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Geschichte und Philosophie

Chile: Allendes Weg zum Sozialismus?

Von Ralf Schütz | 01.09.2003

Am 11. September 1973 wurde Chiles Präsident Allende vom Militär gestürzt. Es folgten Jahre des Terrors gegen alle organisierten Teile der ArbeiterInnenklasse, dem allein in den ersten Tagen 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Was war in den Jahren 1970-73 passiert?

Am 11. September 1973 wurde Chiles Präsident Allende vom Militär gestürzt. Es folgten Jahre des Terrors gegen alle organisierten Teile der ArbeiterInnenklasse, dem allein in den ersten Tagen 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Was war in den Jahren 1970-73 passiert?

Im Wahlkampf 1970 war Allende der Kandidat des linken Wahlbündnisses Unidad Popular (Volkseinheit), das aus mehreren linken Parteien bestand und die Unterstützung großer Teile der ArbeiterInnen und der Gewerkschaften hatte. Er versprach Verstaatlichungen, Lohnerhöhungen, Recht auf Mitbestimmung in den Betrieben und den Aufbau einer nationalen Industrie.

Allerdings hatte Allende auch die Unterstützung der chilenischen Christdemokraten, der Partei des Mittelstands. Also Aufbau des Sozialismus mit freundlicher Unterstützung der Kapitalisten?

Fast alles, was in Chile produziert wurde, war für den Export bestimmt, denn die Löhne waren sehr niedrig. Davon profitierte nur ein kleiner, aber mächtiger Teil der chilenischen Bourgeoisie, der eng mit dem ausländischen Kapital verbunden war.

Der größere Teil der chilenischen Kapitaleigner, die kleinen und mittleren „UnternehmerInnen”, wollten aber von einer gesteigerten Kaufkraft der ArbeiterInnen profitieren. Für die Schaffung eines eigenen chilenischen Marktes brauchten sie einen starken Bündnispartner – Allende hatte das Vertrauen der ArbeiterInnenklasse und schien daher genau der Richtige für diesen Job.
Sozialismus oder Kapitalismus
Ging es Allende also um den „Aufbau des Sozialismus” oder um die Schaffung eines Unternehmer-freundlichen Klimas in Chile? In seinen Reden konnte er noch gleichzeitig die Träume der UnternehmerInnen und der ArbeiterInnen nähren. Bald zeigte sich aber, auf wessen Seite er wirklich stand.

Die populäre Verstaatlichung großer US-amerikanischer Konzerne ließ sich Allende Hunderte Millionen US-Dollars an Entschädigungszahlungen kosten. Damit stürzte Chile in die Schuldenfalle und in die rasende Inflation.

Den ArbeiterInnen in den verstaatlichten Betrieben hatte er gleitenden Inflationsausgleich versprochen. Als sie ihn per Streik einforderten, bezeichnete Allende sie als Verräter am Sozialismus. Überall in den versprochenen Mitbestimmungs-Komitees sollten immer die StaatsvertreterInnen in der Mehrheit sein. So konnte Allende die ArbeiterInnen unter Kontrolle halten.

In vielen Fällen besetzten ArbeiterInnen ihren Betrieb, um die Verstaatlichung herbeizuführen. Allendes Antwort: Die Fabriken wurden von der Polizei geräumt und an ihre Besitzer zurückgegeben.

Nach 2 Jahren Regierungszeit waren nur 260 Betriebe in den wichtigsten Bereichen wie Bergbau, Banken und Versicherungen verstaatlicht. In Allendes Sozialismus sollten die meisten Kapitalisten gar nicht enteignet werden, und wo verstaatlicht wurde, hatten noch lange nicht die ArbeiterInnen das Sagen.

Allende weckte bei den ArbeiterInnen große Kampfkraft. Es gab viele Streiks zur Einforderung seiner Versprechungen, und linke Gruppen, die seine Maßnahmen als halbherzig kritisierten, hatten großen Zulauf. Aber Allende hatte die großen Organisationen wie die Gewerkschaften unter Kontrolle, die die Illusion von Allendes Parole „Mit Reformen zum Sozialismus” weiter schürten. So verlief viel Kampfkraft im Sande, und nach drei Jahren Streiks und Illusionen war die ArbeiterInnenklasse abgekämpft.

Erschrocken von den Kämpfen, hatte sich der Mittelstand von Allende abgewandt und wechselte in das Lager der Opposition. Jetzt war alle Augenwischerei vorbei: Die Gesellschaft war in zwei Lager gespalten, ArbeiterInnenklasse und Bourgeoisie.

Der Militärputsch kam nicht überraschend. Das Militär war ein Werkzeug in den Händen der chilenischen Bourgeoisie, die den Generälen um Pinochet freie Hand gegeben hatte. Um einen drohenden Putsch zu verhindern, beteiligte Allende eine Zeit lang drei Generäle an der Regierung – bis auch das Militär offen in die Opposition ging.

Allende wollte das Militär nicht abschaffen. Stattdessen forderte er in Radioansprachen die ArbeiterInnen dazu auf, wachsam zu sein, ansonsten aber abzuwarten und gegebenenfalls die „Revolution” zu verteidigen. Mit was, sagte er nicht: Er unterließ es, für die Bewaffnung der ArbeiterInnen zu sorgen.

Allende musste mit seinem Programm scheitern. Er hat die Kampfbereitschaft der ArbeiterInnenklasse ins Leere laufen lassen. So konnte die Bourgeoisie ihr das Messer in den Rücken stoßen. Ihre Illusionen in Allendes Reform-Weg zum Sozialismus haben die chilenische ArbeiterInnen blutig bezahlt – mit Tausenden von Toten und Jahren der Diktatur unter Pinochet.

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