Aktivist:innen der russischen Antikriegsbewegung haben seit einigen Monaten an einer neuen Plattform gearbeitet. Anfang Juni ist sie unter dem Namen „После/Posle“ (nach, danach) online gegangen ‒ https://posle.media.
Nach offiziellen Angaben sind seit Beginn der Invasion der Ukraine von der staatlichen russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor (RKN) 138 000 in- und ausländische Webseiten blockiert oder gelöscht worden; dies hat Igor Krasnow, seit Januar 2020 Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation im Rang eines „Generalleutnants der Justiz“, der Wirtschaftszeitung Kommersant mitgeteilt.[i]
Unter solchen Bedingungen wollen die Initiator:innen von Posle eine Plattform für Debatten bieten. Sie benennen ihre Ziele mit diesen Worten: „Als ein Team von gleichgesinnten Verfasser:innen verurteilen wir den Krieg, der eine humanitäre Katastrophe ausgelöst, kolossale Zerstörungen angerichtet und zu Massakern an Zivilist:innen in der Ukraine geführt hat. Dieser Krieg hat in Russland eine Welle der Repression und Zensur ausgelöst. Als Teil der Linken können wir diesen Krieg nicht losgelöst von der immensen sozialen Ungleichheit und der Ohnmacht der arbeitenden Mehrheit betrachten. (…) Unsere Plattform will die Struktur dieser Probleme untersuchen und sich einen Ausweg vorstellen. Posle ist offen für Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen und Zeitzeugen ‒ für alle, die die Gegenwart verstehen und über die Zukunft nachdenken wollen.“[ii]
Die kritische sozialistische Linke in Russland ist weitgehend zum Schweigen gebracht worden, ihre Organisationen können kaum legal und offen arbeiten, viele Aktivist:innen sind ins Exil gegangen oder überlegen das. Das gilt auch und nicht zuletzt für unsere Genoss:innen von der Russländischen Sozialistischen Bewegung (Rossiskoje Sozialistitscheskoje Dwishenije, RSD), die mit der Vierten Internationale zusammenarbeitet.
Ilja Budraizkis, ein führendes Mitglied der RSD und Redaktionsmitglied von Posle, hat das Vorhaben so beschrieben: „Unser neues Projekt ist unzensiert. Wir werden über den Krieg sprechen; wir werden den Krieg, seine Ursachen und seinen Verlauf analysieren. Wir werden über die Position sprechen, die die Linke gegen die russische Aggression und Propaganda einnehmen kann.“
„,Posleʻ ist eine offene Plattform, auf der nicht nur die Erklärungen unserer Kollektivmitglieder zu finden sein werden, sondern auch eine Vielzahl von Stimmen, z. B. die der ukrainischen Linken, von denen sich viele jetzt am Widerstand gegen die russische Aggression beteiligen. Es ist auch sehr wichtig, dass unsere Seite zweisprachig sein wird ‒ fast das gesamte Material, das sie enthalten wird, wird auch auf Englisch gebracht werden. Wir sind offen für ein internationales linkes Publikum, das derzeit einen akuten Mangel an Informationen über die Geschehnisse in der Ukraine verspürt und das jetzt die Position der russischen und ukrainischen Linken hören sollte.“[iii]
Ebenso wie die sozialistische Bewegung in der Ukraine
verdient die russische Antikriegsbewegung im Lande und im Exil unsere
Solidarität.
[i]
http://recentr.com/2022/08/15/russische-behoerden-haben-rund-138-000-websites-gesperrt-oder-geloescht-seit-invasion/
Über Roskomnadsor, den „Föderalen Dienst für die Aufsicht im Bereich der
Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation“: https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6deraler_Dienst_f%C3%BCr_die_Aufsicht_im_Bereich_der_Kommunikation,_Informationstechnologie_und_Massenkommunikation
[ii] „O nas“, https://posle.media/o-nas/; „About us“, https://posle.media/language/en/elementor-209/; „Russian activists reflect on the war and its consequences“, https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7684.
[iii]
Gespräch mit einem Redaktionsmitglied der russischen Online-Publikation „черта/Tscherta“
(Strich, Linie), 2. Juni 2022, https://cherta.media/interview/pravo-na-samoopredelenie/
Auf Englisch: „The right to self-determination is something the left has always
defended“, https://internationalviewpoint.org/spip.php?article7699.