Milei in Hamburg

Protest gegen Milei Foto: privat, privat

TEILEN
Preisverleihung für Anarchokapitalisten

Milei in Hamburg

Von John S. Will | 05.07.2024

Am 22. Juni 2024 fand sich Javier Milei, der Präsident Argentiniens, in Hamburg ein. Anlass war die Verleihung einer von der neoliberalen Hayek-Gesellschaft gestifteten Medaille. Damit sollten die marktradikalen Töne, die er im medialen Wahlkampf 2023 und seit seinem Amtsantritt als Staatspräsident im Dezember letzten Jahres anschlug, Ehrung erfahren.

Nun handelte es sich um kein ein harmloses Stelldichein freiheitsliebender und unbedarfter Anhänger:innen eines Wirtschaftstheoretikers ‒ denn weder der frisch gekürten Staatschef noch seine deutschen Claqueur:innen, die sich im bürgerlichen Hotel Hafen Hamburg mit Blick auf die Landungsbrücken zusammengefunden hatten, sind harmlos. Es ging vielmehr um eine stärkere Vernetzung der extremen Rechten auf internationalem Parkett, wie auch schon bei zahlreichen anderen Auslandsreisen Mileis. Nicht zufällig waren mit Beatrix von Storch und Hans-Georg Maaßen Vertreter:innen der deutschen extremen Rechten anwesend, die eine Verbindung von radikalisiertem Konservatismus und marktfreundlicher Privatisierung anstreben. Mileis Erfolg kann trotz seines exzentrischen, mitunter verrückt anmutenden Auftretens auch in Europa Schule machen, gerade was seine Strategie und Fähigkeit betrifft, Mehrheiten für sich zu schaffen.

Als „Mann mit der Kettensäge“ (die Kettensäge dient als Symbol, um den Sozialstaat in Stücke zu hauen) war es dem als Underdog verschrienen Milei im November 2023 gelungen, sich in der Stichwahl gegen seinen peronistischen Konkurrenten Sergio Massa durchzusetzen, den Wirtschaftsminister in der Regierung von Präsident Alberto Fernández (Dezember 2019 bis Dezember 2023). Nicht zuletzt die Frustration von zumeist jungen und prekär lebenden Schichten der Arbeiter:innenklasse scheint für die Nichtwahl von Massa ausschlaggebend gewesen zu sein; mit seinem Programm drohte er nur das fortzusetzen, was die peronistischen und macristischen Regierungen in den Jahrzehnte neoliberalen Managements bereits erreichten – keine spürbaren Verbesserung der Lage der Lohnabhängigen und Armen.

Mit seiner kleinen „Partido Libertario“ und ihrem losen Wahlbündnis „La Libertad Avanza“ (Die Freiheit schreitet voran) verfügen Milei und die ebenso reaktionäre Vizepräsidentin Victoria Villarruel im Parlament nur über eine Minderheit; daher sind sie auf Bündnisse mit der traditionellen Rechten angewiesen, darunter auch PRO, der Partei von Mauricio Macri, des argentinischen Präsidenten von 2015 bis 2019. Dennoch ist es Milei bisher gelungen, die linksperonistische Hegemonie in der politischen Kultur Argentiniens aufzubrechen.

Charakteristisch für ihn sind seine Demagogie gegen die sozialstaatlichen Errungenschaften, die er als Produkte der Gewerkschaften und der Linken begreift und allesamt abgeschafft sehen will, sein Eintreten für eine Zerschlagung der Nationalbank zugunsten der Einführung des US-Dollars und seine Hetze gegen die feministische Bewegung, deren erfolgreiche Kampagnen für das Recht auf Abtreibung, für Sicherheit vor sexualisierter Gewalt und für Selbstbestimmung von Frauen und queeren Menschen die libertäre Heldengestalt Einhalt gebieten will. Damit unterscheidet er sich vielleicht nur im Grade der manchmal ins vulgäre abgleitenden Rhetorik von anderen aufstrebenden rechtsextremen Figuren auf der Welt.

Und dennoch ist die Wucht, mit der Milei die sogenannte „politische Mitte“ als eigenständige Akteurin gelähmt hat, besorgniserregend, da möglicherweise beispielgebend für den Kosmos des Postfaschismus. Widerstand haben bisher die radikale Linke und die sozialen Bewegungen geleistet. Diese konnten den Gewerkschaftsverband CGT nach größerem Druck zu einem Generalstreik am 24. Januar bewegen. Bereits am Abend des Wahlsieges haben sich die sozialen Initiativen von unten auf die Straße begeben, um gegen Milei zu protestieren.

Es ist daher auch kein Wunder, dass auch in Hamburg argentinische und lateinamerikanische Gruppen und Organisationen ‒ wie etwa H.I.J.O.S. Deutschland, Mujeres sin Fronteras und Colombia Solidaria ‒ zusammen mit deutschen linken Organisationen, Bündnissen und Parteien Proteste organisiert haben. Mit über 500 Teilnehmer:innen (laut Polizeiangabe 360) zog der Demonstrationszug von den Landungsbrücken über die Hafenstraße und Reeperbahn bis kurz vor das abgeriegelte Hotel. Reden und Protestparolen richteten sich gegen das EU-Mercosur-Abkommen, das „freien Handel“ zwischen Europa und Lateinamerika besiegeln soll. Aber auch die Situation von Frauen, der indigenen Gemeinschaften der Mapuche oder die massive Repression gegen Demonstrationen auf den Straßen von Buenos Aires wurden thematisiert. Versuche kleinerer Gruppen, näher an das Hotel zu gelangen, um den Protest sichtbarer zu machen, wurden von der Polizei unterbunden.

Ausgehend von dem geschärften Bewusstwerden eines weltweiten Rechtsrucks, der in Deutschland durch die Konsolidierung der AfD einen signifikanten Ausdruck gefunden hat, kann sowohl die Mobilisierung wie auch die Demonstration selbst als bescheidener Erfolg gesehen. Die im Vorfeld durchgeführten Aktivitäten ‒ wie ein Anti-Milei-Monat mit zahlreichen Aktionen, die Veranstaltung von der Rosa Luxemburg Stiftung Hamburg und dem Arbeitskreis Plurale Ökonomik zu den wirtschaftlichen Thesen des Anarchokapitalismus Mileis oder auch eine Veranstaltung der ISO Hamburg zum Stand der Kräfteverhältnisse in den argentinischen Klassenkämpfen ‒ haben zu dem Gelingen beigetragen. Gerade in der komplizierten Wiederaneignung von internationaler Solidarität mit den sozialen Bewegungen und den Ausgebeuteten und Unterdrückten Lateinamerikas konnten wichtige Erfahrungen gesammelt werden.

Artikel teilen
Tags zum Weiterlesen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite