Größer, besser –  ausbaufähig!

Streikdemonstration der IG-Metall in Mühöheim im Jahr 2015 Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen, Streik IG Metall, Mülheim2015_05, CC BY-SA 2.0

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Die 5. RLS-Konferenz zur „Gewerkschaftlichen Erneuerung“

Größer, besser – ausbaufähig!

Von Michael Petersen | 15.05.2023

Über 1.700 Aktive haben vom 12. bis 14. Mai in Bochum die 5. Konferenz zur gewerkschaftlichen Erneuerung der Rosa-Luxemburg-Stiftung besucht, gestaltet, mitdiskutiert und zu einem Erfolg gemacht.

Stetiges Wachstum

Bekannter sind diese Konferenzen von Anfang an als „Streikkonferenzen“. Nachdem die erste, noch von Bernd Riexinger als Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer maßgeblich mitinitiierte Konferenz, 300 TeilnehmerInnen hatte, ist die Beteiligung stetig gewachsen,. In diesem Jahr gab es 1.700 Anmeldungen ‒ das war wohl auch die Zahl der Teilnehmer:innen.

Eine Mehrheit der Teilnehmer:innen ist betrieblich aktiv und jung. Vielleicht nicht die Mehrheit, aber für eine Gewerkschaftskonferenz beachtlich, war der wirklich große Anteil von Kolleginnen und Genossinnen.

Ungleichmäßige Verteilung

Bei der Gewerkschaftszugehörigkeit war vermutlich ver.di in der absoluten Mehrheit.

IG BAU, NGG, GEW und EVG waren auch vertreten, ebenso IG Metaller:innen und versprengte IGBCEler:innen. Aber in den beiden eigentlichen Industriegewerkschaften ist der Drang nach „gewerkschaftlicher Erneuerung“ offensichtlich noch nicht so stark, oder wir erreichen sie mit solchen Angeboten noch nicht gut genug.

Bewegende Momente

In den drei großen Plenumsveranstaltungen gab es immer dann frenetischen und stehenden Applaus, wenn die KollegInnen aus der ersten Reihe der aktuellen Kämpfe selbst auf die Bühne kamen:

Das war so als ein halbes Dutzend KollegInnen zur Tarifrunde Einzelhandel aus einer zur Schließung vorgesehenen Galeria/Kaufhof Filiale auf der Bühne waren. Der Konzern, der auf diese MitarbeiterInnen verzichten, sprich sie arbeitslos machen wird, hat sich nicht entblödet, ihnen zu schreiben, dass er hoffe, sie als KundInnen zu behalten.

Der Lieferando Rider wurde gefeiert, genauso wie die KollegInnen von Amazon. Begeisternd ebenso der BR-Kollege mit seiner Gruppe von der EVG, der am Sonntag, also nach dem unsäglichen Vergleich zur Absage des Streiks, in den Saal rief, dass die EVG von der Sozialpartnerschaft Abschied genommen habe.

Nachhaltig beeindruckend war der Beitrag von Anuschka. Als Beteiligte des siebenwöchigen Streiks an den sechs Unikliniken in NRW für einen Entlastungstarifvertrag schilderte sie authentisch Höhen und Tiefen der Streikbewegung. Vor allem aber der enorme Zuwachs an Selbstermächtigung und Beteiligung für und durch die aktiven Teile der Belegschaften berührte.

Noch mehr  als andere hat sie nachhaltig die Herzen der Aktiven erobert.

Wo wollen wir hin?

Aus der Stimmung in den großen Veranstaltungen lässt sich einiges lernen.

Das Hauptreferat von Hans Jürgen Urban, Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der IG Metall, fand nicht nur deshalb großen Beifall, weil der Kollege ein professioneller und erfahrener Redner ist, der sich genau auf sein Publikum einstellt. Der Beifall während seiner Rede war immer dann am größten, wenn er die ganz großen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit ganz grundsätzlichen Perspektiven versuchte zu beantworten.

Urbans „sozial-ökologische Transformation“ durch einen Kampf um „Transformationsräte“ und „Wirtschaftsdemokratie“ zu erkämpfen, fand offene Ohren.

Über dieses lückenhafte und bis hier schwammige Konzept eines langfristigen, schrittweisen Umbaus dieser Gesellschaft, ohne dabei die private Verfügung über die Produktionsmittel grundsätzlich infrage zu stellen, und ohne die Vorstellung einer anderen gesellschaftlichen Selbstorganisation wird also in der Zukunft intensiv zu sprechen sein. Deutlich wird: die Zeiten haben sich geändert, nur radikale Perspektiven überzeugen.

Ähnliches gilt für den Beitrag von Janine Wissler, Kovorsitzende der Partei die LINKE, beim Podium zur Verkehrswende. Auch ihr Beifall war immer dann am größten, wenn sie von sozialistischer Überwindung der Eigentumsverhältnisse und der „Überwindung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen sei“ gesprochen hat. Ähnlich wie bei Urban bleibt aber auch ihre Vorstellung etwas nebelhaft, wer da was mit welchen Forderungen und Zielsetzungen wie in Gang setzen soll. Allgemein war zu spüren, dass alle Redner:innen und Macher:innen sehr bemüht waren, Einheit herzustellen, niemanden auf die Füße zu treten – das hieß auch: die Rolle des Gewerkschaftsapparats und die Kritik an ihm nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen.

Und selbst der Altmeister des beschäftigtenfreundlichen Arbeitsrechts Wolfgang Däubler riet schwäbisch-verschmitzt unter großem Beifall in milder Altersradikalität den KollegInnen wie den Gewerkschaften, nicht immer zuerst zu fragen was erlaubt sei, sondern was gemacht werden muss.

Offensichtlich ist, dass die vielen, jungen Aktiven die große, grundsätzliche gesellschaftsverändernde Perspektive suchen – heute nehmen sie das, was ihnen angeboten wird.

Gewerkschaftliche Erneuerung

Das Motto der Konferenz eint die TeilnehmerInnen offensichtlich, sonst wären sie ja nicht gekommen. Was dies aber im Einzelnen und genau bedeuten soll, muss weiter besprochen werden. Dies von einer Konferenz als solche zu erwarten wäre vermessen – das bleibt die Aufgabe aller, Tag für Tag, Schicht für Schicht.

Der eine Strang ist eine breite Diskussion unter dem Schlagwort „Organizing“. Inzwischen gibt es nicht nur bei ver.di sondern auch bei IG Metall und sogar der IGBCE Ansätze zu verschiedenen Organizing-Methoden, es gibt mehr Erfahrungen und Projekte. Es gibt Organizing- Abteilungen und Sekretäre, genauso wie das Anheuern Externer für begrenzte Kampagnen.

Mode oder Thema?

Ist Organizing eigentlich nur ein moderneres Mittel zur Mitgliedergewinnung? Oder ist es ein Werkzeug, um in einem Betrieb, einer Branche, einer Industrie, kampagnen-, konflikt- und letztendlich streikfähig zu werden? Oder geht es gar um die nachhaltige Selbstermächtigung von Beschäftigten zu einer dauerhaft durchsetzungsfähigen Selbstorganisation? Das sind einige der Eckpunkte, an denen die Diskussion weiter entwickelt werden muss. Und seit der Konferenz von 2019 hat sich diese Diskussion schon auf Grundlage der in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen entwickelt. Es geht nicht mehr so sehr um das „ob“ sondern das „wie“.

Demokratisierung

Ein anderes Schlagwort, das viele auf der Konferenz bewegte, ist die innere, Demokratie der Gewerkschaften.  Zum einen haben die Streiks an einzelnen Krankenhäusern und im letzten Jahr dann an sechs Unikliniken eine neue Stufe von Beteiligung an Vorbereitung, Durchführung und Abschluss von Beschäftigten bei solchen Kämpfen entwickelt.

Zum anderen hat aber das Zustandekommen von Tarifabschlüssen bei Post und TV ÖD alte Fragen neu aufgeworfen. Wer kommt eigentlich wie und warum in eine Tarifkommission? Können Urabstimmungsergebnisse eigentlich zurückgenommen werden? Wie koppeln sich Verhandelnde eigentlich mit denen zurück, für die verhandelt wird?

Initiativ werden – nicht „entlarven“

Linke Kritik an der gegenwärtigen inneren Verfasstheit der Gewerkschaften und ihres Vorgehens insbesondere bei Tarifkämpfen wäre gut beraten, dieses Thema nicht abstrakt und anklagend auf den Tisch zu bringen. In konkreten Konflikten zwischen Aktiven und zentralen Vorständen gilt es konkrete Vorschläge zu entwickeln, wie Aktive, Mitglieder, kampfbereite Belegschaften ihren Anspruch geltend machen können: Nämlich selbst entscheiden zu wollen, was der nächste Schritt sein soll, welches Ergebnis anzunehmen oder abzulehnen sei, welche Mittel zur Durchsetzung die richtigen sind.

Austausch, Diskussion, Leute treffen, neue Erfahrungen aufnehmen, neues Problembewusstsein entwickeln – wer sich auf die Konferenz eingelassen hat, fuhr bereichert nach Hause.

Noch mehr Fotos von der Konferenz findet Ihr hier: https://www.flickr.com/photos/gewerkschaftliche-erneuerung/albums/with/72177720308266969

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