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Feminismus

Zwischen religiöser Moral und der Gier nach Profit

Von Linda Martens | 08.01.2013

Prostitution ist in dem islamisch geprägten Indonesien illegal und geächtet. Prostituierte müssen mit Übergriffen durch die Polizei, Inhaftierung und Vertreibung aus ihren Häusern rechnen. Dennoch existiert eine organisierte Sexindustrie. Und die ist ein lukratives Geschäft, auf das die Profiteure nicht wegen religiöser Moralvorstellungen verzichten möchten.1

Prostitution ist in dem islamisch geprägten Indonesien illegal und geächtet. Prostituierte müssen mit Übergriffen durch die Polizei, Inhaftierung und Vertreibung aus ihren Häusern rechnen. Dennoch existiert eine organisierte Sexindustrie. Und die ist ein lukratives Geschäft, auf das die Profiteure nicht wegen religiöser Moralvorstellungen verzichten möchten.1

Prostitution wird in Indonesien organisiert und zentralisiert in „Lokalisationen” betrieben, Gebieten, auf denen das Geschäft mit dem Sex konzentriert abgewickelt wird. Insgesamt existieren nicht weniger als 200 solcher legal oder halblegal betriebener Etablissements. Die Zahl der Sexarbeiterinnen wird auf 120.000 bis 450.000 Frauen und 40.000 bis 150.000 Kinder geschätzt.
Sexistische Gesetze
Nach dem indonesischen Strafgesetzbuch ist Prostitution illegal. Dieses Gesetz bildet die rechtliche Grundlage für diverse regionale Vorschriften, die sich ausschließlich gegen Frauen richten. Nach einem Regionalgesetz im Distrikt Indramayu ist der Tatbestand der Prostitution dann erfüllt, wenn Frauen für den Geschlechtsverkehr eine Vergütung erhalten. Auch Handlungen, die zu Prostitution führen, werden bestraft. Damit kann jegliche Form von angeblich aufreizendem Verhalten von Frauen sanktioniert werden. Ähnliche Regelungen gibt es auch in anderen Distrikten, und es werden in immer mehr Regionen derartige Paragraphen erlassen.
Nach dem Zusammenbruch der „Neuen Ordnung” von Suharto 1997 hatte einzig der politische Islam sofort die nötige Basis, um sich als Alternative präsentieren zu können.
In der Folge des Erstarkens islamischer Fundamentalisten wurden einige größere „Lokalisationen” in Indonesien geschlossen.
Profit
Jedoch sorgen Frauenhandel, das Betreiben von „Gästehäusern”, der Ausschank von Alkohol sowie der Transport von „Gästen” zu den Etablissements für ansehnliche Umsätze. Allein in der größten „Lokalisation” Indonesiens – Dolly in Surabaya (Ostjava) mit 1.200 Sexarbeiterinnen – liegt der geschätzte monatliche Gesamtumsatz bei umgerechnet rund 2,7 Millionen Euro.
Auch die örtliche öffentliche Verwaltung profitiert von der Sexindustrie. Beispielsweise muss jeder Dolly-Kunde eine Strafsteuer in Höhe von umgerechnet 0,40 Euro pro Stunde zahlen. Bei vier Kunden je Prostituierter pro Tag bringt diese Abgabe der Kommunalverwaltung Einnahmen in Höhe von umgerechnet mehr als 57.000 Euro pro Monat.
Nun wollen islamische Organisationen auch Dolly schließen, aus religiösen und moralischen Gründen. Dies stieß aber bei der Regierung und führenden Politikern zunächst auf Widerstand, da sie eine ergiebige Einnahmequelle zu verlieren drohen.
Dolly soll nun innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren geschlossen werden. Die offizielle Begründung hierfür lautet, dass in dieser Zeit die Prostituierten darauf vorbereitet werden sollen, nützliche Mitglieder der Gesellschaft und gute Mütter ihrer Kinder zu werden. Tatsächlich jedoch ist nach diesen fünf Jahren die Amtszeit des Gouverneurs bereits vorbei, und er muss die Konsequenzen für seine Entscheidung nicht mehr tragen.
Bei Parangtritis (Zentraljava) existiert mit Bantul ebenfalls ein Ort, an dem bekanntermaßen Prostitution ausgeübt wird. Hiervon profitiert die Regierung unter anderem durch Steuerzahlungen der Zuhälter. Trotzdem arbeitet hier die Regierung mit religiösen Massenorganisationen zusammen, um Sexarbeiterinnen zu kriminalisieren. 2007 wurden aufgrund eines in diesem Jahr erlassenen Gesetzes, das Prostitution und Alkoholkonsum verbietet, Sexarbeiterinnen und AnwohnerInnen aus ihren Häusern vertrieben. Tatsächlich spielte aber hier nicht die Moral die entscheidende Rolle, sondern die Aussicht auf noch mehr Profit. Mit einer Investitionssumme von umgerechnet 76 Millionen Euro soll an dem reizvollen Strand von Parangtritis eine Attraktion für reiche TouristInnen entstehen, mit Golfplätzen, Erholungsparks, Villen und 5-Sterne-Hotels.
Widerstand
Hier stieß und stößt die Regierung auf entschiedenen Widerstand. Als die massenhaften Vertreibungen 2007 begannen, verteidigten Sexarbeiterinnen und AnwohnerInnen ihre Häuser, indem sie Blockaden bildeten. Verschiedene demokratische Organisationen und Perempuan Mahardhika, die Frauenorganisation der People’s Liberation Party, die mit der IV. Internationale verbunden ist, beteiligten sich daran. Die BewohnerInnen von Bantul gründeten in der Folge eine Volksorganisation. Auch die Prostituierten haben sich organisiert, mit Unterstützung von Mahardhika. 2011 gründeten sie eine eigene Lokalstruktur von Mahardhika. Mehr als 80 der geschätzten 250 bis 500 Sexarbeiterinnen traten der Organisation bei.
Der massive Widerstand und die Solidarität pro-demokratischer Organisationen konnten die Vertreibungen bisher stoppen. Allerdings werden Frauen oft von Polizeieinheiten angegriffen und inhaftiert. Deshalb bietet Mahardhika Trainings an, bei denen die Teilnehmerinnen lernen, wie sie sich bei Polizeiübergriffen verhalten sollen.
Die Frauen sind weiterhin permanent bedroht, ihr Schicksal ist ungewiss.

1 Quelle: „Prostitution in Indonesia and its Contradictions” von Dian Novita (Nationale Sekretärin von Perempuan Mahardhika, Indonesien)

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