Polizist*innen sind keine Arbeiter*innen, sondern Agent*innen der Repression
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Polizist*innen sind keine Arbeiter*innen, sondern Agent*innen der Repression

Von Cinzia Arruzza | 03.07.2020

Die Black Lives Matter-Rebellion entwickelt sich zu einer Bewegung, die nicht nur Gerechtigkeit für die Opfer von Polizeigewalt fordert, sondern dem Polizeiapparat insgesamt die Finanzierung entziehen und ihn schliesslich abschaffen will („defund and abolish the police“). Mittlerweile hat sich die öffentliche Debatte über die gesellschaftliche Funktion der Polizei, und was mit ihr zu tun sei, auf weitere Länder ausgedehnt. Dabei wird auch zunehmend die Legitimität von Polizei„gewerkschaften“ in Frage gestellt. Denn Bullen sind keine Arbeiter*innen, also verdienen sie auch keine Gewerkschaften. (Red.)

aus Spectre Journal, übersetzt durch bfs

Beginnen wir mit einem kleinen Gedankenspiel. Stellt euch die typische Situation einer High School in einem Film oder einer Fernsehsendung über das Erwachsenwerden vor. Es gibt die Mobber*innen (engl. bullyies), die nicht nur diejenigen quälen, die allgemein als schwächer empfunden werden, sondern auch eine besondere Vorliebe dafür haben, ethnische Minderheiten, Mädchen und queere Menschen ins Visier zu nehmen. Dann gibt es die Nerds, die queeren Schüler*innen, die ethnischen Minderheiten, die „Loser“-Typen und so weiter. Stellt euch vor, dass in einer plötzlichen Aufruhr von Aktivitäten verschiedene Gruppen beschliessen, Fraktionssitzungen und Clubs zu organisieren: Die Streber*innen wollen bessere Bibliotheken und Ressourcen haben und organisieren zu diesem Zweck einen Buchclub und stellen Forderungen an die Schulleitung; Mädchen und queere Menschen, die genug von Sexismus in der Schule haben, beschliessen, eine Fraktion zu bilden, um die Schüler*innenschaft zu sensibilisieren; die Schüler*innen, die sich einer ethnischen Minderheit angehörig fühlen, beschliessen, sich zu organisieren, um sich vor Rassismus zu schützen und rassistische Lehrpläne in der Schule anzufechten.

Nun beschliessen auch die Mobber*innen, sich zusammenzutun, um eine „Mobber*innen-Vereinigung“ zu gründen: wie alle anderen behaupten sie, dass sie genauso das Recht hätten, sich zu organisieren, damit sie ihre Interessen vertreten können – zum Beispiel vor Vergeltungsmassnahmen durch die Schulleitung oder durch andere Schüler*innen. Ausserdem wollen sie in Kontakt mit den anderen Fraktionen, Kollektiven und Gruppen treten, weil sie gerne ein Bündnis mit den anderen gründen wollen. Als Basis für dieses Bündnis bezeichnen sie die Tatsache, dass sie alle Schüler*innen seien und dieselben sozialen Bedingungen teilten.

Linke Illusionen über Polizist*innen und Polizei„gewerkschaften“

Hört sich das absurd genug an? Doch dieses Gedankenexperiment ist gar nicht so weit von der Realität dessen entfernt, was eine Polizei„gewerkschaft“ ist: eine Gewerkschaft von Mobber*innen, die zusammengekommen sind, um weiter ungestört Leute zu schikanieren. Bei Zweifeln an dieser sehr leichten Gleichung zwischen Polizist*innen und Mobber*innen kann es hilfreich sein zu schauen, was ein*e durchschnittliche*r Polizeibeamt*in beispielsweise über Rechenschaftspflicht, Rassismus und Trump denkt.

In meinem Gedankenspiel sind die Fraktionen und Kollektive nicht damit einverstanden, sich mit der „Mobber*innen -Vereinigung“ zusammenzuschliessen. Also würden die Mobber*innen weggewiesen werden und die anderen würden sich sehr wahrscheinlich auf ihre Selbstverteidigung (vor den Mobber*innen) vorbereiten. Aber die Realität ist oft absurder als ein Gedankenspiel, das auf rationalen, interessenorientierten Entscheidungen beruht. So kam es, dass in 1979 die „International Union of Police Associations“ (ILPA), welche über 100’000 Mitarbeiter*innen von Strafverfolgungsbehörden und medizinisches Notfallpersonal repräsentiert, dem grössten Gewerkschaftsbund der USA beitrat, dem „American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations“ (AFL-CIO). Bis jetzt hat sich die AFL-CIO geweigert, die „International Union of Police Associations“ auszuschliessen, obschon mehrere Aufforderungen geäussert wurden, auch aus den eigenen Reihen – insbesondere nach der Black Lives Matter-Bewegung von 2014-2015.

Aber die Verwirrung in dieser Angelegenheit betrifft nicht nur die organisierte Arbeiter*innenschaft. Während den „Occupy-Protesten“ 2011 waren viele versucht, Polizist*innen zu den 99% zu zählen, und so hörten wir Sprechchöre, um sie einzuladen, sich dem Kampf gegen die 1% anzuschliessen: dieselben Polizist*innen, die Schwarze und People of Color im Rahmen von routinemässigen Polizeikontrollen brutal behandelten und die bald darauf damit beginnen sollten, „Occupiers“ im ganzen Land zu verprügeln und zu vertreiben.

Vor weniger als drei Jahren wurde Danny Fetonte, ein Mitarbeiter der „Combined Law Enforcement Associations of Texas“ (2009-2014), in das „National Political Committee“ (NPC) der DSA gewählt [Leitungsgremium der Democratic Socialists of America, Anm. d. Red.]. Als antirassistische Aktivisti*innen innerhalb der Organisation an Informationen über Fetontes frühere Beteiligung an der Strafverfolgung gelangten, die er vor seiner Wahl nicht offengelegt hatte, verlangten sie berechtigterweise die Entfernung Fetontes aus dem NPC. Dies hätte ein Kinderspiel sein sollen, denn, wie diese Aktivist*innen ebenfalls herausfanden, war Fetonte mit dran beteiligt, der Polizeivereinigung zur Macht zu verhelfen, die von Killerbullen zur Deckung ihrer Taten benutzt wurde. Fetonte organisierte die „Bexar County Sheriff-Deputies“ und handelte erfolgreich einen Vertrag aus, der es den Beamt*innen, gegen die ermittelt wird, erlaubt, alle Beweise einzusehen, bevor sie eine Stellungnahme abgeben. Beamt*innen des von Fetonte organisierten Departements nutzten den von ihm ausgehandelten Vertrag, um alle Beweise gegen sie einzusehen, nachdem sie einen Mann erschossen und getötet hatten. Dann gaben sie Stellungnahmen ab, in denen die Tatsache ausgelassen wurde, dass der Mann, den sie erschossen hatten, die Hände oben hatte. Dennoch weigerte sich die Mehrheit des NPC wiederholt, diese Massnahme zu ergreifen, mit der angeblichen Begründung, dass die DSA Gewerkschaften unterstützt, und dass Polizei„gewerkschaften“ ein demokratisierendes Instrument gegen Polizeibrutalität sein können.

Polizist*innen sind keine Arbeiter*innen

Diesen Positionen liegt ein grundlegender analytischer Fehler zugrunde: Polizist*innen und ihre Gewerkschaftsmitarbeitenden sind keine „Arbeiter*innen in Uniform“, sondern Teil des repressiven Staatsapparats. Die grundlegende Rolle der Polizei ist der Schutz der Eigentumsverhältnisse, eine Schlüsselfunktion des kapitalistischen Staates: Diese Rolle wird von den Polizist*innen frei gewählt, und stellt oft eine Berufung dar. Polizist*in zu werden ist in der Regel kein zwangsläufiger, von der Notwendigkeit bestimmter Zweck, um beispielsweise Zugang zu höherer Bildung oder Leistungen des Gesundheitswesens zu erhalten; es ist vielmehr eine Verpflichtung gegenüber einem Beruf. Ob man bereits ein*e Mobber*in ist, bevor man sich der Strafverfolgung anschliesst, ist oft irrelevant, denn eine*n Mobber*in zu werden, ist die Voraussetzung für den Beruf: Wer diese Rolle am Ende ablehnt, wird in der Regel ganz aus dem Polizeidienst verdrängt. Und so hat die Tatsache, dass Polizist*innen von ihrem Lohn leben – genauso wie die Angestellten von Amazon – keinerlei Auswirkungen auf die soziale und politische Rolle, die sie objektiv spielen. Trotz all unserer gegenteiligen Illusionen sind sie keine Amazon-Arbeiter*innen.

Aber angesichts der besonderen sozialen und politischen Rolle der Polizei im repressiven Staatsapparat führt dies unweigerlich dazu, dass Polizei„gewerkschaften“ Polizeibeamt*innen vor der Rechenschaftspflicht schützt und sie somit in die Lage versetzt, nach Belieben zu töten und brutal vorzugehen.

en Polizist*innen, die Schwarze und People of Color im Rahmen von routinemässigen Polizeikontrollen brutal behandelten und die bald darauf damit beginnen sollten, „Occupiers“ im ganzen Land zu verprügeln und zu vertreiben.

Vor weniger als drei Jahren wurde Danny Fetonte, ein Mitarbeiter der „Combined Law Enforcement Associations of Texas“ (2009-2014), in das „National Political Committee“ (NPC) der DSA gewählt [Leitungsgremium der Democratic Socialists of America, Anm. d. Red.]. Als antirassistische Aktivisti*innen innerhalb der Organisation an Informationen über Fetontes frühere Beteiligung an der Strafverfolgung gelangten, die er vor seiner Wahl nicht offengelegt hatte, verlangten sie berechtigterweise die Entfernung Fetontes aus dem NPC. Dies hätte ein Kinderspiel sein sollen, denn, wie diese Aktivist*innen ebenfalls herausfanden, war Fetonte mit dran beteiligt, der Polizeivereinigung zur Macht zu verhelfen, die von Killerbullen zur Deckung ihrer Taten benutzt wurde. Fetonte organisierte die „Bexar County Sheriff-Deputies“ und handelte erfolgreich einen Vertrag aus, der es den Beamt*innen, gegen die ermittelt wird, erlaubt, alle Beweise einzusehen, bevor sie eine Stellungnahme abgeben. Beamt*innen des von Fetonte organisierten Departements nutzten den von ihm ausgehandelten Vertrag, um alle Beweise gegen sie einzusehen, nachdem sie einen Mann erschossen und getötet hatten. Dann gaben sie Stellungnahmen ab, in denen die Tatsache ausgelassen wurde, dass der Mann, den sie erschossen hatten, die Hände oben hatte. Dennoch weigerte sich die Mehrheit des NPC wiederholt, diese Massnahme zu ergreifen, mit der angeblichen Begründung, dass die DSA Gewerkschaften unterstützt, und dass Polizei„gewerkschaften“ ein demokratisierendes Instrument gegen Polizeibrutalität sein können.

Der Erhalt eines Lohnes ist ein äusserst unzureichender Indikator für die Klassenzugehörigkeit.

Abgesehen von diesem ziemlich offensichtlichen Punkt gibt es auch überwältigende empirische Beweise für die absolut negative Rolle, die Polizei„gewerkschaften“ dabei spielen, wenn es darum geht, auch nur geringfügige Reformversuche zu verhindern und die Polizeibehörden von der Rechenschaftspflicht auszunehmen. Daten aus dem Jahr 2016 zeigen, dass es landesweit rund 18’000 Polizeibehörden gibt, die mehr als 1,1 Millionen Menschen beschäftigen, von denen 750’000 vereidigte Beamt*innen sind. In einem Land, in dem nur rund 12% der Arbeiter*innenschaft gewerkschaftlich organisiert ist, haben Polizeibeamt*innen eine der höchsten gewerkschaftlichen Organisationsrate. Neben der ILPA gibt es zum Beispiel die „Fraternal Order of Police“ (welche Trump im Jahr 2016 unterstützte) mit 340’000 Mitgliedern, die „National Association of Police Organizations“ und dann eine Unzahl von Verbänden auf städtischer Ebene.

Auf formaler Ebene verstehen die Polizei„gewerkschaften“ ihre Rolle als gleichwertig mit der Rolle der Gewerkschaften: Sie schützen die Interessen ihrer Mitglieder vor dem Management und vor hierarchischen Exzessen innerhalb der Polizeiverwaltung. Aber angesichts der besonderen sozialen und politischen Rolle der Polizei im repressiven Staatsapparat führt dies unweigerlich dazu, dass sie Polizeibeamt*innen vor der Rechenschaftspflicht schützt und sie somit in die Lage versetzt, nach Belieben zu töten und brutal vorzugehen. Dies ist wiederum der Fall, weil Polizist*innen keine Arbeiter*innen sind: Der Erhalt eines Lohnes ist ein äusserst unzureichender Indikator für die Klassenzugehörigkeit.

[auch ein CEO ist kein*e Arbeiter*in, auch wenn er*sie einen Lohn
erhält; Anm. d. Red.]

Polizei„gewerkschaften“ schützen Verbrecher*innen

Die Verträge der Polizei„gewerkschaften“ enthalten in der Regel eine Reihe von Vorschriften, die Transparenz und Rechenschaftspflicht zu einem Trugbild machen: Vorschriften, die die Untersuchung von Fehlverhalten verlangsamen, den öffentlichen Zugang zu Beschwerden und Disziplinarakten verhindern. Besondere Verfahrensschutzmassnahmen für Beamt*innen bieten Beschränkungen, die festlegen, inwiefern Beschwerden nachgegangen wird, die die zivile Aufsicht limitieren usw. Wie kürzlich von der New York Times dokumentiert wurde, haben Polizei„gewerkschaften“ darüber hinaus aktiv und erfolgreich Lobbyarbeit bei Gesetzgeber*innen betrieben, um Gesetzesvorschläge und konkrete Massnahmen für eine Polizeireform zu stoppen oder zu verlangsamen, auch wenn die meisten dieser Reformvorschläge eher milde und eher eine Frage der Kosmetik waren.

Was dies konkret bedeutet, lässt sich besser durch Zahlen ausdrücken. Zwischen 2005 und 2015 wurden nur 110 Strafverfolgungsbeamt*innen wegen Mordes oder Totschlags in einer Schiesserei im Dienst angeklagt, und nur fünf wurden wegen Mordes verurteilt, obwohl jährlich rund 1’000 Menschen von der Polizei tödlich erschossen werden. Von diesen wurden nur 42 Beamt*innen verurteilt, während 50 freigesprochen wurden und 18 Fälle noch anstehend sind.

Nach der Erschiessung von Michael Brown in Ferguson 2014 gaben Polizei„gewerkschaften“ in vielen Städten, von NYC bis Chicago, öffentliche Erklärungen zur Verteidigung von Polizeibeamt*innen ab, die der Polizeibrutalität beschuldigt wurden. Sie kritisierten auch die von Obama geförderte Einführung von Körperkameras, die sich im Übrigen als nutzlos erwiesen haben. Auf den sozialen Aufstand nach dem schrecklichen Mord an George Floyd reagierten sie nicht sehr anders. Und doch ist Chauvin der Würger (Derek Chauvin) ein gutes Beispiel für die Art von Polizist*innen, die diese korporatistische Selbstverteidigung hervorbringt. Er wurde bereits mehrmals wegen Anwendung exzessiver Gewalt beschuldigt und war an zwei weiteren Schiessereien der Polizei beteiligt (darunter die Erschiessung einer Schwarzen Frau im Jahr 2008). Konsequenzen hatte dies für ihn keine. Wie überraschend ist es, dass er am Ende George Floyd kaltblütig vor den Kameras tötete?

Wie Tim Kelly in einem Artikel in der „New Republic“ argumentierte, sollte die AFL-CIO die ILPA sofort ausschließen, und wir sollten die Abschaffung der Polizei„gewerkschaften“ als Teil des Prozesses zur Abschaffung der Polizei fordern. Und zumindest sollten wir sofort aufhören, sie „Gewerkschaften“ zu nennen: Sie sind nicht besser als Mafiabanden, die sich selbst auf Kosten aller anderen schützen.

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