“Entscheidend ist die Arbeit vor Ort…”
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Direktkandidat Ole Heide in Interview

“Entscheidend ist die Arbeit vor Ort…”

15.11.2023

Gut einen Monat nach der Landtagswahl in Hessen, das scheint angesichts der rasanten Entwicklungen in Deutschland und weltweit schon so fern. Wie haben deine letzten Tage vor dem Wahltermin am 8. Oktober ausgesehen?

Die letzte Woche vor der Landtagswahl hatte ich mir frei genommen, um mich ganz auf den Wahlkampf konzentrieren zu können. Die Woche war dann auch recht intensiv, angefangen mit unserer Gysi-Veranstaltung am Freitag, den 29. September, über die Anti-AfD-Demo am 30. und vielen Infoständen.

Die Niederlage der Linken ist eine Schwächung aller Linken!

Wie bewertest du die politische Situation in Hessen nach der Landtagswahl?

Das Ergebnis ist bitter. CDU kann sich aussuchen, mit wem sie koalieren will, eine linke Opposition im Parlament ist nicht mehr vorhanden, die AfD ist zweitstärkste Kraft und selbst die Freien Wähler haben mehr Stimmen bekommen als wir. In der Realpolitik werden die Veränderungen vermutlich eher schrittweise sein, aber der allgemeine Rechtsruck geht weiter, und das wird eine direkte Auswirkung auf Minderheiten und linke Gruppen haben. Vermutlich wird die Repression verschärft werden, ebenso, wie schon angekündigt, der Sozialabbau. Die Niederlage der Linken ist eine Schwächung aller Linken, aller sozialen Bewegungen und Gruppen, deren Ausmaß wir erst im Lauf der Zeit sehen werden.

Hat sich Deine Direktkandidatur gelohnt? Und wie ist die Stimmung in Deinem Kreisverband?

Das Ergebnis war eine herbe Enttäuschung. In den letzten Wochen vor der Wahl hatten viele von uns den Eindruck, dass sich die Stimmung zu unseren Gunsten gedreht hatte. Bei den Podiumsdiskussionen, den Veranstaltungen und den Haustürgesprächen waren die Rückmeldungen positiver als zwei Monate vor der Wahl. Wir hatten mit 4 plus x Prozent gerechnet mit einer kleinen Chance rein zu kommen. Das hat die Stimmung im Kreisverband einerseits gedrückt, andererseits bei einigen auch den Effekt gehabt „jetzt erst recht“.

Ich denke, dass meine Kandidatur sich gelohnt hat, auch wenn ich mich arbeitsbedingt teilweise nicht so stark engagieren konnte. Ich halte es für wichtig, dass die Linke möglichst flächendeckend Direktkandidierende stellt, und am besten linke Linke. Ich konnte an verschiedenen Stellen Impulse setzen und bei Diskussionen linke Positionen einbringen. Trotzdem konnte DIE LINKE in meinem Wahlkreis, der zur Hälfte auf dem Land liegt, nur ein durchschnittliches Ergebnis erreichen.

Was waren die Hauptfaktoren für die Stimmenverluste der LINKEN in Hessen?

Meiner Ansicht nach sind es viele Faktoren, die da zusammenspielen. Viele verweisen darauf, dass uns seit Jahren vorgeworfen wird, wir wären zu zerstritten, dabei spielte auch immer die Auseinandersetzungen um Sahra Wagenknecht eine Rolle. Auch wenn das bestimmt eine Rolle gespielt hat, denke ich, dass die allgemeine Krise linker Politikansätze in Zeiten der Krisen eine größere Rolle gespielt hat. Der Rechtsruck als weltweites politisches Problem muss genau analysiert werden. Nicht nur hat die AfD massive Gewinne eingefahren, alle anderen politischen Parteien sind auf den gleichen Zug aufgesprungen; die einzige linke Opposition, die auch als einzige Klimawandel, Inflation, Sozialabbau etc. benannt hat und konkret angehen will, hat trotzdem massive Verluste eingefahren. Ich fürchte, in Zeiten der (multiplen) Krise(n) wollen viele Menschen ein Gefühl von Sicherheit und entwickeln sowas wie eine Wagenburgmentalität: „Zurück zum Normal“ ‒ einem „Normal“, dass es so wie in den Vorstellungen der Menschen natürlich nie gegeben hat.

Ein weiterer wichtiger Faktor war bestimmt auch die Inaktivität vieler früher aktiver Genoss:innen. Der Kern der Aktiven ist im Vergleich zur letzten Bundestagswahl stark geschrumpft. Ursachen dafür sind mit Sicherheit die starke mediale Präsenz von Sahra Wagenknecht, aber auch die Auseinandersetzungen um #Linkemetoo sowie die unterschiedlichen Positionen zum Ukrainekrieg.

Die Verluste der Partei bei der Landtagswahl fallen in den verschiedenen Regionen und Wahlkreisen sehr unterschiedlich aus. Kannst du das ein wenig kommentieren?

Meiner Meinung nach ist die wichtigste Erkenntnis, dass die konkrete solidarische Arbeit vor Ort immens wichtig ist. Nur dort, wo diese Arbeit geleistet wurde, also in Kassel, hat die Linke ihr Ergebnis beinahe halten können.

Ansonsten haben wir noch ein starkes Stadt-Land-Gefälle: In den ländlichen Wahlkreisen haben wir die Hälfte der Stimmen oder mehr verloren, in den Städten ungefähr ein Drittel. Da wir auf dem Land kaum Strukturen und kaum Mitglieder haben und daher dort auch weniger Wahlkampf machen konnten, finde ich das auch nicht weiter verwunderlich.

Welche Debatten gibt es im hessischen Landesverband nach dem Verlust der Landtagsfraktion?

Vor der Regionalkonferenz, die am 21. November stattfindet, und dem Landesparteitag vom 9. Dezember kann ich nur sagen, was in meinem Kreisverband diskutiert wird: Wir wollen wieder eine aktive Mitgliederpartei werden und stärker politisch vor Ort agieren, das wollen wir jedenfalls versuchen. Leider gibt es bei den Aktiven weiter sehr unterschiedliche Positionen zu aktuellen politischen Themen wie Palästina, die eine Zusammenarbeit teilweise erschweren.

Welche Rolle sollte der linke Flügel in der Partei deiner Meinung nach jetzt spielen? Und was macht die Partei nun, außer sich auf die Europaparlamentswahl im nächsten Jahr vorzubereiten?

Das hat sich meiner Ansicht nach nicht geändert: Die Partei nach links ziehen, konkrete solidarische Arbeit vor Ort organisieren und eine klare antikapitalistische Politik vertreten.

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