Demokratische Planwirtschaft

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Ein Plädoyer

Demokratische Planwirtschaft

11.08.2020

Aufgrund des Versagens der Marktwirtschaft ist dies dringender denn je erforderlich und angesichts der fortgeschrittenen Informationstechnologie auch machbar. Zugleich liegt darin die Voraussetzung, für eine von der Diktatur des Kapitals befreite Gesellschaft einzutreten, in der die Grundbedürfnisse befriedigt und demokratisch entschieden werden können und gleichzeitig die Umweltkrise angegangen werden kann. Das ist der Inhalt des Interviews, das Romaric Godin mit Cédric Durand geführt hat.

Diese beispiellose Krise im Zusammenhang mit dem Coronavirus veranschaulicht deutlich die Grenzen der Marktwirtschaft bei der gesellschaftlichen Entwicklung und damit die Notwendigkeit einer Planwirtschaft. Wie bewerten Sie die Situation?

Cédric Durand: Jahrzehntelang wurden in den Zeiten des Neoliberalismus der Marktwirtschaft alle möglichen Tugenden zugeschrieben: Effizienz in der Ressourcenzuteilung, dynamischer Wettbewerb, Produktdifferenzierung der Konsumgüter etc. Die aktuelle Krise hat deutlich gemacht, dass die Marktwirtschaft auch ihre ernsthaften Grenzen hat.

In Notsituationen kann die Wirtschaftstätigkeit nicht durch die Preisgestaltung angemessen koordiniert werden. Durch das Chaos der Märkte können eigentlich überschaubare, aber zwingend gebotene Ziele nicht erreicht werden: die Herstellung von Masken, Desinfektionsmitteln, Screening-Tests und Atemschutzgeräten oder die Verteilung von Medikamentenvorräten. Da besteht ein klarer Bedarf an Zentralisierung. Der allgemeine Ruf nach Hilfe ergeht an die öffentliche Hand: eine Forderung nach einem kollektivem Vorgehen, die über die privaten Akteure hinausgeht und sich ihnen auferlegt. Dies entspringt einer Logik der wirtschaftlichen Prioritätensetzung, die im Widerspruch zum trial-and-error-Prinzip des Marktes steht.

Tatsächlich wäre es vernünftig, die Aktienmärkte zu schließen, anstatt zuzulassen, dass ihre Volatilität das Chaos noch verschlimmert.

Dieser relativ anomische Charakter des Marktes wird durch dessen kurzfristige Orientierung noch verschärft, die es ihm unmöglich macht, langfristig zu planen. Es mangelt an Reagenzien zur Herstellung von Tests, weil diese in Asien hergestellt werden. Aber warum wurde diese Produktion verlagert? Weil die Unternehmen ihre Kosten rationalisiert und ihre Wertschöpfungsketten optimiert haben.

Sofortige Einsparungen sind erforderlich, um dem Wettbewerbsdruck und den Rentabilitätsvorgaben der Finanzmärkte gerecht zu werden. Ein solches Verhalten ist aus statischer Sicht effektiv, die Kehrseite besteht aber in einer dynamischen Ineffizienz. Punktgenaue Vorgaben an die Lieferketten, breit verstreute Produktionsprozesse und geringe strategische Reserven machen das soziale und produktive Gefüge verwundbar und hindern es daran, sich an plötzliche Veränderungen der Umstände anpassen zu können. Es ist inzwischen anerkannt, dass Belastbarkeit auch Redundanz erfordert oder, anders ausgedrückt, dass kurzfristige Effizienz eine fehlende Belastbarkeit zur Folge hat.

Unabhängig davon, ob es sich um Dringlichkeit oder Belastbarkeit geht, stellt sich letztlich das Problem der Zentralisierung der wirtschaftlichen Koordination. Mit dem Neoliberalismus wurde den Finanzmärkten die Aufgabe übertragen, die vielfältigen Pläne der Unternehmen und Einzelpersonen in Einklang zu bringen. Um langfristig zu planen oder einen plötzlichen Einbruch zu bewältigen, sind die Märkte jedoch ungeeignet. Wenn die Aussichten völlig im Dunkeln oder Probleme in weiter Ferne liegen, verhalten sie sich erratisch: Ihre Blindheit gegenüber der Katastrophe des Klimawandels veranlasst die Märkte, weiterhin unverwertbare fossile Brennstoffvorkommen zu erschließen, und die abrupten Kehrtwendungen der letzten Tage zeigen, dass sie die aktuelle Krise nicht verstehen können.

In der jetzigen Situation ist das Starren auf kurzfristige Profite, das den Investoren als Kompass dient, sicher nicht das richtige. Tatsächlich wäre es vernünftig, die Aktienmärkte zu schließen, anstatt zuzulassen, dass ihre Volatilität das Chaos noch verschlimmert.

Sie fordern mehr Staat, aber was wir vor allem sehen, ist, dass die öffentliche Hand auf die Situation nicht eingestellt ist …

Wo ist die Zentrale im Kampf gegen die Pandemie? Welche Stellen sind für die Erfassung der Ressourcen und deren Verteilung zuständig? Warum erfolgt in Frankreich die Beteiligung der Industriellen an diesen Aufgaben auf freiwilliger Basis und nicht durch Zwangsverpflichtungen? Was diese Krise offenbart, ist in der Tat die Ohnmacht der öffentlichen Hand.

Der Wirrwarr an der Spitze des Staates zeugt nicht bloß von der mangelnden Kompetenz der Regierungsmannschaft. Jahrzehntelange Sparpolitik und die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung haben dazu geführt, dass sie jetzt unfähig sind, angemessen auf die vitalen Interessen der Menschen zu reagieren und ihnen nachzukommen.

Das Problem liegt sowohl in den fehlenden Mitteln als auch an der Demoralisierung. Indem man sie schlecht behandelt und bezahlt und oft diskreditiert hat, sind die Beamten und Angestellten in der öffentlichen Daseinsvorsorge nunmehr wenig motiviert, ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen müssen die Menschen mit einer zunehmenden Zahl vermeidbarer Todesfälle nun der Preis dafür bezahlen.

Mittlerweile ist allen klar, dass der öffentliche Dienst ein Gemeingut ist, auf das jede und jeder unter allen Umständen zählen und zurückgreifen kann, weil es allen gehört.

Die Situation der vereinsamten und gefährdeten Menschen ist ebenfalls sehr besorgniserregend, da die sozialen Dienste abgebaut wurden und den lokalen Behörden immer weniger Mittel zur Verfügung stehen. Dies gilt aber auch für andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung. Zum Beispiel verfügt die Gewerbeaufsicht nicht über die Mittel, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten ihrer Arbeit unter wirklich geschützten Bedingungen nachgehen können.

Auch die jahrelang angesammelten Defizite des Bildungssystems kommen in diesen unruhigen Zeiten zum Tragen, wenn auch mittelbarer und weniger dramatisch. In Schulen und Universität wurde viel zu wenig in die Digitalisierung investiert, so dass die Voraussetzungen für eine geordnete Umstellung auf zeitweiligen Digitalunterricht überhaupt nicht gegeben waren und die Familien und Lehrerkollegien in eine groteske Situation gerieten.

Kurzum: Außer dass die Corona-Krise die Grenzen der Märkte aufzeigt, macht sie zugleich deutlich, dass die öffentlichen Dienste dringend benötigt werden. Mittlerweile ist allen klar, dass der öffentliche Dienst ein Gemeingut ist, auf das jede und jeder unter allen Umständen zählen und zurückgreifen kann, weil es allen gehört.

Diese kurzfristigen Erfordernisse machen demnach eine Planung notwendig. Dennoch werden weiterhin viele dagegenhalten, dass eine solche Produktionsplanung nicht möglich sei, weil die Welt zu komplex ist. Aber nach Ihrer Auffassung verfügen wir inzwischen über die technischen Mittel, um dieser Komplexität Rechnung zu tragen …

Der größte Einwand gegen die Planwirtschaft ist ihre angebliche Ineffizienz in der Informationsverwaltung. So argumentiert namentlich der neoliberale Vordenker Friedrich Hayek, für den der Markt ein sozialer Mechanismus ist, der verstreute Informationen sowohl aufdecken als auch verarbeiten kann: Dank dieser Informationen können die Akteure die unendliche Komplexität des Sozialen überwinden und Entscheidungen treffen.

Gegen diese neoliberale Ansicht sprechen sowohl praktische als auch theoretische Gründe. Auch wenn es ein wenig trivial erscheint, müssen wir uns zunächst daran erinnern, dass die Planwirtschaft sehr wohl funktioniert: Nicht der Markt organisierte die Kriegsanstrengungen der USA gegen die Nazis, sondern eine geplante Kriegswirtschaft. In Frankreich beruhten der Wiederaufbau und der Aufholprozess nach der Befreiung auf einer Planung, die zwar eher Richtlinien vorgab, die aber sehr verbindlich waren, insbesondere durch Kreditvergaben.

In der stalinistischen UdSSR ermöglichte die Planwirtschaft – auf Kosten einer beispiellosen Brutalisierung der Gesellschaft – eine rasche Industrialisierung. Und auch heute ist die Planwirtschaft noch längst nicht abgeschafft: In China entwirft die mächtige Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) weiterhin Fünfjahrespläne, die ausschlaggebend bei der Steuerung der sozioökonomischen Entwicklung sind.

Das grundlegende Problem, vor dem eine Planwirtschaft heute steht, ist nicht mehr die eingeschränkte Informationstechnologie, sondern die demokratische Verarbeitung dieser Algorithmen, die immer mehr in der Hand einiger weniger Monopolunternehmen liegen.

Andererseits trifft zu, dass ab Ende der 1960er Jahre in den Ländern des Ostens die Gesamtplanungsmechanismen zunehmend deutlichere Anzeichen einer Dysfunktionalität offenbarten. Die zunehmende Ausdifferenzierung der Wirtschaftsprozesse und der gesellschaftlichen Ansprüche stellte die Planwirtschaft vor zwei entscheidende Hürden: die mangelnde Demokratie und begrenzte Rechenkapazitäten. Das mangelnde Demokratie führte zu einer unausgewogenen Entwicklung, zu einer Diktatur über die Bedürfnisse, um einen Ausdruck der Philosophin Ágnes Heller zu gebrauchen, in der die Erfordernisse des militärisch-industriellen Sektors die der Bevölkerung erdrückten und alle ökologischen Bedenken erstickten, derer man sich in der Zeit nach der russischen Revolution sehr wohl bewusst war.

Die zweite Hürde liegt in der Informationstechnologie, was eben auch Hayek monierte. Da die Informationstechnologie noch in den Kinderschuhen steckte und nicht verfügbar war, geriet die bürokratische Handhabung der Planwirtschaft immer schwerfälliger, extrem zeitaufwändig und mit zahlreichen Fehlern, Zeitverzögerungen und Manipulationen behaftet. Vor allem der Umgang mit der Unsicherheit (der wirtschaftlichen Perspektiven) war hochproblematisch: Es dauerte lange, bis unvorhergesehene Ereignisse die Entscheidungszentren erreichten, was zu chronischen Ungleichgewichten und massiven Verschwendungen führte, was wiederum zusätzlich zu den Funktionsstörungen Parallelkreisläufe entstehen ließ.

Aber wir leben nicht mehr in der Steinzeit der Informationstechnologie! Heute werden die meisten wirtschaftlichen Informationsprozesse automatisch auch digital erfasst. Damit entfällt das Argument hinsichtlich der Informationsverarbeitung weitgehend. Faktisch greift auch der private Sektor massiv auf eine Art Planwirtschaft zurück. Amazon oder Walmart verarbeiten heute unendlich mehr Daten als der sowjetische Gosplan. Diese multinationalen Unternehmen verfügen über die Mittel, ihre Geschäftsprozesse in Echtzeit an die Wandlungen der Marktbedingungen anzupassen. Das grundlegende Problem, vor dem eine Planwirtschaft heute steht, ist nicht mehr die eingeschränkte Informationstechnologie, sondern die demokratische Verarbeitung dieser Algorithmen, die immer mehr in der Hand einiger weniger Monopolunternehmen liegen.

Zudem muss man Hayek entgegenhalten, dass es eine Art von Wissen gibt, das der Markt komplett ignoriert, und das ist das Wissen, das aus Überlegungen entsteht. Um nicht kalkulierbare Risiken abzuschätzen, ökonomische und ökologische Kriterien gleichermaßen zu berücksichtigen, unter der Maßgabe der sozialen Beziehungen Entscheidungen zu treffen, dabei hilft die durch Marktprozesse vermittelte individuelle Entscheidungsfähigkeit nicht weiter. Stattdessen müssen die verschiedenen Standpunkte durch den Austausch von Argumenten über eins gebracht werden.

Um auf die gegenwärtige Situation zurückzukommen, hilft es nicht, zu sagen, dass die Produktionsweise zu komplex ist, um eine Planung zu erstellen, die in der Lage ist, auf drängende Erfordernisse zu reagieren. Im privaten Sektor gibt es extrem mächtige Instanzen, die die Informationen bündeln, wie etwa Google. Aber auch die großen Automobil-, Einzelhandels- und Elektronikkonzerne kontrollieren Informationssysteme, die ihnen einen Überblick über die Aktivitäten und Bestände auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungsketten geben. Mit anderen Worten: Wenn der politische Wille dazu vorhanden ist, können die staatlichen Behörden diese Fähigkeiten entlang zentral vereinbarter Prioritäten nutzen.

Für die Zukunft scheint dieser Planungsbedarf unerlässlich zu sein, gerade weil er es ermöglicht, mit Risiken umzugehen, die vom Markt nicht berücksichtigt werden können.

Die Krise infolge der Covid-19-Pandemie lehrt uns einmal mehr, dass wir auch sowohl als Gemeinschaft wie als Spezies kollektiv denken und reagieren müssen. Dies ist kein individuelles Gebot, und es ist müßig, sich auf die Rationalität der Verbraucher zu verlassen. Sondern dies ist ein Warnsignal. Wir müssen uns künftig nicht nur verantwortlich um die Verhütung und Bewältigung des Risikos einer Pandemie kümmern, sondern auch um den Umgang mit der Fragilität unserer Gesellschaft. Ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung unserer gegenseitigen sozialen Beziehungen und für unsere Interdependenz mit der Biosphäre sollte Grund genug für uns sein, den Markt auf die hinteren Ränge zu verweisen.

Welche Art von Planung wäre nun genau geeignet, auf diese neue Situation reagieren?

Das sowjetische Modell hat Probleme hinsichtlich der inneren Demokratie und der Anpassung der Produktivkräfte verursacht. Das französische Planungsmodell war insofern interessant, als dort darüber beraten wurde, wie die Marktwirtschaft besser koordiniert werden könnte. Dies könnte ein Übergangsmodell sein. Aber unerlässlich ist, dass die Planwirtschaft der Zukunft unbedingt demokratisch sein muss. Planung für ein Land oder für ein Gebiet bedeutet, sich für eine gemeinsame Zukunft zu entscheiden. Dies erfordert ein Höchstmaß an Demokratie.

Man muss auch bedenken, dass sich die Planwirtschaft auf Zentralwirtschaft reimt, aber trotzdem dezentrale Belange berücksichtigen muss: Bei gleichen Problemen oder gleichen Zielen muss es den einzelnen Territorien erlaubt sein, mit verschiedenen Lösungen zu experimentieren. In Frankreich ist die Atomkraft ein ideales Gegenbeispiel: Die geplante Entwicklung dieser Industrie hat zu einer gefährlichen Form einseitiger Abhängigkeit geführt. Planung im 21. Jahrhundert bedeutet daher, ein „Ökosystem“ zu schaffen, in dem die Institutionen auf dem Beratungsweg ermöglichen, über wirtschaftliche Prioritäten zu entscheiden und eine Vielfalt von Produktions- und Konsumweisen zu erhalten. An diesem Thema arbeiten wir seit zwei Jahren mit anderen Soziologen und Ökonomen im Rahmen einer Seminarreihe mit dem Titel „Die Kommune planen”.

… und der Lockdown führt dazu, das Verhältnis zwischen notwendiger Planung und unseren Freiheiten neu zu überdenken. Wenn wir heute unserer Freizügigkeit beraubt werden, liegt das letztlich an mangelnder Planung?

Ja, das ist eine berechtigte Frage. Für die Liberalen bedeutet Freiheit immer eine individuelle Garantie für Rechtssicherheit und ihr Geld. Inzwischen reift jedoch die Einsicht, dass Freiheit auch auf kollektiven Garantien beruht, zu denen namentlich ein starker öffentlicher Gesundheitssektor gehört.

Wird die gegenwärtige Lage tatsächlich zu einem Wandel der ökonomischen Rahmenbedingungen führen?

Meiner Meinung nach ist die herrschende Ideologie durch die aktuellen Ereignisse stark ins Wanken geraten. Am 23. März zum Beispiel hat die Chefökonomin der OECD, Laurence Boone, in einem Beitrag in der Financial Times eine Position vertreten, die noch vor wenigen Wochen völlig undenkbar war. Sie schlägt vor, dass „die Steigerung der öffentlichen Ausgaben durch eine dauerhafte Erhöhung der Geldmenge finanziert werden sollte, die von den Zentralbanken geschaffen wird und die die schuldenfinanzierte Programme ersetzen könnte”. Und sie pocht darauf, dass „diese Vorgehensweise keine Inflationsängste schüren soll, solange das Wachstum unter seinen Möglichkeiten bleibt”. Mit anderen Worten, es geht darum, uns die finanziellen Mittel an die Hand zu geben, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der gegenwärtigen Krise zu heilen, ohne auf die Märkte zurückzugreifen und ohne die Staatsverschuldung zu erhöhen. Eine solche Aussage widerspricht völlig dem Dogma der „gesunden Finanzen”, das in Wirklichkeit darauf abzielt, dem Privatsektor ein Monopol auf die Finanzierung der Wirtschaft zu sichern. Kurzum verwirft sie das Argument, wonach die Staaten fiskalisch verantwortungsvoll handeln und keine „Schuldenlast für unsere Enkel” hinterlassen sollten, welches uns bis zum Überdruss zur Rechtfertigung der Sparpolitik und zur Kürzung öffentlicher Dienstleistungen serviert wird.

Um es ganz offen zu sagen: Es wäre unverantwortlich, jetzt, wo die Flugzeuge am Boden bleiben, den Luftverkehr wieder auf den Stand vor der Krise bringen zu wollen.

Im Grunde gibt eine solche Position der Modern Monetary Theory (MMT) Recht, die stets darauf betont, dass es keine finanziellen Zwänge für den Wohlstand gibt, sondern nur reale Zwänge. Die natürlichen Ressourcen, Fertigkeiten, Produktionsmittel und natürlich die Menschen, die für die Arbeit zur Verfügung stehen, sind die einzigen wirklichen Grenzen des kollektiven Reichtums.

Diese Krise schiebt also wirtschaftspolitische Instrumente in den Vordergrund, die bisher als obsolet galten. Insofern ist die Krise verständlicherweise eine Gelegenheit, ein für alle Mal mit dem Neoliberalismus zu brechen. Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen. Ohne soziale und politische Kämpfe wird sich nichts ändern. Und wenn wir uns die momentan locker gemachten Gelder betrachten, stellen wir fest, dass es wieder einmal die Finanzmärkte, der Bankensektor und die Großkonzerne sind, denen die größte Unterstützung seitens der Zentralbanken zuteil wird.

Das Ziel der Herrschenden ist nach wie vor, die Wirtschaft in ihrer jetzigen Struktur zu retten. Diese Struktur ist in erster Linie eine ungleiche, da die Priorität immer bei den Unternehmen und Investoren liegt und die Eindämmung der sozialen Verelendung erst an zweiter Stelle steht und für die Ärmsten das soziale Auffangnetz erhebliche Löcher aufweist. Daneben geht es um eine strukturelle Produktionsweise und der Staat wird sich niemals dazu hergeben, auf die Entscheidung, was wie produziert werden soll, Einfluss nehmen zu wollen.

Am Schlimmsten wäre es, weiterhin eine unterschiedslose Stützung der Wirtschaft zu betreiben, so wie nach 2008 nur ein Weiter so betrieben wurde und die staatlichen Behörden eine ins Wanken geratene Dominanz der Finanzwirtschaft unterstützt haben. Um es ganz offen zu sagen: Es wäre unverantwortlich, jetzt, wo die Flugzeuge am Boden bleiben, den Luftverkehr wieder auf den Stand vor der Krise bringen zu wollen. Dasselbe gilt für die Automobilindustrie oder für die Produktion von Pestiziden. Klar ist, dass der Schutz der Beschäftigten Vorrang haben muss. Unmittelbar danach muss es um die Umstrukturierung der schädlichen Wirtschaftssektoren und ein Investitions- und Entwicklungsplan für die Industriezweige gehen, die momentan als lebenswichtig gelten.

Die jetzt verschwenderisch eingesetzten Mittel zeigen, dass man sehr wohl massiv und gezielt in die Wirtschaft eingreifen kann. Die politische Dringlichkeit besteht darin, dafür zu sorgen, dass diese „leichte Hand“ eine Gelegenheit darstellt, die Wirtschaftsentwicklung in neue Bahnen zu lenken, nämlich in einen wieder gestärkten öffentlichen Dienst, in nützliche und hochwertige Arbeitsplätze, in regionale statt globalisierte Produktion und in die Erhaltung der Biosphäre. Kurzum, geht es bei dieser Krise nicht darum, die Wirtschaft zu retten, sondern ihre Transformation zu planen.

Cédric Durand ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des Redaktionskomitees von Contretemps.

Übersetzung: MiWe

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