Die radikal rechte „Alternative für Deutschland“ (AfD) erlebt gegenwärtig bei den Wahlumfragen ein Allzeithoch, sowohl in den Ost- als auch in den West-Bundesländern.
Die unten stehende Tabelle fasst die neuesten Werte zusammen. Stimmungen sind bekanntlich noch nicht Stimmen bei den Wahlen, aber die jüngsten Wahlen in Berlin und mit Besonderheit Bremen, wo die AfD nicht antreten durfte, dafür aber die gleichgesinnte Partei „Bürger in Wut“ kandidierte, zeigen, dass die AfD gegenwärtig ihr Umfragepotential auch sehr stark in Wahlergebnisse umwandeln kann. Der während der Corona-Pandemie entstandene Rückgang der Nichtwahlteilnahme, der überproportional die AfD traf und den bürgerlichen Parteien CDU, SPD, FDP und GRÜNE ein kurzes Hoch bei der Wahlteilnahme bescherte, hat sich wieder umgedreht: Die Wahlteilnahme sinkt auf 60 und weniger Prozent und die AfD gehört zu den Kräften, die am wenigsten darunter leiden, sondern ihr Potenzial gut mobilisieren können.
Die Mitgliederentwicklung der AfD spiegelt ebenfalls das Auf und Ab: Bei ihrer Gründung 2013 waren es gut 17 000 Mitglieder. Deren Zahl wuchs bis 2019 auf 35 000. In der Corona-Pandemie sank die Zahl auf unter 30 000 und ist jetzt wieder auf über 33 000 gestiegen.
Wenig erfolgreich ist die AfD bisher beim Aufbau von der Partei vorgelagerten Organisationen in der Jugend, bei den Frauen und vor allem in eigenen Betriebsstrukturen, die bei Betriebsratswahlen antreten, aber entsprechende Zielsetzungen gibt es.
Die AfD lebt zu großen Teilen von staatlichen Geldern. Neben den 12 Millionen Euro Wahlkampfkostenerstattung hat z. B. die „Rheinische Post“ errechnet, dass sie für eine Legislaturperiode gut 400 Millionen Euro in Form von Diäten und Gehältern für Abgeordnete, Fraktionen und deren Beschäftigte in den Ländern und im Bund einstreicht. Dazu kommen Gelder für die AfD-nahe politische Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Die AfD ist mittlerweile aber auch Spitzenreiterin aller Parteien bei den privaten Spenden. Zum Europaparteitag Ende Juli in Magdeburg wurde eine Summe von 10 Millionen Euro Spendeneinnahmen im Haushalt der Partei angegeben. Im Jahr 2023 hat die Partei eine gute Viertelmillion Euro geschenkt bekommen. Dazu wurden ihr Goldbestände in Millionenhöhe überschrieben.
Stramm rechts
Zehn Jahre Parteientwicklung haben aus der AfD eine stramm rechte, nationalistische und rassistische Partei geformt. Alle Kräfte, die eine offene wirtschaftsliberale rechtskonservative Partei haben wollten, sind ausgetreten oder verdrängt worden. Die Hauptstreitigkeiten in der AfD gehen nicht mehr über inhaltlich-programmatische Fragen, sondern nur noch über Posten und Personen, höchstens über tagespolitische Taktiken. Die offiziell aufgelöste, faschistische Strömung „Der Flügel“ um den Thüringer AfD-Vorsitzenden Höcke existiert ungebrochen weiter und beherrscht den gesamten Bundesverband. Über ihn werden auch die Reste der in Deutschland operierenden neo-nazistischen Kräfte (militante Stiefelnazis ebenso wie Hitler-Nostalgie-Gruppen) rechts außerhalb der AfD umgarnt, eingebunden und in die AfD-Politik integriert.
Die tragenden ideologischen Elemente der AfD sind die Propaganda (in Wort und oft in Tat in Form von rassistischen Verbrechen) gegen Nichtdeutsche, vor allem Geflüchtete; der Kampf gegen die Liberalisierung der Gesellschaft seit den späten 60er Jahren („links-grün-versiffte 68er“); Nationalismus und „Deutschland zuerst“-Politik; Ablehnung der Europäischen Union und Forderung nach einem „Europa der Vaterländer“ einschließlich Aufbau der „Festung Europa“; für Bundeswehr, Wehrpflicht und Aufrüstung, aber gegen Geld für die Kriege anderer Nationen; Kritik und Teilnahme an Boykottaktionen gegen zentrale politische Maßnahmen der Regierung in der Gesundheitspolitik (Corona-Pandemie-Maßnahmen), Klimaschutz und Bildungspolitik.
Auf ihrem jüngsten Europa-Parteitag hat sich die AfD mehrheitlich gegen einen Austritt aus der EU, gegen eine Rückkehr zur DM und für den Beitritt in die Fraktionsgemeinschaft der rechten Parteien im Europaparlament ausgesprochen.
In der aktuellen Debatte über die Ukraine-Unterstützung gehört die Mehrheit der AfD zu den Gegner*innen von Waffenlieferungen und Sanktionen, gleichzeitig werden Kontakte zu russischen rechtsradikalen Gruppen gesucht.
Bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD diese ideologischen Versatzstücke ziemlich populär mit der Wahlkampf-Losung „Deutschland – aber normal“ zusammengefasst.
Politik mit der Angst
Wie bei anderen rechten Parteien vor und neben ihr ist der zentrale Ansatzpunkt der AfD die Politik mit einer unspezifischen Angst. Sie spricht damit nicht die von der kapitalistischen Realpolitik schon real Betroffenen an – die gehören überwiegend zum großen Block der Nichtwähler*innen –, sondern die Mittel- und unteren Schichten, die Angst vor Absturz und Verschlechterung ihrer ökonomischen Lage haben, diesen Absturz aber noch nicht real erlebt haben. Ihnen werden zwei Narrative präsentiert: Erstens sei die Ursache für diese Absturzgefahr eine unkontrollierte Zuwanderung. Es wird als Alternative zu linken Theorien des Widerspruchs zwischen Unten und Oben das Bild eines verschärften Gegensatzes zwischen Drinnen und Draußen gemalt. Die alles überragende politische Maßnahme dagegen sei die Verhinderung weiterer Zuwanderung und Koppelung aller sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen an ein rassistisches Abstammungsrecht.
Die zweite Erzählung bezieht sich auf die Durchsetzung dieser Politik mit Hilfe eines autoritären Staates, der den „gesunden Volkswillen“ vollstrecken soll.
Diese politischen Ideen finden sich bei FDP, CDU/ CSU und Teilen der konservativen SPD auch. Die AfD spielt die klassische Rolle faschistischer Gruppierungen, die Unentschlossenheit und Inkonsequenz der anderen (der „Altparteien“) Parteien anzuprangern und das auszusprechen und zu fordern, was „eigentlich alle Vernünftigen“ wollen. Ideologischer Hauptgegner der AfD sind deshalb die GRÜNEN (die Linken sowieso, aber die sitzen im anderen Lager), deren Anspruch, die kapitalistische Gesellschaft zu modernisieren und für die Herausforderungen der Gegenwart fit zu machen, ihnen am meisten im Wege steht.
Nach acht Jahren fast ununterbrochener Wahlerfolge stockte der Höhenflug der AfD in der Zeit der Corona-Pandemie. Der Hauptgrund dafür ist, dass es eine Situation nicht der unbestimmten, sondern der konkreten Angst der Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden gab. In einer solchen Lage werden Wahlen von den Parteien, und auch von den Regierungen und ihren Chefs, der politischen Exekutive gewonnen. Die Macher:innen waren gefragt. Das trieb die Quote der Wahlteilnahme nach oben und brachte die Mobilisierung der AfD ins Stocken. Mit dem neuen Großthema Russenkrieg, Aufrüstung und Nato-Dominanz haben sich diese Verhältnisse wieder zugunsten der AfD verändert.
Protestwahl oder was?
Es ist müßig, heute noch darüber zu spekulieren, ob die große Zustimmung für die AfD Ausdruck von Protestwahlverhalten oder eines festsitzenden rechtsradikalen Massenbewusstseins ist. Tatsache ist, dass die gesellschaftlichen Mittelschichten ökonomisch und politisch immer mehr erodieren und dass in diesen Milieus sowohl das in Deutschland seit Langem vorhandene rechte Bewusstsein als auch tagespolitisches Protestverhalten mobilisiert wird. Es ist leider der Erfolg der AfD, diese gemeinsame Mobilisierung hinzubekommen.
Die mit der „Proteststimmen-Theorie“ in der Regel verbundene Vorstellung, die Stimmen für die AfD wären nur vorübergehend und könnten mit einer anderen Sozialpolitik „zurückgeholt“ werden, ist deshalb ein Trugschluss. Eine andere Sozialpolitik kann nur ein Teil einer umfassenden linken Alternative sein.
Für die bürgerlichen Parteien bedeutet dies, sie werden immer mehr unter Druck geraten, mit der AfD in exekutiver Verantwortung und Koalitionsprojekten zusammenzuarbeiten. Auf kommunaler Ebene geschieht dies schon länger. Das wird die kommenden Wahlkämpfe in Deutschland prägen. Sowohl Übernahme konkreter AfD-Positionen, insbesondere in der Flüchtlings- und Migrationspolitik, als auch ideologische Offensiven mit mehr oder weniger offenen Zusammenarbeits-Versprechen werden zunehmen.
Politik der Hoffnung
Für die Partei DIE LINKE und für die Linke allgemein bedeutet der massive Aufschwung der Rechten eine große, existenzielle Herausforderung. Ihnen muss klar sein, dass nur ein umfassendes Angebot einer linken Politik der Hoffnung und des Vertrauens auf die eigenen Kräfte die Politik mit der Angst zurückdrängen kann.
Dabei muss die Linke die zentralen Themen der AfD eigenständig aufgreifen und in eine linke Gesamtpolitik integrieren: Verteidigung der Arbeitsplätze und Einkommen, höhere Ausgaben für alle Bereiche der Daseinsvorsorge, Umverteilung von Oben nach Unten. Nicht der Abbau der Demokratie, sondern deren Ausweitung muss das Programm der Linken werden.
Es wird dabei partielle Gemeinsamkeiten in der Kritik geben – an der Europäischen Union, an der aktuellen Kriegs- und Rüstungspolitik und bei anderen Themen, aber es darf keine Gemeinsamkeiten in der Aktion oder in gemeinsamen politischen Initiativen geben.
Zu keinem Zeitpunkt dürfen die viel gewichtigeren Nicht-Gemeinsamkeiten verschwiegen werden: Internationalismus statt rassistischer Nationalismus; Solidarität statt Ausgrenzung, offene Grenzen statt Festung Europa, Klimarettung statt Leugnung der Klimakatastrophe und vieles mehr.
Unsere Mobilisierung besteht aus Kämpfen der Selbstermächtigung und Selbstorganisation statt Konkurrenzkämpfe innerhalb der Unterklassen. Wir stehen für umfassende Demokratie und Selbstbestimmung statt Hoffen auf einen starken Staat.
Gegen Rechts hilft nur Links – das muss die zentrale Parole einer breiten Palette von Aktionen gegen die AfD und ihr Umfeld werden. Das ist das moderne Gesicht einer Einheitsfrontpolitik, mit der auch die Wahlerfolge linker Parteien wieder zunehmen werden.
Köln, 01.08.2023
Übernommen aus die internationale, 5/2023Übersicht der Umfragewerte zu Bundes- und Landtagswahlen
Parlament | Stand | Aktuelle Umfrage | Letzte Wahl | Vergleich | Position |
Europawahl | 31.07.23 | 23,0 % | 11,0 % | +12 | 2 |
Bundestag | 31.07.23 | 20,0 % | 10,3 % | +9,7 | 2 |
Ba-Wü | 24.07.23 | 20,1 % | 9,7 % | +10,4 | 3 |
Bayern | 31.07.23 | 14,5 % | 10,2 % | +4,3 | 3 |
Berlin | 05.,04.23 | 9,0 % | 9,1 % | -0,1 | 5 |
Brandenbg. | 04.07.23 | 28,0 % | 23,5 % | +4,5 | 1 |
Bremen | 26.05.23 | n.a | 6,1 % | n.a. | n.a. |
Hamburg | 26.10.22 | 5,0 % | 5,3 % | -0,3 | 4 |
Hessen | 23.07.23 | 20,0 % | 13,1 % | +6,9 | 2 |
Meck-Pomm | 06.07.23 | 29.0 % | 16,7 % | +12,3 | 1 |
Niedersachs. | 12.07.23 | 14,0 % | 11,0 % | +3 | 3 |
NRW | 18.06.23 | 14,2 % | 5,4 % | +8,8 | 4 |
Rhein.-Pfalz | 20.07.23 | 16,0 % | 8,3 % | +7,7 | 3 |
Saarland | 23.03.23 | 10,0 % | 5,7 % | +4,3 | 3 |
Sachsen | 12.06.23 | 32,5 % | 27,5 % | +5,0 | 1 |
Sachsen-Anh. | 27.06.23 | 29,0 % | 20,8 % | +8,2 | 2 |
Schlesw.-Hol. | 27.04.23 | 7,5 % | 4,4 % | +3,1 | 5 |
Thüringen | 13.07.23 | 32,9 % | 23,4 % | +9,5 | 1 |