Ein neuer Zyklus
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Zum Wahlausgang in Portugal

Ein neuer Zyklus

Von Francisco Louçã | 19.02.2022

Redaktionelle Vorbemerkung: Die Sozialistische Partei (PS) hat schon 2019 mit der „Geringonça“, der alten „Klapperkiste“, als welche die Minderheitsregierung der Sozialisten, gestützt auf den Bloco de Esquerda und die PCP, gern bespöttelt wurde, gebrochen. Seitdem hat sie versucht, nicht weiter mit dem Linksblock und der PCP verhandeln zu müssen. Das ist der Hintergrund, vor dem die Wahl vom 30. Januar 2022 stattfand. Sie ist somit aus einer künstlich erzeugten politischen Krise hervorgegangen, die von der PS geschaffen wurde, im Zuge einer erfolgreichen Strategie der Bipolarisierung und der „nützlichen Abstimmung“ gegen die Rechte. Bei den Wahlen erreichte die PS eine absolute Mehrheit.

Die Wahlen vom 30. Januar 2022 in Portugal brachten der Sozialistischen Partei eine absolute Mehrheit der Abgeordneten. Die Linke erlitt eine entscheidende Niederlage, sie wurde mitgerissen vom Phantom einer Bipolarisierung, die sich zwar in den Umfragen angekündigt hatte, sich aber als falsch herausstellte. Die traditionelle Rechte (PSD) erlitt eine weitere Niederlage und hat es versäumt, Stimmen auf sich ziehen – stattdessen ebnete sie den Weg für die neue und alte extreme Rechte, für Chega! und Iniciativa Liberal.

Die Linken als Hebamme für die Sozialistische Partei Portugals

Die Umfragen der letzten Tage vor den Wahlen hatten ein Unentschieden zwischen den Sozialisten und den Konservativen der PSD angedeutet. Damit rückte – im Rahmen einer möglichen Koalition von PSD, Chega! (die populistische und rassistische extreme Rechte) und der Liberalen Initiative (radikale liberale Rechte) – das Ende des nationalen Mindestlohns und andere „Gräueltaten“ in greifbare Nähe. Also rannten die Leute der Linken los, um für die Sozialistische Partei zu stimmen. Aber am Wahlabend entdeckten sie dann und erschraken darüber, dass der Abstand zwischen PS und der PSD immerhin 13 Prozentpunkte betrug. So waren sie Hebammen der absoluten Mehrheit geworden, welche die PS zuletzt 2005 unter José Sócrates erreicht hatte. Das Ergebnis war geprägt von Wahlreisen in letzter Minute und der Polarisierung der Kernwählerschaft hinter António Costa.

Obwohl wir immer noch immer die Auswirkungen der Pandemie erleben und 10 % der Bevölkerung isoliert sind, stieg die Wahlbeteiligung (58 % der Stimmen in der nationalen Gesamtzahl, in einigen Fällen sogar eine noch höhere Wahlbeteiligung, wie in Lissabon mit 62 %). Die PS wuchs um 350.000 Stimmen, die Linke hingegen fiel von rund 900.000 auf knapp 500.000 Stimmen. In diesem Streit erwies sich nun die „nützliche“ Abstimmung als fatal: Der Bloco de Esquerda verlor die Hälfte seiner Wählerbasis und purzelte von 19 auf 5 Abgeordnete; die Kommunistische Partei Portugals fuhr das schlechteste Ergebnis in Bezug auf Stimmen und Mandate ein (sie verlor die Hälfte ihrer Abgeordneten, einige darunter waren wichtige Bezugspunkte). Die Grünen (ein Satellit der kommunistischen Koalition CDU) und der CDS-Volkspartei (traditionelle konservative Rechte) verschwanden aus dem Parlament. Die PAN Nature Animal People (die animalistische und liberale Ökologiepartei) wurde von vier auf einen Abgeordneten reduziert und die Livre (föderalistische Grüne) behielt ein Mandat.

Die Konfrontation nimmt neue Konturen an

Das Parlament weist somit nunmehr weniger Linke und weniger Parteien auf. Für den Bloco de Esquerda wird der neue Zyklus daher einer der Mobilisierung sozialer Kämpfe sein, um auf den vollzogenen Bruch des Landes zu antworten, den Bruch im Gesundheitssystem, in Bezug auf das Prekariat, auch in Bezug auf die Gleichberechtigung und den Klimawandel. Der Kampf um die führende Rolle einer soliden parlamentarischen Opposition ist so grundlegend wie eh und je, aber die soziale Konfrontation nimmt neue Konturen an, da es in den kommenden vier Jahren darum gehen wird, eine größere soziale und militante Basis zu mobilisieren. Dies wird der Weg sein, um sich der absoluten Mehrheit entgegenzustellen, die in Portugal immer autoritäre Regierungen und eine Gesellschaft hervorgebracht hat, die anfälliger für Wirtschaftspotentaten ist.

Manche werden in diesen Ergebnissen nachträglich ein Scheitern des „portugiesischen Modells“ erkennen (das, weil portugiesisch, nie ein Modell sein wollte), das aus einer parlamentarischen Vereinbarung zwischen der Linken und der PS bestand, wobei aber die Linke nicht an der Regierung beteiligt war, als Ausdruck der programmatischen Unterschiede und der Art der Gestaltung.

Damit die Debatte darüber rigoros geführt wird, sollte beachtet werden, dass diese parlamentarische Vereinbarung 2015 unterzeichnet wurde und schon 2019 endete. Bei den Wahlen 2019 behielt der Linksblock seine 19 Abgeordneten. Aber schon am nächsten Tag lehnte die Sozialistische Partei jenen Vertrag für weitere vier Jahre ab, den der Bloco vorgeschlagen hatte, womit die „alte Klapperkiste“ eigentlich schon beendet war. Vor diesem Hintergrund hat der Linksblock nach zwei Jahren der Opposition gegen zwei Staatshaushalte gestimmt, während die PCP nur gegen den letzten gestimmt hat. Der Linksblock hatte bereits früher angemessene Antworten auf die soziale Notlage, insbesondere im Gesundheitswesen vermisst, woraus diese Konfrontation und diese Wahlniederlage erwuchsen.

Somit fanden diese Wahlen nach zwei Jahren statt, in welchen die Sozialistische Partei parlamentarische Vereinbarungen im Namen von Fortschritten im Gesundheitswesen, im Arbeitsrecht oder als Reaktion auf die Krise abgelehnt hat, um sich die Linke zu unterwerfen. Die Unnachgiebigkeit, die zum Zusammenbruch des Staatshaushalts führte, und die daraus resultierende künstliche politische Krise, waren eine erfolgreiche Strategie der Bipolarisierung und des „nützlichen Votums“ gegen rechts. Die Agentur Fitch beeilte sich, den Sieg der PS zu bejubeln und verkündete, dass diese Partei dem Druck der Linken nicht nachgeben würde, das Arbeitsgesetz zu ändern oder den öffentlichen Gesundheitsdienst auszubauen.

Auf der Rechten hat sich die Landkarte verändert. Es ist bequem für Chega! und IL, den Impuls des Erfolgs in der Opposition wahrzunehmen, ohne dass ihre Politik auf die Probe gestellt wird: Die Mischung aus Propaganda und Aggressivität hat damit freies Feld. Der Orientierungs- und Führungswechsel der PSD wird von dieser neuen Landkarte beeinflusst, wodurch eine Annäherung von alten und neuen Rechtsextremen wahrscheinlicher wird. Right goes right, so lautet das Gesetz von Trump.

Der Zyklus der absoluten Mehrheit für die nächsten vier Jahre stellt vor allem in zwei Bereichen eine Gefahr dar: Zunächst im öffentlichen Dienst – hier besteht ein Antagonismus zwischen der Sozialistischen Partei und dem öffentlichen Schulsystem, zudem engagiert sich die PS für den Schutz des privaten Gesundheitssystems; und die Gefahr besteht auch in Bezug auf die Wirtschaft, wenn man bedenkt, dass die PS die Geschäfte großer Unternehmen abschirmt und das Steuersystem dazu nutzt, um Ressourcen in Kapital umzuwandeln, was sie wiederum tut, um z. B. die Erhöhung des Mindestlohns zu kompensieren.

Die Inflation, auch wenn sie sich erst seit kurzem auswirkt, lässt bereits die Arbeitseinkommen erodieren, in vielen Fällen besteht eine Bestrafung durch die steigenden Wohnkosten. Daher wird sich die Vormachtstellung oder die Erosion dieser absoluten Mehrheit erneut im gesellschaftlichen Leben abspielen. António Costa, der den Höhepunkt seiner Macht erreicht hat, sieht sich nun all den Schwierigkeiten gegenüber, die er selbst geschaffen, ignoriert oder vergrößert hat. Die Linke unsererseits muss ihre Stärke auf der Kraft ihrer Mobilisierung aufbauen und sich der absoluten Mehrheit stellen.

Die Wahlergebnisse:

PS: 41,68 % – 117 Abgeordnete (2.246.637 Stimmen)

PSD: 27,80 % – 71 (1.498.605)

Chega!: 7,15 % – 12 (385.559)

IL: 4,98 % – 8 (268.414)

Bloco de Esquerda (BE): 4,46 % – 5 (240.265)

PCP-PEV: 4,39 % – 6 (236.635)

PAN: 1,53 % – 1 (82.250)

Livre (écologiste): 1,28 % –1 (68. 975)

PSD-CDS-PP: 0,94 % – 3 (50.634)

CDS-PP-PPM: 0,53 – 2 (28.520)

Gesamt: 226 Abgeordnete

Stimmenthaltung: 42,04 %

Quelle:

https://www.insurgencia.org/blog/francisco-louca-portugal-um-novo-ciclo?categoryId=163386

Der Text wurde zuerst in Castellano unter https://vientosur.info/portugal-en-el-ciclo-de-la-mayoria-absoluta-del-ps/ veröffentlicht.

Deutsche Übersetzung von Michael Rieger.

Francisco Louçã, Wirtschaftswissenschaftler, Autor, Gründungsmitglied und langjähriger Koordinator des Bloco de Esquerda (Linksblock).

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