Spätestens seit dem jüngsten Bundesparteitag im Juni in Erfurt wird über eine Abspaltung des sogenannten „aufstehen“-Flügels von der Linkspartei diskutiert. Befeuert wurde diese Diskussion durch Stellungnahmen zu den Beschlüssen des Parteitages durch verschiedene Mitglieder dieses Flügels, in denen dazu aufgerufen wurde, die Partei zu verlassen und eine Alternative zur Linkspartei zu gründen. Inzwischen haben einige von Ihnen die Partei verlassen und manche scheinen sehr an den Vorbereitungen zur (Neu-)Gründung zu arbeiten. Diese Initiative hat durch die Differenzen in der Beurteilung des Kriegs in der Ukraine erheblich an Bedeutung gewonnen. So haben sich mehrere, mehr oder wenig prominente Parteimitglieder, auf dem UZ-Pressefest im August in Berlin offen für eine Neugründung ausgesprochen. Offensichtlich schwebt ihnen vor, gemeinsam mit der DKP und anderen Teilen der Campisten eine „linke“ Alternative zu den nächsten Wahlen zum EU-Parlament präsentieren zu können.
Die Differenzen in der Partei häufen sich, seitdem Sahra Wagenknecht 2016 auf Distanz zur Migrationspoltik der Partei gegangen ist. Sie und ihr Mann Oskar Lafontaine stellten die Position zu den offenen Grenzen zur Disposition und erklärten, dass die Grenzen der Aufnahmemöglichkeiten erreicht seien und Deutschland nicht Migranten aus aller Welt aufnehmen könne. Mit der Gründung von „aufstehen“ im Jahr 2018 wurde versucht, die Partei unter Druck zu setzen wesentliche Positionen zu ändern und sich auf die „soziale“ Frage zu konzentrieren. Auch wenn es „aufstehen“ gelungen ist, einige Mitglieder anderer Parteien zu gewinnen, blieb es doch dabei, eine Sammlungsbewegung zu sein und enttäuschte so manche, dass nicht mehr daraus geworden ist. Letzten Endes fehlte den führenden Protagonisten aus der Linkspartei der Mut und das Vertrauen, das eine „aufstehen“-Partei eine ausreichende Chance bei Wahlen hätte.
In der Pandemie und vor allem mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine wuchsen mit zunehmender Dauer die Differenzen. Gab es jeweils am Anfang noch weitgehende Übereinstimmung, so schwanden sie, je länger die Situation anhielt. Teile der Partei übernahmen Positionen, die von den Corona-Leugnern stammten. Für manche, vor allem aus der Bundestagsfraktion, war selbst die Impfung Tabu, ganz im Gegensatz zu den Beschlüssen des Parteivorstandes, der den Menschen empfiehlt, sich impfen zu lassen.
Dasselbe erleben wir jetzt, nach einem halben Jahr des Kriegs in der Ukraine. Gab es am Anfang noch viel Übereinstimmung zur Verurteilung des russischen Angriffs, so schwand die Übereinstimmung immer mehr, je deutlicher die Auswirkungen des Krieges auch in Deutschland zu spüren sind. Es wird der Eindruck erweckt, dass durch die Öffnung von Nord Stream 2 die Versorgung der Bevölkerung mit Gas gesichert werden könnte. Es wird vollkommen ausgeblendet, dass der Krieg anhält und es wird so getan, als wenn es in der Hand der deutschen Regierung läge, dass Russland an den Verhandlungstisch gebracht werden könnte, um einen Friedensvertrag zu unterschreiben. Sahra Wagenknecht forderte gar, dass die NATO den Krieg gegen Russland beenden solle.
Auch wenn es viel Kritik an der Bundesregierung und der NATO zu üben gilt und dies auch von der Partei geäußert wird, so entsteht immer mehr der Eindruck, dass der „aufstehen“-Flügel inhaltlich versucht, sich an den Positionen der AfD abzuarbeiten, um ihr damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dass dies ein zweckloses Unterfangen ist, haben wir hinlänglich sehen können und führt nur dazu, dass die Rechten versuchen, diese Kräfte für ihre Ziele einzuspannen, wie es zuletzt im Vorfeld der Mobilisierungen zum 5. September geschehen ist, wo z. B. Compact mit dem Konterfei von Sahra Wagenknecht für die Kundgebung der Rechten geworben hat.
In einem Interview mit t-online am 4. September versucht Sahra Wagenknecht den Eindruck zu erwecken, dass sie viel Übereinstimmung mit den Positionen der Partei hätte. Auf die Frage, ob sie plane, eine neue Partei zu gründen, gibt sie eine ausweichende Antwort. Sie sei aktuell Mitglied der Linken und wenn sich daran etwas ändere, werde sie es bekannt geben. Daraus heute schon Schlussfolgerungen zur weiteren Entwicklung zu ziehen, hielte ich für verfrüht. Sicherlich gibt es einen Teil der Partei, der mit den Füßen schart, um etwas Neues zu wagen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt gäbe es nur Verluste zu verzeichnen. Eine neue Gruppe im Bundestag verlöre viele Möglichkeiten und hätte weniger Personal und Finanzen zur Verfügung. Die jetzige Fraktion hätte auch nur noch Gruppenstärke mit den gleichen Konsequenzen. Gleichzeitig würde Sahra Wagenknecht viel an Attraktivität, nicht zuletzt für die Medien einbüßen, da sie ihre Rolle als prominente Kritikerin von innen verlieren würde. Ob eine Neugründung im Vorfeld der nächsten Wahlen zum EU-Parlament in Betracht kommt, wird davon abhängen, ob es der Partei gelingt, wieder mehr Ansehen in der Bevölkerung zu gewinnen und bessere Wahlergebnisse einzufahren. Sollte dies der Fall sein, wird Sahra Wagenknecht dieses Wagnis einer Neugründung nicht eingehen. Sollten die Meinungsumfragen und Wahlergebnisse weiterhin so schlecht ausfallen, wird aber auch sie das Wagnis eingehen. Ohne sie wird eine Neugründung ohnehin kaum Resonanz erfahren, ganz gleich, ob die Campisten in der Partei zusammen mit der DKP und anderen zur Wahl antreten. Das würde ohne Sahra Wagenknecht nur zu einer weiteren Kandidatur im 0-Komma-Bereich führen