Autostreiks in den USA

U.S. Department of Agriculture USDA Secretary Tom Vilsack joined the men and women of United Auto Workers Local 450 today as they continue their fight for a fair wage, better benefits, and a secure retirement at the John Deere Des Moines Works, in Ankeny, Iowa, on October 20, 2021. USDA Photo Media by Lance Cheung.

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Erfolgreich mit neuer Taktik

Autostreiks in den USA

Von Dan La Botz | 23.01.2024

Der Streik der Beschäftigten der Autoindustrie endete mit einem Sieg, der die US-Arbei­ter:innen­bewegung verändern könnte.

Die United Auto Workers [UAW, Gewerkschaft der Beschäftigten der Automobilindustrie u. a.] führte einen 45-tägigen Streik gegen die drei großen US-Autokonzerne Ford, Stellantis und General Motors durch, der in dem im Oktober ausgehandelten Vertrag nicht nur große Lohnerhöhungen und die Beseitigung von Stufenlöhnen [niedrigere Löhne für Neueingestellte] erreichte, sondern auch in die Kontrolle der Konzerne über ihre Werke eingriff. In den Vereinigten Staaten hat es jahrzehntelang keine Gewerkschaft gegeben, die einen solchen Streik anführte. Zum ersten Mal griff die UAW alle drei Unternehmen auf einmal an, indem sie einen eskalierenden Streik in strategisch ausgewählten Werken durchführte, an dem schließlich 50 000 Arbeiter:innen im ganzen Land beteiligt waren, und der die Konzerne zum Nachgeben zwang.

Dieser Streik hat vier signifikante Ergebnisse. Erstens werden die Löhne der 150 000 gewerkschaftlich organisierten Autoarbeiter:innen in den nächsten viereinhalb Jahren um mindestens 25 Prozent [5 % pro Jahr] steigen. Er wird auch Arbeiter:innen der zweiten und dritten Eingangsstufe auf das gleiche Niveau wie ihre Kollegen heben, was für einige eine Lohnerhöhung von mehr als 150 Prozent bedeutet. Viele Zeitarbeitskräfte werden zu Festangestellten. Der neue Vertrag stellt auch die 2008 verlorene Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten wieder her, die zu einer zusätzlichen Lohnerhöhung von 5 bis 10 Prozent führen könnte. Am Ende der Laufzeit des Vertrags werden Autoarbeiter:innen 82 000 US-Dollar pro Jahr verdienen, vielleicht sogar 100 000 US-Dollar mit Gewinnbeteiligung, Boni und Überstunden. Autoarbeitern wird es finanziell deutlich besser gehen als in den letzten Jahrzehnten.

Zweitens griff die UAW in die gewohnheitsmäßigen unternehmerischen Vorrechte in Bezug auf Investitionen ein. Sie stellte Forderungen an die Unternehmen, die die Gewerkschaftsmitglieder schützen sollten, während die Branche den Übergang von Verbrennungs- zu Elektromotoren vollzieht. Ford- und GM-Arbeiter:innen in neuen Batteriefabriken, die die Unternehmen in Tennessee, Ohio und Michigan bauen, werden in den Tarifvertrag einbezogen. Und die Gewerkschaft brachte Stellantis dazu, das im letzten Jahr geschlossene Werk in Belvidere (Illinois) wieder zu öffnen.

Drittens hatte der Streik auch politische Dimensionen, indem er die Verbindungen der Demokratischen Partei zur Gewerkschaft stärkte. Senator Bernie Sanders trat zusammen mit [Gewerkschaftschef] Shawn Fain auf einer Kundgebung auf, bei der er erklärte, die UAW führe einen Streik gegen „die Gier der Unternehmen und um den Menschen an der Spitze zu sagen, dass dieses Land uns allen gehört, nicht nur einigen wenigen“. Im September hat sich in Michigan mit Präsident Joe Biden erstmals der oberste Vertreter des Landes einer Streikpostenkette angeschlossen. Er tat dies, um die Streikenden der UAW zu unterstützen, um zu helfen seine grüne Transformation durchzusetzen, die in seinem Billionen Dollar schweren „Inflation Reduction Act“ verankert ist, und um mit Donald Trump um die Stimmen der Arbeiter:innen zu konkurrieren. Biden sagte, der neue Vertrag würde „Autoarbeiter belohnen, die viel aufgegeben haben, um die Branche während der globalen Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt am Laufen zu halten“.

Schließlich versetzt der Sieg der UAW sie in die Lage, die nicht gewerkschaftlichen Werke zu organisieren, die die Hälfte aller in den Vereinigten Staaten hergestellten Autos produzieren. Toyota, Mazda, Honda, Volkswagen, Volvo, BMW, Mercedes und Hyundai haben alle mehr Arbeitskräfte eingestellt. Die UAW hat bereits angekündigt, Kampagnen zu starten, um Toyota und den Elektro-Tesla von Elon Musk [gewerkschaftlich] zu organisieren. Toyota erhöhte daraufhin die Löhne seiner Arbeiter, blieb dabei allerdings unter dem UAW-Tarifvertrag.

Vierzig Jahre lang haben die US-Gewerkschaften, insbesondere die Gewerkschaften der Industriearbeiter:innen, kaum etwas herausgeholt. Gewerkschaftsführer waren Partner der Konzerne, bürokratisch und, wie die alte UAW-Führung, manchmal korrupt; sie handelten Zugeständnisse aus, die Löhne, Gesundheitsleistungen, Renten und Macht am Arbeitsplatz verschenkten. Die Arbeiter:innen fühlten sich wirtschaftlich betrogen, von ihren Arbeitsplätzen und ihren Gewerkschaften entfremdet und zutiefst demoralisiert. Jetzt hat die UAW den Streik als wichtigste Waffe der Arbeiterschaft wiederbelebt. UAW-Präsident Shawn Fain erklärte, die Gewerkschaft streike nicht nur für Autoarbeiter:innen, sondern für die gesamte Arbeiterklasse gegen die Milliardärsklasse. Und dieser Streik scheint offensichtlich einen viel größeren Kampf um die Macht der Arbeiter:innen eröffnet zu haben.

5. November 2023
Dan La Botz war Gründungsmitglied der Teamsters for a Democratic Union (TDU). Er ist Autor von Rank-and-File Rebellion: Teamsters for a Democratic Union (1991). Er ist auch Mitherausgeber von New Politics und Herausgeber von Mexican Labor News and Analysis.
Quelle: International Viewpoint
Übersetzung und [Anmerkungen]: Björn Mertens

Umbruch in der US-Autoindustrie

Die Arbeiter:innen der US-Autoindustrie sind seit Jahrzehnten bei der Verteidigung ihres Lebensstandards mit zwei großen Problemen konfrontiert: Erstens verkaufte die extrem bürokratisierte Führung der United Auto Workers (UAW) einen Lohnbestandteil nach dem anderen (verstärkt seit 2009), immer in dem Bemühen, den Kern des gewerkschaftlichen Apparats – und damit ihre eigene privilegierte Position – aufrechtzuerhalten. Dieser Konfliktvermeidungskurs ist in seiner strategischen Ausrichtung (Verteidigung der älteren Stammbelegschaft auf Kosten der Neueingestellten) sehr wohl mit dem Kurs der deutschen Industriegewerkschaften vergleichbar.

Zweitens erfolgten seit den 1980er Jahren verstärkt Ausgliederungen aus den großen Werken sowie Verlagerungen in die „gewerkschaftsfreien“ Staaten im Süden der USA. Bei der Umsetzung halfen dem Kapital die generelle Durchsetzung neoliberaler Politik und vor allem die anti-gewerkschaftliche Gesetzgebung, die die Gründung von Gewerkschaften in den neuen Betrieben extrem erschwerte.

Die UAW-Führung ist nicht so stark und nicht so gut vor Ort verankert wie die Teamsters for a Democratic Union (LKW-Fahrer). Sie hat keine vergleichbare Präsenz in der Fläche (weniger Büros usw.), aber sie kann sich auf die Graswurzelbewegung Unite All Workers for Democracy stützen (Alle Arbeiter:innen gemeinsam für Demokratie https://uawd.org/). Der Vorsitzende Shwan Fain und die Mehrheit des Vorstands der UAW gehören dieser widerständigen Bewegung an.

Vor allem die auf Gemeinschaftlichkeit ausgerichtete Strategie und die Kampfentschlossenheit wirkten weit über die bislang bestreikten Konzerne hinaus. So hat Toyota nach dem Tarifabschluss der „Detroit Drei“ unverzüglich angekündigt, die Löhe zu erhöhen. Ähnliches zeichnet sich inzwischen bei Honda und Hyundai ab.

Die UAW hat 400 000 aktive Mitglieder und 600 000 Mitglieder in der Rente. Der Rückgang der Mitgliedszahlen in den letzten 40 Jahren ergab sich nicht aus einem Rückgang der Beschäftigtenzahlen (es sind heute sogar 48 % mehr als 1968), sondern in der sinkenden Attraktivität der UAW: Der Organisationsgrad fiel im Zeitraum 1983-2022 von 59 % auf 16 %. Dies könnte sich jetzt ändern Der UAW-Erfolg bei den „Detroit Drei“, wirkt so ansteckend, dass im Chattannooga-Werk von Volkswagen jetzt 1000 Beschäftigte der UAW beigetreten sind.

Der Vorsitzende der UAW, Shawn Fain, erläuterte am 14. 11. bei einer Anhörung im Kongress die Motive, die Ziele und die Ergebnisse des Streiks.

Übernommen aus die internationale, 1/2024. Siehe dazu auch in der gleichen Ausgabe: Dianne Feeley, „Rekordprofite bedeuten Rekordverträge“.

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