USA – Klassensolidarität gegen rassistische Gewalt

Streikende aus der Kleidungsinstrie in Rochester (New York) 1917. Foto: Unknown author, Strikers picketing during the 1913 Rochester, New York; Garment Workers' Strike, Public domain

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US-Arbeiterbewegung und Rassismus (1930/40)

USA – Klassensolidarität gegen rassistische Gewalt

Von Xavier Guessou | 25.09.2020

Den US-Börsen geht es prächtig: Die Indices von Dow Jones und Standard & Poor’s 500 erreichen Rekordmarken, gepuscht von den Geldhäusern JP Morgan Chase, Citigroup und Goldman Sachs.

Unterdessen preist die US-Regierung als Erfolg, 287 000 Arbeitsplätze geschaffen zu haben –, 112 000 mehr als erwartet – die vorwiegend aus Gelegenheitsjobs im Dienstleistungsgewerbe, v. a. in Gastronomie, Freizeitindustrie, Gesundheitswesen und IT bestehen. Die Arbeitslosenquote hingegen ist offiziell von 4,7 % auf 4,9 % der erwerbsfähigen Bevölkerung gestiegen und einer von sieben US-Amerikanern lebt in Armut, 40 % davon als „working poor“.

Die Profite nähren sich also aus Prekarität, Armut und wachsender Ungleichheit, sodass sogar der IWF in seinem Jahresbericht über die US-Wirtschaft anmahnt, dass „dringender Handlungsbedarf“ auf diesem Gebiet besteht.

Polizeigewalt und Rassismus

Von dieser sozialen Verelendung in den USA sind in erster Linie die Schwarzen betroffen. Zugleich nehmen Rassismus und Polizeigewalt zu .Der Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation NAACP (Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen)meint: „Ein junger Schwarzer hat ein einundzwanzigmal so hohes Risiko, durch Polizeigewalt zu sterben, wie ein Weißer. Die Zahl der inhaftierten Schwarzen steigt sprunghaft und liefert damit einen entlarvenden Ausdruck für Unrecht und Gewalt auf allen Ebenen der Gesellschaft gegenüber den Schwarzen.

Genau diese rassistische Polizeigewalt steckt hinter den Tötungen in Dallas, wo fünf Polizisten bei einer Protestversammlung erschossen wurden, die sich gegen die Polizeimorde an Schwarzen richtete, bei denen einer bei einer Straßenkontrolle vor den Augen seiner Frau und Tochter erschossen wurde und der andere, als er bei seiner Verhaftung am Boden lag. Auch hinter den Anschlägen von Baton Rouge in Louisiana steckt derselbe Mechanismus, der dazu geführt hat, dass seit Anfang des Jahres 500 Personen von der Polizei getötet worden sind.

Seit dem Mord an dem jungen Schwarzen Michael Brown vor zwei Jahren in Ferguson nimmt der organisierte Protest unter der afroamerikanischen Bevölkerung zu. Die „Black lives matter“-Bewegung (BLM) erfasst inzwischen das ganze Land. Auch nach dem Anschlag in Dallas gehen die Proteste gegen die Polizeigewalt weiter – trotz aller Repression mit bisher über 200 Verhaftungen.

Wahlzirkus

Nach kurzer Unterbrechung infolge der Ereignisse sind Trump und Clinton rasch zur Tagesordnung zurückgekehrt und betreiben wieder ihren Wahlkampfzirkus. […] Die Trauer war rasch verflogen. Trump, der zu einer “starken Führung, zu Liebe und Mitgefühl” aufgerufen und “die zu große Spaltung des Landes, in dem die Spannungen zwischen den Rassen schlimmer statt besser werden” beklagt hatte, hat inzwischen seinen Vizekandidaten ausgerufen. Mike Pence, Gouverneur von Indiana, steht der evangelikalen Rechten nahe. Als erbitterter Abtreibungsgegner hat er kürzlich ein Gesetz verabschieden lassen, wonach der Schwangerschaftsabbruch im Falle einer Missbildung des Fötus verboten ist. Im Vorjahr hatte er bereits die Rechte der LGBT beschnitten, als er ein Gesetz durchbrachte, durch das es Handel und Gastronomie erlaubt wird, Homosexuelle aus religiösen Gründen nicht zu bedienen.

Bei den Demokraten hat sich Sanders hinter Clinton gestellt, „um Trump zu verhindern“, der schlagfertig zurückkeilte: „Wenn Bernie Sanders die Lügnerin Hillary unterstützt, ist dies, wie wenn ‚Occupy Wall Street‘ Goldman Sachs aufwartet.“ Dieser Hieb sitzt leider an der richtigen Stelle, denn die Lohnabhängigen, die Schwarzen und die einfachen Leute haben von diesem Wahlzirkus nichts zu erwarten.

Die BLM-Bewegung weist den ausgebeuteten und beherrschten Klassen den richtigen Weg: „Organisiert Euch, nehmt Eure Geschicke in die eigenen Hände und schafft Euch eine eigene Partei!“

Yvan Lemaitre

US-Arbeiterbewegung und Rassismus (1930/40)

Der US-Kapitalismus erlebte nach dem Ersten Weltkrieg einen tiefen Umbruch: Durch massenhaften Einsatz ungelernter Arbeitskräfte für eine in viele simple Einzelschritte zerlegte Tätigkeit konnte Ford 1925 an einem einzigen Tag so viele Autos produzieren lassen wie im gesamten Jahr 1908. Eine neue Arbeiterklasse entstand, die aus Hunderttausenden an- oder ungelernter ArbeiterInnen bestand und in den Massenfabriken der Automobil- oder Stahlindustrie etc. tätig war und wo die Schwarzen inzwischen eine bedeutende Minderheit repräsentierten.

Die Arbeiterbewegung war jedoch weitgehend rassistisch geprägt. Die meisten Gewerkschaften des Gewerkschaftsbundes AFL waren nur daran interessiert, die – nahezu ausschließlich weißen – Facharbeiter zu organisieren. Schwarze wurden gar nicht aufgenommen oder sogar gegen deren Anstellung gekämpft. Als mit der Weltkrise 1929 ein Jahrzehnt hoher Profite zu Ende ging und viele alte Gewissheiten infrage gerieten, stieß auch ein klassenkämpferischer Antirassismus auf offene Ohren.

Die KPUSA der 30er Jahre

Nach 1928 befasste sich die Kommunistische Partei der USA (KPUSA) zunehmend mit dem Problem der Rassendiskriminierung. Da die Schwarzen überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen  waren und die KP die Priorität auf den Aufbau von Arbeitslosenkomitees setzte, konnte sie sich in den Schwarzenghettos verankern. Daneben gründete sie die „International Labor Defense“ als Zweig der Internationalen Roten Hilfe, die sich vehement gegen Lynchjustiz einsetzt und die Schwarzen als „Gefangene des Klassenkriegs“ sieht.

Auch wenn ihre Politik damals sektiererisch war, gelang es ihr dennoch, den Schwarzen ein eigenes politisches Organ zu verschaffen…

Insofern kam auch eine umgehende Reaktion, als im März 1931 neun junge Schwarze in Alabama unter der falschen Anschuldigung, zwei weiße Frauen vergewaltigt zu haben, verhaftet und stante pede zum Tode verurteilt wurden. Durch eine weltweite Verteidigungskampagne konnten die sog. „Scottsboro boys“ vor der Hinrichtung bewahrt werden, büßten teilweise jedoch jahrelange Gefängnisstrafen ab. Dadurch stieg das Renommée der KPUSA unter weiten Teilen der schwarzen Gemeinde, da ihre GenossInnen offensichtlich auch durch Festnahmen und Polizeigewalt sich nicht davon abhalten ließen, für die Schwarzen einzutreten. Zudem war damit der Beweis erbracht, dass breite Aktionen und die Einheit zwischen weiß und schwarz fruchteten.

Auf Initiative der KP wurde die Landarbeitergewerkschaft Sharecroppers’ Union (SCU) gegründet, die nahezu 10 000 Mitglieder in der Region Alabama umfasste. Bekannt wurde die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von SCU-Mitgliedern und der Staatsmacht, die einen überschuldeten Bauern von seinem Land vertreiben wollten. Trotz offizieller Rassentrennung und extremer Repression schaffte es die KPUSA, in Alabama eine weitgehend aus Schwarzen bestehende Gliederung aufzubauen, die 1934 aus 1000 Mitgliedern bestand. In der ersten Hälfte der 1930er Jahre war sie durchgängig antirassistisch ausgerichtet und bekämpfte gleichermaßen die italienische Intervention in Äthiopien wie die Rassendiskriminierung im Profisport etc. Auch wenn ihre Politik damals sektiererisch war, gelang es ihr dennoch, den Schwarzen ein eigenes politisches Organ zu verschaffen, in dem sich auch die schwarzen Arbeiterinnen wiederfinden konnten, die wie Claudia Jones ihre dreifache Unterdrückung theoretisierten und bekämpften.

Im Zuge der Hinwendung zur Volksfrontpolitik weichte die KP ihre antirassistischen Positionen auf, um sich ihren neuen Verbündeten anzudienen. Dass sie nicht mehr bedingungslos die Kolonialvölker unterstützte, ein Bündnis mit der Gewerkschaftsbürokratie anstrebte und Wahlkampf für Roosevelt unter nationalistischen Vorzeichen betrieb, nahm der antirassistischen, letztlich auch klassenkämpferischen Ausrichtung der KP alle Schärfe: Indem sie aufhörte, revolutionär zu sein, setzte sie ihren Antirassismus aufs Spiel.

Die kurze Blüte der CIO

Ab 1934 kam es zu massiven Kämpfen der Arbeiterklasse. Mit drei siegreichen Streiks unter antikapitalistischer Führung (Toledo, San Francisco und Minneapolis, letzterer unter trotzkistischer Dominanz) wurde deutlich, dass Proteste zum Erfolg führen können: Mithilfe unerschrockener Führer begannen die Arbeiter, sich selbst zu organisieren und sich sogar bewaffnet gegen die Nationalgarde zu verteidigen.

Im Gefolge dieser Streiks entstand ein neuer Gewerkschaftsverband: der CIO (Congress of Industrial Organizations). Teile der Gewerkschaftsbürokratie – voran John Lewis, der Führer des Bergarbeiterverbandes UMW – hatten erkannt, dass eine Konkurrenzgewerkschaft unter revolutionärer Führung entstehen könnte, wenn nicht vorbeugend „Industriegewerkschaften“ geschaffen würden, in denen alle Arbeiter einer Industrie ungeachtet ihrer Qualifikation und somit auch ihrer Hautfarbe organisiert sind. Da die Unternehmer das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung schlichtweg nicht zuließen, musste sich der CIO mittels massenhafter Mobilisierungen, die wie „antirassistische Kreuzzüge“ anmuteten, durchsetzen. In der Automobilindustrie wurde Ford als letzter Arbeitgeber durch einen Streik in die Knie gezwungen, nachdem zuvor in ganz Detroit eine Massenkampagne geführt worden war, wo die Gewerkschaft Dutzende schwarzer Aktivisten rekrutierte, die in den Ghettos intervenieren sollten. Selbst vor den Toren der Ford-Werke am Rouge River hielten schwarze Prediger Ansprachen an die Arbeiter. Eben aufgrund dieser antirassistischen Kampagne verlief der Streik letztlich erfolgreich.

Allein 1940 schlossen sich 500 000 schwarze Arbeiter dem CIO an.

In der Stahlindustrie führte die gewerkschaftliche Organisierungskampagne dazu, dass Ende der 1930er Jahre in manchen Regionen die Rassentrennung vollkommen aufgehoben wurde – etwa in Schwimmbädern, Kinos oder Restaurants. Die Stoßtrupps des CIO, der 1938 aus der AFL ausgeschlossen wurde, bestanden aus Mitgliedern des UMW. Der hatte es seit 1890  geschafft, eine Organisation aufzubauen, die mit einer Kampagne für die Rechte der Schwarzen in der Lage war, der Rassentrennung im Süden die Stirn zu bieten und zahlreiche Schwarze für führende Positionen der lokalen Gewerkschaftsstrukturen zu rekrutieren.

Viele sagten sich daher: Wenn wir es geschafft haben, die Unternehmer in die Knie zu zwingen und unser Koalitionsrecht gegenüber Roosevelt und seinen bewaffneten Truppen durchzusetzen, warum sollten wir dann nicht versuchen, unsere eigene Arbeiterpartei aufzubauen und für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der die Arbeiter bestimmen? Insofern entstand parallel zum Aufbau des CIO eine Massenbewegung für den Aufbau einer Arbeiterpartei in bewusster Abgrenzung zu den Republikanern und Demokraten. Nur mit Mühe gelang es der Gewerkschaftsbürokratie, dies mit aktiver Beihilfe der KP abzuwiegeln, die 1940 im CIO 40 % der Führungskader stellte. Aber auch wenn sich die KP in den Gewerkschaftsapparat integriert und ihre eigenen Betriebszellen nach 1938 aufgelöst hatte, blieb an der Basis eine antirassistische und klassenkämpferische Tradition auch über die eigenen Reihen hinaus bestehen. Allein 1940 schlossen sich 500 000 schwarze Arbeiter dem CIO an.

Die KP hingegen profilierte sich damals als Vorreiter der Burgfriedenspolitik.

Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg entstand ein erheblicher Anpassungsdruck an das System auf die Führungen beider Gewerkschaften. Die Teamster von Minneapolis und deren gewerkschaftliche Vertretung aus den Reihen der trotzkistischen SWP wurden 1941 wegen ihrer Opposition gegen den imperialistischen Krieg vor Gericht gestellt und im Namen des „Smith Act“, eines Gesetzes zur Beschneidung der Meinungsfreiheit, zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt – unter dem beifälligen Nicken der KPUSA.

Obwohl beide Gewerkschaftsführungen den Verzicht auf Streiks während des Krieges (No  Kriegsgewinnler. Die Bergarbeiter unter dem aus der CIO-Führung ausgeschlossenem John Lewis führten 1943 etliche erfolgreiche Streiks. Allenthalben kam es zu wilden Streiks in sämtlichen Großindustrien, die bis Kriegsende weiter zunahmen. Die KP hingegen profilierte sich damals als Vorreiter der Burgfriedenspolitik: Sie verteidigte den „No strike pledge“ und sogar den Akkordlohn und protestierte nicht einmal gegen die Internierung japanischstämmiger US-Amerikaner in Konzentrationslagern.

Zu jener Zeit legte die KP-Führung auch die Rassenfrage im Namen der „antifaschistischen“ Allianz zwischen USA und der UdSSR ad acta. Die Schwarzen hatten aber inzwischen genug Selbstvertrauen, um aus eigener Kraft weiter zu kämpfen. Da ihr Anteil an der Industriearbeiterschaft inzwischen stark gestiegen war und sie auch als US-Soldaten im Krieg kämpften, protestierten sie jetzt auch gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Armee. Der sozialistische Gewerkschafter A. Philip Randolph drohte mit einem Protestmarsch gegen die Rassentrennung auf Washington, weswegen Roosevelt Maßnahmen ergriff, die nach dem Krieg unter dem wachsenden Druck der Schwarzen zur Aufhebung der Rassentrennung in der Armee führten.

Rollback in der McCarthy-Ära

In den Jahren 1945/46 erlebten die USA die bisher größte Streikwelle: 3 470 000 Streikende 1945 und 4 600 000 in 1946. Wurde der Aufstieg der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg noch erstickt, waren diesmal die Streiks überwiegend erfolgreich. Beim Streik bei General Motors forderten die Streikenden gar von den Unternehmern die Offenlegung der Geschäftsbücher.

Aber ab 1946 ging die Bourgeoisie massiv zum Gegenangriff über. Die antikommunistische Paranoia unter McCarthy führte nicht nur zu Säuberungswellen unter Künstlern und Intellektuellen sondern auch dazu, dass nahezu die gesamte radikale Vorhut der Arbeiterbewegung zerschlagen wurde: Tausende verloren ihre Arbeitsstelle oder wurden ins Gefängnis geworfen. Im CIO führte eine Massensäuberung dazu, dass 1949/50 eine Million Mitglieder ausgeschlossen wurden.

Davon hat sich die US-Arbeiterbewegung, die fortan unter der unangefochtenen Fuchtel prokapitalistischer Reaktionäre stand, nie mehr erholt. Nachdem die klassenkämpferische Strömung, die zugleich auch die Speerspitze im antirassistischen Kampf war, zerschlagen war, führten die Arbeitskämpfe der Nachkriegszeit im Unterschied zu den 30er Jahren nicht mehr zu einer politischen Radikalisierung. Das reaktionäre Klima engte den Spielraum der schwarzen Arbeiter ein, die durch ein diskriminierendes Schema der Betriebszugehörigkeit in unterqualifizierte Jobs gedrängt wurden, ohne dass seitens der Gewerkschaftsführungen dagegen vorgegangen wurde.

Trotzdem gab es unter einzelnen Gewerkschaften auch in dieser Zeit Widerstand, besonders im Süden. Beispiele hierfür waren die radikale Bergarbeitergewerkschaft Mine Mill, die Landarbeitergewerkschaft FTA und die UPWA in den Schlachthöfen: Sie waren in der Lage, gegen die diskriminierenden Praktiken der Unternehmer zu protestieren, Kampagnen gegen den gesellschaftlichen Rassismus zu führen und trotz der Rassentrennung gemeinsame Freizeitunternehmungen zwischen Schwarz und Weiß zu organisieren etc. In der FTA gab es sogar schwarze Gewerkschaftsführer – eine absolute Ausnahme damals. Auch wenn viele dieser Ansätze antirassistischer Tätigkeit unter den Arbeitern zerschlagen wurden, haben sie doch ein Erbe hinterlassen, das uns weist, dass durch klassenkämpferische Politik der Rassismus auch unter den schwierigsten Bedingungen zurückgedrängt werden kann.

Übersetzung MiWe

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