Rechtsruck in Deutschland
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Nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern

Rechtsruck in Deutschland

Von J. H. Wassermann | 11.10.2023

Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie sind nur zu einem Teil Ausdruck eines Bewusstseins bei den Menschen im Land, aber eben doch zu einem Teil. Die Ergebnisse sind eine Art Schnappschuss, was Menschen bewegt. Die Annahme, dass die, die nicht gewählt haben, genauso denken, wird sich weder bestätigen noch widerlegen lassen.

Und was bewegt die Menschen?

Es scheint mir offensichtlich, dass es zwei Entwicklungen und Themen gibt, die im Vordergrund stehen.

Das eine ist eine längerfristige Ablehnung der Politik der Herrschenden und ihrer Ampelregierung. Da andere ist die Hochstilisierung der angeblichen Bedrohung durch Geflüchtete.

Die Regierungspolitik mit ihrer

  • Umverteilung von unten nach oben, die im geplanten Haushalt für 2024 noch mal richtig heftig weitergehen soll;
  • Klimaschutzpolitik, die im Vertrauen auf sogenannte Märkte vor allem als Steigerung von Verbraucherpreisen für die Menschen erfahrbar wird und im so genannten Heizungsgesetz auf das mickrige Wohneigentum großer Teile der Bevölkerung gezielt scheint;
  • Unterstützung von Ukraine, NATO und USA, die als Ursache für Geflüchtete, als Steigerung einer Bedrohung durch militärische Ausweitung, als Vorwand der Kürzung von Sozialausgaben und als (Teil)Ursache der Inflation wahrgenommen wird,

wird zu Recht als Angriff auf Lebensbedingungen und Lebensstandard gesehen. In Abwesenheit irgendwelcher durchsetzungsfähiger sozialistischer gesellschaftlicher Alternativen kann sich Protest und Ablehnung nur in der Unterstützung derjenigen ausdrücken, die die Regierungspolitik von rechts kritisieren. Deshalb haben CDU/CSU/AfD und die so genannten Freien Wähler die Wahlen haushoch gewonnen.

Dazu kommt eine geschickt angelegte Kampagne von CDU/CSU (AfD sowieso immer) und BILD und anderen Medien gegen die Geflüchteten. Der letzte Rest von Anstand und Menschlichkeit bei SPD und Grünen, die nicht sofort im europäischen Zusammenhang einen „Schießbefehl“ an den europäischen Grenzen zulassen wollen, wurde von den Rechten geschickt als Bedrohung und Angst vor Überfremdung, Überlastung der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes genutzt.

Der andere Grund, warum SPD und Grüne scheinbar nicht so rabiat gegen Geflüchtete vorgehen wollen, liegt in der Notwendigkeit der „Zuwanderung von Fachkräften“. Die brauchen aber die Unternehmer:innen in diesem Land, damit die im Lande vorhandenen Fachkräfte nicht zu hohe Lohnforderungen stellen und durchsetzen können. Während also die Unternehmerverbände die Regierung in dieser Frage durchaus unterstützen, haben bei den Wahlen die rechte Kritik und das Schüren von Angst gewonnen.

Das Scheitern der LINKEN trifft uns alle

Das Scheitern der LINKEN in Hessen ist ein Rückschlag für alle linken und fortschrittlichen Kräfte in diesem Land. Die LINKE hat es nicht geschafft, sich wirklich auf Massenebene, und das heißt am Arbeitsplatz und in den Wohnvierteln, auch in den sozialen und politischen Bewegungen auf der Straße, bei den Streiks der letzten Tarifrunden, als politische Kraft zu verwurzeln, zu verankern und Anerkennung zu gewinnen (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Der Zugewinn der AfD hingegen macht die faschistische Gefahr größer. Noch sind es nur die rechtsextremen Ränder und verwandte Gruppierungen, die militant gegen Geflüchtete, Farbige, Obdachlose, radikale Linke vorgehen. Noch sind keine gewerkschaftlichen Streikposten und bürgerliche und gewerkschaftliche Versammlungen angegriffen worden (Ausnahmen bestätigen die Regel). Aber der braune Mob wird sich ermutigt fühlen.

Der Wind bläst uns (gefühlt) noch stärker ins Gesicht. Die Aufgaben scheinen noch einmal größer geworden zu sein.

Keine spontane Belebung des Klassenbewusstseins in der Krise

Leider hat sich auch nicht die Hoffnung erfüllt, dass die seit einigen Jahre leicht zunehmenden Streiktage und die letzten Tarifrunden gegen die Folgen der Teuerung mit zum Teil recht breiter Beteiligung an Warnstreiks und anderen Aktionen sich als Belebung eines Klassenbewusstseins unter den arbeitenden Menschen und als gesellschaftlicher Gegenpol erweisen könnten.

Der Wind bläst uns (gefühlt) noch stärker ins Gesicht. Die Aufgaben scheinen noch einmal größer geworden zu sein. Aber es gibt keine sinnvolle – auch nicht individuelle – Alternative zum Weitermachen!

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