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Zum Charakter des Konflikts und den Schlussfolgerungen daraus

Von Birgit Althaler | 01.06.2008

Antwort auf den Leserbrief in Avanti 05/2008. In meinem Artikel zum Gazastreifen ist es mir darum gegangen, den Blick von den aktuellen Ereignissen und ihrer Dramatik weg auf die Grundlagen des Palästina-Konflikts zu lenken. Diesen Konflikt würde ich als Verdrängungsprozess der palästinensischen Gesellschaft durch die jüdisch-israelische auf ethnisch-religiöser Grundlage bezeichnen.

In meinem Artikel zum Gazastreifen ist es mir darum gegangen, den Blick von den aktuellen Ereignissen und ihrer Dramatik weg auf die Grundlagen des Palästina-Konflikts zu lenken. Diesen Konflikt würde ich als Verdrängungsprozess der palästinensischen Gesellschaft durch die jüdisch-israelische auf ethnisch-religiöser Grundlage bezeichnen. Er wäre nicht möglich gewesen, wenn Israel nicht im kolonialen imperialistischen Gefüge eine besondere Rolle für die Westmächte gespielt hätte und noch immer spielen würde. Daneben bilden Shoah, Antisemitismus und Judenverfolgung in Europa selbstverständlich auch eine entscheidende Rolle für dessen Verlauf.

Meine Absicht war nicht, die politischen Kräfte oder aktuellen Formen des Widerstands auf palästinensischer Seite zu analysieren. Dies würde zwar zum Verständnis der konkreten Lage und der politischen Strategien beitragen, aber nicht den grundlegenden Charakter des Konflikts erklären. Vielmehr argumentiere ich, dass sich die Politik, die Israel heute gegenüber dem Gazastreifen verfolgt, nahtlos in die Ziele der zionistischen Bewegung einreiht. Viele führende ZionistInnen formulierten seit den Anfängen der Bewegung, dass ein jüdischer Staat im Gebiet des historischen Palästinas nur möglich sei, wenn die einheimische arabische Bevölkerung möglichst zahlreich außer Landes geschafft würde. Der Rückzug der britischen Mandatsmacht vbot die Gelegenheit, diesem Ziel einen bedeutenden Schritt näherzukommen. Gaza in seiner aktuellen Form ist ein Ergebnis dieses historischen Vertreibungsprozesses und seiner Fortsetzung bis zum heutigen Tag. Ich halte nichts davon, zur Erklärung des Israel-Palästina-Konflikts nach Analogien in der deutschen Geschichte zu suchen – auch nicht in der Begrifflichkeit. Wenn israelische Politiker von der Auslöschung eines Stadtteils in Gaza sprechen, wie dieses Frühjahr geschehen, mögen sie ihre eigenen Ziele und Bilder im Kopf haben. Wenn ich von Zerstörung oder „Auslöschung“ der palästinensischen Gesellschaft spreche, ist nicht gemeint, dass möglichst viele PalästinenserInnen umgebracht werden sollen. Gemeint ist in erster Linie die plötzliche radikale Zerschlagung der palästinensischen Gesellschaft in den Jahren 1947-1949, wo im Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren rund zwei Drittel der arabischen EinwohnerInnen des Landes zu Flüchtlingen gemacht wurden, und in den Folgejahren die weitgehende sprachliche, räumliche, geschichtliche und kulturelle Tilgung der Spuren einer arabischen Präsenz im neu gegründeten Staat Israel.

Die Verteidigung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung und die Verteidigung individueller Menschen- und Freiheitsrechte muss auch für die palästinensische Bevölkerung gelten, unabhängig davon, ob sie von einer korrupten bürgerlichen Fatah oder einer fundamentalistischen Hamas vertreten wird. Solidaritätsarbeit bedeutet nicht, sich mit der jeweiligen politischen Führung einer unterdrückten Nation zu identifizieren oder kritiklos jede Form des Widerstands zu verteidigen. Die erwähnte Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen ist ein politisches Druckmittel, das mit „Strafe“ nichts zu tun hat. Sie knüpft an die Antiapartheidsbewegung an und erhält gerade aus Südafrika deutliche Unterstützung. Sie ist heute eines der fortschrittlichsten Beispiele von Mobilisierung einer kämpferischen, aktivistischen Basis und wird auch von den palästinensischen Gewerkschaften mitgetragen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass durch den zionistischen Charakter Israels und die Verhinderung jeder eigenständigen wirtschaftlichen Entwicklung in den besetzten Gebieten und der arabischen Bevölkerung Israels die Klassenstruktur der israelischen wie der palästinensischen Gesellschaft völlig verzerrt wurde. Ein breiter gemeinsamer Kampf der Lohnabhängigen und Unterdrückten beider Seiten ist ohne die Infragestellung des zionistischen Selbstverständnisses der israelischen Gesellschaft und ArbeiterInnenbewegung völlig illusorisch.

Leserbrief zu „Etappen eines Zerstörungswerks“ (Avanti 05/2008)

Gaza: Etappen eines Zerstörungswerks (Avanti 03/2008)

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