Soziale Front statt „Sozialpartnerschaft“

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Betrieb & Gewerkschaft

Soziale Front statt „Sozialpartnerschaft“

Von H.N. | 09.06.2020

Schein­bar ist COVID-19 in Deutsch­land auf dem Rück­zug, aber die Bedro­hung durch das Virus ist nicht ver­schwun­den. Die Todes­zah­len stei­gen – wenn auch ver­lang­samt – wei­ter an. Unser gesell­schaft­li­cher Akti­ons­plan bedarf also einer wei­te­ren Aktua­li­sie­rung. Ein ande­res Virus über­la­gert der­zeit aber immer mehr die Fra­ge des Gesund­heits­schut­zes – das Pro­fit­vi­rus. Die Angrif­fe ent­schei­den­der Kapi­tal­frak­tio­nen neh­men zu.

Vor allem in der Auto­in­dus­trie und bei den Zulie­fer­fir­men geht es infol­ge der Kri­se rund. Die Bran­che gilt als Deutsch­lands Schlüs­sel­in­dus­trie. Ein­schließ­lich der von ihr abhän­gi­gen Berei­che arbei­ten dort rund 2 Mil­lio­nen Beschäf­tig­te.

Laut Anga­ben der IG Metall sind rund 10 Pro­zent der Bran­chen- betrie­be bereits jetzt akut von Insol­venz bedroht. Über 100.000 Beschäf­tig­te könn­ten in naher Zukunft erwerbs­los wer­den.
Hin­zu kommt die „Trans­for­ma­ti­on“ vom Ver­bren­nungs­mo­tor zum Elek­tro­an­trieb in Ver­bin­dung mit der „Digi­ta­li­sie­rung“. Sie wird den Kraft­fahr­zeug­bau in den nächs­ten Jah­ren mas­siv ver­än­dern.

Hand­lungs­fä­hig­keit der IGM gefähr­det

Die mit über 2,2 Mil­lio­nen Mit­glie­dern größ­te Ein­zel­ge­werk­schaft welt­weit, die IG Metall, steht vor der Fra­ge, ob sie in Zukunft noch hand­lungs­fä­hig sein wird – oder nicht.

Was ist die Ant­wort der IGM-Spit­ze auf die­se für den gesam­ten DGB exis­ten­ti­el­le Her­aus­for­de­rung? Auf der einen Sei­te die auf dem Gewerk­schafts­tag 2019 beschlos­se­ne Ori­en­tie­rung unter dem Mot­to „Die IG Metall vom Betrieb aus den­ken“. Sie ist bis­her nicht wirk­lich in die Gän­ge gekom­men.

Auf der ande­ren Sei­te der Ruf nach der „Ver­nunft“ der „Sozi­al­part­ner“ und – in ziem­lich bes­ter Ein­tracht mit dem Kapi­tal – die For­de­rung nach einer mil­li­ar­den­schwe­ren Abwrack­prä­mie 2.0. Sie soll nach Pfings­ten kom­men, obwohl sie die erfor­der­li­che Ver­kehrs­wen­de noch mehr blo­ckiert.

Im Prin­zip ist das die glei­che Gewerk­schafts­po­li­tik wie 2009 nach der „Finanz­kri­se“. Sie hat zwar damals die IGM vor dem Absturz bei den Mit­glie­der­zah­len bewahrt. Aber sie hat nicht die Ero­si­on ihrer poli­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Hand­lungs­macht gestoppt. Im Gegen­teil!

Das Bei­spiel ZF

Das aktu­el­le Bei­spiel des Auto­zu­lie­fe­rers ZF zeigt, wie gelähmt die IG Metall der­zeit selbst in ihrem Vor­zei­ge­be­zirk Baden-Würt­tem­berg ist.

ZF will bis zu 15.000 Arbeits­plät­ze welt­weit, davon die Hälf­te in Deutsch­land, in den nächs­ten Jah­ren ver­nich­ten. Für den Kon­zern arbei­ten aktu­ell rund 148.000 Men­schen, fast 51.000 davon im Inland. Bis Ende 2022 sind betriebs­be­ding­te Kün­di­gun­gen in den meis­ten Wer­ken offi­zi­ell noch aus­ge­schlos­sen.

Das Manage­ment ver­sucht aber natür­lich, mit den Abbau­plä­nen Druck auf die Betriebs­rä­te und die Gewerk­schaf­ten aus­zu­üben. Zudem will es die mil­li­ar­den­schwe­ren Über­nah­me­kre­di­te für den Erwerb der Unter­neh­men TRW und Wab­co nicht gefähr­den. Die­se sind näm­lich übli­cher­wei­se an das Errei­chen von Kenn­zah­len – meist des ope­ra­ti­ven Gewinns – geknüpft.

Pikant an der Ange­le­gen­heit ist, dass ZF über zwei Stif­tun­gen prak­tisch der Stadt Fried­richs­ha­fen gehört. Stell­ver­tre­ten­der Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der ist Roman Zit­zels­ber­ger, der IGM-Bezirks­lei­ter von Baden-Würt­tem­berg.

Bei der vir­tu­el­len Funk­tio­närs­kon­fe­renz der IGM Baden-Würt­tem­berg am 28. Mai 2020 war die Zuspit­zung bei ZF erstaun­li­cher­wei­se kein The­ma, obwohl dort neben Zit­zels­ber­ger auch der Vor­sit­zen­de des Gesamt­be­triebs­rats von ZF zu Wort kam.

Suche nach der IGM-Stra­te­gie

Die Zei­chen ste­hen nicht nur bei ZF auf Sturm. Umso gefähr­li­cher ist es, dass offen­bar die IGM-Füh­rung der­zeit über kei­ne erkenn­ba­re Stra­te­gie der Gegen­wehr ver­fügt.

Statt des Traums von der Sozi­al­part­ner­schaft ist jetzt der Auf­bau einer sozia­len Front der Gegen­macht ange­sagt. Das erfor­dert sowohl bei den haupt- als auch den ehren­amt­li­chen Gewerk­schaf­te­rIn­nen einen Bruch mit der Logik der Pro­fit­ma­xi­mie­rung.

Das bedeu­tet zum Bei­spiel, die Ein­hal­tung von Arti­kel 14 des Grund­ge­set­zes ein­zu­for­dern („Eigen­tum ver­pflich­tet“) und für das Ver­bot von Ent­las­sun­gen zu kämp­fen – wie es vor kur­zem erst von IGM und Betriebs­rat bei Bopp & Reu­ther in Mann­heim ver­ein­bart wor­den ist. Das bedeu­tet fer­ner, die Offen­le­gung aller Geschäfts­zah­len und Unter­neh­mens­stra­te­gien ein­zu­for­dern sowie öko­lo­gi­sche und gesell­schaft­lich sinn­vol­le Pro­duk­ti­ons­um­stel­lun­gen zu ent­wi­ckeln und durch­zu­set­zen.

Kurz­um: Es geht per­spek­ti­visch um nicht weni­ger als um die Fra­ge, ob die Wirt­schaft der Gesell­schaft dient oder dem Pro­fit. Und es geht um die Zukunft der IG Metall und damit um das grund­le­gen­de Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen Kapi­tal und Arbeit hier­zu­lan­de.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Seite der ISO-Rhein-Neckar.

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