Die Antideutschen ‒ ein Trauerspiel

Antideutsche bei einer Pro-Israel-Demo 2014 in Berlin. (Hinweis der Redaktion: Das Foto wurde nach unten hin etwas verlängert, um das Motiv nicht zu verdecken). Foto: Montecruz Foto, Al Quds Tag @ Berlin, CC BY-SA 2.0

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Antifa/Antira

Die Antideutschen ‒ ein Trauerspiel

Von Wolfgang Cürten | 11.05.2020

Die sogenannten Antideutschen rekrutierten sich ‒ zumindest ursprünglich ‒ aus linken Kreisen und hatten in ihren Anfängen eine antiimperialistische Grundtendenz. Davon ist nichts mehr übriggeblieben, seit sie sich zu Erfüllungsgehilfen staatlicher Repression gegen Linke gemacht haben.

Am 9.01.2020 kam über dpa eine Meldung rein, dass das Auswärtige Amt in Berlin den Ausbau israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland kritisiert habe. Zuvor hatte die israelische Menschenrechtsorganisation Peace Now mitgeteilt, Israel treibe den Bau von über 1900 Wohnungen voran. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes habe gesagt, man habe die Beschlüsse Israels „mit großer Sorge“ zur Kenntnis genommen. „Die Bundesregierung ruft dazu auf, alle Schritte zu unterlassen, die eine friedliche Konfliktlösung im Nahen Osten weiter erschweren.“

Repressionsmaßnahmen unterhalb des Verbots einer Organisation

Ja darf die deutsche Regierung das überhaupt? Wenn es nach den sogenannten Antideutschen geht, nein. Nach deren Meinung ist jegliche Kritik an israelischer Politik nicht gestattet. Das wäre dann noch nicht so verheerend, wenn diese Position nicht auf die Denunziation und Verhinderung zahlreicher kritischer, emanzipativer Positionen und Veranstaltungen hinauslaufen würde.

So berichtete die Zeitschrift „Jüdische Stimme für gerechten Frieden“ von einem absurden Diffamierungsversuch.

„Eine Leipziger Gruppe hat jetzt vom Mercure Hotel MOA Berlin verlangt, seine Räume nicht der für den 11. Januar 2020 geplanten „Rosa Luxemburg Konferenz” zur Verfügung zu stellen. Die Begründung der Gruppe: Die Teilnahme von Lea Tsemel, Menschenrechtsanwältin und Protagonistin der Dokumentation „Lea Tsemel, Anwältin” – einer hochgelobten Produktion, die auf der Shortlist für die Oscar-Verleihung stand und bereits in der ARD gezeigt wurde.

Der Missbrauch der Antisemitismusvorwürfe zwecks Verleumdung jener, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen, ist nicht neu. Was aber neu ist: Die absurde Behauptung deutscher Aktivist*innen, nach der das Grundrecht auf Rechtshilfe zu Antisemitismus führe, wenn eine israelisch-jüdische Anwältin Palästinenser verteidigt.

Wir beobachten eine Fortsetzung von beunruhigenden Trends in Deutschland:

1. die Verleumdung von Menschenrechtsaktivisten im Kontext Palästina-Israel;

2. die Verwendung der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance)-Definition des Antisemitismus zu diesem Zwecke;

3. die Taktik des öffentlichen Drucks auf Inhaber von Veranstaltungsräumen, diese zu verweigern und auf diesem Wege die Rede- und Meinungsfreiheit zu untergraben, wenn es um die Rechte der Palästinenser und derjenigen geht, die sie unterstützen.“[1]

Lea Tsemel ‒ eine jüdische Rechtsanwältin, die sich vor israelischen Gerichten für die Rechte der Palästinenser*innen einsetzt ‒ schreibt dazu selbst:

«Ein paar Tage bevor ich in Berlin ankam, schickte mir ein Freund einen in Deutschland im Internet veröffentlichten offenen Brief, der an die Besitzer dieses reizenden Hotels gerichtet war, in dem wir heute freundlicherweise unsere Konferenz abhalten können. Zusätzlich zu mehreren ausdrücklichen Tatsachenverdrehungen werde ich darin als «die antizionistische Aktivistin Lea Tsemel, die für ihre Unterstützung und Rechtfertigung des Terrorismus bekannt ist», bezeichnet. Weiter wird behauptet: «Tsemel ist keine Friedensaktivistin oder Verfechterin der Menschenrechte, sondern sie vertritt eher eine dunkle und antisemitische Weltanschauung.»

Dieser offene Brief aus Deutschland schließt sich der bereits erfolgten intensiven Gegenreaktion und den Protesten an, die in Israel nach der Veröffentlichung des Dokumentarfilms «Advocate» inszeniert wurden, und diese «Komplimente» der Verfasser sind nicht fremd für meine Ohren. […]

Nun, ich bin sicher keine «selbsthassende Jüdin» (…) Ich bin vielmehr jemand, der die Besatzung aus tiefstem Herzen hasst.

Wie ich bereits erwähnte, sind die «Komplimente» in dem erwähnten offenen Brief für israelische Verhältnisse nicht sehr originell. Dies gilt auch insofern, dass ich als «Antisemitin» beschimpft werde, was eine der schlimmsten denkbaren Verunglimpfungen ist. In Israel ist die Beleidigung der Wahl normalerweise der Ausdruck «selbsthassende Jüdin». An diese Bezeichnung habe ich mich im Laufe der Jahre zusammen mit vielen israelkritischen Menschen schon gewöhnt. Wir bekommen das immer zu hören, wenn wir unsere Meinung äußern. Ich muss also damit umgehen.

Nun, ich bin sicher keine «selbsthassende Jüdin» und ganz bestimmt keine «Antisemitin». Ich bin vielmehr jemand, der die Besatzung aus tiefstem Herzen hasst. Und ob es mir gefällt oder nicht, ich bin Teil des Besatzungssystems, das Israel dem palästinensischen Volk seit 53 Jahren auferlegt, und Teil der Tragödie, die Israel bereits 1948 in Palästina angerichtet hat.“[2]

Da die Verleumder offensichtlich merken, dass die Diffamierung von Jüdinnen und Juden, die die Politik der rechten israelischen Regierung kritisieren im Grunde absurd ist, greift man zu einem anderen Konstrukt, dem „jüdischen Selbsthass“.

Eine für den 18. Februar diesen Jahres geplante Friedenskonferenz parallel zur „Münchner Sicherheitskonferenz“ konnte nicht stattfinden. Der Grund: Die Veranstalter waren mit einem Stadtrat nicht einverstanden, der dort ein Grußwort halten sollte. Sie lehnten ihn ab, weil er stadtpolitisch ausgerechnet damit in Erscheinung getreten war, dass er das Münchner Eine-Welt-Haus als Treffpunkt von linken, migrantischen, umweltpolitischen und sonstigen Gruppen angegriffen hatte. Unterstellt wurde nun aber den Veranstaltern, dass sie den Stadtrat deshalb ablehnten, weil er jüdischen Glaubens ist. (Junge Welt, 23.01.2020)

In der Wochenzeitung „DER FREITAG“ vom 23. Januar erschien ein Artikel der israelischen Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Dr. Ilana Hammerman:

„Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, forderte die katholische Wohltätigkeitsorganisation Caritas auf, die Anmietung einer Halle für eine kleine Aktivistengruppe namens Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe zu kündigen. Die Aktivisten hatten vor, dort eine Diskussion mit einem Journalisten des Magazins Der Spiegel zu veranstalten, der an einem sorgfältigen investigativen Artikel über die fragwürdigen Aktivitäten einer pro-israelischen Lobby-Gruppe mitgewirkt hatte. Die Ziele dieser besagten Gruppe sind , die Unterstützung deutscher Politiker für die gegenwärtige Politik der israelischen Regierung zu gewinnen und jeden und jede, die sich mit dieser Politik kritisch befasst, als antisemitisch abzustempeln, und seien diese Kritiker auch selbst Juden. Der Höhepunkt ihrer erfolgreichen Aktivität war die seltsame Entscheidung, die in diesem Jahr vom Bundestag mit großer Mehrheit getroffen wurde, die BDS-Bewegung (ein gänzlich marginales Phänomen in Deutschland) als antisemitisch zu definieren. […]

Mit der gleichen Argumentation kündigte bald danach der Bürgermeister von Frankfurt die Überlassung eines Raumes für eine Diskussion über die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland im Fall von Kritik an der israelischen Politik. In einer Pressemitteilung nannte er namentlich zwei Personen, die bei dieser Veranstaltung sprechen wollten, und proklamierte: Wer «derartige Veranstaltungen organisiert, fördert die Judenfeindlichkeit in unserem Land». Nichts weniger. Eine dieser beiden Menschen ist eine Jüdin, der andere Palästinenser, beide deutsche Staatsbürger. […]

Wenn diese Auseinandersetzung richtig verlaufen wäre, würde dieses Land nicht die solidarische Haltung an der Seite der Palästinenser ins Zentrum seiner Antisemitismus-Bekämpfung setzen, sondern den Kampf gegen die extreme Rechte, die immer stärker in der deutschen Gesellschaft Fuß fasst. Schließlich können die meisten antisemitischen Vorfälle diesem Lager zugeordnet werden, darunter auch der mörderische Angriff in Halle gegen eine Synagoge und einen türkischen Imbiss an diesem Yom Kippur.“[3]

Mit dem Vorwurf „Antisemitismus“ hat man eine einfaches, aber umso wirksameres Schlagwort gefunden, um unliebsame und kritische Veranstaltungen zu unterdrücken. Dies reiht sich ein in andere Repressionsmaßnahmen unterhalb des Verbots einer Organisation. Denken wir dabei beispielsweise an den Entzug der Gemeinnützigkeit für Vereine für politische Bildung jenseits von Parteien.

„Im Fall der Aberkennung des Status der Gemeinnützigkeit bei bestimmten Vereinen geht es um ein staatliches Ausbremsen kritisch-bürgerschaftlichen Engagements mit den Mitteln des Steuerrechts.“[4]

Oder denken wir an die geplanten Prozesse gegen Dutzende von Aktivist*innen, die gegen den G-20-Gipfel in Hamburg protestiert haben. Die Bundesrepublik Deutschland bleibt weiterhin eine lupenreine „Demokratie“. Linke Opposition wird ‒ größtenteils ‒ nicht verboten aber auf subtile Art daran gehindert, sich zu äußern.

„Die größte Bedrohung der Demokratie im Sinne einer Entwicklung zum Faschismus («Faschisierung») in Deutschland geht gegenwärtig nicht von äußeren oder inneren «Feinden der Demokratie» oder (Neo-)Nazis aus, sondern von dem umfassenden Aufbau eines autoritären Sicherheitsstaates, mit dem vorgegeben wird, die Demokratie gegen «terroristische» und andere Gefahren schützen zu wollen. Das heißt nicht, dass Neonazis nicht eine große Gefahr darstellen und schärfstens bekämpft werden müssen, nicht zuletzt weil sie es sind, die für die Wiedereinführung der Todesstrafe oder den umfassenden Ausbau der Repressionsapparate eintreten, die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorantreiben und den Machthabern und gegenwärtig herrschenden Parteien zum Teil als Alibi ihrer Positionen dienen.“[5]

Dass der Staat dies tut ist nicht verwunderlich, ist es doch ein Teil seines Klassenkampfes. Das Empörende an der ganzen Sache aber ist, dass diese Vorwürfe und Initiativen oft von Menschen kommen, die sich ehemals als Linke verstanden haben und teilweise auch heute noch so tun.

Israel ‒ die Antwort auf Antisemitismus?

Diese ehemals sich links verstehende Strömung meinte sich zur Zeit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten als besonders antinational und antideutsch hervorheben zu müssen. Dabei ist selbstverständlich Internationalismus ein Attribut jeglicher revolutionären linken Bewegung. Bald sah diese Strömung aber ihre Hauptaufgabe darin die Politik des Staates Israel ohne Wenn und Aber zu unterstützen. Dies ging so weit, dass einige Protagonist*innen der Antideutschen diverse Nato-Kriegseinsätze befürworteten.

Es gehört zur Tradition linker Bewegungen, dass man Ausbeutung und Unterdrückung kritisiert

Damit einhergehend entdeckte man im größten Teil der Linken den Antisemitismus, vor allem in dem Teil, der die Politik des Staates Israel offensiv verurteilt und in der palästinensischen Bevölkerung auch Menschen sieht. Ausgehend von der palästinensischen Zivilgesellschaft ruft die zivilgesellschaftliche BDS-Bewegung (inspiriert vom Kampf der Südafrikaner*innen gegen die Apartheid) seit 2005 zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel auf, bis die dortige Regierung internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkommt. Die BDS-Kampagne informiert über bundesweite Aktivitäten im Rahmen der internationalen BDS-Bewegung und ihre Unterstützer*innen sind damit in den Augen der Antideutschen per se antisemitisch. Sie würden Ungerechtigkeit und Repression auf dieser Welt nur an einem einzigen Staat festmachen, nämlich an Israel und die vielfachen Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten und blutigen Regime völlig außer Acht lassen. Dies ist aber ausgemachter Blödsinn, wie die Vielzahl linker Publikationen belegt. Es gehört zur Tradition linker Bewegungen, dass man Ausbeutung und Unterdrückung im eigenen Land wie auch weltweit kritisiert. Dabei hat Israel weder nach der einen noch nach der anderen Seite ein Alleinstellungsmerkmal.

„In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Antideutschen begonnen, sich hauptsächlich auf eines zu konzentrieren: jeden und jede, der/die Kritik an der israelischen Politik äußert, und sei sie noch so milde, rücksichtslos zu attackieren. Ihre Weltanschauung ist bemerkenswert simpel: Antisemitismus sei die Quelle des Bösen, und weil Israel die Antwort auf Antisemitismus sei, sei Israel das absolut Gute.“[6]

This land is mine, God gave this land to me

Die israelische Politik(mit Unterstützung durch den „Westen“, nicht zuletzt Deutschlands) ist ständiger Quell palästinensischen Leidens. Die permanente Landokkupation, wenn für nötig erachtet verbunden mit Häuserzerstörung, Gefangennahme sich wehrender Angegriffener, Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen (Olivenbaumbestände) und Vertreibung der einheimischen Landbevölkerung sind so alltäglich, dass sie in der hiesigen bürgerlichen Presse ganz selten Erwähnung finden, wohl auch aus Gründen der Staatsräson. Diese ist ihr wohl wichtiger als die Achtung von Menschenrechten. Praktisch soll in Deutschland jede Kritik an diesem Alltag mittels Staatsräson verhindert werden. Sie hat nicht nur eine Kritikverhinderung zur Folge, sondern in ihrer Logik auch staatliche Institutionen hervorgebracht, die auf die Einhaltung dieser Räson hinwirken sollen. Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes mit seinen auf Länderebene arbeitenden Kollegen könnten so was wie ein Blockwartsystem entwickeln, das bis hin zur Denunzierung abweichender Haltungen tendiert. Damit sollen Veranstaltungen im öffentlichen Raum mit israelkritischer Tendenz verhindert werden. So werden zunehmend Auseinandersetzungen mit diesem Thema nicht mehr möglich sein, geschweige denn eine unterstützende Solidarität für die unterdrückte palästinensische Bevölkerung. Hierunter fallen auch Aktionen oder Veranstaltungen zum Thema BDS. Beispiele gibt es bereits: Frankfurt, München, Köln, Göttingen usw. Infolgedessen sind auch durchaus ‚Denkverhinderungen‘ und -tabus möglich: Das ist dann Nährstoff für tatsächlichen Antisemitismus.“[7]

Juna Grossmann im Wiesbadener Kurier: “Über deutsche Politik will seltsamerweise nie jemand mit mir sprechen.”

In unserer Kritik an der Politik der israelischen Regierung übertragen wir diese selbstverständlich nicht auf die Menschen jüdischen Glaubens, die ja in vielen Ländern leben. Wir verstehen natürlich die junge jüdische Autorin Juna Grossmann („Schonzeit vorbei“), die auf die Frage in einem Interview im Wiesbadener Kurier vom 27.01.2020 „Wie oft passiert es, dass sie als Jüdin, gar nicht als Deutsche wahrgenommen werden […] und man sie zum Beispiel für israelische Politik verantwortlich macht?“ folgendermaßen antwortet: „Inzwischen ist es so, dass ich sobald ich mich als Jüdin oute, zu 95 Prozent auf Israel angesprochen werde. Ich weiß aber auch, dass Menschen zum Teil wirklich denken, alle Jüdinnen und Juden seien auch Israelis. […] Pragmatisch wären Fragen zur russischen oder ukrainischen Politik näherliegend. Da nämlich kommen über 90 Prozent der jüdischen Menschen und ihre Familien in Deutschland her. Über deutsche Politik will seltsamerweise nie jemand mit mir sprechen.“

Besonders befremdend, ja absurd wird es, wenn man von antideutscher Seite aus Gruppen wie Occupy, attac oder anderen vorwirft, die sich antikapitalistisch positionieren, dass sie gerade deswegen strukturell antisemitisch seien.

„Sogar die Forderung nach Regulierung des Finanzsystems wird von den Antideutschen pauschal als Antisemitismus angesehen, weil sich dahinter zwangsläufig eine Feindschaft gegenüber jüdischen Bankiers und dem internationalen Zionismus verberge.“[8]

Da muss man sich doch fragen, ob diese Gleichsetzung nicht eher darauf schließen lässt, dass gerade in den Köpfen derer, die diese Vorwürfe machen, die Gleichsetzung von Kapitalismus und Judentum besteht.

„… und wie ist das Gefühl, wenn man so langsam, langsam, langsam driftet nach rechts?“

Wer mehr über den Weg der Antideutschen ins bürgerliche Establishment (vom Weg des Jürgen Elsässer ganz nach rechts außen ganz zu schweigen) erfahren will, dem sei das erhellende Buch von Gerhard Hanloser „Die andere Querfront“ (2019) empfohlen, was erstaunlicherweise selbst in Konkret 1/2020 von Stefan Ripplinger lobend besprochen wurde. In der Vergangenheit war Konkret gern ein Forum antideutscher Autor*innen.

Nun bräuchte man sich vielleicht nicht so viele Gedanken zu machen, denn der langsame Weg von ehemaligen Linken nach rechts ist nicht unbedingt etwas Neues. Unangenehm ist aber, dass junge, noch nicht lange politisierte Genossinnen oder Genossen auf diese Argumentation reinfallen und Gruppen, die sich gegen Imperialismus positionieren, bei ihrer Informationsarbeit behindern und dafür sorgen, dass man ihnen keine kommunalen Räume zur Verfügung stellt. Inzwischen wird das bei kirchlichen Räumen genauso versucht. Dabei genügt es schon, wenn man auf seiner Website einen Link zur BDS-Bewegung hat.

Eine weitere wenig amüsante Begleiterscheinung ist es, wenn man die Kritik am US-amerikanischen Imperialismus damit als falsch und unberechtigt erklärt, dass man diese Kritik als Antiamerikanismus bezeichnet. Weder ist damit etwas gesagt, noch ist das ein Gegenargument. Ist Antiamerikanismus (dies bezieht sich übrigens immer auf die USA) etwa, dass man keine Hamburger isst, keine Cola trinkt und Volksmusik der Heavy Metal-Richtung vorzieht? Seit ich denken kann, hat linke Kritik an den blutigen Militäreinsätzen der USA (und ich beziehe mich hier nicht auf Omaha Beach) uns nicht davon abgehalten, mit dem anderen Amerika verbunden zu sein, mit der Antikriegsbewegung, mit Mumia Abu-Jamal, mit Angela Davies oder Joan Baez.

„Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ (NT, Lukas 18,11)

„Nach dreißig Jahren antideutscher Publizistik stellt sich die Frage, welchen Gegner diese aus der linken kommenden antideutschen Medienschaffenden, Texter und Autorinnen eigentlich vor Augen hatten und haben. Von Pohrts (erst antideutscher Schriftsteller, dann in Distanz dazu, gest. 2018, d. Verf.) chauvinistischer Herabsetzung ‚piepsstimmiger Erzieherinnen‘ der Golfkriegszeit bis heute scheinen es selten die Herrschenden und Mächtigen zu sein. Wenn sich ab dem Mauerfall eine sich mit den Herrschenden konfrontierende [und] damit riskante Praxis finden lässt, so jenseits der antideutschen Logik.“[8] Und er zählt hier ein breites Spektrum auf von Antifa-Arbeit bis Mobilisation gegen das Hartz IV-Regime, von der Antiglobalisierungsbewegung bis zur Solidarität mit dem demokratischen Konföderationsprojekt in Rojava. Er zählt so ziemlich alles auf was linke Menschen in den letzten dreißig Jahren bewegt hat. „Bei aller Kritik, die an diesen Bewegungen und Diskussionen formuliert werden kann, teilen sie bis heute die Einschätzung, das Wissen und die Erfahrung, die das Graffiti artikulierte, das lange Jahre auf dem 1990 besetzten und 1991 legalisierten Haus in der Köpenicker Straße 137 angebracht war: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.“[10]

… ein dorniger Weg gemeinsamen Handelns, solidarischer Diskussion und Willen zur gesellschaftlicher Wirkmächtigkeit

Die vornehmste Aufgabe einer revolutionären Linken, die einen Systemwechsel für notwendig hält, wäre, die verschiedenen kleinen oppositionellen Pflänzchen zu einer schlagkräftigen gemeinsamen Organisation zusammenzufassen. Dies bedeutet einen dornigen Weg gemeinsamen Handelns, gemeinsamer solidarischer Diskussion und den Willen, eine gesellschaftliche Kraft zu werden.

Genau das aber wollen die Antideutschen nicht. Im Grunde verachten sie alle, außer sich selbst. Der Klassenkampf von oben, die durch die neoliberale Gegenreform ‒ der sich die europäischen Sozialdemokratien angeschlossen haben ‒ ständig verschlechterte Lage der Arbeiter*innenklasse hat doch gerade zum Aufstieg der Rechten geführt. (Leseempfehlung: Didier Eribon: „Rückkehr nach Reims“, Edouard Louis: „Wer hat meinen Vater umgebracht“) „So bleiben sie eben was sie stets gewesen sind:„kleine Leute“. Solche, die man ausnutzt, betrügt und von oben herab behandelt. „Kleine Leute“, die es denen da oben, die immer gegen sie sind, zeigen wollen, wenn sich eine Situation dafür bietet, bzw. wenn sie es nicht mehr ertragen können, nicht zur Kenntnis genommen zu werden. Wenn man allzu sehr mit ihren Interessen und ihrer Würde Schindluder treibt.“[11]

„Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht das sie bleibt.“ ( Erich Fried)

Wenn man sich die zum Teil zynischen und menschenfeindlichen Parolen der Antideutschen ansieht (etwa „Bomber-Harris Flächenbrand – Deutschland wieder Ackerland!“ „Bomber-Harris und die Flut – das tut allen Deutschen gut!“ „Von der Saar bis an die Neiße, Bomben drauf und weg die Scheiße!“ „Wir tragen Gucci, wir tragen Prada, Tod der Intifada!“)[12], dann weiß man eines sicher: Es geht um die eigene Selbstdarstellung: So radikal wie wir ist keiner! Und es geht nicht darum, eine antifaschistische Arbeit auf eine breite Basis zu stellen und schon gar nicht darum, die verschiedenen linken Ansätze mit breiteren sozialen Kämpfen zu verbinden.

Man hält das sogar für falsch, das Dritte Reich wird als quasi „Sozialstaat“ umgelogen und die Ideologie und Lügen des Faschismus werden für „bare Münze genommen“.[13] Man kann seine Deutschenfeindlichkeit gar nicht laut genug ausposaunen. Man dichtet allen Deutschen qua Geburt einen nationalsozialistischen Volkscharakter an und merkt dabei gar nicht, wie man selbst völkischem Denken verfallen ist.

„Die sozialchauvinistischen Parolen, wie „Nazi-Stau im Plattenbau“ und „Wir haben Arbeit und ihr nicht“, die hier und dort auf Antifa-Demos zu hören sind, nähren mehr und mehr den Verdacht: In der antifaschistischen Bewegung gibt es Kräfte, die ein weitaus dringlicheres Bedürfnis verspüren, die Proletarier zu bekämpfen als die ‚Arier‘.“[14]

„Hat man die antideutsche Publizistik vor Augen, so muss nicht nur von einem dramatischen Verfall einer Kultur der linken, aufklärerischen und radikaldemokratischen Konfrontationslust mit dem Establishment gesprochen werden, sondern sie muss als Teil dieser Barbarisierungsspirale begriffen werden. Von ihr geht keine Erneuerung des Imperativs von Rosa Luxemburg ‚Sozialismus oder Barbarei‘ aus, sondern sie hat selbst ihren Anteil am Barbarischen.“[15]

Wir werden uns weiterhin für eine kommunistischen Gesellschaft einsetzen, und zwar in diesem Sinn: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“[16] Nur mit dem Verschwinden der Konkurrenz zwischen den Menschen, den Ländern und Nationen lassen sich Kriege, Völkermorde und ein neues Auschwitz verhindern. Wer, wenn nicht eine Rote Armee hätte die überlebenden Opfer von Auschwitz befreien sollen?

[1] „Jüdische Stimme für gerechten Frieden“ am 07. Januar 2020

[2] XXV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz, Beilage der jW vom 29.01.2020,RLK 2020, »Halah Hakibush! – Nieder mit der Besatzung!«

[3] Dr. Ilana Hammerman, Hebräisch in der Printausgabe von Haaretz am 29.11.2019, übersetzt aus dem Hebräischen von Yossi Bartal (Jüdische Stimme) (Hier ein von Ekkehart Drost zusammengestellter Auszug)

[4] Rolf Gössner (Rechtsanwalt und Publizist) in Junge Welt, 11./12.01.2020

[5] Eberhard Schultze in Susann Witt-Stahl & Michael Sommer (Hrsg.) „Antifa heißt Luftangriff“, S.139

[6] Ofri Ilany: Haaretz-Kolumne „Unter der Sonne“ in https://diefreiheitsliebe.de/politik/die-pro-israelische-linke-in-deutschland-hat-ein-neues-ziel-gefunden-juden/

[7] Walter Wiese: Zur Verunglimpfungs-Kampagne des BDS-Aufrufs als antisemitisch, die internationale 6/2019, S.27

[8] Ofri Ilany :Haaretz-Kolumne „Unter der Sonne“ a.a.O.

[9] Gerd Hanloser, „Die andere Querfront“ (2019), S.308

[10] Gerd Hanloser, a.a.O., S.308

[11] Friedrich Voßkühler, „Psyche der Macht, die internationale 5/2017, S.17

[12] http://demosprueche.blogsport.eu/author/demosprueche/

[13] Vgl. den Aufsatz von Susann Witt-Stahl: „Auf dem Weg zur Knechtschaft“ in Susann Witt-Stahl & Michael Sommer a.a.O., S.17ff

[14] Susann Witt-Stahl & Michael Sommer a.a.O., S.10

[15] Gerd Hanloser. a.a.O., S.310 [1] Karl Marx & Friedrich Engels: „Manifest der kommunistischen Partei“ von 1848

[16] Karl Marx & Friedrich Engels: „Manifest der kommunistischen Partei“ von 1848

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