Linke Antworten auf rechte Sicherheitspolitik

Foto: https://www.flickr.com/photos/taymazvalley/49974424258/, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

TEILEN
Kolumne

Linke Antworten auf rechte Sicherheitspolitik

Von Manuel Kellner | 07.05.2023

Erinnert ihr euch daran, dass die CDU in Berlin die Wahlen gewonnen hat mit „Sicherheitspolitik“? Mein Gefühl ist, dass die Linke keine besonders wirksame Antwort darauf hat. Die politischen Optionen scheinen sehr eingeschränkt zu sein. Mehr Polizei, besser ausgerüstete Polizei, schärfere strafrechtliche Regeln? Das passt uns nicht. Weniger von alledem? Da erscheinen wir als indifferent gegenüber den Sorgen vieler Menschen.

Mehr Polizei, besser ausgerüstete Polizei, schärfere strafrechtliche Regeln? Das passt uns nicht.

Nun gibt es natürlich Aufgaben der Aufklärung. Im Bereich der Sicherheit gibt es viele Fehlinformationen. Die Statistiken und ihre Interpretationen lassen viel zu wünschen übrig. Zum Beispiel wird Kriminalität „mit Migrationshintergrund“ dadurch übertrieben, dass ein Mensch, der in den Tod abgeschoben wird, sich an einem Türrahmen festhält – Widerstand gegen die Staatsgewalt!

Auch wenn Gewaltverbrechen zurückgehen, erweckt die Berichterstattung den Eindruck, alles werde immer schlimmer. Zum Beispiel die „Silvesterkrawalle“ oder die Zunahme der Fälle von jugendlichen Gewaltverbrechen, wo die Lektüre der Revolverseiten in der Tagespresse uns das Gefühl gibt, dass immer jüngere Leute und sogar Kinder andere Jugendliche oder Kinder oder auch schon mal Lehrerinnen und Lehrer abmurksen.

Nun gut! Aber abgesehen von der Aufgabe, über die wirklichen Dimensionen dieser Art von Erscheinungen aufzuklären, stellt sich auch die Frage, wie Linke auf die in diesem Bereich wirklichen Probleme antworten sollten. Und da gibt es ein Defizit.

Natürlich gibt es wirkliche Sorgen und Ängste von Menschen, aber…

Das hängt mit einer Art Fetischismus zusammen, bei dem der Staat und seine Institutionen überhöht werden. Natürlich erhöhen die bestehenden Verhältnisse und ihre Perspektivlosigkeit die Aggressionen auch bei jungen Leuten. Natürlich gibt es wirkliche Sorgen und Ängste von Menschen, die fürchten, dass sie oder ihre Kinder Opfer von Gewalttaten werden könnten. Doch der Staat und seine bewaffneten Kräfte müssen zwar den Eindruck erwecken, für die Sicherheit der normalen Leute da zu sein. Anders hätten sie keine Legitimität. In Wirklichkeit sind dieser Staat und sein Gewaltapparat für die Aufrechterhaltung der bestehenden Eigentumsverhältnisse zuständig: für die Verteidigung und Zementierung der Kapitalherrschaft. Und immer mehr Menschen spüren das und misstrauen in zunehmendem Maße diesen Sicherheitsorganen.

Es gibt daher keine Sicherheit, außer wenn wir sie selber organisieren. Das ist so, wie wenn Streikposten Streikbruch verhindern. Der Staat und seine Repressionsorgane werden das nicht machen. Im Gegenteil: die Gesetzgebung hat die Sache inzwischen so weit getrieben, dass die Kolleginnen und Kollegen den Streikbrechern breite Gassen freihalten und goldene Teppiche auslegen müssen, damit sie ja ihr unverbrüchliches Recht des Streikbruchs wahrnehmen können.

Wenn die Organe der Staatsgewalt auftreten, stiften sie Chaos.

In derselben Logik wird die Sicherheit in unseren Stadtvierteln und Straßenzügen „gesichert“, vor allem da, wo die Benachteiligten, die Ärmsten der Armen leben. Wenn die Organe der Staatsgewalt eingreifen, dann stiften sie Chaos, indem sie die Benachteiligten systematisch zu Opfern machen. Was ist also zu tun?

Die breiten Massen der Bevölkerung müssen die Gewährleitung ihrer Sicherheit in die eigene Hand nehmen. Das klingt nun nach einem großen Wort, obwohl wir über einschlägige Erfahrungen verfügen. Im Winter 1960/61 war in Wallonien Generalstreik. Die Streikenden übernahmen in Lüttich die Regelung des öffentlichen Lebens einschließlich der Sicherheit. In den Banken und Sparkassen konnte niemand Geld abheben, es sei denn, nach der Vorlage eines Gewerkschaftsausweises.

Nun haben wir ja grade keinen Generalstreik. Doch können solche Prozesse auch im Kleinen beginnen. Es gilt, sich den Sorgen der Menschen in Sachen ihrer eigenen Sicherheit nicht zu verschließen. Es gilt, ihnen in diesen Fällen Vorschläge zu machen, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen. Sie können Wachdienste und eigene Sicherheitsdienste organisieren, und dabei müssen wir ihnen helfen.

Diese Sicherheitsdienste werden „von unten“ geschaffen und stehen unter Kontrolle der eigenen Leute. Sie müssen wehrhaft sein, um Autorität zu haben und Anschläge und Aggressionen unterbinden zu können. Doch darauf beschränkt sich die Sache nicht. Sie müssen auch Mittel und Wege erproben, Quellen der Gewalt in der Bevölkerung trockenzulegen. Dazu gehören vielfältige Techniken der Mediation und der Verständigung.

Als allgemeine Regel gilt: Menschen, die aus der Distanz und aus der Anonymität ausbrechen, die sich persönlich kennenlernen, sich austauschen und lernen sich zu verständigen, werden sich gegenseitig nichts antun, sondern im gemeinsamen Interesse kooperieren. Umgekehrt werden ihre selbstorganisierten Strukturen zu Bastionen, die niemand schleifen kann, nicht mal der Repressionsapparat des Staates.

Artikel teilen
Tags zum Weiterlesen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite