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Zwölf Vorschläge der LCR für ein soziales und demokratisches Sofortprogramm

Von François Duval | 01.06.2007

Unsere Gegner auf der Rechten, die sozialdemokratische Parteiführung und mitunter leider auch unsere „Konkurrenz“ innerhalb der Linken haben unablässig versucht, Kandidatur und Wahlkampf von Olivier Besancenot als bloße Gesinnungshuberei und Protestattitüde zu diskreditieren und ihn als Phantasten darzustellen, der immer weitere Forderungen stellt, die ökonomisch nicht umzusetzen sind usw.

Unsere Gegner auf der Rechten, die sozialdemokratische Parteiführung und mitunter leider auch unsere „Konkurrenz“ innerhalb der Linken haben unablässig versucht, Kandidatur und Wahlkampf von Olivier Besancenot als bloße Gesinnungshuberei und Protestattitüde zu diskreditieren und ihn als Phantasten darzustellen, der immer weitere Forderungen stellt, die ökonomisch nicht umzusetzen sind usw.

Mit derlei Polemik versuchen sie, einer Auseinandersetzung mit unseren konkreten Vorschlägen aus dem Weg zu gehen. Natürlich erfordern diese zumeist einen Bruch mit der herrschenden Logik – der des kapitalistischen Profits. In erster Linie jedoch sind es Sofortmaßnahmen, die, wenn sie umgesetzt würden, es den Lohnabhängigen, den Jugendlichen und den einfachen Leuten ermöglichen würden, ihre Misere hinter sich zu lassen. … Die folgenden zwölf Sofortmaßnahmen, die wir fordern, sind ein Grund mehr, für Olivier Besancenot zu stimmen.
1. Erhöhung der Kaufkraft
Keiner kann mit weniger als 1500 Euro netto im Monat auskommen. Insofern muss der Mindestlohn sofort auf diesen Betrag angehoben werden und müssen wir durchsetzen, dass kein Branchentarif und keine Rente unter diesem Mindestbetrag liegt. Seit Jahren nimmt die Produktivität erheblich zu, genauso wie die Preise. Also müssen alle Einkünfte – Löhne, Renten und Sozialhilfen – um 300 Euro netto steigen.
2. Verbot von Entlassungen
Verpfuschte Leben, ruinierte Landstriche, eine ungeheure Verschwendung menschlicher Ressourcen … und das alles nur für höhere Dividenden. Es muss Schluss sein mit den Entlassungsplänen, die sogar in Unternehmen umgesetzt werden, die Profite machen! Im Unterschied zur alles beherrschenden Denkweise der Neoliberalen kann die politische Macht im Staat sehr wohl handeln: indem sie sich nämlich die Subventionen und Steuererleichterungen, die sie großzügig und ganz umsonst gewährt hat, wieder zurückholt; indem sie die betroffenen Unternehmen entschädigungslos verstaatlicht, um die Geschäfte weiterzuführen und die Arbeitsplätze zu sichern; indem sie die Lohnfortzahlung und den Arbeitsvertrag mit all den damit verbundenen Rechten sichert und dafür einen Solidarfonds zur beruflichen Absicherung schafft, der aus Unternehmerbeiträgen finanziert wird.
3. Verkürzung der Arbeitszeit
Noch so eine prima Idee … die von der damaligen Regierungslinken in den Sand gesetzt worden ist. Die diesbezüglichen Gesetze von [Arbeitsministerin] Aubry bedeuteten für das Gros der Lohnabhängigen nichts als Arbeitsintensivierung und Lohnstopp. Wenn man die Arbeit wirklich wieder aufwerten will, heißt das weniger Arbeit und dafür Arbeit für alle. Unser Vorschlag lautet daher: die 32- und perspektivisch die 30-Stundenwoche in allen Unternehmen, ohne Jahreszeitkonten, Flexibilisierung und Lohneinbußen, bei gleichzeitigen Neueinstellungen, die dem Umfang der Arbeitszeitverkürzung entsprechen müssen.
4. Schluss mit der Prekarität
Saisonale Aushilfsstellen, Scheinselbstständigkeit (Ich-AGs), Billigjobs mit staatlichen Zuschüssen, Sonderverträge für Jugendliche, Minijobs für Senioren, erzwungene Teilzeitjobs, angeblicher „Einheitsvertrag“ aber mit endlosen Probezeiten: der Erfindungsgabe sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um die Prekarisierung der Arbeitsplätze geht. All diese Maßnahmen, die über das Arbeitsgesetz hinausgehen, sind wahre Glückstreffer für die Bosse, haben jedoch keinerlei Beschäftigungseffekt auf dem Gesamtarbeitsmarkt. Deswegen plädieren wir dafür, wieder nur noch eine Art von Beschäftigungsverhältnis rechtlich zuzulassen, nämlich den unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag.
5. Sicherung unserer Renten
Mit vorgeschobenen und obendrein falschen demographischen Argumenten wollen Unternehmerverband und die Rechte nicht nur härter, sondern auch länger arbeiten lassen. Und die Linke hält sich bedeckt. Auf der anderen Seite mehren sich die Reichtümer, so dass den RentnerInnen durchaus eine auskömmliche Rente gezahlt werden könnte. Deshalb schlagen wir ein faktisches Rentenalter von 60 Jahren vor, eine abschlagsfreie Rente nach 37,5 Beschäftigungsjahren und eine Rentensatz von 75%, bemessen am bisherigen Höchstverdienst.
6. Ausweitung der Öffentlichen Dienstleistungen
Erziehung, Kultur, Gesundheit, Wasser, Kommunikation, Wohnung, Verkehrswesen, Krippenplätze und Alten(pflege)heime dürfen nicht zu Profit bringenden Waren gemacht werden, sondern sind soziale Grundbedürfnisse. Aufgrund eben dieser Erkenntnis bestand in der französischen Gesellschaft nach der Befreiung vom Faschismus Einigkeit darüber, diese Belange nicht dem Konkurrenz- und Profitstreben zu überlassen. Daher schlagen wir vor, die Öffentlichen Dienstleistungen beizubehalten, weiterzuentwickeln und auszudehnen. Dafür müssen die von der Rechten und von der Linken durchgeführten Privatisierungen zurückgenommen, das Monopol der Öffentlichen Hand wiederhergestellt und zusätzliche Öffentliche Dienste für neu hinzu kommende Bedürfnisse geschaffen werden.
7. Abschaffung der Diskriminierung
Das „Problem“ sind nicht die ImmigrantInnen, sondern Rassismus und Diskriminierung. Die zunehmende Zahl restriktiver Einwanderungsgesetze in den letzten Jahrzehnten verhindert nicht die Immigration, sondern treibt die Immigranten lediglich in die Illegalität und macht sie angreif- und damit ausbeutbar für die modernen Sklavenhalter unter den Bossen. Die Lösung liegt in der Gleichheit der Rechte: Recht auf Bestimmung des Aufenthalts- und Wohnortes, Legalisierung der „Illegalen“ und ein neues Staatsbürgerrecht, das nicht an die Nationalität gekoppelt ist, sondern das das aktive und passive Wahlrecht allen Bewohnern bei allen Wahlen zubilligt.
8. Sicherung der Lebensqualität
Die Kandidaten aller großen Parteien haben sich flugs hinter den ökologischen Pakt von Nicolas Hulot gestellt. Aber keiner von ihnen ging soweit, die kapitalistische Produktionsweise infrage zu stellen, die die Umwelt schädigt und die Erde bedroht. Wir plädieren dafür, den Anbau von genmanipulierte Pflanzen im Freien zu verbieten, binnen 10 Jahren aus der Atomenergie auszusteigen, fossile Brennstoffe durch saubere und erneuerbare Energieträger zu ersetzen, Energie durch den Bau bzw. die Sanierung von Gebäuden gemäß weitreichender Dämm- und Verbrauchsrichtlinien einzusparen, den Güterfernverkehr auf der
Straße zu verbieten und praktikable, ansprechende und kostenlose öffentliche Verkehrsmittel für den täglichen Bedarf bereitzustellen.
9. Gleichheit von Mann und Frau
Zuhause, auf der Arbeit und in der Öffentlichkeit werden Frauen weiter benachteiligt. Wir treten deswegen dafür ein, die Tariflöhne für Frauen in allen öffentlichen und privaten Unternehmen anzupassen, so dass gleiche Bezahlung bei gleicher Qualifikation erfolgt. Ebenso treten wir für eine Angleichung der Renten ein, die wegen erzwungener Teilzeitarbeit und mutterschaftsbedingten Unterbrechungen der Erwerbsbiographie geringer ausfallen. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau an Verletzungen, die ihr durch den Partner zugefügt werden. Deswegen brauchen wir ein Rahmengesetz gegen Gewalt an Frauen mit darauf spezialisierten Gerichten und ausreichend Frauenhäuser in allen Departements.
10. Demokratie durchsetzen
Es geht dabei nicht um die soundsovielte Neuauflage der Republik, sondern um Inhalte. Politik muss über das Engagement der Menschen umgesetzt werden und nicht durch Berufspolitiker. Wir treten für die Abschaffung der monarchischen Züge des Präsidentenamtes, für das Verhältniswahlrecht bei allen Wahlen, das Verbot von Mehrfachmandaten und die zeitliche Begrenzungen von Mandaten auf zwei bis drei Amtsperioden ein. Die wirklichen Entscheidungen, die unseren Alltag betreffen, werden inzwischen nicht mehr im Parlament gefällt, sondern hinter verschlossener Tür in den Aufsichtsräten und Finanzinstitutionen. Wir schlagen vor, das gesamte gesellschaftliche Leben zu demokratisieren und die Entscheidungs- und Kontrollgewalt der Menschen auf die Unternehmen, Stadtviertel und Kommunen auszudehnen.
11. Für ein soziales und demokratisches Europa
Am 29. Mai 2005 haben wir der EU-Verfassung mit ihrer „freien und unverfälschten Konkurrenz“ zum Scheitern verholfen. Dieser Sieg weist die Perspektive für ein anderes, ein soziales und demokratisches Europa, das auf der Angleichung der sozialen Rechte auf das jeweils höchste Niveau seiner Mitgliedstaaten beruht. Wir wollen europaweit gültige Mindestlöhne und ein gleiches Arbeitsrecht, genau wie Länder überschreitende Öffentliche Dienstleistungen.
12. Internationale Solidarität
Im Gegensatz zur europäischen Aufrüstung und dem Neokolonialismus von Frankreich treten wir für den Austritt Frankreichs aus der Nato, den einseitigen Verzicht auf Nuklearwaffen und den Rückzug der französischen Truppen aus dem Ausland ein. Französisch-Afrika muss Vergangenheit sein: Schluss mit der Ausplünderung der südlichen Länder durch die französischen Multis wie Total, Vivendi, Bouygues und Bolloré und der Unterstützung der Diktaturen. Die Schulden, die die Bevölkerung der armen Länder erdrosseln, müssen umgehend und einseitig annulliert werden.

Ein Kampfprogramm
In Wirklichkeit sind all diese Vorschläge keine Erfindung von uns, und wir erheben keinen Anspruch darauf. Sie sind entstanden in den Mobilisierungen der letzten Jahrzehnte und in wesentlichen Teilen der sozialen Bewegung verankert. Und wenn wir uns entschieden haben, die Präsidentschaftskampagne dafür zu nutzen, dieses Programm einer breiten Debatte zu unterbreiten, dann wissen wir sehr wohl, dass es mehr bedarf als einer Wahl, um sie auch in die Tat umzusetzen. Der bezahlte Urlaub – für nicht geleistete Arbeitstage auch noch Geld zu kriegen, ein Sakrileg für jeden „vernünftigen“ Wirtschaftswissenschaftler – stand nicht im Programm der Volksfront. Er wurde vielmehr durch den Generalstreik und die Fabrikbesetzungen im Juni 1936 durchgesetzt. In den 60er Jahren galt die Erhöhung des Mindestlohns und der Niedriglöhne um 30 % vielen als absurd. Und dennoch: Es ist eingetroffen. Dafür brauchte es jedoch 10 Millionen Streikende im Mai 1968. Und darin liegt der Unterschied zwischen uns und den anderen.
Wir propagieren nicht das Eine, wenn die Rechte an der Macht ist, und was ganz Anderes, wenn die Linke an der Macht ist. Wir haben kein Programm, das nur für die Wahlen gilt, und keines, das nur für die sozialen Kämpfe gilt. Wir wollen diesen Sofortmaßnahmen, diesem Dringlichkeitsprogramm, mehr Nachdruck verschaffen, indem wir zur Stimmabgabe für Olivier Besancenot aufrufen, und damit erreichen, dass sie morgen – unabhängig vom Ausgang der Wahl – im Zentrum der Mobilisierungen der breiten Bevölkerung stehen.
Was das kostet?
Wir wollen weder kaschieren noch uns dafür entschuldigen, dass unsere Vorschläge mit einigen Kosten verbunden sind. Aber deswegen sind sie nicht unrealistisch. Denn die Reichtümer zu ihrer Finanzierung sind vorhanden, und zwar mehr denn je. Die einzige Frage, die sich stellt, ist die: Wer bezahlt? Unser Vorschlag lautet, das Geld von denen zurückzuholen, die es scheffeln. Das Problem ist also nicht wirtschaftlicher oder technischer Natur, sondern eine Frage des politischen Willens. Als erstes sollten selbstverständlich die unproduktiven oder schädlichen Ausgaben der Öffentlichen Hand gestrichen werden: die Subventionen und Steuererleichterungen für Privatunternehmen und all die Geschenke an die Bosse. Und das Militärbudget muss drastisch gekürzt werden. Parallel dazu bedarf es einer Einkommenssteuerreform, die die Progression wieder herstellt (und zwar in engeren Abstufungen bis hin zu 80 % für Spitzeneinkommen).
Unternehmensgewinne sollen wieder mit 50 % besteuert und die Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer durch Einbeziehung der Firmenvermögen verbreitert werden, da diese aktuell gerade mal so viel bringt wie die Fernsehgebühren. Durch diese neue Steuerpolitik wollen wir das zentrale Problem der Gesellschaftskrise in Frankreich lösen, nämlich die skandalös ungleiche Verteilung der Reichtümer, die von allen erzeugt, aber nur von wenigen abgeschöpft werden. Seit den 80er Jahren ist der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt um 10 % gegenüber den Kapitalerträgen gesunken – das ist der wahre Jahrhundertraub! Dieses Geld zurückzuholen dient einmal der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zweitens der sozialen Gerechtigkeit.

Übersetzung: MiWe

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