Zusammengehen und Organisieren
Bei der Neuwahl des Parlaments der Europäischen Union am Sonntag, den 9. Juni, kam es zu einem Anstieg der Stimmen für die rechten Parteien und vor allem zu einer deutlichen Zunahme für rechtsextreme Listen in mehreren Ländern.
Die 720 Mitglieder dieses Parlaments werden in allgemeiner Direktwahl gewählt. In der Praxis ist die Autorität dieses Gremiums schwach, obwohl es das offizielle gesetzgebende Organ der Europäischen Union (EU) ist, die nach dem Austritt Großbritanniens im Jahr 2020 nun 27 europäische Staaten umfasst. Die eigentliche politische Macht in der EU liegt bei zwei Organen. Das erste ist die Kommission, die „Regierung“ der Union, deren Exekutive sich aus 27 Mitgliedern zusammensetzt, wobei jede nationale Regierung einen Kommissar bzw. eine Kommissarin in dieses Gremium entsendet. Sie hat die Befugnis, Gesetze zu entwerfen und dem Europäischen Parlament vorzulegen. Das andere wichtige Gremium ist der Europäische Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs der einzelnen Mitgliedstaaten zusammenkommen. Dieses Gremium legt die wichtigsten Prioritäten der EU fest, insbesondere die Außenpolitik.
Das Parlament spielt daher eine untergeordnete politische Rolle, ist aber das Sprachrohr der wichtigsten Parteien in der Europäischen Union. Seit Jahrzehnten verfügt es über eine stabile Mehrheit aus der rechtskonservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) und seit kurzem auch der kleinen Fraktion Renew Europe mit Kräften der politischen Mitte und der Liberalen. Diese drei Parteien stellen im neuen Parlament zusammen 403 Abgeordnete.
Diese große Mehrheit wird sicherstellen, dass die ultraliberale Politik, die Aushöhlung der sozialen Rechte, Verordnungen zur Schaffung unsicherer Arbeitsplätze und die Zerstörung der öffentlichen Dienste weiter Unterstützung finden. Diese Politik geht einher mit einer rassistischen und unmenschlichen Politik gegenüber Migrant:innen, Unterstützung der verbrecherischen Politik Israels und seines völkermörderischen Krieges gegen das palästinensische Volk sowie einer Ausweitung der militaristischen Rüstungspolitik unter dem Vorwand der Unterstützung der Ukraine.
Diese Wahlen zum Europäischen Parlament haben neben der scheinbaren Stabilität der liberalen Mehrheit jedoch auch Verschiebungen in der politischen Landschaft der EU offenbart. In Frankreich und Deutschland, den wichtigsten Ländern der EU, ist ein spektakulärer Rückgang der Listen, die die amtierenden Regierungen unterstützen, und ein Anstieg der extremen Rechten zu beobachten. Die erste Folge in Frankreich ist der Beginn einer dauerhaften politischen Krise. In 17 der 27 Länder der Union ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch, wie schon bei mehreren Wahlen im Lande vorher.
In mehreren Ländern lagen die Rechtsextremen klar an der Spitze: das Rassemblement National (RN) in Frankreich mit über 30 %, die FPÖ in Österreich mit 25,4 % und einer Verdopplung ihrer Abgeordnetenzahl und die Fratelli d’Italia mit 28,6 %. Die Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders gewann in den Niederlanden 6 Sitze, die Alternative für Deutschland (AfD) ebenfalls 6 Sitze, wobei sie in den östlichen Bundesländern deutlich an der Spitze lag. In Belgien, Portugal und Spanien festigen die rechtsextremen Kräfte ihre Positionen (auch wenn Chega in Portugal nur die Hälfte der Prozentzahl erreichte, die sie bei den Parlamentswahlen im März erzielt hatte).
Die Fraktionen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und Identität und Demokratie (ID), zu denen sich reaktionäre nationalistische und rechtsextreme Parteien zusammengeschlossen haben, gewannen zusammen 13 Sitze hinzu (insgesamt 131 Sitze).
Dagegen verlor die Fraktion der politischen Mitte Renew Europe (zu der die niederländische VVD, Open VLD, die Partei des zurückgetretenen belgischen Premierministers Alexander De Croo, die deutsche FDP und Macrons Partei gehören) 21 Sitze. Auch die Grünen verloren 19 Sitze, mit deutlichen Rückgängen in Deutschland und Frankreich. In mehreren Ländern ist es den grünen Parteien nicht gelungen, sich ausreichend von der Pro-Austeritäts- und umweltfeindlichen Politik der großen Regierungsparteien abzugrenzen.
Diese Trends treten in einer Zeit auf, in der die extreme Rechte in einer Reihe von Ländern an der Regierung ist, darunter Italien, Ungarn und die Niederlande, und in Finnland, der Slowakei und Schweden Teil von Koalitionsregierungen ist. Heute gibt es immer mehr Brücken zwischen der europäischen konservativen Rechten und der extremen Rechten, insbesondere in der Migrationspolitik und bei autoritären Tendenzen.
Leider ist es linken Kräften bisher nicht gelungen, eine europaweite Alternative zur Politik der Sozialdemokratie, die die Geschäfte der Herrschenden betreibt, aufzubauen, eine Alternative, die eine breitere Wählerschaft hinter sich scharen könnte. In den kommenden Monaten steht daher viel auf dem Spiel.
Es ist eine zentrale Aufgabe der europäischen antikapitalistischen Linken, den gemeinsamen Kampf gegen die extreme Rechte zu organisieren. In diesem Sinne fördern wir Strukturen der Einheitsfront auf nationaler und örtlicher Ebene, die auf Selbstorganisation und lokalen Kämpfen, einem Schlüsselelement der Einheitsfront, basieren. Diese Einheitsfront als Antwort auf den Aufstieg der extremen Rechten aufzubauen, der mit dem Aufstieg autoritärer und rassistischer Regierungen einhergeht, und den besten Weg zu finden, um sie in der Wahlarena zu besiegen, ist wesentlich und dringend.
In diesem Sinne ist die Bildung der Nouveau Front Populaire in Frankreich eine Botschaft der Hoffnung und der Verantwortung zu einem Zeitpunkt, an dem Macron in einem selbstmörderischen Manöver nach seiner Niederlage beschlossen hat, die Nationalversammlung aufzulösen; damit rollt er den roten Teppich für einer Regierungsantritt des Rassemblement National und der extremen Rechten aus, die mit ihren Spielarten gerade fast 40 % der Wählerstimmen auf sich vereinigt hat.
Den Vormarsch der extremen Rechten durch Mobilisierungen und durch Wahlen zurückzuschlagen, ist in dieser historischen Periode eine zentrale Aufgabe. Der Aufstieg der extremen Rechten ist ein Symptom dafür, dass der Kapitalismus sich in einer tiefen Krise befindet. Ein Sieg über die extreme Rechte erfordert die Einheit der Arbeiterklasse, aber auch einen Bruch mit dem zerstörerischen, umweltfeindlichen, autoritären und rassistischen Kapitalismus.
Das Beispiel der französischen Linken und der Organisationen der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegung sollte für ganz Europa und in der Welt eine Dynamik entfalten. Und es sollte die arbeitenden Klassen ermutigen, daraus einen antikapitalistischen Kampf zu entwickeln.
16. Juni 2024
Aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Wilfried