf die Parteien ist dabei kein Verlass: Die Grünen fordern zwar bis 2030 den Ausstieg aus der Kohle und ein Ende des Diesel, doch wurden und werden sie dabei von ihren Landespolitikern, allen voran Winfried Kretzschmann, ausgebremst. Bei der Linken geht es nicht viel anders zu, nachdem die Fraktion im Brandenburger Landtag signalisiert hattte, dass sie der Forderung der SPD nach Aufweichung der Klimaschutzziele zustimmen würde.Es bleibt abzuwarten ob die Vereinbarung zwischen der Brandenburger Fraktion und dem Parteivorstand, dass es keine Zustimmung zur Aufweichung der Klimaschutzziele gibt, auch nach den Bestand hat. Dabei ergeben Meinungsumfragen in den letzten Jahren immer wieder, dass die große Mehrheit der Bevölkerung für den Ausstieg aus der Braunkohle ist.

Die Klimaschützer*innen haben es geschafft, die Forderung nach einem verbindlichen Plan für den raschen Ausstieg aus der Kohle zu einem Wahlkampfthema zu machen.

Es bleibt also nichts anderes, als das Thema mit großen und kleinen Aktionen am Kochen zu halten. Die nächste Gelegenheit ergibt sich beim UN-Klimagipfel in Bonn (COP 23, 6. bis 17. November). Im Vorfeld, vom 3. bis 5.11., wird es ein großes Aktionswochenende geben, mit mehreren angemeldeten Großdemos/Menschenketten, einer Ende-Gelände-Aktion und einem Alternativgipfel („People’s Climate Summit“, 3. bis 7.11., https://pcs2017.org/) sowie einem Jugendklimagipfel.

Für die ISO gewinnt das Engagement in den Antikohle-, Klima- und Ökologiebewegungen an Bedeutung. An den diesjährigen Aktionstagen im Rheinland haben sich rund 20 ISO-Genoss*innen beteiligt. Einige waren mehrere Tage auf dem Camp, einige kamen gezielt zu einzelnen Veranstaltungen oder zu Aktionen. Wir hatten Dianne Feeley von Solidarity, USA, und Marijke Colle von der LCR-SAP aus Belgien eingeladen.

Für die ISO gewinnt das Engagement in den Antikohle-, Klima- und Ökologiebewegungen an Bedeutung.

Dianne hielt auf der Sommerschule einen Workshop zur Umweltbewegung in den USA in Zeiten von Trump. Marijke war auf dem Podium zu Utopien („Konturen einer post-fossilistischen und post-kapitalistischen Gesellschaft“) mit über 170 Zuhörer*innen und hatte am nächsten Tag in einem Workshop über Ökosozialismus eine gute Resonanz. An den Workshops nahmen jeweils 40 bis 60 Personen teil. Zwei Genoss*innen aus Kassel organisierten als Vertreter*in der Initiative Organisieren–Kämpfen–Gewinnen (OKG) einen Vier-Tages-Kurs über Organizing mit 20 regelmäßigen Teilnehmenden. In einem weiteren Workshop hat Klaus Engert über Zeit, Beschleunigung, Klimawandel und Entschleunigung („warum wir viel langsamer werden müssen“) referiert.

Dem für die Beschäftigten in den Kraftwerken von RWE zuständigen Sekretär des Fachbereichs „Ver- und Entsorgung“ von ver.di hatten seine Oberen die Teilnahme an einem Workshop auf dem Camp untersagt. Daraufhin hat es einer unserer Genossen übernommen, in dem Workshop der Initiative Gewerkschafter*innen für Klimaschutz die ver.di-Studie zu einem „sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleindustrie“ vorzustellen. Diese Studie war nach einem Beschluss des Gewerkschaftsrats von ver.di vom März 2016 für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung in Auftrag gegeben worden.

Einige von uns haben an den Aktionen von Ende Gelände teilgenommen und Gleise der Kohlebahn besetzt oder eine Mahnwache organisiert. Am Samstag, dem 26.8., haben sich viele Mitglieder der ISO an der Menschenkette der „Roten Linie“ am Hambacher Forst beteiligt.

Die ISO wird auf den nächsten Treffen ihrer Arbeitsgruppe Ökosozialismus und ihrer Koordination beraten, wie sie sich an den Aktionen aus Anlass der COP23 beteiligen kann, was zur Kritik der „Autogesellschaft“ angeschoben werden kann, nachdem die Automobilindustrie und der individuelle Pkw-Verkehr in Deutschland durch „Dieselgate“ wie noch nie vorher in Verruf gekommen ist, und wie sie ihren Schwerpunkt „Ökosozialismus“ weiter ausbauen kann.

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