Ein Vorkämpfer der Linken ist nicht mehr unter uns
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Nachruf auf Göte Kildén (1946‒2022), Schweden

Ein Vorkämpfer der Linken ist nicht mehr unter uns

Von Hermann Dierkes | 08.12.2022

Göte Kildén, viele Jahre kämpferischer Sprecher der gewerkschaftlichen Opposition in den Volvo-LKW-Werken bei Göteborg, ist am 17. November nach langer Krankheit und kurz vor Vollendung seines 76. Lebensjahrs verstorben. Kind der weltweiten Zeitenwende mit neuen Emanzipationsbewegungen, dem Mai 1968 in Frankreich, dem vietnamesischen Befreiungskrieg, der portugiesischen Nelkenrevolution und wachsender Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse zählte Göte ab 1969 zu den Mitbegründern der schwedischen Sektion der Vierten Internationale. Auch als Rentner und bis an sein Lebensende blieb er überzeugter und engagierter revolutionärer Sozialist. Er konnte nicht nur austeilen, sondern auch einstecken, vor allem den Tod seiner Lebensgefährtin Karin im Jahr 2016, mit der er 38 Jahre zusammen war.

Zwischen 1973 und 1991 war er Parteisprecher der Gruppierung, die ab 1982 nach mehreren Namensänderungen als Socialistiska Partiet (SP) auftrat. Göte war auch lange Zeit Chefredakteur ihrer Wochenzeitung internationalen, die bis heute existiert. Kurz nach ihrem 50-jährigen Jubiläum im November 2019 trat die SP der schwedischen Vänsterpartiet (Linkspartei) bei, blieb aber als organisierte Strömung „Sozialistische Politik“ zusammen und spielt seitdem eine wichtige Rolle auf dem linken Flügel der Partei.

Als er 1978 bei Volvo anfing und dort 25 Jahre blieb, wurde er schnell zu einem Vorkämpfer in einem der seltenen spontanen Streiks um Entgelterhöhungen und wegen zahlreicher Beschwerden. Bei großen Teilen der Belegschaft wurde er schnell bekannt und fand er Anerkennung. Die dortige Metallgewerkschaft wurde fast vollständig von Sozialdemokraten beherrscht, die lammfromm waren und die Basis selten befragten (die derzeitige Tarifpolitik der großen schwedischen Gewerkschaften mit einem Abschluss weit unter der Preissteigerung erinnert schmerzlich an jene Zeiten). Wer nicht das Parteibuch hatte, konnte kaum Vertrauensperson werden. „Tarifverhandlungen mit der Konzernleitung erfolgten nach der sog. Win-win-Methode. Doch wer dabei gewann, waren nicht die Metaller, sondern der Konzernchef Gyllenhammar“, schreibt Götes Freund und Mitkämpfer Gus Kaage in seinem Nachruf. Doch ab Mitte der siebziger Jahre, so Gus Kaage weiter, „entstand eine oppositionelle Gewerkschaftsströmung, teils aus der Zusammenarbeit bunter Linksgruppen, die seinerzeit florierten, aber mit zunehmender Unterstützung durch die Arbeitskollegen.“Die Opposition griff all die Themen auf, die den Beschäftigten auf den Nägeln brannten: innergewerkschaftliche Demokratie, Mitgliederentscheide, Einsatz gewerkschaftlicher Kampfkraft, Verbesserungen am Arbeitsplatz, Arbeitssicherheit und Umweltverschmutzung. Göte zeigte immer wieder einen rastlosen Einsatz. Lars Henriksson, ebenfalls einer der bekannten Volvo-Gewerkschafter aus Götes Generation, erzählte mir einmal, wie er Göte aus Anlass von Gewerkschaftswahlen erfahren hatte: „Er konnte sich förmlich zerreissen.“

Spektakulär war schließlich das Ergebnis der Gewerkschaftswahlen 1979, zu der mehrere zehntausend Gewerkschafter:innen bei Volvo aufgerufen waren. Die Oppositionsliste, die mit eigenem Wahlzettel Personenwahl ermöglichte, verfehlte mit über 48 % nur knapp die Mehrheit gegen die geschlossene sozialdemokratische Liste. Im Werk Lund, wo Göte Kildén treibende Kraft und Sprecher war, behielt die Opposition allerdings über mehrere Jahrzehnte die Mehrheit. Die gewerkschaftliche Arbeit seiner Genoss:innen war beispielgebend, auch in weiteren Volvo-Werken oder bei Saab. Die gegnerische Sozialdemokratie mit ihrem ständigen Versöhnungs- und Kapitulantenkurs registrierte dies mit Sorge. Der Einfluss der „Trotzkisten“ war sogar Thema im Parteivorstand, und man beriet Gegenmaßnahmen. Selbst der damalige Ministerpräsident „Olof Palme warnte im Parteivorstand vor der gewerkschaftlichen Opposition bei Volvo“ und fragte 1985 anlässlich eines drohenden Streiks bei Volvo bang: “Wird Grynet (also der damalige Volvo-Chef Gyllenhammar) damit fertig?”, wie es Håkan Blomqvist, Historiker und Redakteur von Internationalen berichtet.

Auch außerbetrieblich war Göte unerhört aktiv und richtungweisend bei vielen politischen Themen, so in der Volksbewegung gegen Atom, und er war auch international unterwegs. Er war literarisch und kulturell interessiert, Naturfreund und kochte gern. „Göte konnte analysieren und die Dinge so darstellen, dass die Leute sie auch verstanden“, so die SP-Aktivistin Eva Nikell. „Es gibt so unglaublich viele Erinnerungen, wenn man einen engen Freund verloren hat“, schreibt Gus Kaage. „Wir konnten uns auch lange über unsere Familien unterhalten, über unsere Kinder und Enkelkinder. Welche inhaltsreichen Gespräche – entweder live oder in den letzten Jahren immer öfter per Telefon!“ Und sein Mitkämpfer Kristofer Lundberg fügt hinzu:Göte Kildén war ein unglaublich guter Redner, ein schlagfertiger Diskutant, begabter Schriftsteller und Organisator. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, so war er doch eine wichtige Inspirationsquelle im Kampf für eine andere Gesellschaft – den Sozialismus.“ Lars Henriksson berichtete mir, dass ein geplantes Interview mit Göte für ein Buchprojekt über die Arbeit der Gewerkschaftslinken bei Volvo leider nicht mehr zustande gekommen ist.

Es steht fest:Göte Kildén hat sich um die Arbeiterbewegung verdient gemacht. Persönlichkeiten wie er fehlen uns, gerade wo die derzeitigen Aussichten für die marxistische Linke – nicht nur in Schweden –nicht zum Besten stehen.

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