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Innenpolitik

Zu Gast bei Freunden: Die Fußball-WM als Katastrophenfall

Von W. Wiese | 01.07.2006

Mit dem Slogan „Zu Gast bei Freunden“ werden die Besucher der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft in Deutschland davor gewarnt, dass sie als Fremde bei einer Clique von Freunden zu Gast sind, von denen bekannt ist, dass einige von ihnen Hatz auf Menschen machen, die nicht von weißer Hautfarbe sind.

Mit dem Slogan „Zu Gast bei Freunden“ werden die Besucher der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft in Deutschland davor gewarnt, dass sie als Fremde bei einer Clique von Freunden zu Gast sind, von denen bekannt ist, dass einige von ihnen Hatz auf Menschen machen, die nicht von weißer Hautfarbe sind.

Der Slogan könnte von vielen ausländischen Besuchern als Drohung verstanden werden, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gesteigert wurde, eine NPD-Veranstaltung für den Iran zu genehmigen. Viele Menschen wollen lieber nicht auffallen, wenn sie bei „Freunden“ sind, die dick zusammenhalten.
Zurzeit sind die deutschen Freunde recht gut auszumachen. Sie zeigen in großer Zahl mit ihren schwarzrotgoldenen Wimpeln an Autos, Häusern usw., dass sie „endlich gute Laune haben“ (Renate Künast in einer Zeitungskolumne). Das sind diejenigen, die die Hymne vor dem Spiel besonders laut mitsingen. An ihrer hübschen, bunten,  „Spielkleidung“ wird ihre örtliche Zugehörigkeit deutlich, von denen es zurzeit weitere 31 Fangruppen in der Bundesrepublik gibt. Der allgegenwärtige deutsche Nationalismus gestaltet sich in den Augen der maßgeblichen Politiker verharmlosend als „Patriotismus“.

Laut dem spanischen Schriftsteller Javier Marias hat die WM in Deutschland eine „friedensstiftende Wirkung“.1 Welchen Frieden er meint, lässt er offen. Er könnte aber den „zivilen Frieden“ meinen, den die Spürpanzer der Bundeswehr in der Nähe der Stadien stehend mit garantieren bzw. notfalls wieder herstellen sollen. Der zuständige Generalleutnant Lahl versicherte, „wenn es zu einer Zuspitzung kommt, wird geleistet, was machbar ist – trotz aller Belastung durch Auslandseinsätze“. Wegen der vielen Auslandseinsätze kann die Bundeswehr nur noch rd. 7000 Soldaten zur Unterstützung der zivilen Behörden bereithalten.

Die Zeiten, als Fußball nahezu ausschließlich eine Angelegenheit von Fußballbegeisterten und -kennern war, und die WM von Fachsimpeln über Taktiken, Mannschaftsaufstellungen etc. begleitet wurde, sind längst vorbei. Heute wird das ganze Volk bereits frühzeitig, mehrere Wochen vor dem Anpfiff emotional auf die Fußball-WM eingestimmt. Ein Höhepunkt stellten die 3 Shows der Superlative in Frankfurt/Main zu Pfingsten dar, als vor mehr als insgesamt 700 000 Menschen die Hochhäuser der Skyline angestrahlt wurden, und auf ihnen Bilder von Fußballgrößen und -szenen zu sehen waren. Die Vorbereitung dieser rd. 30 Minuten dauernden Veranstaltung dauerte 2 Jahre und kostete mehr als 3 Mio. € Sponsorengelder. Kritische Ansätze waren nicht gefragt. Dies musste die belgische Künstlerin Marie-Jo Lafontaine mit ihren etwas kritischen Ansatz erfahren.
Geschäft
Natürlich gab es auch einen Gottesdienst zur Fußballweltmeisterschaft. Er stand unter dem Motto ‚Jetzt geht’s los!‘ Ein ironischen unterlegter Slogan, den jeder Fußballfan kennt. Er wird ihn allerdings weniger mit einem solchen „event“ in Verbindung gebracht haben. Der Präsident der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau forderte in seiner Predigt Fairness und warnte vor einer Kommerzialisierung der WM.
Auch mit diesem Hinweis outete sich die Kirche als mal wieder nicht auf ‚Ballhöhe‘. Ist doch die Fußball-WM ein Riesen-Marketing-Event geworden, bei dem längst dickes Geld ‚eingespielt‘ wird. Als die größten Sponsoren haben sich inzwischen McDonald und Coca Cola eingekauft. Die anderen bilden mit ihren Logo die Hintergrundbilder bei jedem Interview.

Für den Fall, dass eine WM z.B. infolge von Naturkatastrophen ausfallen muss, gibt es Versicherungen! Deshalb hat sich das Organisationskomitee der WM entsprechend für 158 Mio. € versichern lassen. Keine Versicherung gab es für den Fall, dass die WM wegen eines Terroranschlages ausfällt. Hier hat die FIFA das Risiko durch einen Bankenfonds gemanagt.
Jeder Kartenbesitzer hat einen Rechtsschutz und er erhält bei Tod 10.000 €, bei Invalidität 70.000 € bezahlt, falls der Schadensfall im Stadion passiert. 2

Das Medienereignis in High-Tech wird zu drei Vierteln von der Deutschen Telekom betrieben. Dem Konzern stehen etwa 350 Mio. € an Einnahmen in Aussicht. Die Telekom rechnet (u. a. wegen verstärktem Handy-Einsatz aufgrund der WM) insgesamt mit einem zweistelligen Millionengewinn.
Während der WM-Zeit läuft – neben den Testläufen zur verstärkten Überwachung der Bevölkerung – auch der Testlauf zur Aufhebung des Ladenschlussgesetzes. Neun Bundesländer planen die Aufhebung des Gesetzes, die sie jetzt schon mal proben: In vielen Städten sind Geschäfte jetzt bis 24.00 Uhr geöffnet. Die derzeitige Praxis während der WM wird interessanterweise mit Ausnahmeregelungen begründet, die sich auf Not- und Katastrophenfälle beziehen. Ver.di verweist auf das Beispiel Thüringen,3 das an diesen Ausnahmeregelungen teilnimmt, obwohl dort weder WM-Spiele stattfinden, noch Mannschaften Quartier bezogen haben.
Es bleibt zu hoffen, dass die wichtigste Nebensache dieser WM, nämlich die Fußballspiele, den Fußballfreunden genügend Gelegenheit geben wird, wieder schönen Fußball zu sehen, an dem beispielsweise afrikanische Mannschaften beteiligt sind. Schließlich ist das Bundesligagekicke nicht gerade eine Augenweide.

1    FR vom 7.6.2006
2    FR vom 6.5.2006
3    FR vom 6.6.2006

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