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Beitrag zur Strategiedebatte der Partei DIE LINKE

Was wir brauchen, ist ein Bruch!

Von Violetta B, Michael H, Sascha R, Nora S | 05.02.2020
  • Der allgemeine Umbruch, welcher spätestens mit der Wirtschaftskrise 2007/08 angestoßen wurde, stellt alle politischen AkteurInnen – Parteien und Menschen – vor neue Fragen. Altbewährtes gilt nicht mehr, überall wird nach neuen Antworten gesucht. Die Krise der LINKEN ist vor allem ein Ausdruck dieser gesellschaftlichen Veränderungsprozesse.
  • Die Frage. Man müsste annehmen, die einzig größere systemkritische Partei würde in einer polarisierten Gesellschaft durchstarten. Doch, wenn in einer Zeit, in der der Kapitalismus offen in der Kritik steht, Menschen nicht zunehmend in der LINKEN ihre Partnerin sehen, läuft etwas grundsätzlich falsch. Das Bedürfnis nach linker Politik ist in der Gesellschaft vorhanden: Kriegsgefahr, Ungleichheit, Arbeitsplatzabbau in der Industrie, Klimakrise und Rassismus werden mit Protesten, Streiks, Aktivismus – von der Seebrücke über Forderungen nach Enteignungen von ImmobilienspekulantInnen bis hin zum populären „system change, not climate change“ – beantwortet. Doch DIE LINKE kommt nicht in die Offensive. Warum? Scheinbar wird ihr weder ihre Systemkritik abgenommen, noch reicht es den Menschen, wenn sie die kleine SPD 2.0 oder die sozialeren Grünen ist.
  • Was steht einer wachsenden, organisierenden und kämpferischen Partei im Weg? Ein zentraler Faktor ist unserer Meinung nach die zu starke Anpassung an den Parlamentsbetrieb. DIE LINKE ist strukturell im Parlamentarismus versunken. Das ist ein Problem für eine Partei, die eigentlich für Rebellion stehen und es mit den Mächtigen aufnehmen will. Es ist ein Problem in einer Zeit, in der viele Menschen an StellvertreterInnenpolitik glauben, aber gleichzeitig das Vertrauen in Parlamente verloren haben – sich von „der Politik“ im Stich gelassen fühlen. Nur allzu oft sind wir mit der Annahme konfrontiert, dass sich ja sowieso nichts ändert. Der parlamentarische Sog hat dabei die ganze Partei erfasst. Natürlich machen sehr viele GenossInnen auf den verschiedenen Ebenen sehr gute Arbeit, doch das hilft wenig, wenn strukturell der Fokus auf das Parlament befördert wird. Was wir brauchen, ist ein Bruch mit dieser Kultur.
  • Wie zeigt sich dies auf den verschiedenen Ebenen innerhalb der Partei? Schon die Parteiarbeit an der Basis ist oft gekennzeichnet durch Sitzungen und Fokussierung auf Wahlen und Stadtverordnetenversammlungen. Wollen sich Menschen aktiv einbringen, werden ihnen meist Ämter angeboten; die Partei ist von Hauptamtlichenstrukturen geprägt, in denen nicht selten professionelle BerufspolitikerInnen statt ArbeiterInnen dominieren. Die Bundestagsfraktion erscheint als Kollektivakteurin derzeit nicht handlungsfähig. Die Krise der Bundestagsfraktion führt die Krise der Partei an – und die Partei vermag die Bundestagsfraktion nicht aus der Krise herauszuführen. Auch dies ein Ergebnis der Parlamentarisierung.
  • Heißt das raus aus den Parlamenten? Nein, es ist wichtig, gesellschaftliche Kämpfe auch in die Parlamente und in staatliche Institutionen zu tragen; dort werden Anfragen gestellt, historische Errungenschaften versucht zu verteidigen. Jedoch kann der Staat nicht einfach für unsere Ziele instrumentalisiert werden. Der kapitalistische Staat steht letzten Endes immer für die Besitzenden ein und sichert die für sie vorteilhaften Eigentumsverhältnisse – durch Konsens und, wenn dieser zerbricht, durch Zwang. Allein über Parlamente, geschweige denn durch das Schielen auf Regierungsbeteiligung, werden wir die notwendigen tiefgreifenden sozio-ökonomischen und ökologischen Veränderungen nicht erreichen. Die wesentlichen gesellschaftlichen Verbesserungen der letzten 150 Jahren wurden immer auf der Straße und im Betrieb erkämpft. Diese Kämpfe sollten also wieder im Zentrum unserer Aktivitäten stehen. Doch statt sich auf unsere Erfolge und Traditionen zu berufen, scheinen andere ihre Hoffnung auf StellvertreterInnenpolitik und einen Umbau der Partei nach Vorbild der SPD und Grünen zu setzen. Sie werden DIE LINKE nicht retten. Vielmehr gilt es, selbstbewusst unsere Vision eines Sozialismus von unten und den Weg dorthin zu entwickeln.
  • Wie geht es anders? Wie können wir für einen Sozialismus von unten stehen, und zwar nicht nur in unserem Stadtteil, nicht nur bei unseren KollegInnen, sondern auch im Parlament? Dies funktioniert natürlich nicht nur durch gute Reden, sondern vor allem durch Praxis. Nur wenn wir selbst ein Beispiel für Aktivismus und Organisierung von Gegenmacht von unten, Mut und Courage sind, können wir von anderen verlangen, gegen ihre VermieterInnen, Chefs oder gegen Klimakiller aufzubegehren. Arbeit in Parlamenten ja, aber nur wenn wir die Rebellion dort fortsetzen. Zudem gibt es verschiedene Mechanismen und Mittel, die international bei linken Parteien zum Selbstverständnis gehören, und bei uns nicht Anwendung finden. Dazu gehören harte Maßnahmen, wie etwa Mandatszeitbegrenzung oder die Begrenzung des Abgeordnetenlohns, und es gibt weichere. So könnten Abgeordnetenbüros viel öfter als soziale Zentren genutzt werden, die fortschrittlichen Bewegungen die Arbeit erleichtern. Diese und weitere Maßnahmen wären ein Signal nach innen und außen – und würden nicht nur symbolisch für unseren Aufbruch stehen. Egal, ob harte oder weiche Maßnahmen, wichtig als Teil der Strategiedebatte ist, dass DIE LINKE sich dieser Herausforderung stellt und mutig experimentiert, wie eine neue Richtung eingeschlagen werden kann.
  • Das ist nicht einfach – und es ist eine Aufgabe der Gesamtpartei und ihrer SympathisantInnen. Deshalb liegt es an uns allen, Menschen, die wir in den parlamentarischen Betrieb schicken, zu begleiten und darin zu bestärken, dass sie nicht vor anderen Parteien, Lobbygruppen und den Medien bestehen müssen, sondern primär vor uns: Also den unteren Klassen und Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität diskriminiert werden sowie diejenigen, welche sich mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt identifizieren. Der linke parlamentarische Betrieb muss gegenüber uns rechenschaftspflichtig sein.
  • Die Strategiedebatte stellt uns vor die Frage, was die historische Aufgabe der LINKEN in dieser Zeit ist und wie sie diese erfüllen kann. Die Rolle, die DIE LINKE einnehmen könnte, und die auch von keiner anderen Partei kopiert werden kann, besteht darin, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln Kämpfe zu initiieren, zu befördern und Menschen zu ermutigen. Es gilt, Menschen in ihren Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu unterstützen, um den Glauben an und das Vertrauen in die Möglichkeit progressiver Veränderung zu stärken. Wir brauchen Bewegung auf der Straße und im Betrieb – und eine Linke, die diese Bewegung unterstützt, um mit den Massen ein Bewusstsein für gesellschaftliche Umwälzungen auf Basis internationaler Solidarität zu schaffen. Die Umwälzung muss direkt bei uns beginnen. Gelingt uns dies nicht, wird nicht nur DIE LINKE scheitern, sondern werden auch all jene desillusioniert, welche auf sie als organisierende, veränderungswillige Kraft angewiesen waren.
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