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Internationales Frauenseminar der Vierten Internationale 2023

Feministische Analysen und Perspektiven

Von Rosa Segui | 12.09.2023

Vom 15. bis 19. Juli 2023 fand im IIRE in Amsterdam ein internationales Frauenseminar statt. Daran nahmen insgesamt 26 Genossinnen aus Brasilien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Hongkong/China, Italien, Japan, Mexiko, Marokko, den Niederlanden, den Philippinen, Puerto Rico, der Schweiz, dem Spanischen Staat und Südafrika teil.

Es war darum gebeten worden, zur Vorbereitung des Seminars einen Fragebogen zur Situation der Frauen und der Frauenbewegung in den letzten fünf Jahren in dem jeweiligen Land und insbesondere nach der Covid-19-Pandemie auszufüllen. Außerdem wurde vor dem Seminar eine Reihe von Texten verschickt, die vorher gelesen werden sollten, um die Diskussion und die Arbeit zu erleichtern.

Die Veranstaltung ‒ die von sechs Dolmetscherinnen in drei Sprachen übersetzt wurde ‒ begann mit einer Vorstellungsrunde aller anwesenden Genossinnen. Uns kam zugute, dass unter den Teilnehmenden an dem Seminar eine Vielfalt festzustellen war, dadurch dass Frauen aus marginalisierten Bereichen unter uns waren, z. B. rassifizierte, Behinderte, LGBTIQA+- und Nicht-Binäre. Es war sehr aufregend, dass zu diesem Seminar Schwestern aus verschiedenen Ländern und von verschiedenen Kontinenten persönlich zusammenkommen konnten, denn wir erinnern uns, dass das letzte Seminar 2021 aufgrund der Pandemie nur virtuell stattfand. Präsenzveranstaltungen bieten viel reichhaltigere ‒ formelle und informelle ‒ Verbindungen als Online-Veranstaltungen.

Anschließend hörten wir Berichte entsprechend der Antworten in den Fragebögen pro Land oder (im Falle einiger Länder, wo es mehr als eine Organisation der Vierten gibt) pro Organisationen. Dabei ging es um die Situation der Frauen in den einzelnen Ländern; um die Frage, ob sich die Situation seit Beginn der Pandemie verschlechtert hat; um das Vorhandensein einer neuen feministischen Welle; um die Beteiligung von Frauen an der Gewerkschaftsbewegung; um die Organisierung von Frauen in den einzelnen Ländern; um die Einbeziehung von Trans-Frauen in die feministische und Frauenbewegung; die Einbeziehung rassifizierter Frauen in die feministische und Frauenbewegung; ob indigene Frauen, Bäuerinnen und Migrantinnen an feministischen und Frauenaktionen beteiligt sind; über die internationale Solidarität mit anderen Frauenorganisationen; auch um die Beteiligung jeder einzelnen Organisationen an den feministischen und Frauenbewegungen in ihrem Land.

Die Berichte zeigten eine ähnliche Situation in mehreren Ländern, z. B. dass sich die Lage der Frauen seit Einsetzen der Pandemie zumeist verschlechtert hat. Es wurden eine allgemeine Zunahme der Gewalt gegen Frauen und ein Anstieg der Femizide beobachtet. Eine ausgeprägte feministische Protest- und Mobilisierungswelle seit 2018 in vielen Ländern konnte hervorgehoben werden, was die Analyse in der Resolution „Der neue Aufstieg der Frauenbewegung“, die aus dem Seminar im Jahr 2019 hervorgegangen war, bestätigt, einschließlich der „Frauenstreiks“ oder „feministischen Streiks“, die als eines der wichtigen Merkmale dieser neuen Welle genannt wurden.

Ein anderes Thema, das von Frauen aus mehreren Ländern angesprochen wurde, war die Klimakrise in Form von intensiveren und häufigeren Wetterereignissen, die manchmal ‒ zum Beispiel in Regionen Brasiliens ‒ an Orten auftreten, an denen es noch nie zuvor Hurrikans gegeben hat. Die negativen Auswirkungen des Klimawandels und der Klimakrise sind für Frauen am stärksten spürbar.

Eine Genossin aus der Schweiz zeichnete ein hoffnungsvolles Bild von den Kämpfen und Erfolgen der Frauenbewegung in den letzten fünf Jahren. Es gab und gibt feministische Mobilisierungen und Demonstrationen. [Am 14. Juni] 2019 fand in der Schweiz ein erfolgreicher feministischer Streik statt, und [am 14. Juni] 2023 gab es eine weitere Massenmobilisierung.

Unsere Beteiligung an sozialen Bewegungen

Am Nachmittag diskutierten wir im Plenum über den Entwurf des Papiers mit der Überschrift „Orientierung und Aufgaben in den sozialen Bewegungen“, das im Oktober von dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale diskutiert werden wird. Nach einer Einleitung teilten wir uns in je eine spanisch-, französisch- und englischsprachige Gruppe auf. Ziel der Diskussionen war es, den Text weiterzuentwickeln und mehrere Fragen zu beantworten, die von der Referentin angesprochen wurden: welche Position wir zu rechten sozialer Bewegungen haben und welche wir einnehmen sollten; ob wir mit Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) zusammenarbeiten sollten und wie solche Beziehungen aussehen sollten; wie unser Verhältnis zu einer Regierung aussehen sollte, die behauptet, sie vertrete die Interessen des Volkes; was wir aus der Pandemie gelernt haben.

Dann ging es zurück ins Plenum, die Gruppen trug eine Zusammenfassung ihrer Diskussionen vor. Es ist zu unterstreichen, dass die Diskussion während des gesamten Seminars von den unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Länder geprägt war. Die Diskussion im Plenum ergab ähnliche Antworten über die Existenz rechter Gruppen in den verschiedenen Ländern, aber das Ausmaß der Gewalttätigkeit ist unterschiedlich. Aus diesem Grund wurde im Plenum vorgeschlagen, die Kriminalisierung sozialer Bewegungen und derjenigen, die in ihnen kämpfen, in das Dokument aufzunehmen, einschließlich der Ermordung von Aktivisten und Aktivistinnen wie zum Beispiel in Brasilien. Diese rechtsgerichteten sozialen Bewegungen wurden meist als religiöse Fundamentalisten identifiziert, aber es gibt auch andere Bewegungen, zum Beispiel die Bewegung „Desokupa“ im Spanischen Staat, die Hausbesetzungen gewaltsam räumt, oder Brigaden gegen Migrant:innen. Eine weitere rechtsgerichtete Bewegung ist die Anti-Impf- und Verschwörungsbewegung, die insbesondere während und nach der Pandemie in vielen Ländern sichtbar geworden ist und die immer mehr Anhänger:innen findet. Die Herausforderung, die diese Bewegungen darstellen, besteht darin, weiterhin Widerstand zu leisten und sich zu organisieren, um den organisierten Kampf in Form von Protesten und Mobilisierungen zu führen und auch die Teilnahme an politischen Wahlen oder an wichtigen Stellen in der Regierung fortzusetzen, die darin besteht, sich an der politischen Arena der Wahlen oder an wichtigen Stellen innerhalb der Verwaltung zu beteiligen, um an der Umsetzung von öffentlicher Politik zugunsten der arbeitenden Klasse, der Frauen und der unterdrückten Sektoren mitzuwirken.

In Bezug auf die Beteiligung an NGOs wurde festgestellt, dass es in einigen Ländern, aus denen Teilnehmerinnen am Seminar gekommen sind, aufgrund strategischer und taktischer Probleme (Verfolgung und Unterdrückung) notwendig ist, auf das Instrument der NGOs zurückzugreifen, um Basisarbeit zu leisten, allerdings unter Anerkennung ihrer Unzulänglichkeiten und aus einer kritischen Perspektive. Ein wichtiger Aspekt der Diskussion war die Betonung, dass die Beteiligung an NGOs nicht auf Kosten der Autonomie einer sozialen Bewegung gehen darf. Es wurde auch erwähnt, dass NGOs manchmal über materielle Ressourcen verfügen, die wir nicht haben, so dass sie ein Mittel zu diesem Zweck sein können. Auf die Frage, was angesichts einer Regierung zu tun sei, die nicht mehr auf die Interessen der Menschen eingeht, antwortete die Mehrheit, dass man kritisch und strategisch vorgehen und erkennen müsse, wann man sich absetzen muss.

Das nächste Thema war das Dokument „Für ein gerechtes und ökosozialistisches Degrowth ‒ Manifest des revolutionären Marxismus in der Ära der ökologischen und sozialen kapitalistischen Zerstörung“. Der Zweck der Präsentation dieses Dokuments auf dem Seminar bestand darin, es aus einer feministischen Perspektive zu bereichern. Nach der Aufteilung in Sprachgruppen wurden konkrete Vorschläge für Beiträge zu dem Dokument vorgestellt. Die Diskussion warf eine Reihe von Punkten auf: Die Genossinnen und Genossen aus den Ländern des Globalen Südens wiesen darauf hin, dass geklärt werden muss, was „Degrowth“ in ihren Ländern bedeutet, und dass es nicht ausreicht, einfach „sozialistisches Degrowth“ zu sagen. Der Begriff muss für unsere Zwecke qualifiziert und/oder verändert werden, dies wird Teil der laufenden Debatte sein; in Abschnitt 5.8 „Das Recht der Frauen über ihren eigenen Körper garantieren“ zu klären, wie die Selbstbestimmung von Frauen und Schwangeren garantiert werden muss; eine ökofeministische Bildungsreform einzubeziehen; die Beseitigung aller Formen des Extraktivismus und das Recht der Frauen auf Zugang zu Gesundheit einzubeziehen.

Transinklusivität und Entpatriarchalisierung

Das nächste Thema des Seminars wurde mit dem Vortrag „Warum und wie sind wir trans-inklusiv?“ eingeleitet. Die Darlegung des Themas war gut geeignet, um die Position unserer sozialistischen Strömung zu bekräftigen, dass wir für die Abschaffung der Geschlechterunterdrückung stehen und dass wir trans-inklusiv sind. Es wurde bekräftigt, dass Transgender-Personen keine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen und dass im Gegenteil Transgender-Personen bedroht und angegriffen werden. Die Leitfragen für die Diskussion in den nach Sprachen aufgeteilten Gruppen lauteten: die Merkmale der Anti-Trans- oder Trans-Ausgrenzungsbewegung beschreiben und wie wir darauf reagieren; sollten die Forderungen der Trans- und Queer-Gemeinschaft im Mittelpunkt unserer Strategien stehen; wie bauen wir eine integrative feministische Bewegung und wie bauen wir Allianzen mit der Queer-Bewegung auf? Die Antworten auf die erste Frage waren schwierig, da sie die schreckliche Gewalt gegen diese Gemeinschaft, auch von Seiten der Regierungen in einigen Ländern, aufzeigten. Sie werden nicht nur ermordet, sondern auch ihre Existenz wird geleugnet ‒ man sagt ihnen, dass Transfrauen keine Frauen sind. Diese Ausgrenzung ist an sich schon bedrückend und führt oft zu körperlichen Angriffen. Die Antwort auf die zweite Frage lautete, dass der Kampf gegen Unterdrückung eine Klassenfrage ist und dass wir uns daher an diesen Kämpfen beteiligen müssen. Ein weiterer Aspekt, der Teil der Diskussion zu dieser zweiten Frage war, war die Feststellung, dass dieser Punkt in der Tat im Mittelpunkt unseres Kampfes als Feministinnen stehen muss, weil sie Trans-Personen die gleichen Rechte und Freiheiten wegnehmen wollen, die Frauen in Kämpfen errungen haben, die Leben gekostet haben. Das bedeutet, dass so wie die Rechte Trans-Personen das Recht auf Selbstbestimmung nehmen will, sie auch weiter versuchen wird, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen, und ebenso anderen marginalisierten und unterdrückten Sektoren; daher müssen wir die besondere Beziehung zwischen der Frauenbewegung und der LGBTIQ+-Bewegung berücksichtigen. Wir würden es vorziehen, den Begriff TERF [Trans-Exclusionary Radical Feminism] nicht zu verwenden, da „radikaler Feminismus“ von Land zu Land etwas ganz anderes bedeutet und außerdem in allen Ländern ein Begriff ist, der die Debatte sofort zum Erliegen bringt.

Am vierten Tag diskutierten wir über geschlechtsspezifische politische Gewalt und Entpatriarchalisierung. Diese wurde als „Dekonstruktion und Kampf gegen patriarchalische Elemente im Staat, in der Gesellschaft und in politischen Organisationen“ definiert. Geschlechtsspezifische politische Gewalt kann sich gegen kämpferische Frauen, Aktivistinnen und Sprecherinnen richten und viele Formen annehmen: Schweigen, Nichtförderung einer stärkeren Beteiligung, Belästigung in all ihren Formen, physische Gewalt bis hin zu Mord, Angriffe auf den Ruf, physische Angriffe auf Familienmitglieder, Drohungen, fehlende Maßnahmen zur Konfliktlösung in all unseren Räumen, einschließlich unserer Organisationen. Wir müssen sichere Räume fordern und garantieren, die eine stärkere Beteiligung von Frauen an politischen Wahlen fördern. Dazu gehört auch, dass wir uns mit den Betreuungsbedürfnissen von Frauen befassen und eine stärkere Beteiligung von Frauen in Leitungspositionen fordern. Auch die politische Beteiligung an Wahlen sowie die Organisierungs- und Mobilisierungsarbeit zur Durchsetzung einer feministischen öffentlichen Politik.

Ein weiteres Thema an diesem Tag waren die internationalen Räume für die Diskussion von Frauenfragen. Zu diesem Thema wurden internationale Foren, Seminare und Märsche oder Mobilisierungen beschrieben, die auf die Notwendigkeit reagieren, marxistische Feministinnen zu vereinen. Eines dieser Foren ist die „International Marxist Feminist Conference“, die jedoch aufgrund ihres begrenzten Teilnehmerkreises nicht als vorrangig angesehen wurde. Ein wichtiges Forum ist der „Marxist Feminist Stream“ der Konferenzen von Historical Materialism. Die Referentinnen forderten uns auf, uns auf die intersektionale Vielfalt der Klassen zu konzentrieren, um die Gesellschaft zu schaffen, die wir wollen, und uns mehr mit feministischen Schriften und Theorien zu beschäftigen. Außerdem wurde die Bedeutung der kollektiven Arbeit und des Aufbaus als Feministinnen erwähnt, um das System zu verändern. In diesem Sinne wurde uns von einem Frauenmarsch berichtet, der seit 2000 alle vier Jahre in Brasilien stattfindet, dem „Marchas de las Margaridas“. Es wird erwartet, dass mehr als hunderttausend Frauen an diesem Marsch teilnehmen werden, dessen Forderungen unseren ähnlich sind und der von Teilen der Gewerkschaften und der Bauernschaft unterstützt wird.

Das nächste Thema war die Resolution über die Aufgaben des Parteiaufbaus für die Vierte Internationale. Dabei ging es darum, zu diskutieren und zu analysieren, wie die Strukturen und die Funktionsweise der Vierten Internationale und unsere politisch-organisatorische Arbeit gestärkt werden können. Natürlich wurde die Diskussion aus einer geschlechtsspezifischen und feministischen Perspektive geführt. Es wurde festgestellt, dass sich die Nutzung der Medien durch die Vierte Internationale verbessert hat, u. a. durch ihre Website, Profile in den sozialen Medien und Kommunikationsmittel wie Telegram. Im Rahmen der Diskussion in den Sprachgruppen wurde eine Reihe von durchsetzungsfähigen und konkreten Vorschlägen unterbreitet, darunter die Einrichtung politischer Schulungsmaßnahmen für Genossinnen, die Verbesserung der Website, die Einrichtung regionaler Koordinationen und die Förderung der Bildung von Frauen-Caucusen in allen regionalen Kommissionen sowie die Forderung nach einer paritätischen Beteiligung von Frauen an Sitzungen. Wir haben auch überlegt, wie wir unsere Statuten in Bezug auf sexistische und sexuelle Gewalt stärken können, wobei wir den Stand der Diskussion in unseren verschiedenen Organisationen berücksichtigt haben.

Den Abschluss unserer Arbeit bildete eine Plenarsitzung, auf der wir Eindrücke von dem Seminar ausgetauscht und viel Hoffnung, Begeisterung und Solidarität zum Ausdruck gebracht haben.

Quelle: „Análisis y perspectivas feministas en el Seminario de Mujeres 2023 de la Cuarta Internacional“, https://fourth.international/es/531; „Feminist analysis and perspectives at Fourth International women’s seminar“, https://fourth.international/en/531

Aus dem Kastilischen und Englischen übersetzt von Wilfried; die Wörter in eckigen Klammern hat der Übersetzer hinzugefügt.

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