Quo vadis? Die LINKE im Fokus
TEILEN
Ein persönliches Pro und Contra zur Organisierung in der LINKEN

Quo vadis? Die LINKE im Fokus

Von Violetta Bock und Michael Petersen | 16.02.2022

In der ISO organisieren sich sowohl Genoss:innen die in der Partei DIE LINKE arbeiten, solche die Zusammenarbeit mit ihr suchen, aber auch Menschen die keine Perspektive in der Mitarbeit sehen können. Das führt immer wieder zu komplizierten Situationen, ermöglicht uns als Organisation aber auch eine breite, relativ allseitig Sichtweise auf die Entwicklungen, Stärken und Schwächen der Partei.

Der folgende Beitrag erschien in der Februarausgabe der SoZ.

DIE LINKE im Zerfallsprozess? Oder war die Bundestagswahl ein Weckruf?

Derzeit sieht es für manche danach aus, Die LINKE befinde sich im Zerfallsprozess. Die Niederlage bei der letzten Bundestagswahl wird zwar als Weckruf wahrgenommen, tatsächliche Konsequenzen, personell wie strukturell deuten sich aber noch nicht an.

In dieser Situation ist es für revolutionäre Sozialist:innen notwendig, neu zu prüfen, ob die Partei dabei hilft, den Weg zu einer anderen Gesellschaft zu beschreiten, oder nicht, wie sie vor Ort wirkt, welche Schritte sie geht und worin die besondere, eigene Rolle besteht.

Violetta Bock und Michael Petersen wollen dasselbe, sehen aber nur partiell einen gemeinsamen Weg.

PRO – Violetta Bock

Eine linke Massenpartei
… offen für Revolutionäre

2017 war es bei mir so weit. Kurz vor der Bundestagswahl und angesichts des drohenden Einzugs der AfD in den Bundestag, unterschrieb ich das Mitgliedsformular. Zuvor hatte ich lange abgewogen, ob ich in Die LINKE eintrete, in ihr aktiv werde, statt nur zusammenzuarbeiten. Meine Sorge war nicht zuletzt, dass ich mich selbst zu schnell nur im Mikrokosmos der Partei bewegen würde und welche Konsequenzen dies für andere Projekte, in denen ich aktiv bin, nach sich zöge. Zu oft hatte ich beobachtet, wie die Entscheidung von Aktivist:innen, sich in der Partei zu organisieren, zu einer Schwächung der bisherigen Arbeitsfelder führte, sei es im Betrieb, Stadtteil oder in einer sozialen Bewegung.
In all diesen Feldern geht es darum sich zusammenzuschließen. Organisierung, organisiert sein ist eine Kernfrage für Sozialist:innen. Nur wenn wir Spaltungslinien entlang von Herkunft, Geschlecht, Generationen, aber auch Lebensverhältnissen überwinden und aus der Vielfalt Stärke schöpfen, haben wir eine Chance gegen die herrschende Politik. In Gewerkschaften schließen wir uns zusammen, um im Betrieb vom Kapitalisten aufgedrängte Konkurrenzen zu überwinden. In Mietergemeinschaften verbünden wir uns, um dem Vermieter geeint gegenüberzutreten. Als Revolutionäre schließen wir uns in einer politischen Organisation zusammen, als Ort der Verständigung über Theorie und Praxis.
Doch noch gibt es keine revolutionäre Organisation in Deutschland, die in der jetzigen Form nur annähernd fähig wäre, dem Kapitalismus die Stirn zu bieten. Gesellschaftlich sind viele dieser Organisationen zu klein und unbekannt. Die LINKE dagegen ist bekannt. Sie ist eine Massenpartei und durch ihre Geschichte und die sich ständig erweiternde Zusammensetzung eine relative Besonderheit: vom Charakter her eine Massenorganisation, für Revolutionäre ein taktisch relevantes Arbeitsfeld, für andere der Schmelztiegel des Reformismus – viele würden sie gerne zu einer kämpferischen, linken Massenorganisation transformieren.
Durch die Mitarbeit in der LINKEN stärken wir eine Organisation, die sich in der breiten Öffentlichkeit und auf den verschiedenen parlamentarischen Ebenen immer wieder gegen die Marktlogik stemmt, nicht immerzu die Systemfrage in den Mittelpunkt stellt, aber den Finger immer in die offenen Wunden des Regimes des Kapitals stellt. Gesellschaftlich ist sie dadurch ein wichtiges Sprachrohr. In der LINKEN stellen wir uns zusammen unter das Dach eines Programms. Aber selbst das radikalste Programm taugt nur, wenn Einigkeit über die Methoden es durchzusetzen hergestellt wird. Wenn wir die Verankerung und den Basisaufbau vor Ort als zentralste Aufgabe sehen, haben wir mit dem Programm und der Arbeit der Gesamtpartei Verweise und eine Klammer, auf die wir uns beziehen können. Denn nicht jede:r kann zu jedem Thema arbeiten. Zumindest aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Die LINKE manches, was man vor Ort recht lokal im Betrieb oder im Stadtteil macht, potenziert hat, weil es einen größeren Resonanzraum findet und man bundesweit einfach Mitstreiter:innen findet, die auf den gleichen Feldern arbeiten.
Die Organisierung in der LINKEN ermöglicht bei lokalen Schwerpunkten die überregionale Vernetzung und Wirkmächtigkeit. In der Krise, in der sich Die LINKE derzeit befindet, drängt sich eine Richtungsentscheidung auf, wirken beispielgebende Vorstöße und Praktiken.
Wer nicht durch sein Umfeld mehr oder weniger zufällig, Kontakt mit einer sozialistischen Organisation aufbaut, sich aber entscheidet links politisch aktiv zu werden, für diejenigen ist Die LINKE ein logischer, sichtbarer Anlaufpunkt. Was dann passiert, liegt in den Händen derer, die die Partei vor Ort mit Leben füllen. Und wohin sich die Partei entwickelt, und ob sie weiterhin und noch viel mehr mit Ressourcen oder mit einer Stimme in Parlamenten die konkrete Arbeit vor Ort unterstützt, offen die Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen, hängt nicht zuletzt an denen, die in der Partei wirken.
Violetta Bock

CONTRA – Michael Petersen

Links oder LINKS?
Die vergebliche Suche nach den Abkürzungen

Bei der Entstehung der LINKEN erlebte ich in meinem politischen Leben nicht zum ersten Mal, dass sich Linksradikale hoffnungsvoll auf eine vermeintliche Massenwirksamkeit stürzen: endlich mal gehört werden, Einfluss haben, gesellschaftlich wirksam sein.

Die ehemaligen Bundesminister:innen, Senatoren, Ministerpräsidenten, Vizekanzler der Grünen mit KBW-, KB-, trotzkistischer oder autonomer Vergangenheit wie Ulla Schmidt, Jürgen Trittin, Winfried Kretschmann, Harald Wolf, Andrea Fischer zeigen ganz schön, wo das enden kann. Nicht zu sprechen von den Hunderten, vielleicht sogar mehr, die es nicht in die erste Reihe geschafft haben, sondern irgendwo auf dem Weg durch die (Partei-)Institutionen frustriert aufgegeben und sich aus dem politischen Leben zurückgezogen haben.

Die Tragik des Scheiterns kommt aus der vergeblichen Suche nach dem Einfachen, nach den Abkürzungen.

In der Gründungsphase der WASG besuchte ich eine Veranstaltung in meinem Stadtteil, weil auch ich es historisch bemerkenswert fand, dass ein ehemaliger SPD-Parteivorsitzender aus der Partei austrat und eine neue, linkere Partei anführen wollte. Allerdings war ich mit um die 50 schon einer der Jüngeren, mein prägender Eindruck war: lauter Genossen (nein, mit Absicht nicht gegendert!), die – so wie ich selbst – ihre politische Zukunft schon hinter sich haben.

Einige Jahre später hatten mich einige linke Genossen aus der LINKEN zu einer Landesdelegiertenversammlung oder etwas ähnlichem eingeladen. Sie versprachen sich von einem Betriebsratsvorsitzenden live und in Farbe eine Belebung und Orientierung ihrer internen Diskussion. Meine Anregung dort war, dass die Linke systematisch versuchen sollte, sich in Betrieben und Gewerkschaften zu organisieren und zweitens sich politisch der Aufgabe zu stellen, dass ein bedeutender Teil der arbeitenden Klasse und der besonders Ausgebeuteten und Unterdrückten in diesem Land migrantisch ist.

Gefühlt zehn Jahre später (und noch vor Corona) auf einem gewerkschaftlichen Neujahrsempfang der LINKEN war die Zahl der Teilnehmenden mit Mühe zweistellig – trotz Werbung, interessantem Thema und qualifizierten Referent:innen.

Jetzt denke ich, dass ich sehr wohl auch das Positive an der LINKEN sehen kann.

Gerade hier in Hamburg wird das Gesicht der Partei durch ausgesprochen beeindruckend glaubwürdige Genoss:innen (mit)geprägt, Norbert Hackbusch und Christiane Schneider. Fraktionsvorsitzende ist eine linke Kurdin, der gesundheitspolitische Sprecher ist ein Migrant und Aktivist. Immer, wenn es notwendig war und ist, sind die ansprechbar und zur Zusammenarbeit bereit.

Und wenn gewerkschaftliche Aufrufe «Wir wählen Die LINKE» gestartet wurden, habe ich sie selbstverständlich unterstützt.

Mir ist auch klar, dass es bundesweit Dutzende hauptamtliche Sekretäre der DGB-Gewerkschaften gibt, die bei der LINKEN Beitrag zahlen. In der IG Metall gibt es sogar eine, wenn auch abgeschottete, Zusammenarbeit dieser Genossen mit dem Ziel, durch Papiere und Diskussionen Einfluss auf den Kurs zu nehmen.

Vermutlich gibt es noch Dutzende weitere Beispiele, wo gute Genoss:innen prima Projekte losgetreten haben. Für mich ist das aber nicht das, was den «Charakter» der Partei ausmacht. Denn es gibt eben auch Tausende von Beispielen, wo Menschen außerhalb der Linken die Klimagerechtigkeitsbewegung, Ende Gelände, Unterstützung Geflüchteter, antifaschistischen Widerstand, betriebliche Kämpfe, tarifliche Streikbewegungen usw. usf. organisieren und vorantreiben.

Das, was ich für mich als politisch wichtig in den letzten Jahren definiert hatte, war,

  • im Betrieb im Tagtäglichen zusammen mit aktiven Kolleg:innen Interessen zu vertreten und Selbstorganisation voranzutreiben;
  • und außerdem einen linken, klassenkämpferischen Orientierungspunkt in der Gewerkschaft zu befördern.

Beides ging und geht ohne Die LINKE – nicht besser, aber eben auch nicht schlechter.

Unsere innere Überzeugung, Motivation ist es, was uns treibt. Darüber zu schreiben, warum man nicht motiviert ist, geht also gar nicht so einfach, es sei denn, die Abweichung vom vermeintlich Selbstverständlichen soll begründet werden. Mitgliedschaft und Mitarbeit bei der Linken ist aber nun erstmal für mich, der sich als revolutionärer Marxist versteht, keineswegs selbstverständlich. Im Zweifelsfall liegt der Ball immer bei denjenigen, die überzeugt sind. Die müssen eben die anderen, die noch nicht überzeugt sind, gewinnen.
Michael Petersen

Artikel teilen
Tags zum Weiterlesen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite