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Innenpolitik

Zum Bedingungslosen Grundeinkommen: Eine pseudo-radikale Forderung, die in die Sackgasse führt

Von Daniel Berger / B.B. | 01.11.2006

In Teilen der sozialen Bewegung bis hinein in verschiedene Erwerbslosenausschüsse der Gewerkschaften wird in letzter Zeit verstärkt das „bedingungslose Grundeinkommen” diskutiert und in verschiedenen Varianten als Losung in Aktionseinheiten eingebracht. Die Forderung erfreut sich vor allem deswegen einer breiter werdenden Zustimmung, weil sie in ihrer knappen Form, und solange das Umsetzungsmodell nicht erläutert wird, zunächst selbst systemoppositionellen Kräften sympathisch erscheint.

In Teilen der sozialen Bewegung bis hinein in verschiedene Erwerbslosenausschüsse der Gewerkschaften wird in letzter Zeit verstärkt das „bedingungslose Grundeinkommen” diskutiert und in verschiedenen Varianten als Losung in Aktionseinheiten eingebracht. Die Forderung erfreut sich vor allem deswegen einer breiter werdenden Zustimmung, weil sie in ihrer knappen Form, und solange das Umsetzungsmodell nicht erläutert wird, zunächst selbst systemoppositionellen Kräften sympathisch erscheint.

In der Vergangenheit haben wir selbst das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) nur oberflächlich betrachtet und die Verflechtungen nicht beachtet, die sich aus dem Modell ihrer VerfechterInnen ergeben. So hat die Avanti vom September 2004 in einem Artikel diese Losung zustimmend aufgegriffen, ohne sich jedoch auf einen Betrag und erst Recht nicht auf ein Umsetzungsmodell festzulegen. Inzwischen wird das BGE breit diskutiert und hat zu scharfen Kontroversen geführt, die auch die anstehende Strategie- und Aktionskonferenz der sozialen Bewegung prägen wird.
Wer vertritt dieses Konzept?
Auf der Linken ist dies vor allem das im Juli 2004 gegründete Netzwerk Grundeinkommen. Zu ihm gehören u.a. die Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen und der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen einschließlich der Euromärsche, in deren Namen Angela Klein sich für 1000 Euro Mindesteinkommen inklusive Miete ausspricht.
Auf der Rechten sind dies z.B. Prof. Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), Götz Werner (Chef der Drogeriekette DM) oder der Soziologe Sascha Liebermann.

Prof. Rainer Roth und ein Teil des Rhein-Main-Bündnisses führen seit einiger Zeit einen engagierten Kampf gegen die Losung des BGE und die dort vertretenen Umsetzungsmodelle. Die vor wenigen Wochen von Roth herausgegebene Broschüre „Zur Kritik des Bedingungslosen Grundeinkommens“ handelt fast im gleichen Atemzug linke wie rechte Modelle ab. Dies erscheint zunächst unfair, aber die Fülle der recht ähnlichen Zitate von rechts und links und vor allem die jeweiligen Begründungen und die dahinter stehende Logik ist wirklich überraschend.
Was will das Konzept BGE?
Hier soll nicht die Broschüre von Rainer Roth zusammenfasst werden. Wir beschränken uns auf die wichtigsten Tatsachen im Konzept ihrer linken VertreterInnen:
Erste Vorläufer des BGE reichen bis in die 80er Jahre zurück. Seite Ende der 90er Jahre wird das bedingungslose Grundeinkommen verstärkt propagiert und operiert aktuell mit folgenden Zahlen: Gefordert wird ein bedingungsloses Grundeinkommen, d.h. ohne Bedürftigkeitsprüfung, von 850 Euro für alle Personen + Warmmiete. Es wird nicht unterschieden nach Alter, sozialer Lage usw.
Finanziert werden soll das BGE durch eine Abgabe, die alle bezahlen sollen, die mehr als den Durchschnitt verdienen (50% des Durchschnitts wären zu behalten und 50% wären anrechnungsfrei). Der Lohnzuschuss würde demnach heute bei 4600 Euro brutto auslaufen (etwa 2400 Euro netto); d.h. ab dieser Höhe müssten alleinstehende LohnarbeiterInnen mehr zahlen als sie empfangen.

Da jeder Mensch, ob KapitalistIn, KleinbürgerIn oder Erwerbslose/r, ob jung oder alt, das gleiche Grundeinkommen erhalten sollen („ohne Bedürftigkeitsprüfung“), würde das Konzept des Runden Tisches bei einer mehrköpfigen Familie zu einer gewaltigen Einkommenssteigerung führen und zwar weit jenseits des Mindestlohns von 10 € in der Stunde, und zwar ganz unabhängig davon, ob jemand aus dieser Familie überhaupt arbeitet. Denn 850 Euro netto x (beispielsweise) 4 Personen + Warmmiete ist 3400 Euro netto + Warmmiete, was eine Erhöhung des Kindergeldes von aktuell 154 Euro auf 850 Euro bedeuten würde. Niemandem wird es unter solchen Bedingungen einfallen, arbeiten gehen zu wollen. Nur zur Erinnerung: Heute beträgt das durchschnittliche Einkommen von ArbeiterInnen 2500 Euro brutto.

Die Umverteilung soll der Staat vornehmen, der allerdings zunächst feststellen müsste, welche Gesamteinkommen jede Person hat. Der Staat soll bei allen abkassieren, bei den KapitalistInnen wie bei den im kapitalistischen Betrieb Beschäftigten. Von „Lohnabhängigen“ kann dann keine Rede mehr sein, denn sie sind gerade nicht mehr vom Lohn abhängig. Die linken Verfechter des BGE begreifen diese Forderung und – falls umgesetzt – dieses Modell als einen Schritt zur Überwindung der … Arbeitsgesellschaft. Sie polemisieren gegen alle, die „die Arbeit hoch halten“, und propagieren den individuellen Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft (aus der „Lohnarbeit“).

Zur Finanzierung des Modells legen sie eine Rechnung zugrunde, die ein freiwilliges Mitziehen des Kapitals vor­aussetzt, also der Klasse in der Gesellschaft, die alles Interesse daran hat, dass die Nicht-KapitalbesitzerInnen auch wirklich lohnabhängig bleiben. Hinzu kommt, dass das Kapital nur dann weiter funktioniert, wenn die Profite gesichert sind. Wenn aber nur noch wenige Menschen arbeiten, weil die anderen endlich begriffen haben, dass mensch doch aussteigen soll und kann, dann müssen diese um so länger arbeiten und in der Logik auch für immer weniger Geld.  

Die Absurditäten ihres Modells sind ihren BefürworterInnen wahrscheinlich nur zum Teil bewusst. Bewusst ist ihnen aber sehr wohl, dass mit diesem Modell ihre spezifische Nischensituation verändert werden könnte, nämlich entweder nicht arbeiten zu wollen und trotzdem gut ernährt zu werden, oder als KleinproduzentIn (Dienstleistung, Handel und dergleichen) ein durch den bürgerlichen Staat verteiltes garantiertes Mindesteinkommen zu bekommen.
Hier drückt sich nicht nur ein kleinbürgerliches, vollkommen kapitalistisch ausgerichtetes Bewusstsein des Fliehens vor der Realität und des angestrebten individuellen Ausstiegs aus der Lohnarbeit aus. Es ist auch zuhöchst unsolidarisch, weil es davon ausgeht, dass andere Deppen den gesamten gesellschaftlichen Reichtum in langen Arbeitszeiten schaffen und über den Staat so umverteilen lassen, dass auch die „GegnerInnen der Arbeit“ noch auskömmlich leben können. Denn einen Arbeitszwang lehnen sie ab.

Dass wir die Zumutbarkeitsregelungen (Abschaffung des Berufsschutzes und alle anderen Unverschämtheiten namentlich aus dem „Optimierungsgesetz“) ablehnen, kann nicht heißen, dass wir es gut finden, wenn jemand trotz ausreichender Angebote durch die Gesellschaft es vorzöge, keinen Beitrag zur Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums zu leisten, obwohl er/sie es könnte. Ein auskömmliches Einkommen zu beanspruchen, ohne die Bereitschaft, selbst dazu beizutragen, hat wenig mit Fortschrittlichkeit zu tun, mehr mit individueller Flucht. Das wird erst recht nicht dadurch besser, dass es als Modell für die ganze Gesellschaft
propagiert wird, von den logischen Widersprüchen ganz zu schweigen.
Förderung von Kombilöhnen
Die rechten VerfechterInnen dieses Konzepts machen viel deutlicher, worauf dieses Modell hinausläuft, nämlich auf eine massive Förderung von Kombilöhnen. Da der Staat ja für das Auskommen sorgen wird, können dann die Löhne massiv gesenkt werden, und zwar nicht nur im unteren Bereich. Die darüber liegenden Löhne und Gehälter würden unweigerlich mit runter gezogen. Dazu Straubhaar: „…Ich schlage vor, dass wir den Arbeitsmarkt…zum Markt mit auch geringen Löhnen machen, also viel Lohnspreizung in Kauf nehmen, Löhne die an Ort und Stelle [sprich ohne Gewerkschaften und ohne Tarifverträge] verhandelt werden.“ (dradio 5.4.2006; zitiert nach Rainer Roth, S. 17). Oder derselbe: „Ich denke, dass die meisten Deutschen sich etwas dazuverdienen wollen und auch werden. Das wird dann nicht mehr mit einem faktischen Mindestlohn [darunter versteht er die heutigen Tariflöhne, D. B.] wie heute geschehen, sondern mit tiefen Löhnen.“
Die Zielsetzung ist also sehr klar. Die linken Verfechter des Konzepts kümmert das aber nicht groß, denn erstens will ein Teil von ihnen sowieso nicht arbeiten (sie sind stolz, den „Arbeitsethos“ abgestreift zu haben), und zweitens brauchen sie ja auch keinen kollektiven Kampf zur Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Entgelt- und Personalausgleich.
Das BGE spaltet …
Das BGE kann zwar sehr wohl in Kreisen der Erwerbslosen noch weiteren Anklang finden, zumal dort die zunehmend unwürdigen Bedürftigkeitsprüfungen durch die Agenturen und die Überwachung durch das Verfolgungs- „Fallmanagement“ an den Nerven zehrt. Der letzte Vorstoß der „Fünf Weisen“ zur Absenkung des ALG II unter die schon viel zu niedrigen aktuellen Regelsätze tut hier sein übriges.

Fatal an dem Konzept des BGE ist aber, dass es einen Keil zwischen Erwerbstätige und Erwerbslose treibt. Denn wenn einem Stahlarbeiter erklärt werden soll, dass ein Erwerbsloser mehr bekommen soll, als er für seine Maloche, dann kann daraus nie eine gemeinsame Front, ein gemeinsamer Kampf erwachsen.
Als Erklärungshintergrund für die Propagierung des in sich so wenig schlüssigen Konzepts sollten wir beachten (und das hat R. Roth nicht ausreichend herausgearbeitet):
Die linken Vertreter des BGE sind nicht nur auf einen individuellen Ausweg aus der Lohnarbeit aus. Sie lehnen es rundweg ab, die Teilung der Gesellschaft in antagonistische Klassen zum Ausgangspunkt aller Überlegungen zu nehmen. Wer die Klassengesellschaft zu einem zweitrangigen Merkmal macht und statt dessen die „Arbeitsgesellschaft“ als den Kern des Übels betrachtet, der wird naturwüchsig keinen Zugang zu den Erwerbstätigen finden, die sich in dieser Gesellschaft abrackern müssen, um ihren Lebensstandard zu halten und wird keinen gangbaren Weg für einen gemeinsamen Kampf vorschlagen können.
Die aktuelle Debatte
Dreh- und Angelpunkt bleibt die Kernforderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von wenigstens 10 € in der Stunde für alle Branchen und Tätigkeiten. Ver.di, NGG und IG BAU hatten übrigens noch im Jahr 2000 einen Mindestlohn von 3000 DM gefordert, was etwa den 10 € entspricht; heute fordern sie nur noch 7,50 €! 10 € bei einer 38,5 Stundenwoche bedeuten 1670 €/Monat. Das entspricht etwa 1100 € netto.
Mit den Debatten, die es heute vor allem seit Einführung von Hartz IV bei den Unterkunftskosten gibt, ist auch der Frankfurter Appell noch zu vage. Er forderte:

  • •    einen gesetzlichen Mindestlohn, der zum Leben reicht, wenigstens 10 € die Stunde
  • •    ein ausreichendes garantiertes Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen, ohne Bedürftigkeitsprüfung.

Die Plattform der Gewerkschaftslinken ist deshalb einen Schritt weiter gegangen. Dort heißt die Forderung: „Ausreichendes Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen… Es müsste sich für Alleinstehende aus einer Regelleistung von 500 Euro (statt jetzt 345 Euro) plus Unterkunftskosten und Heizung zusammensetzen.“ Zur Aktualisierung des Frankfurter Appells wird die Formulierung angestrebt: „Ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, wenigstens 500 Euro Eckregelsatz.“
Dabei ist zu beachten, dass es sich um Nettobeträge handelt. Außerdem greift die Formulierung nicht grundlos die Systematik der Transferzahlungen für Bedürftige auf: Jede Person wird wie früher bei der Sozialhilfe gesondert berechnet. Ergänzend fordern wir natürlich, wieder Zahlungen für „besondere Lebenslagen“ zu leisten.

Die hier vorgeschlagene Losung, – der Inhalt der beiden letzt genannten ist identisch –, wird heute breit benutzt und knüpft an den Erfahrungen der Hartz IV-EmpfängerInnen an und findet sowohl hier Zustimmung wie bei Erwerbstätigen. Auf die breite, gemeinsame Front der Erwerbstätigen und Erwerbslosen kommt es an. Hier an der fortgeschrittensten und recht verbreiteten Forderung anzuknüpfen kann in keinen Fall verkehrt sein, auch wenn wir zusätzliche Forderungen ins Gespräch bringen wollen.

Weitere Infos unter:
www.labournet.de
www.klartext-info.de

 

Mindesteinkommen brutto?
Die Formulierung des „Mindesteinkommens brutto” erweist sich in der politischen Diskussion als nicht konkret genug. Dies ist eine Erfahrung aus der Arbeit in der sozialen Bewegung. Der Grund liegt darin, dass hier die Auseinandersetzung mit den verschiedensten politischen Lagern über die Frage geführt wird, wie es denn um die Erwerbslosen bestellt sein soll.
Den Erwerbslosen selbst stellt sich folgende Frage: Andere Regelsätze oder ein bedingungsloses Grundeinkommen? Beides ist also netto. Die Erwerbslosen bekommen in der einen oder der anderen Form nur eine Transferzahlung und die ist nun mal per se netto.

D.B.

 

 

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